Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730531/7/SR/JO

Linz, 13.08.2012

                                                                                                                                                        

E R K E N N T N I S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des X alias X, geboren am X, armenischer Staatsangehöriger, vertreten durch X, Rechtsanwältin in X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 27. September 2011, AZ 1016110/FRB, betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt eines auf 5 Jahre befristeten Einreiseverbots, zu Recht erkannt:

I.                 Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

 

II.             Es wird festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gegen den Berufungswerber auf Dauer unzulässig ist.

 

 

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 52 f iVm § 61 des Fremdenpolizeigesetzes 2005, BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2012/50

§ 66 Abs. 4 iVm § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

 

 

 

 


Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 27. September 2011, AZ 1016110/FRB, zugestellt          am 29. September 2011, wurde gegen den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf der Grundlage der §§ 52 Abs. 1 und 53 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (im Folgenden: FPG) in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung eine Rückkehrentscheidung sowie ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Gemäß § 55 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Durchsetzbarkeit des Bescheides festgelegt.

 

Die Erstbehörde hat im angefochtenen Bescheid unter A) Sachverhalt ausgeführt:

Aus der Aktenlage geht hervor, dass Sie am 02.06.2002 illegal nach Österreich einreisten. Am 06.06.2002 stellten Sie beim Bundesasylamt, Außenstelle Linz einen Asylantrag. Das Asylverfahren wurde am 13.05.2011 gem. §§ 7 und 8 AsylG negativ entschieden. Seither halten Sie sich nicht rechtmäßig in Österreich auf.

 

Mit Bescheid der ha. Behörde vom 21.09.2007 wurde gegen Sie ein auf 5 Jahre befristetes Rückkehrverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich erlassen (rk: 10.10.2007), da seit Ihres Aufenthaltes in Österreich folgende gerichtliche Verurteilungen gegen Sie aufscheinen;

 

Ø       BG Linz vom 07.02.2003, Zahl: 18 U 483/2002f (rk: 11.02.2003) wegen §§ 127 und 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Wochen, bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren;

Ø       BG Traun vom 13.11.2006, Zahl: 3 U 257/2006v (rk: 17.11.2006), wegen §§ 127 und 15 StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je € 2,-- (€ 120,--), im Nichteinbringungsfall 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe;

Ø       LG Linz vom 30.07.2007, Zahl: 21 Hv 121/2007p (rk: 03.08.2007), wegen §§ 164 Abs. 1 und 164 Abs. 2 StG B zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten, bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren;

Ø       BG Linz vom 19.02.2010, Zahi: 18 U 18/10k , (rk: 23.02.2010), wegen §§ 15 und 127 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von einer Woche, Vollzugsdatum: 12.07.2010

 

Die Gerichte haben es als erwiesen angesehen, dass Sie:

 

Ad 1.) am 06.09.2002 in X versucht haben, einem Verfügungsberechtigten der Fa. X fremde bewegliche Sachen, nämlich Waren im Gesamtwert von € 95,78 mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern;

Ad 2.) in X versucht haben, Verfügungsberechtigten des Geschäftes X fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich oder einen Dritten dadurch unrechtmäßig zu bereichern, und zwar:

a.)              am 06.09.2005 einen WC-Reiniger

b.)              am 19.07.2006 Lebensmittel im Gesamtwert von € 14,70;

Ad 3.) in X dadurch, dass Sie durch Ihren Sohn X und anderer Täter gestohlene Gegenstände, nämlich

a.)              Kindertextilien der Fa. X im Wert von € 145,10;

b.)              2 Bosch Bohrmaschinen, 1 Stichsäge, 1 Wasserwaage und 4 Stichblätter der Fa. X im Gesamtwert von € 400,85;

c.)               eine Daunenjacke, einen Wintermantel und eine Hose der Fa. X im

d.)              Gesamtwert von € 219,80;

e.)              Waren im Wert von € 49,90 der Fa. X;

f.)               eine TCH Epilady der Fa. X im Wert von € 29,90;

g.)              Schuhe der Fa. X im Wert von € 29,85;

übernahmen, verpackten und per Postpaket zur Versendung aufgaben, Täter einer mit Strafe bedrohten Handlung gegen fremdes Vermögen nach der Tat bei der Verwertung der durch diese Taten erlangten Gegenstände unterstützt, diese Gegenstände an sich gebracht und Dritten, nämlich dem Empfänger des Postpakets, zu verschaffen versucht haben.

Ad 4.) in X, am 08.01.2010 versucht haben, Verantwortlichen der Fa. X fremde bewegliche Sachen, nämlich diverse Lebensmittel im Gesamtwert von € 39,26 mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich durch deren Zueigung unrechtmäßig zu bereichern.

 

Im Einzelnen wird auf die Ausführungen der schriftlichen Urteilsausfertigungen verwiesen, die an dieser Stelle, um Wiederholungen zu vermeiden, zum integrierenden Bestandteil des Bescheides erhoben werden.

 

Weiters scheinen folgende verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen gegen Sie auf:

  • S 0021405/LZ/08 wegen § 38 Abs. 5 iVm § 38 Abs. 1 lit a StVO 1960, zu einer Geldstrafe von € 150,--.
  • S 0030907/LZ/08 wegen § 20 Abs. 2 StVO 1960, zu einer Geldstrafe von € 36,--
  • S 0000901/L//09 wegen § 24 Abs. 1 lit. a StVO 1960, zu einer Geldstraße von 72,--

 

Mit Schreiben vom 23.05.2011 wurde Ihnen mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, Sie auszuweisen und Sie Gelegenheit haben, dazu binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Schreibens schriftlich Stellung zu nehmen und Ihre Privat- und Familienverhältnisse darzulegen.

 

In der Stellungnahme vom 28.06.2011 gab Ihre Rechtsanwältin im Wesentlichen an, dass Sie im bisherigen Verfahren einen Aliasnamen, nämlich X verwendet hätten.

Es wird weiters angegeben, dass Sie sich bereits seit 9 Jahren in Österreich befinden würden und Ihnen die Integration schon sehr gut gelungen wäre. Die A2 Deutschprüfung hätten Sie am 11.06.2011 absolviert.

 

Zudem wird ausgeführt, dass Sie von Mai 2003 bis Dezember 2008 bei der Fa. X, in X beschäftigt gewesen wären. Da Ihre Beschäftigungsbewilligung nicht verlängert wurde, wäre das Arbeitsverhältnis nicht mehr verlängert worden.

Seit dem Jahr 2002 wären Sie Mitglied der Baptistengemeinde der X, in X, und wären Sie auch getauft. Sie würden regelmäßig an den Veranstaltungen teilnehmen und würde ein reger Kontakt zur Gemeinde bestehen.

Geimeinsam mit Ihrer Gattin X würden Sie seit November 2004 an der Adresse X bzw. X, in X wohnen. Die Wohnung wäre stets sauber und die Mieten würden von Ihnen regelmäßig bezahlt. Von den Nachbarn würde bestätigt, dass Sie stets nett und hilfsbereit wären.

Neben anderen Beilagen in Kopie, wie Versicherungsdatenauszug, Führerschein, Reisepass und einer im Juni 2011 eingereichten Verfassungsgerichtshofbeschwerde sind weiters einige Empfehlungsschreiben der Stellungnahme angeschlossen.

Hinsichtlich der Beantwortung der übrigen Punkte aus dem Parteiengehör wurde um Fristerstreckung bis zum 11.07.2011 ersucht. Bis dato sind bei der ha. Behörde keine weiteren Unterlagen eingelangt, die zur Entscheidungsfindung herangezogen werden könnten.

 

In rechtlicher Hinsicht nahm die belangte Behörde nach Darstellung der Rechtslage folgende rechtliche Beurteilung vor:

 

Nachdem Sie sich nun seit etwa 9 Jahren mit Ihrer Gattin in Österreich aufhalten und Ihnen zugebilligt werden muss, dass Sie sich im österreichischen Bundesgebiet durch Ihre vorübergehende Beschäftigung und Vereinstätigkeit integriet haben, mag die Rückkehrentscheidung einen nicht unerheblichen Eingriff in Ihr Privatleben bedeuten, der allerdings nicht nur dadurch zu relativieren ist, dass dieser Aufenthalt auf Rechtsgrundlage eines offensichtlich unbegründeten Asylantrages beruht, sondern, dass Sie durch Ihren Aufenthalt in Österreich, bestätigt durch rechtskräftige Verurteilungen, die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden.

 

Dazu wird angeführt, dass Sie - wie eingangs erwähnt, am 06.06.2002 einen Antrag auf internationalen Schutz stellten. Am 04.09.2002 wurde Ihnen der erste abweisende Bescheid zugestellt, gegen diesen wurde am 17.09.2002 Berufung eingebracht. Spätestens zu diesem Zeitpunkt musste Ihnen bewusst gewesen sein, dass es sich bei der Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG um eine mit der Dauer des Verfahrens befristete Berechtigung handelt. Sie hätten keine rechtliche Möglichkeit gehabt, sich in Österreich aufzuhalten, wenn Sie nicht einen Asylantrag gestellt hätten.

 

Eine bestehende Integration in Österreich, welche von Ihnen aufgrund Ihres langjährigen Aufenthaltes, Ihrer Deutschkenntnisse und Ihrer Vereinstätigkeit untermauert wird, kann jedoch in sozialer Hinsicht, aufgrund Ihrer in Österreich begangenen Straftaten nicht bestätigt werden. Vielmehr gaben Ihre Verurteilung der Behörde den Anlass, das gegen Sie im Spruchteil 2 erlassene Einreiseverbot auf 5 Jahre zu befristen.

 

Sie leben mit Ihrer Gattin in Österreich.

Gegen Ihre Gattin wird ebenfalls eine Rückkehrentscheidung erlassen werden, weshalb nicht von einem Eingriff in Ihr Familienleben gesprochen werden kann.

Gegen Ihren Sohn X, dessen Ehegattin X sowie die beiden Kinder X und X wurden bereits im Mai 2011 vom Asylgerichtshof Rückkehrentscheidungen getroffen und sind diese durchsetzbar.

Der Familie Ihres Sohnes wurde bereits von der ha. Behörde gem. § 58 Abs. 3 FPG mitgeiteilt, dass sie zur unverzüglichen Ausreise verpflichtet seien. Es besteht somit kein Famienbezug zu einem dauernd aufenthaltsberechtigen Fremden und wurden auch von Ihnen keine weiteren familiären Beziehungen zur Republik Österreich behauptet.

 

Aufgrund der Tatsache, dass Sie bereits ca. ein halbes Jahr nach Ihrer Einreise nach Österreich strafbare Handlungen setzten, welche letztendlich zu vier gerichtlichen Verurteilungen führten, kann es keinem Zweifel unterliegen, dass Sie eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen.

Vielmehr gaben Ihre Verurteilungen der Behörde den Anlass, das gegen Sie im Spruchteil 2 erlassene Einreiseverbot auf 5 Jahre zu befristen.

Der Umstand, dass Sie drei Mal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen (Strafbare Handlungen gegen fremdes Vermögen - 6. Abschnitt des StGB) rechtskräftig verurteilt wurden und deshalb gegen Sei ein Rückkehrverbot (rk. mit 10.10.2007) erlassen wurde, hinderte Sie auch nicht daran, neuerlich eine Straftat zu begehen.

Es kann daher keinem Zweifel unterliegen, dass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 Z. 1 FPG erfüllt sind.

 

Aus ihrem Versicherungsdatenauszug geht hervor, dass Sie seit Anfang 2009 nicht mehr für Ihren Lebensunterhalt bzw. für den Lebensunterhalt Ihrer Gattin aufkommen konnten. Seit dieser Zeit erhalten Sie aus der Grundversorgung des Landes Oberösterreich Leistungen für Verpflegung sowie Bekleidungshilfe. Auch Ihre Krankenversicherung wird aus öffentlicher Hand bestritten. Es kann daher von keiner beruflichen oder sozialen Verfestigung, die eine „gelungene Integration" erkennen lassen würde, gesprochen werden.

 

Aus der Aktenlage bzw. AIS-Datensatz konnte entnommen werden, dass Sie mit etwa 42 Jahren nach Österreich eingereist sind, somit haben Sie den überwiegenden Teil Ihres bisherigen Lebens in Armenien verbracht und dort von 1968 bis 1977 Ihre Schulausbildung genossen. Auch der Militärdienst wurde für Armenien abgeleistet. Anschließend waren Sie bis zu Ihrer Einreise nach Österreich als Bauarbeiter und als selbständiger Landwirt in X tätig.

Zusammenfassend scheint nach ha. Ansicht eine Reintegration in Ihrer Heimat als möglich. Sie halten sich seit 14.05.2011 insofern rechtswidrig im Bundesgebiet der Republik Österreich auf, als Ihnen seit diesem Zeitpunkt weder ein Einreisetitel nach dem FPG noch ein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt wurde. Auch kommt Ihnen nach der Aktenlage kein Aufenthaltsrecht aufgrund einer anderen gesetzlichen Bestimmung zu bzw. wurde von Ihnen kein derartiges behauptet.

Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährdet die öffentliche Ordnung in hohem Maße.

Laut ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar.

 

Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch die Normadressaten kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu.

Wenn Fremde nach Abschluss des Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verlassen, wird dadurch die öffentliche Ordnung (die Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens) schwerwiegend beeinträchtigt.

Es kann daher nicht hingenommen werden, dass Fremde ihren nicht rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet beharrlich fortsetzen und die Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen versuchen.

 

Zusammenfassend kann daher nur festgestellt werden, dass eine Rückkehrentscheidung nicht nur zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und somit im Lichte des § 61 Abs. 1 FPG 2005 zulässig scheint, sondern auch unter Beachtung der Bestimmungen des § 61 Abs. 2 und 3 FPG 2005 zulässig ist.

 

2. Gegen den Bescheid der belangten Behörde, dem Bw im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung zugestellt am 29. September 2011, erhob der Bw mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2011, zur Post gegeben am gleichen Tage, rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung.

 

Einleitend stellt der Bw die Anträge, die Berufungsbehörde möge:

a)       eine mündliche Berufungsverhandlung anberaumen und durchführen,

b)       die Bescheide der BPD Linz, vom 27.09.2011, ZI: 1016110/FRB, 1056412/FRB, zugestellt am 29.09.2011, dahingehend abändern, das die gegen uns erlassene Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 FPG in der geltenden Fassung ersatzlos behoben wird und eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt wird, sowie

c)        das gegen uns erlassene Einreiseverbot für den gesamten Schengenraum ersatzlos beheben in eventu die Dauer angemessen herabsetzen, in eventu.

d)       die gegenständlichen Bescheide zur Gänze aufheben und an die Erstinstanz zurückverweisen.

 

Begründend führte die Rechtsvertreterin aus:

 

Ich erhebe zunächst mein gesamtes bisheriges Vorbringen zum integrierenden Be­standteil dieses Berufungsschriftsatzes und hätte bei richtiger rechtlicher Beurteilung eine inhaltlich anderslautende Entscheidung ergehen müssen.

 

Ich, X, halte mich 9 14 Jahre in Österreich auf und muss der Ansicht der Erstbehörde entschieden entgegen getreten werden, dass ich bereits im Jahre 2002 nach meiner erstinstanzlichen negativen Entscheidung damit rechnen musste, dass ich nicht davon ausgehen konnte, dass ich dauerhaft in Österreich bleiben kann. Das Berufungsverfahren war 9 Jahre lang beim Asylgerichtshof vormals Unab­hängiger Bundesasylsenat anhängig und ist bei einer derart langen Verfahrendauer eindeutig von einem Organisationsverschulden der Republik Österreich auszugehen. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, dass ein Verfahren 9 Jahre dauert und konnte ich keinen Einfluss darauf nehmen.

 

Den Versicherungsdatenauszug ist zu entnehmen, dass ich von Mai 2003 bis Dezember 2008 bei der Firma X, X, einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen bin und ich in dieser Zeit für den Lebensunterhalt für mich und meine Frau selbsttätig ohne staatliche Hilfe sorgen konnte. Es lag nicht in meinem Verschulden, dass im Jahre 2008 die Beschäftigungsbewilligung bei der Firma X nicht mehr verlängert wurde und ich aus diesem Grund letztendlich meine Arbeit in Österreich verlor. Mein Arbeitgeber war mit mir sehr zufrieden und würde er mich jederzeit einstellen, da ich immerhin beinahe 6 Jahre in seinem Betrieb gearbeitet habe. Durch meine langjährige Arbeitstätigkeit in Österreich konnte ich meine Deutschkenntnisse festigen und erweitern und habe ich die gelungene sprachliche Integration mit der Absolvierung der A2 Deutschprüfung am 11.06.2006 bestätigt.

 

Wir konnten uns in unserem sozialem Umfeld bestens integrieren und wohnen wir seit November 2004 an der Adresse X in X. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zur Vermieterin und zu den Nachbarn und hat es niemals Probleme gegeben. Seit dem Jahre 2002 sind wir Mitglieder der Baptistengemeinde der X in X sind wir auch getauft. Es besteht regelmäßiger Kontakt zur Baptistengemeinde und nehmen wir an vielen Veranstaltungen teil, im Zuge derer wir auch viele österreichische Staatsbürger kennenlernen konnten, welche sich für einen weiteren Verbleib von uns in Österreich einsetzen.

 

Dieser gelungenen Integration stehen die von mir, X, begangenen Straftaten in Österreich entgegen. Ich bereue diese Straftaten zutiefst und habe ich mich seit längerer Zeit wohl verhalten.

 

Es handelt sich dabei in erster Linie um Diebstähle von Lebensmitteln somit von Gütern des täglichen Gebrauchs, wobei die Verwerflichkeit dieser Straftaten an dieser Stelle nicht bestritten werden kann und darf. Für die in den Jahren 2003, 2006 und 2007 begangenen Straftaten wurde gegen mich mit Bescheid der BPD Linz, vom 21.09.2007 ein auf fünf Jahre befristetes Rückkehrverbot über das Bundesgebiet der Republik Österreich erlassen und würde dieses im Oktober 2012 auslaufen. Abgesehen von einem versuchten Diebstahl beim X im Februar 2010 bin ich seit diesen Straftaten nicht mehr straffällig geworden und ist die neuerliche Verhängung eines Rückkehrverbotes für den gesamten Schengenraum von 5 Jahren allein wegen der Verurteilung vom 19.02.2010 nicht gerechtfertigt. Es handelte sich dabei um einen versuchten Diebstahl von Lebensmitteln beim X im Gesamtwert von € 39,26. Ich habe durchaus Schritte gesetzt, welche meine Integration in Österreich beweisen und verweise ich auf die Deutschprüfung und die langjährige Arbeitstätigkeit und die Tatsache, dass ich bei meinem Arbeitgeber sofort wieder beginnen könnte, falls ich ein Visum erhalten würde.

 

Zudem weise ich abschließend darauf hin, dass die Verfassungsgerichtshofbeschwerde hinsichtlich des negativen Asylbescheides noch beim Verfassungsgerichtshof zu den Zahlen U1392-11 U1393-11, bei der zuständigen Verfassungsrichterin Frau Dr. X anhängig und noch nicht entschieden ist.

 

3.1. Die belangte Behörde legte den in Rede stehenden Verwaltungsakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Berufungsentscheidung vor.

 

3.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt sowie durch Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister und den Versicherungsdatenauszug vom 4. Juli 2012.

 

Ein Antrag auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde vom Bw gestellt. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte dennoch abgesehen werden, da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Bescheid angefochtene Bescheid aufzuheben ist (§ 67d Abs. 2 Z 1 AVG).

 

3.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem in den Punkten 1. und 2. dieses Erkenntnisses dargestellten, im Wesentlichen unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2011 legte die belangte Behörde eine fremdenpolizeiliche Information des Bundesasylamtes vor. Demnach wies der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde (gegen Erkenntnis des AGH) mit Beschluss vom 26. September 2011 ab.

 

Am 25. November 2011 gab die Rechtsvertreterin bekannt, dass der Bw ab März 2012 im Restaurant X als Küchenkraft eingestellt werde (Voraussetzung: wirtschaftliche Lage, Aufenthaltstitel/Arbeitserlaubnis).

 

Aus dem Versicherungsdatenauszug vom 4. Juli 2012 ergeben sich für den Bw folgende Arbeitszeiten:

9. Mai 2003 bis 11. August 2003 (Arbeiter)

12. August 2003 bis 14. September 2003 (Krankengeldbezug)

15. September 2003 bis 31. Dezember 2008 (Arbeiter)

1. März 2005 bis 31. März 2003 (mehrfach geringfügig beschäftigter Arbeiter)

1. Jänner 2009 bis 16. Februar 2009 (Urlaubsabfindung)

ab 1. März 2009 Asylwerber bzw. Flüchtling

 

3.4. Der Oö. Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 52 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 50/2012, ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Berufung gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 66 Abs. 4 AVG auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

4.2. Im vorliegenden Fall ist zunächst auch vom Bw selbst unbestritten, dass er als Staatsbürger von Armenien Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 3 Z 10 FPG ist und sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung erscheint daher vor dem Wortlaut des § 52 Abs. 1 FPG prima vista zulässig.

 

Es gilt jedoch in Folge bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung auch auf Art. 8 EMRK sowie § 61 FPG Bedacht zu nehmen.

 

4.2.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

4.2.2. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der        bisherige Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des      Asyl-          Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem   Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren   Aufenthaltstatus bewusst waren;

9.      die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

4.3.1. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessensabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

Es ist festzuhalten, dass es gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte grundsätzlich zulässig und erforderlich ist, Maßnahmen zu ergreifen, um den unrechtmäßigen Aufenthalt einer Person zu beenden, da ein solcher rechtswidriger Status fraglos dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und eine Rückkehrentscheidung grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

4.3.2. Zur Aufenthaltsdauer des Bw im Bundesgebiet ist zunächst festzuhalten, dass diese mittlerweile mehr als zehn Jahre beträgt. Wie im angefochtenen Bescheid dargestellt, war der Aufenthalt für neun Jahre – nämlich während des Asylverfahrens – rechtmäßig.

 

4.3.3. Ein Familienleben des Bw besteht in Österreich. Der Bw lebt mit seiner Gattin in einem gemeinsamen Haushalt und hat aufgrund seiner Teilnahme am Berufsleben mehr als fünf Jahre für das Familieneinkommen gesorgt. Die Gattin hält sich seit dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Die belangte Behörde hat auch gegen die Gattin des Bw eine Rückkehrentscheidung verbunden mit einem Einreiseverbot erlassen. Das Berufungsverfahren ist derzeit noch anhängig.

 

4.3.4. Einen wesentlichen Punkt bei der vorzunehmenden Rechtsgüterabwägung stellt die Schutzwürdigkeit des Privatlebens dar. Wie sich unter anderem aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Dezember 2009, 2009/21/0348, ergibt, kann unter gewissen Umständen das Privatleben eines Bw alleine eine positive Gesamtbeurteilung nach sich ziehen. Dem Höchstgericht zufolge hat der dem § 61 Abs. 2 FPG (neu) vergleichbare § 66 Abs. 2 FPG (alt) schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes privates bzw familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte.

 

Im Sinne dieser Ausführungen geht der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ab einer Aufenthaltsdauer von etwa zehn Jahren das persönliche Interesse eines Fremden am Verbleib im Bundesgebiet ein derart großes Gewicht erlangt, dass eine Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG – auch bei einem Eingriff nur in das Privatleben – unverhältnismäßig erscheint (vgl etwa VwGH 20.1.2011, 2010/22/0158).

 

Im konkreten Fall ist der Bw mehr als zehn Jahre in der Republik Österreich aufhältig. Die in die Rechtsgüterabwägung zugunsten des Bw einfließende Aufenthaltsdauer liegt damit über der höchstgerichtlich judizierten Schwelle von etwa zehn Jahren.

 

4.3.5. Merkmale für eine umfassende soziale Integration des Bw in Österreich sind im Verfahren hervorgekommen. Die Deutschkenntnisse des Bw auf Niveau A2 sind aktenkundig. Zudem konnte der Bw ein Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit nachweisen und war überwiegend selbsterhaltungsfähig. Die Eingliederung in die Gesellschaft belegen zahlreiche Unterstützungserklärungen von Freunden, Arbeitskollegen, Arbeitsgeber und Mitgliedern der Baptistengemeinde. Der Arbeitgeber der Firma X hat dem Bw ein äußerst positives Arbeitszeugnis ausgestellt und ihn als fleißigen, ehrlichen und pünktlichen Kollegen beschrieben. Mangels Arbeitsgenehmigung habe eine Weiterbeschäftigung nicht vorgenommen werden können.

 

4.3.6. Festzustellen ist weiters, dass der heute 52-jährige Bw den überwiegenden Teil seines Lebens in seinem Herkunftsstaat verbracht hat und Bindungen an den Heimatstaat daher zweifellos vorhanden sind.

 

4.3.7. Wie die belangte Behörde dargestellt hat, weist der Bw mehrere rechtskräftige gerichtliche Vorstrafen auf. Weiters liegt gegen den Bw ein rechtskräftiges Rückkehrverbot vor.

 

Das auf fünf Jahre befristete Rückkehrverbot wurde von der belangten Behörde am 21. September 2007 erlassen und dabei auf die gerichtlichen Verurteilungen vom Februar 2003 (bedingte Freiheitsstrafe von 3 Wochen), November 2006 (Geldstrafe von 120 Euro) und Juli 2007 (bedingte Freiheitsstrafe von 3 Monaten) abgestellt. Auch wenn der Begründung keine eindeutigen Ausführungen zu entnehmen sind, scheint die belangte Behörde bei ihrer Prognose ein fünfjähriges Wohlverhalten für ausreichend erachtet haben.

 

Im nunmehr angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde neben der rechtskräftigen Verurteilung am 19. Februar 2010 (versuchter Diebstahl, Lebensmittel im Gesamtwert von 39,26 Euro, eine Woche Freiheitsstrafe) neuerlich auf die früheren drei Verurteilungen (die bereits zur Erlassung eines auf fünf Jahre befristeten Rückkehrverbotes herangezogen worden sind) abgestellt und im Hinblick auf "der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen" § 53 Abs. 3 Z. 1 FPG herangezogen.

 

Die belangte Behörde hat weder bei der Erlassung des Rückkehrverbotes noch bei der des angefochtenen Bescheides ausgeführt, dass der Aufenthalt des Bw eine "schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit" darstellt. Der Begründung folgend ist sie allgemein von einer Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgegangen. Das begründungslose Abstellen auf alle vier rechtskräftigen Verurteilungen und der Verweis auf § 53 Abs. 3 Z.1 FPG reichen für die Annahme einer schwerwiegenden Gefahr nicht aus.

 

Ohne auf § 60 Abs. 5 FPG (Aufhebung eines Rückkehrverbotes, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind) näher einzugehen, hat die belangte Behörde zum Erlassungszeitpunkt im Jahr 2007 ein fünfjähriges Rückkehrverbot für ausreichend erachtet. Abgesehen von der rechtskräftigen Verurteilung im Februar 2010 (drei Jahre nach der letzten Tat) hat sich der Bw beinahe fünf Jahre wohl verhalten.

 

Die der Verurteilung am 19. Februar 2010 zugrundeliegende Tat kann nicht einmal ansatzweise eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen. Dies ist schon daraus zu ersehen, dass das zuständige Gericht trotz "drei einschlägiger Vorstrafen" nur eine einwöchige Freiheitsstrafe verhängt hat.

 

Selbst wenn im Zuge der zu erstellenden Prognose das bisherige strafrechtlich relevante Verhalten herangezogen wird, zeigen die einzelnen Taten und das dabei gesetzte Verhalten des Bw auf, dass der in § 53 Abs. 3 FPG angesprochene Annahme nicht einmal annähernd entsprochen wird.

 

4.3.8. In den Jahren 2008 und 2009 hat der Bw dreimal geringfügig gegen die StVO verstoßen.

 

4.3.9. Das Asylverfahren des Bw dauerte – ohne dass dieser Folgeanträge gestellt oder sonst das Verfahren verzögert hat – von 6. Juni 2002 bis zum 13. Mai 2011 (Beschluss des VfGH am 19. Oktober 2011), also neun Jahre. Die Dauer des Aufenthalts des Bw ist daher auch in den Asylbehörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet.

 

4.3.10. Vor dem Hintergrund der in den obigen Punkten getroffenen Feststellungen ist zusammenfassend hinsichtlich des Eingriffs in den geschützten Bereich des Privatlebens des Bw festzuhalten, dass sich eine Eingriffsunzulässigkeit ergibt.

 

Der Bw hat während seines langen Aufenthaltes im Bundesgebiet von mehr als zehn Jahren wesentliche Schritte zur Eingliederung in die österreichische Gesellschaft gesetzt, indem er entsprechende Sprachkenntnisse erworben und durch die überwiegende Teilnahme am Erwerbsprozess über weite Strecken finanzielle Unabhängigkeit erlangt hat. Dass diese Integration während des Asylverfahrens stattgefunden hat, kann dem Bw schon insofern nicht negativ angelastet werden, als dieses Verfahren völlig unangemessen lange dauerte.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Von den in Art. 8 Abs. 2 EMRK enthaltenen Eingriffsvorbehalten kommen im gegenständlichen Fall jedoch keine zum Tragen. Der Bw bzw. dessen Aufenthalt gefährdet nicht die nationale Sicherheit. Das wirtschaftliche Wohl des Landes ist aufgrund der bisherigen und wohl auch zukünftigen Erwerbstätigkeit des Bw (Einstellungszusage) bzw. dessen finanzieller Unabhängigkeit vom Staat nicht in Gefahr.

 

Wie bereits unter Punkt 4.3.7. ausgeführt, hat sich der Bw nach der Erlassung des Rückkehrverbotes im Jahr 2007, abgesehen von der Tat (Diebstahl von Lebensmitteln im Wert von knapp 40 Euro) Anfang Jänner 2010, wohl verhalten und es bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Bw wegen der nunmehr zweieinhalb Jahre zurückliegenden Tat an der Begehung strafbarer Handlungen gehindert werden müsste, von ihm eine Gefahr für das Eigentum anderer Personen ausgehe und er nicht in Österreich aufhältig sein sollte.

 

Im Falle des Bw könnte ein Eingriff in dessen Privatleben allenfalls durch den Tatbestand "Verteidigung der Ordnung" gerechtfertigt sein, weil den Zuwanderungs- und Einwanderungsregelungen nach Österreich ein hoher Stellenwert zukommt.

 

Grundsätzlich stellt die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar und ist ein geordnetes Fremdenwesen für den österreichischen Staat von eminentem Interesse.

 

In diesem Zusammenhang ist jedoch auch auf die jüngste Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen. Im Erkenntnis vom 15. Mai 2012, 2012/18/0029, führt der Gerichtshof aus, dass "[d]er bloße unrechtmäßige Aufenthalt […] nach dem System der Rückführungs-RL noch keine derartige Störung der öffentlichen Ordnung dar[stellt], dass dies immer die Erlassung eines Einreiseverbotes gebieten würde. Zwar kann eine Rückkehrentscheidung dessen ungeachtet mit einem Einreiseverbot einhergehen, eine zwingende Mindestdauer von 18 Monaten - mag sie auch häufig gerechtfertigt sein - in jedem Fall, wird der Anordnung, wonach die Festsetzung der Dauer des Einreiseverbotes `in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls´ zu erfolgen habe, jedoch nicht gerecht. Letztere - zweifellos unmittelbar anwendbare - Richtlinienbestimmung steht daher § 53 Abs. 2 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 insoweit entgegen, als dort - ohne Ausnahme - die Festsetzung eines Einreiseverbotes für die Dauer von 18 Monaten vorgesehen ist. Umgekehrt kennt das FPG 2005 idF FrÄG 2011 keine kürzere Frist für das Einreiseverbot. Es ist daher davon auszugehen, dass gegebenenfalls, wenn sich das Fehlverhalten des Drittstaatsangehörigen auf den unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet beschränkt und fallbezogen ausnahmsweise (etwa auf Grund seiner kurzen Dauer oder der dafür maßgebenden Gründe) nur eine geringfügige Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens darstellt, überhaupt kein Einreiseverbot zu verhängen ist."

 

Hinsichtlich der "Verteidigung der Ordnung" bzw. der "Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung" geht der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich im Sinne des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Mai 2012 davon aus, dass im gegenständlichen Fall der bloße derzeitige unrechtmäßige Aufenthalt des integrierten und über lange Jahre rechtmäßig aufhältigen Bw im Inland nach dem System der Rückführungs-RL noch keine derartige Störung der öffentlichen Ordnung darstellt, welche die Erlassung eines Einreiseverbotes gebieten würde.

 

Allenfalls könnte gegen den Bw daher eine Rückkehrentscheidung ohne ein Einreiseverbot erlassen werden. Aufgrund der langen Aufenthaltsdauer des Bw im Inland und den dargestellten gelungenen Bemühungen sich zu integrieren stellt eine solche Entscheidung, die im Wesentlichen einer Ausweisung gleichkommen würde, jedoch einen unzulässigen und unverhältnismäßigen Eingriff in die durch Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Rechte dar.

 

4.4.1. Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

4.4.2. Im Hinblick auf § 61 Abs. 3 zweiter Satz FPG ist abschließend festzuhalten, dass es aus Sicht des Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich keine Hinweise dahingehend gibt, wonach die drohende Verletzung des Privatlebens des Bw auf Umständen beruhen würde, die ihrem Wesen nach bloß vorübergehend sind. Eine Rückkehrentscheidung gegen den Bw ist daher auf Dauer unzulässig.

 

4.5. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt unterschrieben werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 22,10 Euro (Eingabe- und Beilagengebühren) angefallen.

 

 

 

Mag. Christian Stierschneider

 

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