Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-420741/5/SR/WU

Linz, 24.07.2012

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Beschwerde des X, geboren am X, nigerianischer Staatsangehöriger, vertreten durch den X, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in Form der zwangsweisen Vorführung des Beschwerdeführers zu einer Delegation der nigerianischen Botschaft in den Räumlichkeiten der BPD Wien, Hernalser Gürtel 6-12, 1080 Wien, am 20. April 2012 durch dem Bezirkshauptmann von Schärding zuzurechnende Polizeiorgane, zu Recht erkannt:

 

 

I.                  Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

II.              Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Verfahrenspartei Bezirkshauptmann von Schärding) Kosten in Höhe von 57,40 Euro (Vorlageaufwand) und 368,80 Euro (Schriftsatzaufwand), insgesamt: 426,20 Euro, binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsgrundlage:

Art 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG iVm § 67a Abs. 1 Z. 2 u § 67c AVG 1991; § 79a AVG 1991 iVm Aufwandersatzverordnung UVS, BGBl II Nr. 456/2008.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit dem am 22. Mai 2012 vom Vertreter des Beschwerdeführers (im Folgenden: Bf) eingebrachten Schriftsatz vom 22. Mai 2012 wurde Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt [gemäß Artikel 129a B-VG] an den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erhoben und die Verletzung von Grundrechten gerügt.

 

Unter Punkt 1 (Beschwerdegegenstand) erachtet sich der Bf durch die "gewaltsame Vorführung zu der Delegation der nigerianischen Botschaft am 20.04.2012 in den Räumlichkeiten der Bundespolizeidirektion Wien, Hernalser Gürtel 6-12, 1080" in seinen Rechten verletzt.

 

Zum Sachverhalt bringt der Vertreter wie folgt vor:

 

Beim Bf handelt es sich um einen Flüchtling aus Nigeria. Am 16.03.2012 hat der Bf einen neuen Asylantrag gestellt. Dieser trägt die GZ 12 03.165-EAST West. Die erstinstanzliche Entscheidung wurde dem Rechtsvertreter erst am 24.042012 per E-Mail zugestellt. Die Vollmacht an den Rechtsvertreter, den X, wurde bereits in konkreten Bezug zum Asylverfahren am 26.03.2012 vorgelegt. Spätestens mit Fax vom 05.04.2012, Stellungnahme zum (offenen) Asylverfahren, musste dem BAA die Vertretungsmacht zweifelsfrei bekannt sein. Zum Zeitpunkt der Vorführung vor die nigerianische Botschaft war der Bf daher ein Asylwerber mit faktischem Abschiebeschutz. Er hätte nicht der Heimatbehörde vorgeführt werden dürfen, da er unter dem Schutz der Republik Österreich stand.

 

Die belangte Behörde hat offensichtlich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen die nigerianische Botschaft dazu gedrängt, ein Heimreisezertifikat auszustellen.

 

Die Beschwerde begründet der Vertreter damit, dass Asylwerber, wie der Bf, der am 20. April 2012 diesen Status innehatte, im Falle des faktischen Abschiebeschutzes nicht abgeschoben werden dürfen. Der Bf hätte daher auch nicht der Heimatbehörde vorgeführt werden dürfen. Daten von Asylwerbern dürfen auch nicht an die Heimatbehörde übermittelt werden. Dies sei im vorliegenden Fall geschehen. Die belangte Behörde habe sich daher willkürlich über die Grundrechte des Bf hinweggesetzt.

 

Abschließend beantragte der Bf den bekämpften Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären sowie der belangten Behörde gemäß § 79a AVG den Ersatz der Verfahrenskosten binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu Handen des Vertreters aufzuerlegen. An Kosten wurden insgesamt 750,80 Euro verzeichnet.

 

2. Mit Schreiben vom 30. Mai 2012 wurde die Behörde, die die Zwangsmaßnahme zu vertreten hat, zur Aktenvorlage aufgefordert.

 

Die belangte Behörde hat mit Schreiben vom 21. Juni 2012 ihre Verwaltungsakten vorgelegt und eine Stellungnahme erstattet.

 

Unter Punkt 1 wurde die Zurückweisung der Maßnahmenbeschwerde begehrt.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Bf freiwillig vor die Delegation der nigerianischen Botschaft getreten sei und daher kein Akt einer Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vorliege. Überdies habe der Bf keine konkreten Handlungen dargestellt.

 

Unter Punkt 2 wurde die Abweisung der Maßnahmenbeschwerde beantragt.

In der Begründung verwies die belangte Behörde auf die rechtskräftige Verurteilung des Bf und den ersten Asylantrag, der rechtskräftig negativ abgewiesen worden sei.

 

Nachdem der Bf bei seinem illegalen Aufenthalt in Deutschland aufgegriffen und nach Österreich überstellt worden sei, habe dieser einen Asylfolgeantrag gestellt. Der Bescheid des Bundesasylamtes, AIS 12 03.165 sei wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen und die Ausweisung nach Nigeria gemäß § 10 Abs. 1 AsylG verfügt worden. Dieser Bescheid sei sowohl am 18. April 2012 an den UNHCR, inklusive Infoblatt an den Bf und an den Vertreter zugestellt worden. Die nicht unterfertigte Übernahmebestätigung des Bf sei noch am 18. April 2012 an das Bundesasylamt gefaxt worden (siehe AI/DGA).

 

Da der Bf erst am 20. April 2012 der Delegation der nigerianischen Botschaft vorgeführt wurde, sei die Maßnahmenbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

 

Der Vertreter habe erst am 26. April 2012 die Bescheidübernahme bestätigt. Daraus könne aber nicht geschlossen werden, dass die Zustellung des Bescheides des Bundesasylamtes nicht bereits am 18. April 2012 erfolgt ist, zumal der Vertreter des Bf bereits am 25. April 2012 gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes Beschwerde an den Asylgerichtshof erhoben hat. Vor dem Hintergrund der erfolgreichen Zustellungen an den Bf und den UNHCR sei nicht nachvollziehbar, warum gerade keine Zustellung an den Vertreter erfolgt sei.

 

Abschließend setzt sich die belangte Behörde mit dem Vorwurf (Vorspiegelung falscher Tatsachen um ein Heimreisezertifikat zu erlangen / Drängen der nigerianischen Botschaft) auseinander, zeigt das weitere Verfahren schlüssig und nachvollziehbar auf, weist den Vorwurf mit Bestimmtheit zurück und begehrt den pauschalierten Aufwandersatz.

 

3.1. Aufgrund des Inhalts der von der belangten Behörde vorgelegten Akten, der Angaben des Bf und der ergänzenden Erhebungen ergibt sich nachstehender Sachverhalt:

 

Der Bf reiste am 9. Juni 2008 über unbekannt mit dem Zug illegal in das Bundesgebiet ein. Gegenüber den zuständigen Behörden gab der Bf an, dass er X alias X heiße, am X geboren und nigerianischer Staatsangehöriger sei. Der Bf verfügte weder im Zeitpunkt seiner erstmaligen illegalen Einreise nach Österreich am 26. Mai 2008 noch während seiner weiteren Einreisen in Österreich über ein Identitätsdokument. Im Zuge der Befragung durch Vertreter der nigerianischen Botschaft am 20. April 2012 brachte der Bf vor, ein Staatsbürger von Liberia zu sein. Die Botschaftsvertreter identifizierten den Bf als Staatsangehörigen von Nigeria und stellten in der Folge für ihn ein Heimreisezertifikat aus.

 

Das unter der Zahl AIS 08 05.029 geführte Asylverfahren wurde am 11. Februar 2009 vom Asylgerichtshof rechtskräftig negativ abgeschlossen und die Ausweisung nach Nigeria verfügt.

 

In der Folge ersuchten Schweden (Zustimmung erteilt am 16. Mai 2011), Norwegen (Zustimmung erteilt am 28. Dezember 2011) und Deutschland (Zustimmung erteilt am 1. März 2012) um "Dublinrückübernahme (siehe AIS/DGA zu  Zl. 08 05.029).

 

Zuletzt wurde der Bf am 15. März 2012 von Deutschland nach Österreich überstellt.

 

Nach der erfolgten Rücküberstellung wurde der Bf am 15. März 2012 von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Dabei führte der Bf aus, dass er keinen weiteren Asylantrag gestellt habe und nicht [aus]reisewillig sei.

 

Im Anschluss an die niederschriftliche Befragung wurde über den Bf mit Bescheid der belangten Behörde vom 15. März 2012, GZ Sich41-39-2012, gemäß § 76 Abs. 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und zur Sicherung der Abschiebung (§ 46 FPG) angeordnet. Dagegen hat der Bf kein Rechtsmittel eingebracht.

 

Während der Rechtsberatung (nach der Schubhaftverhängung) stellte der Bf am 15. März 2012 einen weiteren Asylantrag. Im Aktenvermerk vom 16. März 2012 hielt die belangte Behörde fest, dass die Schubhaft auch als nach § 76 Abs. 2 FPG verhängte gelte.

 

Laut Aktenvermerk vom 12. April 2012 bleibe die Schubhaft aufgrund des baldigen Vorführtermins bei der nigerianischen Botschaft aufrecht.

 

Im Aktenvermerk vom 17. April 2012 führte die belangte Behörde aus, dass der Bf nicht rückkehrwillig sei, da er wegen seiner Homosexualität nicht nach Nigeria zurück könne.

 

Am 26. März 2012 gab der X die Vertretung im Asylverfahren bekannt (DGA Eintragung vom 27. März 2012).

 

Mit Bescheid vom 17. April 2012, AI 12 03.165, wies das Bundesasylamt den Folgeasylantrag des Bf gemäß § 68 AVG zurück und verfügte die Ausweisung des Bf nach Nigeria. Der Bescheid wurde dem UNHCR und dem X am 18. April 2012 per E-Mail übermittelt. Eine nachweisliche Zustellung des Bescheides an den Vertreter ist bis zum 26. April 2012 nicht erfolgt. Der Vertreter hat bestätigt, dass ihm der gegenständliche Bescheid am 26. April 2012 zugestellt worden ist.

 

Dem Bf wurde der gegenständliche Bescheid im PAZ X am 18. April 2012 zugestellt. Der Bf hat die Bestätigung der Übernahme des Bescheides am 18. April 2012 verweigert.

 

Mit Schreiben vom 17. April 2012 wies die belangte Behörde die PI X an, den Bf am 20. April 2012 "zeitgerecht vom PAZ X abzuholen und in das PAZ X, X, zum Zwecke der persönlichen Befragung zur Identitäts- und Nationalitätsfeststellung vor die nigerianische Delegation vorzuführen".

 

Der in Schubhaft angehaltene Bf wurde gegen seinen - wenn auch nicht ausdrücklich mündlich erklärten - Willen mitgenommen, wobei er sich gegen seine Vorführung nicht wehrte und sich den polizeilichen Anordnungen fügte.

 

Im Bericht vom 20. April 2012 informiert die PI X die belangte Behörde von der auftragsgemäß erfolgten Vorführung des Bf vor die nigerianische Delegation. Vor den Botschaftsvertretern habe der Bf behauptet, liberianischer Staatsangehöriger zu sein. U. a. habe der Bf Fragen zum Asylverfahren beantwortet. Der nigerianische Konsul habe festgestellt, dass es sich beim Bf um einen nigerianischen Staatsangehörigen handelt. In der Folge wurde von der nigerianischen Delegation die Identität des Bf festgestellt.

 

Am 26. April 2012 teilte das Bundesasylamt mit, dass der gemäß § 68 AVG erlassene Bescheid am 18. April 2012 zugestellt worden und durchsetzbar sei. Innerhalb offener Frist habe der Bf eine Beschwerde an den Asylgerichtshof eingebracht.

 

Über Anordnung der belangten Behörde wurde der Bf am 23. Mai 2012 nach Lagos/Nigeria abgeschoben.

 

3.2. Abgesehen von den Umständen der Vorführung zur nigerianischen Delegation und der Zustellung des Bescheides des Bundesasylamtes vom 17. April 2012 an den Vertreter ist der vorliegende Sachverhalt unstrittig. Unbestritten ist auch, dass der Bf von Botschaftsvertretern zu seinen beiden Asylverfahren befragt worden ist.

 

Die ergänzenden Ermittlungen haben ergeben, dass der angeführte Bescheid des Bundesasylamtes dem Vertreter des Bf zumindest am 26. April 2012 zugestellt worden ist (Übernahmebestätigung vom 26. April 2012, übermittelt an das Bundesasylamt am 26. April 2012 per Fax). Im E-Mail vom 18. April 2012, 08:27 Uhr, wurde der Vertreter auf die Übermittlung des Bescheides [vom 17. April 2012, AIS 12 03.165] hingewiesen und ersucht, die beiliegende Übernahmebestätigung nach Unterfertigung wieder an das Bundesasylamt zu retournieren. Da eine Bestätigung vor dem 26. April 2012 nicht übermittelt worden ist, kann von einer Zustellung des Bescheides an den Vertreter zum Befragungszeitpunkt (20. April 2012) nicht ausgegangen werden. Der Schlussfolgerung der belangten Behörde, wonach der Vertreter bereits am 25. April 2012 eine Beschwerde beim Asylgerichtshof eingebracht habe und somit eine Zustellung an ihn am 18. April 2012 anzunehmen ist, kann nicht gefolgt werden, da es sich dabei ausschließlich um eine Vermutung handelt und daraus der tatsächliche Zustellzeitpunkt nicht abgeleitet werden kann.

 

Unstrittig ist, dass der Bescheid des Bundesasylamtes vom 17. April 2012, AIS 12 03.165, mit dem der Folgeasylantrag gemäß § 68 AVG zurückgewiesen und die Ausweisung gemäß § 10 AsylG nach Nigeria verfügt worden ist, dem Bf im PAZ X am 18. April 2012 zu eigenen Handen zugestellt worden ist.

 

Im Hinblick auf den Aktenvermerk vom 17. April 2012 (Rückkehrunwilligkeit) und das Beschwerdevorbringen ("gewaltsame" Vorführung gegen seinen Willen) ist davon auszugehen, dass sich der Bf zwar den Anordnungen der Polizeibeamten freiwillig fügte, ihm aber letztlich keine andere Wahl blieb, sofern er die Durchsetzung der behördlichen Anordnungen durch Anwendung von physischen Zwang vermeiden wollte. Die belangte Behörde hat zwar in der Gegenschrift vorgebracht, dass der Bf "freiwillig" vor die nigerianische Delegation getreten sei und in der Beschwerde keine konkreten Handlungen geschildert habe. Abstellend auf die Aktenlage ist der belangten Behörde aber nicht zu folgen. Die Vorführung vor die nigerianische Delegation ist "minutiös" geplant worden und lässt keinen Spielraum des Bf erkennen. Dem Vorlageakt kann auch nicht entnommen werden, dass der Bf die Wahl gehabt habe, seine Vorführung vor die Delegation abzulehnen. Dass der in Schubhaft angehaltene Bf seine Vorführung als "gewaltsam" empfunden haben mag, erscheint etwas übertrieben, ändert aber nichts daran, dass er, wollte er sich widersetzten, mit der Anwendung von physischen Zwang rechnen musste.

 

3.3. Gemäß § 67a Abs. 1 AVG ist zur Entscheidung über die vorliegende Beschwerde das durch die Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied des Oö. Verwaltungssenates berufen.  

 

4. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen: 

 

4.1. Gemäß § 67a Abs. 1 Z. 2 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 entscheiden die Unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen (vgl. auch Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG). Solche Beschwerden sind nach § 67c Abs. 1 AVG innerhalb von sechs Wochen ab dem Zeitpunkt beim Unabhängigen Verwaltungssenat einzubringen, in dem der Beschwerdeführer von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Kenntnis erlangt hat. 

 

Die behauptete Maßnahme fand am 20. April 2012 statt. Die Beschwerde, die mit 22. Mai 2012 datiert ist, langte noch am selben Tag per Telefax beim Oö. Verwaltungssenat ein; sie ist daher rechtzeitig erhoben worden.

 

4.2. Die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt liegt nach der höchstgerichtlichen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dann vor, wenn einseitig in subjektive Rechte des Betroffenen eingegriffen und hierbei physischer Zwang ausgeübt wird oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehls droht (vgl. Verwaltungsgerichtshof vom 29. Juni 2000, 96/01/0596 mwN und unter Hinweis auf die Lehre). Entscheidend ist dabei, dass es sich um einen Hoheitsakt einer Verwaltungsbehörde handelt, mit dem in die Rechte von individuellen natürlichen oder juristischen Personen eingegriffen wird, ohne dass ein Bescheid erlassen wird (vgl. Köhler in Korinek/Holoubek [Hrsg], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Rz 45 f zu § 129a B-VG).

 

Eine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt liegt dann vor, wenn ohne Durchführung eines Verfahrens einseitig in subjektive Rechte des Betroffenen eingegriffen wird. Ein derartiger Eingriff ist im Allgemeinen dann zu bejahen, wenn physischer Zwang ausgeübt wird oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwangs bei Nichtbefolgung eines Befehls droht. Die Ausübung unmittelbarer Zwangsgewalt setzt begriffsnotwendig ein positives Tun der die Zwangsgewalt gebrauchenden Behörde einer bestimmten Person gegenüber voraus und liegt nur vor, wenn es keines dazwischen geschalteten weiteren Handels mehr bedarf, um den behördlich gewollten Zustand herzustellen. Rechtswidrig sind solche Akte, wenn sie entweder ohne gesetzliche Ermächtigung gesetzt werden oder wenn die gesetzliche Ermächtigung überschritten (missbraucht) wird (vgl. VwGH vom 6. Juli 2010, Zl. 2009/05/023).

 

4.3.  Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in mehreren Entscheidungen die Zulässigkeit einer Beschwerdeerhebung gegen eine Vorführung eines Fremden vor eine Botschaft bestätigt. Er erachtete die Vorführung vor die Botschaft als eine selbständig anfechtbare Maßnahme in Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (VwGH 28. Februar 1997, 96/02/0405; VwGH vom 20. Dezember 1996, Zl. 95/02/0572). Der Verwaltungsgerichtshof sieht dabei einen engen Konnex zur Vornahme und Vorbereitung einer Abschiebung, was im Übrigen nunmehr durch § 46 Abs 2 FPG deutlich zum Ausdruck kommt.

 

Dieser Rechtsansicht ist, wie bereits auch der Unabhängige Verwaltungssenat des Burgenlandes zutreffend ausgeführt hat (Erkenntnis vom 24. Oktober 2006, GZ 167/10/0601 – auszugsweise Wiedergabe unten), zu folgen.

 

Nach der neueren Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die Abschiebung nach § 46 FPG nicht eine bloß tatsächliche Maßnahme der Vollstreckung vorangegangener Bescheide, sondern als selbständige Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anzusehen (vgl. VwGH vom 23. September 1994, Zl. 94/02/0139; VwGH vom 24. Februar 1995, Zl. 94/02/0410; VwGH vom 8. September 1995, Zl. 95/02/0197; VwGH vom 17. November 1995, Zl. 95/02/0217; anders allerdings der VfGH vom 1. Oktober 1994, B 75/94 und 28. November 1994, B 178/94). Hingegen war nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes die Abschiebung nach § 13 FrPolG (alt) eine bloße Vollstreckungsmaßnahme und keine anfechtbare Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (vgl. VwGH vom 14. April 1993, Zlen. 93/18/0062, 93/18/0108 und 93/18/0113; VwGH vom 11. November 1993, Zl. 93/18/0456; VwGH vom 22. April 1994, Zl. 94/02/0009; VwGH vom 30. Mai 1995, Zl. 92/18/0275). Der Verfassungsgerichtshof blieb hingegen in seiner Entscheidung vom 28. September 2005, Zl B 1324/04, bei seiner bisherigen Meinung, dass die Abschiebung nach § 56 FrG 1997 (nunmehr § 46 FPG) als Vollstreckungsmaßnahme eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung grundsätzlich nicht mit Maßnahmenbeschwerde bekämpfbar ist, stellte jedoch fest, dass eine Abschiebung allerdings unter bestimmten Umständen als bekämpfbare Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt angesehen werden kann. Eine Anwendung von "Befehls- und Zwangsgewalt" zwecks Abschiebung iSd § 56 FrG 1997, die nicht bloß der Vollstreckung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes diente, erachtete der Verfassungsgerichtshof nämlich als gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG beim unabhängigen Verwaltungssenat bekämpfbare Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt. Dies war etwa dann der Fall, wenn der Fremde - entgegen eines gesetzlich normierten Abschiebungsverbotes - abgeschoben wurde, da eine solche Abschiebung nicht bloß als zulässige Vollstreckung vorangegangener Bescheide gewertet werden konnte, weil ihre Zulässigkeit noch gar nicht feststand (VfSlg 13885/1994). Wurde beispielsweise ein Asylwerber abgeschoben, noch ehe die Ausweisung durchsetzbar ist und obwohl eine Abschiebung nach § 56 FrG 1997 die Durchsetzbarkeit des Ausweisungsbescheides voraussetzte, stellte sich eine solche Abschiebung nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes nicht bloß als zulässige Vollstreckung der Ausweisung dar; sie wurde unter diesen Voraussetzungen jedenfalls als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt qualifiziert, die vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat bekämpft werden kann.

 

Der Meinung des Verwaltungsgerichtshofes folgend, ist die Anfechtung einer Abschiebung mit Maßnahmenbeschwerde jedenfalls zulässig.

 

Der Gesetzgeber legt ausdrücklich fest, dass eine Abschiebung von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag der Fremdenpolizeibehörde durchzuführen ist (§ 46 Abs 1 FPG) und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß § 13 Abs 3 FPG ermächtigt sind, die ihnen von Fremdenpolizeibehörden erteilten Aufträge mit unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durchzusetzen. Nun hat der Verwaltungsgerichtshof schon zum FrG 1992 Folgendes festgehalten (vgl. statt vieler: VwGH vom 24. Februar 1995, Zl. 94/02/0410):

Anders als nach dem Fremdenpolizeigesetz (Anm.: gemeint ist das FrPolG 1954) gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, daß unter der "unmittelbaren Befehls- und Zwangsgewalt" im Sinne des § 40 FrG die Anwendung unmittelbaren Zwanges im Sinne des § 7 VVG zu verstehen sei; die Rechtswidrigkeit der Abschiebung als solcher kann daher nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trotz Vorliegens durchsetzbarer Bescheide betreffend Aufenthaltsverbot oder Ausweisung mit Maßnahmenbeschwerde nach Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm       § 67c AVG geltend gemacht werden, sodaß die Zurückweisung der Beschwerde durch die belangte Behörde nicht der (neuen) Gesetzeslage nach dem Fremdengesetz entsprochen hat (vgl das hg Erkenntnis vom 23. September 1994, Zl. 94/02/0139).

 

Ausdrücklich führte der Verwaltungsgerichtshof an, dass er seine frühere zum FrPolG 1954 ergangene Judikatur infolge Änderung der gesetzlichen Bestimmungen nicht weiter aufrecht erhalte.

 

Weiters spricht für eine eigenständige Maßnahme verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, dass den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei der Auswahl der Mittel zur Durchführung des behördlichen Auftrages zur Abschiebung weitreichendes Ermessen eingeräumt ist und darüber hinaus im Falle der Anwendung unmittelbarer Zwangsgewalt die Geltung des Waffengebrauchsgesetzes angeordnet wurde (§ 13 Abs 4 FPG).

 

Die Ausführungen zur Anfechtbarkeit einer Abschiebung gelten nach Ansicht des erkennenden Mitglieds aufgrund des engen Zusammenhanges mit der Abschiebung auch für die Vorführung eines Fremden vor die Botschaft zwecks Erlangung eines Heimreisezertifikates.

 

Die der (Vorbereitung der) Abschiebung dienende Handlung war insofern als Einheit aufzufassen, als sie auf den Zweck gerichtet war, die Vorführung zu einer Stelle vorzunehmen, um dort ein für die Durchführung der Abschiebung erforderliches Passersatzdokument zu beschaffen, gleichgültig wo sich die Einzelelemente dieser Handlung ereigneten. Diese gingen alle auf den Willen der die Vorführung veranlassenden belangten Behörde zurück. Daraus folgt nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes jedenfalls für den Bereich von Abschiebungen, was aber nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich auch für die Vorführung vor die Botschaft als der Abschiebung dienende (Vorbereitungs)Handlung gilt, dass nur jener Unabhängige Verwaltungssenat zuständig ist, in dessen örtlichen Wirkungsbereich die als faktische Amtshandlung anzusehende behördliche Handlung ihren Ausgang nahm. Dass auch im Gebiet anderer Bundesländer auf die Abschiebung, hier in Form der der Abschiebung dienenden vorbereitenden Handlung der Vorführung vor die Botschaft, gerichteter behördlicher Zwang wirksam wird, ist für die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates ohne Belang. Solange es nur um die dieser Abschiebung dienenden Handlung selbst und nicht auch um davon losgelöste selbständige Maßnahmen geht, die im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dieser Maßnahme im Gebiet eines anderen Landes stehen, bleibt für die Zuständigkeit eines anderen Unabhängigen Verwaltungssenates kein rechtlicher Raum [vgl. grundlegend zum Ganzen betreffend Abschiebung VwGH vom 23. September 1994, Zl. 94/02/0139; bereits in früheren, noch zu    § 13 FrPolG (alt) ergangenen Erkenntnissen hatte der Verwaltungsgerichtshof zum Umfang der Abschiebung ausgesprochen, dass diese sowohl die Überstellung zum Flughafen, als auch die Abbeförderung per Flugzeug umfasse (VwGH vom 11. November 1993, Zl. 93/18/0456; VwGH vom 22. April 1994, Zl. 94/02/0009)].

 

Die Vorführung des Bf am 20. April 2012 in das PAZ X vor eine Delegation der nigerianischen Botschaft zwecks Erlangung eines Passersatzdokumentes (Heimreisezertifikates) beruhte auf einer behördlichen Anordnung der belangten Behörde und nahm im PAZ X seinen Ausgang. Die gesamte Amtshandlung stellte sich bis zur Rückverbringung des Bf in das PAZ X als Einheit zur Erreichung der Beschaffung eines Passersatzdokumentes zwecks Durchführung der Abschiebung des Bf dar.

 

Die örtliche Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich ist daher gegeben.

 

Im Zeitpunkt seiner Vorführung wurde der Bf in Schubhaft angehalten. Er wurde von Polizeibeamten zur Durchführung der Vorführung aus dem PAZ X abgeholt. Laut Aktenlage wurde ihm zu keiner Zeit mitgeteilt, ob und gegebenenfalls, dass er auch die Möglichkeit gehabt hätte, nicht mit zur nigerianischen Delegation im PAZ X zu fahren, und auch nicht vor die Wahlmöglichkeit gestellt, das Ansinnen der Polizeibeamten mitzukommen, abzulehnen. Aufgrund der Anordnung der Polizeibeamten, dass er mitzukommen habe, musste er - ebenso wie ein unbeteiligter Beobachter - davon ausgehen, dass diese Anordnung der Polizeibeamten im Falle seiner Weigerung, diese zu befolgen, unter Ausübung von Zwang durchgesetzt werden würde. Es war daher, ungeachtet dessen, dass sich der Bf den polizeilichen Anordnungen fügte, nicht von einer derart freiwilligen Mitwirkung des Bf an der Vorführung auszugehen, die das Vorliegen eines Aktes verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ausgeschlossen hätte. Allein der Umstand, dass er sich weder verbal noch physisch zur Wehr gesetzt hat und es folglich zu keiner unmittelbaren Gewaltanwendung durch die Beamten kam, schließt die Qualifikation der Maßnahme als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nicht aus und lässt auch nicht den Schluss zu, dass ihr der Bf zugestimmt habe. Sowohl Umstände des Schubhaftvollzugs als auch Vorkommnisse während des Schubhaftvollzugs können mit einer Maßnahmenbeschwerde bekämpft werden (vgl. VwGH vom 29. April 2010, Zl. 2008/21/0545).

 

Die Beschwerde ist somit zulässig.

 

4.4.1.  Gemäß § 46 Abs 1 FPG können Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung (§§ 61, 66, 10 AsylG 2005) oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, unter den dort genannten Voraussetzungen von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag der Behörde zur Ausreise verhalten werden (Abschiebung). Verfügt der Fremde über kein Reisedokument und kann die Abschiebung nicht ohne ein solches durchgeführt werden, hat die Behörde bei der für ihn zuständigen Vertretungsbehörde ein Ersatzreisedokument für die Abschiebung einzuholen oder ein Reisedokument für die Rückführung von Drittstaatsangehörigen auszustellen (§ 46 Abs 2 FPG), wobei das letztgenannte Reisedokument nur dann ausgestellt werden darf, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Staat, in den der Fremde abgeschoben werden soll, dessen Einreise mit diesem Dokument gestattet (§ 97 Abs 1 FPG).

 

Die Vorführung des Bf vor die nigerianische Delegation im PAZ X diente der Einholung eines Ersatzreisedokumentes zum Zwecke der Durchführung seiner Abschiebung.

 

Nun ermächtigt § 46 Abs 2 FPG zwar seinem Wortlaut nach zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes bei der zuständigen Vertretungsbehörde, legt aber nicht fest, wie die Behörde dies vorzunehmen hat. Den EB der RV zu § 46 FPG (952 BlgNR, XXII GP) ist zu entnehmen, dass § 46 Abs 2 FPG die geübte Praxis beschreiben sollte. Daraus geht hervor, dass die bisher von Fremdenpolizeibehörde geübte Vorgangsweise ausdrücklich im Gesetz als zulässig festgeschrieben werden sollte. Dass aber die bisher geübte Praxis bereits vor Inkrafttreten des FPG rechtmäßig war, hat der Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich festgestellt. In den bereits zum FrG 1992 ergangenen Entscheidungen (VwGH vom 28. Februar 1997, Zl. 96/02/0405; VwGH vom 20. Dezember 1996, Zl. 95/02/0572) führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass der Bf nach § 36 Abs 1 FrG 1992 (entspricht nunmehr § 46 Abs 1 FPG) auch gegen seinen Willen zur Ausreise verhalten werden durfte. Um diese Abschiebung zu ermöglichen, wird es aber allenfalls erforderlich sein, vom Heimatstaat ein Heimreisezertifikat (Ersatzreisedokument) zu erlangen (so nunmehr ausdrücklich § 46 Abs 2 FPG), was wiederum die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit des Fremden voraussetzt. Für die Erlangung eines Ersatzreisedokumentes bejahte der Verwaltungsgerichtshof auch die Pflicht eines Fremden zur Mitwirkung, was er daraus ableitete, dass sich die Schubhaft verlängern konnte, wenn der Fremde an der Feststellung seiner Identität nicht im erforderlichen Ausmaß mitwirkt oder weil er die für die Einreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht besitzt (in diesem Sinne versteht sich auch die nunmehrige Regelung in § 80 Abs 4 FPG, wonach sich die Schubhaft sogar bis auf 10 Monate verlängern kann, wenn die Nichtvornahme der Abschiebung infolge Unmöglichkeit der Feststellung seiner Identität oder infolge Nichtvorliegen der Einreisebewilligung eines anderen Staates dem Verhalten des Fremden zuzurechnen ist, sohin auch im Falle der Weigerung zur Mitwirkung an der Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit). Das Begehren der Vertretung des Heimatstaates, vor Ausstellung eines Heimreisezertifikates die Identität und Staatsangehörigkeit des Fremden allenfalls auch durch persönliche Kontaktaufnahme zu prüfen, konnte bereits nach den Vorschriften des FrG 1992 (die im FPG nahezu unverändert, und durch § 46 Abs 2 FPG ergänzt, vorhanden sind) auch im Wege einer sog. "faktischen Amtshandlung" durchgesetzt werden, wobei damit dem Erfordernis Rechnung getragen wurde, die Abschiebung auch in dieser Hinsicht rechtlich und faktisch zu ermöglichen.

 

Diese Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann infolge der gleichgelagerten Bestimmungen in § 46 Abs 1 und § 80 Abs 4 FPG auch für die hier anzuwendende Rechtslage nach dem FPG Gültigkeit beanspruchen, wobei der Gesetzgeber sogar ausdrücklich anführte, mit der Regelung des § 46 Abs 2 FPG die bislang geübte Praxis im Gesetz festschreiben zu wollen. Entgegen der Ansicht des Bf bot daher § 46 Abs 2 iVm § 46 Abs 1 iVm § 13 Abs 2 und Abs 3 FPG unter Berücksichtigung im Sinne der oben angeführten, auch nach dem FPG weiterhin anwendbaren Rechtsprechung eine ausreichende gesetzliche Grundlage, die (zwangsweise) Vorführung des Bf, dessen Identität und Staatsangehörigkeit am 20. April 2012 nicht feststand, vor die für ihn (aufgrund seiner eigenen Angaben) als zuständig anzusehende Vertretungsbehörde, nämlich die Delegation der nigerianischen Botschaft, vorzunehmen, sofern die sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen vorlagen.

 

4.4.2. Die belangte Behörde hat die zu beurteilende Vorführung veranlasst, da sie von einer durchsetzbaren Ausweisungsentscheidung nach § 10 AsylG ausgegangen ist.

 

Die Zulässigkeit einer Abschiebung setzt im vorliegenden Fall gemäß § 46 Abs 1 FPG voraus, dass die Ausweisung gemäß § 10 AsylG durchsetzbar ist. § 46 Abs 2 FPG ermächtigt zu einer Handlung, die der Realisierung einer Abschiebung dienen soll. Demnach ist Voraussetzung für eine Handlung nach § 46 Abs 2 FPG, dass im Zeitpunkt deren Vornahme eine durchsetzbare Ausweisung gemäß § 10 AsylG besteht.

 

4.4.2.1. Nach § 36 Abs. 1 AsylG kommt einer Berufung gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag zurückgewiesen wird, eine aufschiebende Wirkung nicht zu. Einer Beschwerde gegen eine mit einer solchen Entscheidung verbundenen Ausweisung kommt die aufschiebende Wirkung nur zu, wenn sie vom Asylgerichtshof zuerkannt wird.

 

Kommt einer Beschwerde gegen eine Ausweisung die aufschiebende Wirkung nicht zu, ist die Ausweisung durchsetzbar. Mit der Durchführung der diese Ausweisung umsetzenden Abschiebung oder Zurückschiebung ist bis zum Ende der Rechtsmittelfrist, wird ein Rechtsmittel ergriffen bis zum Ablauf des siebenten Tages ab Beschwerdevorlage zuzuwarten. Der Asylgerichtshof hat das Bundesasylamt unverzüglich vom Einlagen der Beschwerdevorlage und von der Gewährung der aufschiebenden Wirkung in Kenntnis zu setzen (§ 36 Abs. 4 AsylG).

 

4.4.2.2. Nach Ansicht des Vertreters war der Bf zum Zeitpunkt der Vorführung ein Asylwerber, dem faktischer Abschiebeschutz zustand, da der Bescheid des Bundesasylamtes vom 17. April 2012, AIS 12 03.165, dem Vertreter erst am 24. April 2012 (laut Aktenlage nachweislich erst am 26. April 2012) zugestellt worden ist.

 

Die Rechtsansicht des Bf ist unzutreffend.

 

4.4.2.2.1. Nach § 12 Abs. 1 AsylG kann ein Fremder, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, außer in den Fällen des § 12a, bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung, bis zur Gegenstandslosigkeit des Verfahrens oder nach einer Einstellung bis zu dem Zeitpunkt, an dem eine Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 24 Abs. 2 nicht mehr zulässig ist, weder zurückgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben werden (faktischer Abschiebeschutz).

 

Gemäß § 23 Abs. 3 AsylG ist bei Zustellungen von zurück- oder abweisenden Entscheidungen, die mit einer durchsetzbaren Ausweisung (§ 10 AsylG) verbunden sind, soweit dem Asylwerber zum Zeitpunkt der Zustellung faktischer Abschiebeschutz (§ 12 AsylG) oder ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz (§ 13 AsylG) zukommt, jedenfalls der Asylwerber als Empfänger zu bezeichnen.

 

§ 9 Abs. 3 ZustG lässt gesetzliche Regelungen zu, die vorsehen, dass nicht dem Zustellungsbevollmächtigten, sondern der Partei persönlich zugestellt wird. Eine solche abweichende Regelung enthält § 23 Abs. 3 und 4 AsylG. Wie aus den Erläuternden Bemerkungen zur RV ersichtlich, liegt die Zielsetzung der Bescheidzustellung an den Asylwerber als Empfänger in der Sicherung der Ausweisung [....]. § 23 Abs. 3 AsylG bestimmt (arg.: ... jedenfalls der Asylwerber als Empfänger zu bezeichnen. ...), dass der Bescheid jedenfalls mit der Zustellung an den Asylwerber persönlich erlassen und damit rechtsverbindlich wird. Der Lauf der Rechtsmittelfristen beginnt hingegen erst mit der Zustellung des Bescheides an den Zustellungsbevollmächtigten (§ 23 Abs. 4 zweiter Satz AsylG). Verzögert sich die Bescheidzustellung an den Zustellungsbevollmächtigten, so wurde der Bescheid zwar durch Zustellung an den Asylwerber erlassen, mangels Zustellung einer weiteren Ausfertigung an den Vertreter jedoch die Berufungsfrist noch nicht in Gang gesetzt (siehe VwGH vom 11. November 2010, Zl. 200/20/0369).

 

Es steht außer Streit, dass dem Bf als Asylwerber bis zur Erlassung des gegenständlichen Bescheides der faktische Abschiebeschutz (§ 12 AsylG) zugekommen ist. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17. April 2012, AIS 12 03.165, wurde der Folgeasylantrag des Bf gemäß § 68 AVG zurückgewiesen und die Ausweisung gemäß § 10 AsylG nach Nigeria verfügt.

 

Trotz des aufrechten Vertretungsverhältnisses hatte daher das Bundesasylamt den gegenständlichen Bescheid dem Bf zustellen.

 

4.4.2.2.2. Aufgrund der Aktenlage ist von einer rechtskonformen Zustellung des gegenständlichen Bescheides an den Bf auszugehen. Zustellmängel in diesem Zusammenhang sind nicht hervorgekommen und wurden auch nicht behauptet.

 

Mit der Zustellung des genannten Bescheides kam dem Bf kein faktischer Abschiebeschutz mehr zu. Da auch einer allfälligen Beschwerde (diese wurde erst nach der Vorführung vor die Delegation gestellt) keine aufschiebende Wirkung zugekommen wäre, eine solche im Vorführzeitraum auch nicht zuerkannt worden ist, war die Ausweisung durchsetzbar.

 

Die belangte Behörde konnte daher die Vorführung des Bf vor die nigerianische Delegation im PAZ X zu Recht auf § 46 FPG stützten.

 

4.5. Es war daher die vorliegende Maßnahmenbeschwerde als unbegründet abzuweisen und spruchgemäß zu entscheiden.

4.6. Anmerkung zur "Datenübermittlung an die Heimatbehörde" des Bf.

 

In der Beschwerdeschrift brachte der Vertreter weiter vor, dass die belangte Behörde Daten des Bf an die Heimatbehörde übermittelt habe.

 

4.6.1. Gemäß § 57 Abs 10 AsylG ist die Übermittlung personenbezogener Daten eines Asylwerbers an den Herkunftsstaat, unbeschadet § 57 Abs 11 AsylG 2005 (der weitergehende Übermittlungsbefugnisse vorsieht), grundsätzlich nicht zulässig; jedoch dürfen Daten, die erforderlich sind, um die zur Einreise notwendigen Bewilligungen zu beschaffen, übermittelt werden, wenn der Antrag – wenn auch nicht rechtskräftig – ab- oder zurückgewiesen worden ist und dem Asylwerber ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt. Der Umstand, dass ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, darf bei einer solchen Übermittlung keinesfalls hervorkommen.

 

4.6.2. Zwar ist dem Bf darin zuzustimmen, dass, wenn die Übermittlung der Daten unzulässig gewesen wäre (worüber der UVS aber nicht bescheidmäßig abzusprechen hätte, weil dies allein in der Befugnis der Datenschutzkommission stünde), auch davon auszugehen wäre, dass seine Vorführung, die eben dem Zweck diente, der Vertretungsbehörde Kenntnis von Personendaten des Bf zu verschaffen und die Überprüfung derselben zu ermöglichen, rechtswidrig gewesen wäre. Jedoch sieht § 57 Abs 10 AsylG ausdrücklich die Möglichkeit vor, bereits nach Erlassung einer - wenn auch nicht rechtskräftigen - zurück- oder abweisenden Entscheidung über einen Asylantrag, Daten an den Herkunftsstaat des Asylwerbers zu übermitteln, wenn und soweit dies erforderlich ist, um die zur Einreise notwendigen Bewilligungen zu beschaffen.

 

Wie bereits unter Punkt 4.4. ausgeführt, diente die Vorführung vor die nigerianische Delegation nicht dazu, der Vertretungsbehörde des Bf Daten über das Asylverfahren des Bf zu liefern, sondern ausschließlich um die Identität des Bf festzustellen und um ein Heimreisezertifikat zu erlangen. Dass der Bf im Zuge der Befragung von sich aus Angaben über sein Asylverfahren gemacht hat, stellt zumindest nach Ansicht des erkennenden Mitglieds keine (behördliche) Übermittlung personenbezogener Daten eines Asylwerbers an den Herkunftsstaat dar.

 

5. Nach § 79a Abs 1 AVG 1991 iVm § 83 Abs 2 FPG hat die im Verfahren nach    § 67c AVG obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wird die Beschwerde zurückgewiesen oder zurückgezogen oder abgewiesen, dann ist die belangte Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei (§ 79a Abs 3 AVG). Nach § 79a Abs 6 AVG ist Aufwandersatz nur auf Antrag der Partei zu leisten.

 

Gemäß § 79a Abs 4 AVG gelten als Aufwendungen gemäß Abs 1 neben Stempel- und Kommissionsgebühren sowie Barauslagen vor allem die durch Verordnung des Bundeskanzlers festgesetzten Pauschbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand. Nach der geltenden UVS-Aufwandersatzverordnung 2008 (BGBl II Nr. 456/2008) betragen die Pauschbeträge für die belangte Behörde als obsiegende Partei für den Vorlageaufwand 57,40 Euro und für den Schriftsatzaufwand 368,80 Euro.

 

Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren war der Verfahrensaufwand der obsiegenden belangten Behörde mit insgesamt 426,20 Euro festzusetzen und dem Bf der Kostenersatz zugunsten des Bundes aufzutragen.

 

Analog dem § 59 Abs 4 VwGG 1985 war eine Leistungsfrist von 2 Wochen festzusetzen, zumal das Schweigen des § 79a AVG 1991 nur als planwidrige Lücke aufgefasst werden kann, sollte doch die Neuregelung idF BGBl Nr. 471/1995 im Wesentlichen eine Angleichung der Kostentragungsbestimmungen an das VwGG bringen (vgl Erl zur RV, 130 BlgNR 19. GP, 14 f).

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Eingabe- und Beilagegebühren für die Beschwerde von insgesamt 18,20 Euro angefallen. Ein Zahlschein liegt bei.

 

 

Mag. Stierschneider

 

 

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