Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730645/2/BP/WU

Linz, 17.08.2012

 

E r k e n n t n i s

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufung des X, geb. X, StA von Kroatien, vertreten durch X, Bahnhofplatz 2, gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Wels vom 3. Juli 2012, Zl. 1-1028622/FP/12, betreffend die Erlassung eines auf 6 Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

I.   Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid       aufgehoben.

 

II.  Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird als         unzulässig zurückgewiesen.

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

1.1.1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Wels vom 3. Juli 2012, Zl. 1-1028622/FP/12, wurde über den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) auf Basis der §§ 63 Abs. 1 iVm. Abs. 2 und 53 Abs. 3 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, ein auf die Dauer von 6 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot verhängt.

 

Begründend führt die belangte Behörde zunächst in rechtlicher Hinsicht unter anderem Folgendes aus:

"Der festgestellte Sachverhalt rechtfertigt die Annahme, dass Ihr weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden könnte, ihr oben festgestelltes Verhalten ist zwar in der demonstrativen Aufzählung des § 53 Abs. 2 und 3 FPG nicht enthalten, jedoch ist dieses von Ihnen gezeigte Verhalten jenen des § 53 Abs. 2 und 3 FPG in der dort zum Ausdruck gebrachten Haltung gleich zu halten. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist zum Schutze des wirtschaftlichen Wohles der Republik Österreich und zur Verhinderung strafbarer Handlungen, somit zur Erreichung von in Art.8 Abs.2 EMRK genannten Zielen, dringend geboten.

 

Im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität kann Ihren privaten und familiären Interessen keinesfalls gegenüber den maßgeblichen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen, nämlich dem Interesse an der Verhinderung an strafbaren Handlungen, am Schutz der Rechte anderer und am Schutz der Gesundheit, Vorrang eingeräumt werden. Die Erlassung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes ist nach Ansicht der Behörde, um die in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zu wahren, dringend geboten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes steht selbst eine ansonsten völlige soziale Integration eines Fremden bei Suchtgiftdelikten der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes nicht entgegen.

 

Die Behörde hat die Beurteilung eigenständig, somit unabhängig von den die Strafbemessung und den die bedingte bzw. teilbedingte Nachsicht der Strafe begründenden Erwägungen des Strafgerichtes, und ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts zu treffen. Dass dabei die Fremdenpolizeibehörden unter Umständen hinsichtlich ihrer Prognosen mit den von den Gerichten für die Bemessung der Strafe und die Gewährung bedingter Strafnachsicht zu treffenden Prognosen des Öfteren nicht übereinstimmen, macht eine Entscheidung einer Fremdenpolizeibehörde nach der Judikatur des VwGH zufolge nicht rechtswidrig. Sehe man dies anders, würde jedenfalls im Ergebnis eine Bindung der Fremdenpolizeibehörde an die vom Gericht gestellte Prognose hinsichtlich der vom Fremden ausgehenden Gefahr für die bzw. einzelne der im Art.8 Abs.2 EMRK umschriebenen Schutzgüter bejaht. Eine solche Bindung ist allerdings nicht gegeben."

 

1.1.2. Zum Sachverhalt führt die belangte Behörde aus, dass der Bw am 18. September 2011 um 1.40 Uhr von Beamten des LKA festgenommen und am 19. September 2011 in die Justizanstalt Wels eingeliefert worden sei. Am 14. Februar 2012 sei der Bw aus der Untersuchungshaft entlassen worden.

 

Mit Urteil des LG Wels, 12 HV 170/11p, vom 8. März 2012, rechtskräftig mit 19. März 2012 sei der Bw wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach dem § 28a Abs. 1 2. und 3. Fall SMG, Verbrechens des Suchtgifthandels nach dem § 28a Abs. 1 5. Fall SMG sowie des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach dem § 28 Abs. 1 1. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon 12 Monate bedingt, verurteilt worden.

 

Der Bw sei schuldig gesprochen worden, in Wels und an anderen Orten vorschriftswidrig Suchtgift in einer der Grenzmenge (§ 28b) übersteigenden Menge ein- und ausgeführt zu haben, und zwar indem der Bw zu nachgeführten Zeiten nachgenannte Cannabiskrautmengen mit einem Reinheitsgehalt von 5,6 % von den Niederlanden aus-, durch Deutschland durch- und nach Österreich eingeführt habe, und zwar:

Etwa im März 2011 zumindest 1 kg Cannabiskraut; etwa Ende März 2011 zumindest etwa 500 g Cannabiskraut; am 13. August eine nicht näher festzustellende Menge Cannabiskraut; am 18. September 2011 2,045 kg Cannabiskraut netto mit einer Reinsubstanz von 114 +/- 8,7 g Delta-9-THC.

Weiters sei der Bw schuldig gesprochen worden, Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b) übersteigenden Menge anderen überlassen zu haben, indem er in der Zeit von etwa März 2011 bis zuletzt am 13. August 2011 insgesamt 1,5 kg Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von etwa 5,6 % an X zum Zwecke des Weiterverkaufes übergeben habe.

Weiters sei der Bw schuldig gesprochen worden, am 18. September 2011 Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge (§ 28b), nämlich 2,045 kg Cannabiskraut netto mit einer Reinsubstanz von 114 +/- 8,7 g delta – 9 – THC mit dem Vorsatz besessen zu haben, dass es in Verkehr gesetzt werde.

 

In den Entscheidungsgründen habe das Gericht dargelegt, dass der Bw als Kraftfahrer über ein monatliches Nettoeinkommen von 2.300 Euro verfüge, ein Haus in Bosnien besitze, keine Schulden habe, verheiratet und für ein Kind sorgepflichtig sei. Er habe bereits eine Vorverurteilung in Österreich.

 

Zu den strafrechtlichen Verurteilungen führte die belangte Behörde aus:

 

"Etwa im Herbst 2010 begann X damit, sich durch den Verkauf von Cannabiskraut im Raum Wels eine fortlaufende Einnahmequelle zu erschließen. Etwa im März 2011 beauftragte X Sie mit dem Schmuggel von Cannabiskraut von den Niederlanden nach Österreich, zumal Sie als LKW-Fahrer beruflich bedingt wiederholt nach Holland reisen mussten. Im Auftrag von X schmuggelten Sie sodann erstmals im März 2011 zumindest 1 kg Cannabiskraut von Holland nach Österreich, wo Sie im Messegelände Wels die Suchtgiftmenge an X aushändigten. Etwa Ende März 2011 führten Sie im Auftrag von X eine weitere Schmuggelfahrt durch, wobei Sie im Zuge dieser Fahrt ca. 500g Cannabiskraut von den Niederlanden nach Österreich einführten und in der Folge am Messegelände an X übergaben. Am 13.08.2011 transportierten Sie im Auftrag von X eine nicht näher feststellbare Menge Cannabiskraut von den Niederlanden nach Österreich, wo Sie am Messegelände Wels die geschmuggelte Suchtgiftmenge an X aushändigten. Dieser übergab insgesamt ca. 1 kg Cannabiskraut an seinen Bruder X zwecks gewinnbringenden Weiterverkaufs. Die letzte Schmuggelfahrt führten Sie im Auftrag von X am 18.09.2011 durch. Nach Ihrer Ankunft in Österreich konnten Sie mit 2.045g Cannabiskraut netto festgenommen werden, wobei auch diese Suchtgiftmenge für den anschließenden Weiterverkauf durch X bestimmt gewesen ist.

Sie besaßen vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge. Sie waren sich im Klaren, dass Sie den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift besaßen, um es in Verkehr zu setzen, handelten jedoch trotzdem.

Sie bekannten sich in Ihrer Verhandlung am LG Wels überwiegend schuldig im Sinne des Strafantrages und gestanden ein, dreimal Suchtgift - insgesamt ca. 3,5 kg - im Auftrag von X nach Österreich eingeführt, X weitergegeben und für jede der Fahrten EUR 500,00 bekommen zu haben, weshalb die wesentlichen Feststellungen hinsichtlich Ihrer Taten aufgrund Ihres Geständnisses getroffen werden konnten."

 

Am 1. Juni 2012 sei dem Bw eine Aufforderung zur Stellungnahme betreffend der Erlassung einer Rückkehrentscheidung eines auf 6 Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes an seine Wohnanschrift übermittelt worden, welches von ihm am 8. Juni 2012 persönlich übernommen worden sei.

 

Für den Bw habe die Möglichkeit bestanden, innerhalb von 2 Wochen ab Zustellung dieses Schreibens dazu Stellung zu nehmen und damit seine Rechte und rechtlichen Interessen zu wahren. Darüber hinaus sei der Bw aufgefordert worden, innerhalb og. Frist schriftlich Angaben über seine familiären, sozialen und beruflichen Bindungen in Österreich zu machen. Andernfalls könne auf seine Angaben im gegenständlichen fremdenpolizeilichen Verfahren nicht eingegangen werden.

 

Der Bw habe bis dato keine Stellungnahme abgegeben. Die Behörde gehe daher von den in der Verhandlung am LG Wels gemachten Angaben aus.

Laut Aktenlage sei der Bw seit 2. Oktober 1996 im Bundesgebiet gemeldet und mit Bescheid der BH Wels-Land vom 16. Juni 1998 in Schubhaft genommen worden, um die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zu sichern und die Abschiebung durchzuführen. Dieser Bescheid sei damit begründet worden, dass der Bw sich seit Oktober 1996 in Österreich aufgehalten habe, ohne im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels bzw. Visums zu sein und mit Urteil des LG Wels vom 27. Jänner 1998, 13 EHV 114/97, wegen §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4 und 129 Z 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten bedingt auf 1 Jahr rechtskräftig verurteilt worden sei. Der Bw sei aufgrund Haftunfähigkeit am selben Tag aus der Schubhaft entlassen worden.

Am 18. Dezember 2000 sei der Bw aus dem Bundesgebiet ausgewiesen und ein Abschiebungsaufschub gewährt worden, der bis 10. Dezember 2004 verlängert worden sei. Am 19. Februar 2004 sei die Ausweisung von der BH Wels-Land widerrufen und ein Aufenthaltstitel "Niederlassungsbewilligung" aufgrund der Verehelichung des Bw mit seiner Gattin X am 30. Jänner 2004, die die österreichische Staatsbürgerschaft habe, ausgestellt worden. Zuletzt sei dem Bw der Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" vom Magistrat Wels, gültig bis 14. Juni 2015, ausgestellt worden.

Seine Strafregisterauskunft weise weiters eine Verurteilung des BG Wels, 16 U 381/2007z, vom 29. Oktober 2007, rk. 5. November 2007, wegen § 293/1 StGB zu einer Geldstrafe von 80 TS á 10 Euro bedingt auf.

 

Laut Versicherungsdatenauszug sei der Bw seit 19. März 2012 als Arbeiter beschäftigt.

 

Nach Abwägung der angeführten Umstände ergebe sich aus dem festgestellten Sachverhalt, dass unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK das Aufenthaltsverbot des Bw zulässig sei. Die öffentlichen Interessen an der Erlassung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes und die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung dieses Aufenthaltsverbotes wögen unverhältnismäßig schwerer als die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Bw, zumal er von Ende 1996 bis Anfang 2004 nur nicht abgeschoben geworden sei, da er immer wieder ärztliche Atteste über seinen Gesundheitszustand vorgelegt habe. Nachdem er geheiratet habe, habe er die ihm nun gebotene Chance, legal in Österreich zu leben, nicht nutzen können, da er seitdem zweimal straffällig geworden sei und sich nicht an die Gesetze in Österreich halten zu wollen scheine.

 

Mit der Suchtgiftkriminalität sei im Allgemeinen eine große Wiederholungsgefahr verbunden. Auch sei das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Verhinderung strafbarer Handlungen und des Schutzes der Gesundheit anderer, besonders hoch zu bewerten.

 

Überdies bestehe nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf die Wahrung eines geordneten Fremdenwesens ein eminent hohes öffentliches Interesse.

 

1.2. Gegen diesen Bescheid erhob der rechtsanwaltlich vertretene Bw mit Schriftsatz vom 19. Juli 2012 rechtzeitig Berufung und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

 

Der Bw gab an, er habe mit Zustellung des verfahrensgegenständlichen Bescheides der BPD Wels vom 3. Juli 2012 am 6. Juli 2012 erstmals Kenntnis davon erhalten, dass ein Verwaltungsverfahren wegen Verhängung eines Aufenthaltsverbotes laufe und dass ihm aufgrund einer Mitteilung der Behörde Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden sei. Auf welche Art und Weise auch immer die behördliche Aufforderung zur Stellungnahme vom 1. Juni 2012 zugestellt worden sein möge, ob also zu seinen Handen oder einfach per Post, jedenfalls sei ihm diese Zustellung in keiner Weise zur Kenntnis gelangt.

 

Dies habe entweder damit zu tun, dass die Postsendung verloren gegangen sei oder aber ein möglicherweise hinterlegtes Schriftstück mangels seiner Abwesenheit von der Abgabestelle, nämlich in Folge seiner Tätigkeit als Kraftfahrer, nicht habe abgeholt werden können. Auch von einer etwaigen Verständigung einer etwaigen Hinterlegung habe der Bw keine Kenntnis erhalten.

 

Da somit ein unabwendbares Ereignis verhindert habe, dass der Bw Kenntnis von der Aufforderung zur Stellungnahme erlangte oder ihm jedenfalls nur ein geringfügiges Verschulden daran angelastet werden könne, stelle er den Antrag auf Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und somit auf Einräumung der Möglichkeit zur Erstattung einer Stellungnahme aufgrund der behördlichen Aufforderung vom 1. Juni 2012.

 

Gleichzeitig erstattete der Bw folgende Stellungnahme:

 

"Die Integration des Herrn X in die österreichische Gesellschaft und in sein neues Heimatland, nämlich die Republik Österreich, ist wesentlich weiter fortgeschritten, als dies bisher von der erstinstanzlichen Behörde hatte angenommen werden können.

 

Ursprünglich lebte Herr X in seinem ersten Heimatland, nämlich in Kroatien. Er lernte dort 1988 seine nunmehrige Ehegattin, Frau X kennen, die er auch durch Eheschließung im Jahre 1990 zu seiner Frau nahm.

 

Bereits vor der Eheschließung war dem Paar ein Kind geboren, nämlich der am X zur Welt gekommene Sohn X. Danach ereignete sich am Balkan der historisch belegte Krieg. Tragischerweise lebte die Familie X in einem Kerngebiet der kriegerischen Auseinandersetzung, und zwar in Bosnien in Bugojno. Um der Familie eine Existenz und ein Überleben zu sichern, flüchtete zunächst die Ehegattin, Frau X, im Jahr 1992 nach Österreich und zwar mit dem gemeinsamen Sohn X. Herr X musste während der gesamten Kriegszeit seinen Militärdienst leisten und hat diesen auch geleistet und glücklicherweise überlebt.

 

Der Kontakt von Herrn X wurde zu seiner Familie so weit wie möglich aufrecht erhalten. Im Jahre 1993 ist der Familie X ein zweites Kind geboren, nämlich die Tochter X.

 

Sobald es möglich war, folgte auch Herr X seiner Familie nach Österreich, wo er sich jedenfalls seit 2.10.1996 dauerhaft in Österreich aufhielt.

Aufgrund der Schwierigkeiten zur Erlangung eines Aufenthaltstitels kam es zwar zu einer Ausweisung, der auch Folge geleistet wurde, gleichzeitig wurde aber auch ein Abschiebungsaufschub gewährt. Dieser Duldungsstatus dauerte bis zum Jahre 2004. Schließlich wurde die Ausweisung widerrufen und eine Niederlassungsbewilligung erteilt.

Im Jahre 2004 erhielt sowohl die Ehegattin von Herrn X, Frau X, als auch die Tochter X die österreichische Staatsbürgerschaft. Danach ereilte die Familie schreckliche Schicksalsschläge. Der Sohn X kam bei einem Verkehrsunfall am 16.5.2008 ums Leben.

 

Herr X selbst erkrankte aufgrund von Organversagen derart stark, dass ihm kaum mehr eine Überlebenschance von ärztlicher Seite zugesprochen wurde. Dennoch hatte X auch diese schwere Krankheit überlebt.

 

Klar ist jedenfalls, dass die gesamte Familie X seit 1992 Schritt für Schritt in Österreich eine zweite Heimat gefunden hat und ausschließlich auf Österreich fokussiert ist. Die Tochter X nimmt nun zur Ehren der rot-weiß-roten Fahne im Namen Österreichs an den Olympischen Sommerspielen in London als Leichtathletin im Bewerb des 7-Kampfes teil.

 

Auch beruflich ist der Einschreiter seit Jahren ausschließlich für österreichische Unternehmen als Kraftfahrer tätig.

 

Beweis: beiliegender Zeitungsartikel der aktuellen Ausgabe „Wels im Bild"; beiliegende Sterbeurkunde vom 19.5.2012; nachzureichende Behandlungsunterlagen; beiliegende Versicherungsdatenauszug; PV;

 

Da somit die gesamte Familie des Einschreiters bereits durchgehend seit 1992 bzw. die Tochter seit ihrer Geburt 1993 und er selbst seit 1996 sich in Österreich befindet und als österreichische Familie versteht, sind die privaten Interessen an einem weiteren Verbleib im nunmehrigen Heimatland Österreich wesentlich größer als die öffentlichen Interessen an der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes."

 

In diesem Sinne stelle der Bw den Antrag auf Abstandnahme von der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes und ersatzlose Einstellung des zugrunde liegenden Verwaltungsverfahrens.

 

Betreffend seine Berufung gegen den Bescheid der BPD Wels führte der Bw aus, dass der erstinstanzliche Bescheid, womit ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von 6 Jahren erlassen wurde, in seinem gesamten Umfang aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung angefochten werde.

 

Zur Mangelhaftigkeit des Verfahrens gab der Bw an, dass, sofern dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattgegeben werde, das erstinstanzliche Verfahren am Mangel des rechtlichen Gehörs leide. Er hätte keine Gelegenheit gehabt, sich zu dem Vorhaben auf Verhängung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu äußern. Dies sei umso einschneidender, als durch die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes auf das tiefste in das Herz persönlicher Identitätsrechte eingegriffen werde. Dementsprechend sei sowohl nach Bestimmungen des FPG insbesondere §§ 53 und 61 als auch gemäß Artikel 8 EMRK in ganz besonderer Weise auf die persönliche Situation, insbesondere auf das Privat- und Familienleben des Bw Rücksicht zu nehmen.

 

Diese materiellen Vorschriften würden jedoch auch eine besondere verfahrensrechtliche Gründlichkeit beinhalten. In diesem Sinne sei auf ganz besondere Art und Weise sowohl auf die Einbeziehung des Betroffenen in das Verfahren zu achten, als auch eine besondere Sorgfalt bei der Stoffsammlung anzuwenden.

 

Da im bisherigen erstinstanzlichen Verfahren lediglich auf behördliche Daten zurückgegriffen wurde, sei daher eine Verfahrenswiederholung mit Beteiligung des Bw geboten.

 

Weiters sei auch unabhängig von der dringend erforderlichen Verfahrensbeteiligung des Bw bei der Stoffsammlung darauf zu achten, wie es um seine familiäre Situation stehe. Wie die berufliche Situation aussehe und in welcher Art und Weise das aktuelle Aufenthaltsland wirklich zu einem echten Heimatland geworden sei.

 

Dies alles werde durch die Lebensgeschichte und die besonderen Umstände, wie in der oberwähnten Stellungnahme ausgeführt, eindeutig dokumentiert.

 

Die Teilnahme der Tochter an den Olympischen Sommerspielen in London zu Ehren der Republik Österreich dokumentiere augenscheinlich eine besondere Bindung und Liebe zu Österreich.

 

Da die Olympischen Sommerspiele in der Öffentlichkeit eine besondere Aufmerksamkeit besitzen, könne von diesem Umständen auch als notorisch ausgegangen werden, weswegen es auch einen Verfahrensmangel darstelle, wenn diese Umstände von der ersten Instanz nicht berücksichtigt werde.

 

Zur unrichtigen rechtlichen Beurteilung führt der Bw aus, dass bei Betrachtung seiner gesamten Integrations- und Lebensgeschichte sich unweigerlich die Frage stelle, welche Schicksalsschläge er noch auf sich nehmen müsse. Als Angehöriger der kroatischen Volksgruppe in Bosnien sei ihm und seiner Familie durch den Balkankrieg die erste Heimat auf schreckliche Art und Weise abhanden gekommen. Glücklicherweise habe er dann mit seiner Familie in Österreich eine wunderbare Aufnahme gefunden und nun müsste er wiederum für 6 Jahre ins Exil, zumal das erste Heimatland in jener gewesenen Form nicht mehr existiere.

 

Wie von der ersten Instanz richtig erwähnt, seien die strafgerichtlichen Sanktionen für die vom Bw begangenen Fehler auf angemessene Art und Weise derart ausgefallen, dass sie gemäß § 53 FPG kein zwingendes Handeln der Behörde erfordern würden. In diesen demonstrativen Aufzeichnungen des § 53 Abs.2 und 3 FPG sei somit das "Verhalten" des Bw auch nicht enthalten.

 

Klar sei auch, dass der Bw seine Fehler vor dem Landesgericht gestanden habe und stets in untergeordneter Rolle tätig gewesen sei. Die Mitnahme von Cannabis sei seitens des Landesgerichtes Wels als Strafgericht ausreichend sanktioniert worden. Aufgrund einer überlangen Untersuchungshaftdauer sei der unbedingte Teil der insgesamt verhängten 18-monatigen Freiheitsstrafe, nämlich 6 Monate auch tatsächlich in Haft verbüßt worden, womit sowohl aus spezial- als auch generalpräventiver Sicht keine weiteren Maßnahmen erforderlich seien. Ebenso wenig bedürfe es zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit weiterer abschreckender Maßnahmen.

 

Nicht unwesentlich sei auch die hervorragende Zukunftsprognose für ein ordentliches und vorbildliches Verhalten des Bw, die aufgrund seiner Einsicht, seiner engen familiären Bindung und seine durchgehende Erwerbstätigkeit eindeutig bestehe.

 

Bei Gewichtung sämtlicher Umstände sei daher das öffentliche Interesse durch einen weiteren Aufenthalt des Bw im Bundesgebiet der Republik Österreich nicht beeinträchtigt.

 

Demgegenüber würden die privaten Interessen des Bw an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet der Republik Österreich enorm überwiegen. Hier sei noch mal auf die enge familiäre Bindung und auch auf die schicksalsgeprüfte Geschichte der gesamten Familie des Bw zu verweisen. Ebenso auf die durchgehende, ordnungsgemäße und pflichtbewusste Erwerbstätigkeit.

 

Von ganz besonderer Bedeutung sei auch die hochgradige Integration der Familie des Bw in die österreichische Gesellschaft. Es gehöre schon viel dazu, wenn Eltern die Kinder derart fördern, dass sie im Stande seien, Leistungen im Bereich des Spitzensportes auf höchstem Niveau zu erbringen. Trotz tragischem Verlust des Sohnes und Bruders durch einen Verkehrsunfall im Jahre 2008 sei es der Tochter des Bw gelungen, den österreichischen Rekord im Siebenkampf zu brechen. Sie nehme daher nunmehr für Österreich an den Olympischen Sommerspielen in London teil.

 

Da somit die privaten und familiären Interessen des Bw durch die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes extrem beeinträchtigt wären, zumal er nach Verlust des Sohnes und beinahe nach Verlust des eigenen Lebens durch Krankheit, sowie nach kriegsbedingtem Verlust der ersten Heimat, nunmehr auch seine zweite Heimat und das Leben gemeinsam mit seiner Familie zumindest für einen befristeten Zeitraum erneut verlieren würde.

 

 

Aus den erwähnten Gründen werden daher nachstehende Berufungsanträge gestellt:

 

"Der Berufung des Herrn X gegen den Bescheid der BPD Wels vom 3. Juli 2012, I-1028622/FP/12, möge Folge gegeben werden und

 

1.     von der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes zur Gänze abgesehen und dementsprechend das gegenständliche Verfahren ersatzlos eingestellt werden, sowie

2.     in eventu möge der bekämpfte Bescheid in seinem gesamten Umfang aufgehoben und das Verfahren zur Ergänzung und neuerlichen Entscheidung an die erste Instanz zurück verwiesen werden."

 

 

2.1. Die belangte Behörde legte den in Rede stehenden Verwaltungsakt mit Schreiben vom 19. Juli 2012 dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Entscheidungsfindung vor.

 

2.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG).

 

Zudem liegt auch kein darauf gerichteter Parteienantrag vor. Im Übrigen wird angemerkt, dass dem sachverhaltsbezogenen Vorbringen des Bw ohnehin gefolgt und diesem volle Glaubwürdigkeit zugemessen wird, wie er es in der Stellungnahme im Rahmen der Berufung anführt. In diesem Sinn wurde der – im Rahmen der Entscheidung erster Instanz allerdings unvollständige – Sachverhalt – wie vom Bw gefordert – um die wesentlichen Elemente für eine Interessensabwägung nach § 61 FPG ergänzt.

 

2.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1.1.2., und insbesondere 1.2. dieses Erkenntnisses dargestellten völlig unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

2.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

 

3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1.1. Gemäß § 71 Abs. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn

1. die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu ercheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Verschuldens trifft oder

2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, dass kein Rechtsmittel zulässig sei.

 

Gemäß § 71 Abs. 4 AVG ist zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war, oder die die versäumte Verhandlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat.

 

3.1.2. Im vorliegenden Fall stützt sich der Bw mit seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand darauf, dass ihm eine Aufforderung der belangten Behörde betreffend seine Stellungnahme zur beabsichtigten fremdenpolizeilichen Maßnahme erst im angefochtenen Bescheid bekannt worden sei.

 

3.1.3. Dazu ist aber – unabhängig davon, dass gemäß § 71 Abs. 4 AVG der UVS des Landes Oberösterreichs keine diesbezügliche Entscheidungsbefugnis für sich beanspruchen könnte - anzumerken, dass nur die Versäumung von verfahrensrechtlichen Fristen durch Wiedereinsetzung ihrer Folgen entkleidet werden kann, nicht dagegen die Versäumung materiellrechtlicher Fristen.

 

Verfahrensrechtliche Fristen sind solche, die für die Einleitung eines Verfahrens maßgebend oder in einem anhängigen Verwaltungsverfahren zu beachten sind.

 

Nachdem es sich bei der ggst. behaupteten versäumten Frist um eine materiellrechtliche, nicht aber um eine verfahrensrechtliche Frist im eben dargestellten Sinn handelt, wäre die Wiedereinsetzung auch im Fall der Zuständigkeit des UVS hiefür nicht zu bewilligen gewesen, weshalb dieser Antrag – auch aus diesem Grund – als unzulässig zurückzuweisen war. 

 

3.2.1. Gemäß § 65b des Fremdenpolizeigesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 - FPG idgF. BGBl. I Nr. 50/2012 unterliegen Familienangehörige (§ 2 Abs. 4 Z. 12) der Visumpflicht. Für sie gelten die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 41a, 65a Abs. 2, 66, 67 und 70 Abs. 3.

 

Gemäß § 2 Abs. 4 Z. 12 FPG ist Familienangehöriger: wer Drittstaatsangehöriger und Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind ist (Kernfamilie); dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, die Drittstaatsangehörige sind.

 

3.2.2. Im vorliegenden Fall ist zunächst unbestritten, dass der Bw schon seit über 20 Jahren mit einer ursprünglich kroatischen, seit dem Jahr 2004 aber österreichischen Staatsangehörigen verheiratet ist, mit der er auch im selben Haushalt lebt. Er fällt somit als Ehegatte einer solchen unter den Begünstigtenkreis des § 65b iVm. § 2 Abs. 4 Z. 12 FPG.

 

Die Verhängung von Aufenthaltsverboten für EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige ist in § 67 FPG geregelt, der durch § 65b FPG als anwendbar erklärt wird.

 

3.3.1. Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

 

3.3.2. Nachdem sich der Bw seit rund 16 Jahren, davon aber lediglich seit 8 Jahren im Bundesgebiet aufhält, der Gesetzeswortlaut zwar nicht explizit einen rechtmäßigen Aufenthalt postuliert, ein solcher aus der Bestimmung jedoch klar gefordert scheint, kommt § 67 Abs. 1 vorletzter Satz FPG im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung.

 

Es ist – im Hinblick auf die oa Bestimmung - nun zu prüfen, ob das Verhalten des Bw auch aus derzeitiger Sicht geeignet erscheint, die öffentliche Ordnung oder Sicherheit tatsächlich, gegenwärtig und erheblich zu gefährden.

 

Bei Interpretation des unbestimmten Gesetzesbegriffs "tatsächlich" ist festzuhalten, dass darunter sowohl eine nach Intensität als auch Konstanz vorliegende Wirksamkeit angesprochen wird. Als Synonym bzw. Deskription von tatsächlich könnte demnach auch "wirksam geststellbar", im Umkehrschluss: nicht fiktiv, verstanden werden.

 

Zum Vorliegen des Tatbestandselements der Gegenwärtigkeit bedarf es eines Sachverhalts, dessen Wirkungen nicht schon in der Vergangenheit erschöpft, sondern auch zumindest in die Gegenwart reichend anzusehen sind. Dies impliziert jedoch auch die Beurteilung einer aus Sicht des gegenwärtigen Augenblicks erstellten Zukunftsprognose.

 

"Erheblich" wiederum bedeutet in etymologischer Herleitung: "Schwer genug, um die Waagschale zu heben". Ursprünglich aus dem Rechtsbegriff Relevanz abgeleitet, übersteigt "erheblich" in der Gemeinsprache den Ursprungsbegriff der Intensität nach.

 

Die eben dargestellten Tatbestandselemente müssen zur Rechtfertigung eines Aufenthaltsverbotes kumulativ gegeben sein.

 

3.3.3. Im vorliegenden Fall wurde der Bw mit Urteil des LG Wels, zu Zl.: 12 HV 170/11p, vom 8. März 2012, rechtskräftig mit 19. März 2012, wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach dem § 28a Abs. 1 2. und 3. Fall SMG, des Verbrechens des Suchtgifthandels nach dem § 28a Abs. 1 5. Fall SMG sowie des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach dem § 28 Abs. 1 1. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon 12 Monate bedingt, verurteilt.

 

Der Bw wurde dabei schuldig gesprochen, in Wels und an anderen Orten vorschriftswidrig Suchtgift in einer der Grenzmenge (§ 28b) übersteigenden Menge ein- und ausgeführt zu haben, und zwar indem der Bw zu nachgeführten Zeiten nachgenannte Cannabiskrautmengen mit einem Reinheitsgehalt von 5,6 % von den Niederlanden aus-, durch Deutschland durch- und nach Österreich einführte, und zwar:

Etwa im März 2011 zumindest 1 kg Cannabiskraut; etwa Ende März 2011 zumindest etwa 500 g Cannabiskraut; am 13. August eine nicht näher festzustellende Menge Cannabiskraut; am 18. September 2011 2.045 g Cannabiskraut netto mit einer Reinsubstanz von 114 +/- 8,7 g Delta-9-THC.

Weiters wurde er schuldig gesprochen, Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b) übersteigenden Menge anderen überlassen zu haben, indem er in der Zeit von etwa März 2011 bis zuletzt am 13. August 2011 insgesamt 1,5 kg Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von etwa 5,6 % an X zum Zwecke des Weiterverkaufes übergeben habe.

Weiters wurde er schuldig gesprochen, am 18. September 2011 Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge (§ 28b), nämlich 2.045 g Cannabiskraut netto mit einer Reinsubstanz von 114 +/- 8,7 g delta – 9 – THC mit dem Vorsatz besessen zu haben, dass es in Verkehr gesetzt werde.

 

3.3.4.1. Die Verhinderung von Straftaten gerade im so sensiblen Bereich der Suchtgiftkriminalität, insbesondere wenn sie in der hier vorliegenden der gehandelten Menge nach massiven Form gegeben ist, zählt unbestritten zum Grundinteresse der Gesellschaft, auf dem die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit basiert. Zu den von der Suchtgiftkriminalität ausgehenden und diese begleitenden Gefährdungen darf – um Wiederholungen zu vermeiden – diesbezüglich auf die völlig zutreffenden Ausführungen der belangten Behörde verwiesen werden.

 

3.3.4.2. Maßgeblich ist aber nicht primär, dass eine strafgerichtliche Verurteilung ausgesprochen wurde, sondern dass im Sinne einer Prognoseentscheidung das gegenwärtige und zukünftige Verhalten einer Person im Lichte einer strafgerichtlichen Verurteilung rechtlich zu würdigen ist. Es ist also im konkreten Einzelfall zu analysieren, ob davon ausgegangen werden kann, dass sich der Bw hinkünftig rechtskonform verhalten wird bzw. ob sein Aufenthalt eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die oa. Schutzgüter darstellt.  

 

3.3.4.3. Es zeugt fraglos von evidenter krimineller Energie, Suchtgifthandel in einem erstaunlich hohem Umfang zu betreiben. Allein schon die Tatsache, dass der Bw offensichtlich am Handel von einer besonders großen Menge Cannabiskraut profitieren wollte, zeigt einen im Grunde menschenverachtenden und unverantwortlichen Zugang des Bw zu den Werten der Gesellschaft.

 

An dieser Feststellung ändert es so auch nichts, wenn der Bw anführt, lediglich als Fahrer des LKW und nicht als Drahtzieher der Verbrechen aufgetreten zu sein. Auch, dass er pro "Kurier-Fahrt" nur 500 Euro erhielt, ist nicht geeignet das kriminelle Potential als gering zu erachten. Zu betonen ist weiters, dass der Bw seine illegalen Dienste über den Zeitraum von immerhin einem halben Jahr ausführte. Das nachträgliche Wohlverhalten steht zwar bislang außer Zweifel, allerdings ist der Zeitraum für diese Beobachtung jedenfalls noch zu kurz, um einen Wegfall der kriminellen Energie tatsächlich annehmen zu können. Seine auch schon zuvor gegebene berufliche und soziale Integration hatte ihn nicht davon abgehalten massiv straffällig zu werden, weshalb diese Umstände auch jetzt nicht zielführend vorgebracht werden können.

 

All dies regt schlussendlich auch zur Bejahung der Gegenwärtigkeit der von ihm ausgehenden Gefahr an. In Anbetracht der hohen Sozialschädlichkeit von Drogendelikten und angesichts der in diesem Bereich notorisch feststellbaren hohen Rückfallsquoten ist sowohl die tatsächliche als auch die erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit gegeben.

Es kann jedenfalls – angesichts der doch gefestigten kriminellen Verhaltensweisen des Bw – zum jetzigen Zeitpunkt nicht geschlossen werden, dass nunmehr das oben beschriebene Gefährdungspotential von ihm nicht mehr ausgeht und die unbestritten vorhandene kriminelle Energie nicht mehr vorliegt.

 

Die nunmehr behauptete, geänderte Einstellung des Bw zu den rechtlich geschützten Werten muss sich erst nach einem gewissen Beobachtungszeitraum beweisen, um eine positive Zukunftsprognose erstellen zu können.

 

3.3.4.4. Ohne den Grundsatz in dubio pro "reo" außer Acht zu lassen, folgt das erkennende Mitglied des Oö. Verwaltungssenates im Grunde der Ansicht der belangten Behörde, dass das Verhalten des Bw auch zum jetzigen bzw. zukünftigen Zeitpunkt eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefährdung des Grundinteresses der Gesellschaft an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in Form des Schutzes der Gesellschaft, vor allem von jungen Menschen und deren Gesundheit wie auch nicht zuletzt der Verhinderung von Straftaten bildet. Gleich hier soll aber auch angemerkt werden, dass das kriminelle Potential, wenn auch tatsächlich, gegenwärtig und erheblich" keinesfalls als "überdurchschnittlich" hoch erkannt werden kann.

In diesem Sinn wäre die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Bw fraglos gerechtfertigt. Allerdings ist bei der Beurteilung des Falls auch auf § 61 FPG bzw. Art. 8 EMRK Bedacht zu nehmen.

 

3.4.1. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG ist, sofern durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der        bisherige          Aufenthalt des Fremden rechtmäßig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des      Asyl-          Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem   Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren   Aufenthaltstatus bewusst waren;

9.      die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes in den Behörden       zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 FPG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein  aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

3.3.2. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessensabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen  Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

3.4.2. Es ist festzuhalten, dass es gestützt auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte grundsätzlich zulässig und erforderlich ist, Maßnahmen zu ergreifen, um Straftaten durch Fremde dauerhaft im Bundesgebiet zu unterbinden, da ein solcher rechtswidriger Status fraglos dazu geeignet ist, die öffentliche Ordnung und Sicherheit eines Staates massiv zu beeinträchtigen. Wiederum wird zur Vermeidung von Wiederholungen auch auf Punkt 3.3. dieses Erkenntnisses verwiesen. Daraus folgt, dass das diesbezügliche öffentliche Interesse hoch anzusetzen ist und ein Aufenthaltsverbot grundsätzlich ein nicht inadäquates Mittel darstellt, um einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen und zu erhalten. Dies gilt jedoch nur insofern, als die privaten bzw. familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

3.4.3. Es ist nun festzustellen, dass im Fall des Bw sowohl das Familien- als auch das Privatleben hinsichtlich der Interessensabwägung gemäß § 61 Abs. 2 FPG zu erörtern sind, da der Bw mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet ist und mit ihr nicht nur im selben Haushalt lebt, sondern darüber hinaus eine gemeinsame Tochter hat.

 

3.4.4.1. Wie sich aus dem Sachverhalt ergibt, befindet sich der Bw seit rund 16   Jahren im Bundesgebiet, wobei der Aufenthalt erst die letzten 8 Jahre durchgängig rechtmäßig war. 

 

3.4.4.2. In beruflicher Hinsicht kann dem Bw eine durchaus gelungene Integration zugemessen werden, zumal er weitgehend einer legalen Beschäftigung nachging und selbsterhaltungsfähig scheint.

 

Auch die soziale Integration ist aufgrund des langjährigen Aufenthalts als vorliegend anzuerkennen, da der Bw nicht nur durch die Familie Anknüpfungspunkte zum Bundesgebiet hat, sondern diese auch durch entsprechende Deutschkenntnisse dokumentieren kann.

Entschieden ist aber darauf hinzuweisen, dass der Bw die – in der Berufung relevierte - enge Bindung seiner sportlich erfolgreich aktiven Tochter zur österreichischen Republik nicht als Gradmesser seiner eigenen Integration für sich selbst ins Treffen führen kann.

 

3.4.4.3.  Es besteht ein tatsächliches Familienleben mit seiner Ehegattin, wobei schon hier anzumerken ist, dass deren Interessen im Sinne des § 61 Abs. 3 FPG besonders zu berücksichtigen sein werden, zumal sie österreichische Staatsangehörige ist. Das Privat- und Familienleben des Bw erscheint auch aus diesem Grund schützenswert.

 

Die rund 19-jährige Tochter, die ebenfalls österreichische Staatsangehörige ist, und deren Interesse am Verbleib des Vaters im Bundesgebiet, sind in der Interessensabwägung weniger stark zu berücksichtigen, da hier aufgrund der Volljährigkeit wohl keine wirtschaftliche Abhängigkeit oder ein gemeinsamer Haushalt berücksichtigt werden könnten.

 

3.4.4.4. Dem volljährigen Bw, der im Heimatland aufgewachsen war, dort sprachlich sowie kulturell offenbar sozialisiert ist und der in Bosnien auch noch ein Haus besitzt, könnte eine allfällige Reintegration wohl zugemutet werden. Es ist aber unbestritten, dass die Trennung von seiner Familie in Österreich einen gravierenden Einschnitt in seine persönlichen Interessen darstellt.

 

3.4.4.5. Zu den strafgerichtlichen Verurteilungen wird auf Punkt 3.3. dieses Erkenntnisses verwiesen.

 

3.4.4.6. Das Privat- und Familienleben entstand nicht erst zu einem aufenthaltsrechtlich unsicheren Zeitpunkt. Genau so wenig können Verzögerungen von Seiten der Behörden festgestellt werden.

 

3.4.5. Insgesamt ist festzustellen, dass sowohl die öffentlichen Interessen an der dauerhaften Außerlandesschaffung des Bw als auch seine persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet stark ausgeprägt sind. Der besonders lange Aufenthalt des Bw im Bundesgebiet und die daraus resultierende hervorragende Integration geben im Rahmen der konkret vorzunehmenden Einzelfallprüfung genau so den Ausschlag wie vor allem das Interesse seiner Ehegattin, einer österreichischen Staatsangehörigen, bei der die Trennung von ihrem Gatten (die Ehe besteht seit über 20 Jahren) besonders gravierend ins Gewicht fallen würde.

 

Der Bw kann sich somit durchschlagend auf den Schutz seines Privat- und Familienlebens berufen, weshalb die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen ihn nicht zulässig erscheint.

 

3.5.1. Es war daher der Berufung stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

 

3.5.2. Da der Bw offenbar der deutschen Sprache ausreichend mächtig ist, konnte die Übersetzung des Spruchs sowie der Rechtsmittelbelehrung dieses Bescheides gemäß § 67 Abs. 5 iVm. § 59 Abs. 1 FPG unterbleiben. 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 14,30 Euro (Eingabegebühr) 19,50 Euro (Beilagen) insgesamt: 33,80 Euro angefallen.

 

 

Bernhard Pree

 

 

 

 

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