Linz, 17.07.2012
E R K E N N T N I S
Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn X, geb. X, X, X, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Perg, vom 29.06.2012, GZ: VerkR20-350882-2012, zu Recht:
Der Berufung wird statt gegeben; die ausgesprochene Befristung wird behoben.
Rechtsgrundlage:
§§ 66 Abs.4 und 67a Abs.1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz – AVG, BGBl. Nr. 51/1991 idF BGBl. I Nr. 111/2010 und § 3 Abs.1 Z3 iVm § 5 Abs.5, § 8 Abs.3 und § 24 Abs.1 Z2 Führerscheingesetz – FSG, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 117/2012 iVm § 10 Abs.3 Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung, BGBl. II Nr. 138/1998, zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 280/2011;
Entscheidungsgründe:
1. Mit dem oben bezeichneten Bescheid hat die Behörde erster Instanz dem Berufungswerber dessen von ihr unter GZ: 12350882 erteilte Lenkberechtigung für die Klassen A, B, durch Befristung bis zum 27.06.2017, gestützt auf §§ 24 Abs. 1 Z2; 8 Abs.3, 13 Abs.5 Führerscheingesetz (FSG) ein.
1.1. Begründend führte die Behörde erster Instanz aus:
2. Dagegen wandte sich der Berufungswerber mit seiner durch die ausgewiesene Rechtsvertreterschaft erhobenen Berufung:
2.1. Dieses Vorbringen erwies sich als begründet!
3. Der Berufungsakt wurde von der Behörde erster Instanz dem
Oö. Verwaltungssenat vorgelegt. Demnach ist dieser durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zur Entscheidung berufen (§ 67a Abs.1 2. Satz AVG).
3.1. Der unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Behörde erster Instanz.
Im Rahmen des Berufungsverfahrens wurde mit Blick auf eine Präzisier- u. Konkretisierbarkeit der im Raum stehenden Verschlechterungsprognose bzw. Wegfallsprognose der gesundheitlichen Eignung nach fünf Jahren, eine Gutachtensergänzung an den Amtsarzt der Behörde erster Instanz gerichtet. Diesem wurde am 17.7.2012 in einer ausführlichen Ergänzung entsprochen.
4. Sachverhalt:
Beim Berufungswerber besteht laut amtsärztlichem Gutachten seit vielen Jahren eine koronare Herzerkrankung, wobei er als 48-jähriger zuletzt einen Herzstent erhalten hat. Bis zum amtsärztlichen Untersuchungszeitpunkt am 12.6.2012 war die Lenkberechtigung wegen funktioneller Einäugigkeit befristet.
Am Untersuchungstag zeigte sich der 53 jährige Antragstelle dem Amtsarzt in gutem Allgemein- als auch Gesundheitszustand. Laut der neuen Gesetzesnovelle bezüglich des Führerscheingesetzes, so der Amtsarzt in seinem Gutachten, bestehte keine Notwendigkeit mehr einer bloß befristeten Eignung. Er sei laut der neuen Führerscheinnovelle gesundheitlich in der Lage zum Lenken eines Kraftfahrzeuges ohne Nachuntersuchung.
Diese Darstellung wurde in der Gutachtensergänzung als irrtümlich bloß auf die Sehtauglichkeit zu verstehend zurückgenommen.
Aufgrund der internistischen Erkrankungen (KHK, Z.n. Multistent zuletzt 06/2008, arteriellen Hypertonie, Hypercholesterinämie) wurde entsprechend den Leitlinien zum Lenken eines Kraftfahrzeuges eine internistische Stellungnahme empfohlen. Diese erfolgte durch Dr. X, Facharzt für Innere Medizin am 13.06.2012. Aus internistischer Seite besteht gegen das Lenken eines KFZ der Gruppe 1 unter den gegebenen Umständen kein Einwand. Er ist in keinster Weise bezüglich seiner Krankheit oder seiner Medikamenteneinnahme suspekt. Relevante Spätschäden liegen, zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt, nicht vor. Die Notwendigkeit von Nachuntersuchungen iSd § 8 Abs.3 Z2 FSG ist nur dann gegeben, wenn eine "Krankheit" festgestellt wurde, bei der ihrer Natur nach mit einer zum Verlust oder zur Einschränkung der Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen führenden Verschlechterung gerechnet werden muss. Aufgrund der multiplen internistischen Erkrankungen ist eine Verschlechterung der Situation möglich.
Daher wären laut Amtsarzt Kontrollen, wie in den Leitlinien vorgegeben, notwendig.
Der Amtsarzt Dr. X verweist in weiterer Folge in seiner über h. Auftrag erstatteten ausführlichen Präzisierung seines Gutachtens am 17.7.2012 auf ein von der deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung erstelltes Positionspapier "Fahreignung bei kardiovaskulären Erkrankungen", welche in der Zeitschrift "Kardiologe" 2010 publiziert wurde. Darin werde dargestellt, dass während des Fahrens auftretende plötzliche Erkrankungen, die zur Fahrunfähigkeit und zum Unfall führen, extrem selten wären. In wörtlicher Wiedergabe fortsetzend:
"Eine plötzliche krankheitsbedingte Fahrunfähigkeit ist demnach nach Erkenntnis unterschiedlicher Studien nur zwischen 0,15 und 3,4 % aller Unfälle ursächlich. Häufiger als Herzerkrankungen sind andere Erkrankungen als Unfallursache festgestellt worden. Kardiale Ursachen rangieren als krankheitsbedingte Unfallursache in Folge plötzlicher Fahrunfähigkeit mit 8 % deutlich hinter Epilepsie, Bewusstseinsverlust und insulinpflichtiger Diabetes mellitus. Bestehen Angina pectoris Beschwerden unter Belastung ohne wesentliche Änderungen über Monate oder liegen keine Beschwerden bei bekannter KHK vor, kann man von einer stabilen koronaren Herzkrankheit ausgehen. Letztendlich erfolgte letztmalig eine Stentimplantation in seinem 48. Lebensjahr.
Die Rate an jährlichen Todesfällen bei stabiler Angina pectoris liegen bei ca. 1,5%. Plötzliche Todesfälle, Tod innerhalb von einer Stunde nach Symptombeginn bei stabiler koronarer Herzkrankheit treten ein Mittel zwischen 0,32 und 1 % im Jahr auf. Bestehen weitere zusätzliche Probleme wie Diabetes mellitus, Nikotingenuss oder Diuretika und Digitalispräparate kann die Rate der plötzlichen Kardiotodesfälle auch über 1 % pro Jahr liegen. Diese zusätzliche Situation ist bei Einnahme von TSS und Tredaptive (Behandlung von Fettstoffwechselstörungen, insbesondere bei Patienten mit kombinierter Dyslipidämie mit erhöhtem LDL-Cholesterin und erhöhten Triglyzeride sowie niedrige HDL-Cholesterin-Werte und bei Patienten mit primärer Hypercholesterinämie) nicht gegeben.
Trotzdem bestehen auch angesichts des doch niedrigen Alters von Herrn X durchaus stark ausgeprägte internistische Probleme. Aus allgemeinmedizinischer wie auch aus internistischer Sicht (siehe entsprechendes Gutachten von Herrn Dr. X) ist sehr wohl die Möglichkeit einer Verschlechterung jederzeit gegeben, sodass eine Nachuntersuchung notwendig ist.
Eine Nachuntersuchung aus augenfachärztlicher Sicht ist laut der neuen Gesetzesnovelle nicht notwendig."
4.1. Würdigung der Gutachtenslage:
Aus der amtsärztlichen Ausführungen lässt sich nach h. Auffassung nicht nachvollziehen, dass beim Berufungswerber mit einer höherer Wahrscheinlichkeit als dies im Grund auf jeden Menschen zutrifft, nach Ablauf von fünf Jahren mit einem Wegfall der gesundheitlichen Eignung gerechnet werden müsste. Vielmehr lassen die Ausführungen eher als eine vorbeugende Empfehlung und mit Hinweis auf die fachärztliche Stellungnahme mehr als Rat im Sinne einer gesundheitserhaltenden Maßnahme begreifen. Mit dem allgemein gehaltenen Hinweis auf die "Notwendigkeit" einer Nachuntersuchung vermag eine Verschlechterungsprognose im rechtlichen Sinne jedenfalls nicht begründet gelten.
5. Rechtlich hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:
Gemäß § 3 Abs.1 Z3 FSG-GV gilt als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Fahrzeugklasse im Sinne des § 8 FSG gesundheitlich geeignet, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften
1. die nötige körperliche und psychische Gesundheit besitzt,
2. die nötige Körpergröße besitzt,
3. ausreichend frei von Behinderungen ist und
4. aus ärztlicher Sicht über die nötige kraftfahrspezifische psychophysische Leistungsfähigkeit verfügt.
Gemäß § 5 Abs.5 FSG ist die Lenkberechtigung, soweit dies auf Grund des ärztlichen Gutachtens oder wegen der Art der Lenkberechtigung nach den Erfordernissen der Verkehrssicherheit nötig ist, unter den entsprechenden Befristungen, Auflagen oder zeitlichen, örtlichen oder sachlichen Beschränkungen der Gültigkeit zu erteilen (§ 8 Abs.3 Z2 FSG).
….
Gemäß § 10 Abs.3 FSG-GV sind bei Blutdruckanomalien Einschränkungen der Lenkberechtigung (nur) unter Bedachtnahme auf möglichen Komplikationen und der daraus gegebenenfalls für die Sicherheit im Straßenverkehr erwachsenden Gefahr zu beurteilen.
Hierfür finden sich selbst im Ergänzungsgutachten keine wirklich konkretisierbaren Anhaltspunkte.
5.1. Um eine bloß bedingte Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen in diesem Sinne anzunehmen, bedarf es auf einem ärztlichen Sachverständigengutachten beruhender konkreter Sachverhaltsfeststellungen darüber, dass die gesundheitliche Eignung zwar noch in ausreichendem Maß für eine bestimmte Zeit vorhanden ist, jedoch eine gesundheitliche Beeinträchtigung besteht, nach deren Art in Zukunft mit einer die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließenden oder einschränkenden Verschlechterung gerechnet werden muss (vgl. VwGH 24. April 2001, Zl. 2000/11/0337 und 13. August 2003, Zl. 2001/11/0183, 13. August 2003, Zl. 2002/11/0228, vom 25. April 2006, Zl. 2006/11/0042, vom 15. September 2009, Zl. 2007/11/0043, vom 22. Juni 2010, Zl. 2010/11/0067, und vom 24. Mai 2011, Zl. 2010/11/0001 mwN.).
Auf die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (z.B. VwGH 14.3.2000, 99/11/0254 oder 18.3.2003, 2002/11/0209), wonach die Notwendigkeit von Nachuntersuchungen gemäß § 8 Abs.3 Z2 letzter Satz FSG nur dann gegeben ist, wenn eine 'Krankheit' festgestellt wurde, bei der ihrer Natur nach mit einer zum Verlust oder zur Einschränkung der Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen führenden Verschlechterung gerechnet werden muss, wird an dieser Stelle ebenfalls hingewiesen.
Konkrete bzw. stichhaltige nachvollziehbare Ausführungen im dargelegten Sinn, weshalb konkret mit einer Verschlechterung der Krankheit des Berufungswerbers hier gerechnet werden müsste, lässt auch das wohl umfangreich begründete amtsärztliche Ergänzungsgutachten nicht erkennen.
Mit dem bloßen Hinweis einer "sehr wohl bestehenden Möglichkeit einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes" vermag ein derart zu konkretisierender Anhaltspunkt jedenfalls nicht gesehen werden.
Eine mögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes innerhalb von fünf Jahren trifft letztlich schlichtweg für jeden Menschen und verstärkt für ältere Menschen ganz generell zu. Das eine Nachuntersuchung alleine schon aus vorbeugender Sicht, so wie sie sinnvoller Weise jeder vernünftige Mensch nach einem entsprechenden Eingriff über sich ergehen lässt und auch geboten ist, bildet keine ausreichende Grundlage für eine gleichsam vorbeugende Befristung der Lenkberechtigung.
Dass auf Grund der Art der beim Berufungswerber vorgelegenen Herzerkrankung und aus diesem Grund ihm gesetzten "Stents" und dessen Bluthochdruck - ungeachtet des offenbar konstant im Wesentlichen unveränderten Gesundheitszustands, vermag auf eine die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließenden oder einschränkenden Verschlechterung nicht geschlossen werden. Wie oben bereits ausgeführt lässt sich dem Gutachten kein diesbezüglicher Hinweis entnehmen. Vielmehr zeigt dieses keinerlei konkretisierbaren Aspekte für Verschlechterungsprognosen auf. Vielmehr wird eingangs im amtsärztlichen Gutachten auf den guten Gesundheitszustand des Berufungswerbers verwiesen. Es entbehrt daher einer ausreichenden rechtlichen Grundlage dem Berufungswerber gleichsam "vorsorglich" seine Lenkberechtigung auf fünf Jahre zu befristen und ihm dann seine gesundheitliche Eignung nachweisen zu lassen. Laut Judikatur besteht auch keine allgemeine Notorietät dahin gehend, dass bei jeder Art von koronarer Herzerkrankung, selbst nicht einmal nach einem Herzinfarkt, mit einer derartigen Verschlechterung rechnen zu müssen, dass die Eignung wegfallen würde (vgl. unter Vielen VwGH 24.5.2011, 2010/11/0001, sowie VwGH 29.9.2005, 2005/11/0120).
Die Befristung war daher zu beheben.
Im gegenständlichen Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 14,30 Euro angefallen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof und/oder an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.
Dr. B l e i e r