Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-166900/8/Fra/CG

Linz, 20.08.2012

 

 

 

 

E r k e n n t n i s

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Johann Fragner über die Berufung des Herrn G. B., x, vertreten durch x, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz vom 04.04.2012, AZ: S-55531/11-VP, betreffend Übertretungen der StVO 1960, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 13. August 2012, zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt; der Berufungswerber hat keine Verfahrenskostenbeiträge zu entrichten.

 

 

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24 und 45 Abs.1 Z.1 VStG; § 66 Abs.1 VStG

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1.                  Die Bundespolizeidirektion Linz hat mit dem in der Präambel angeführten Straferkenntnis über den Berufungswerber (Bw)

 

a) wegen Übertretung des § 4 Abs.1 lit.a StVO 1960 gemäß § 99 Abs.2 lit.a leg.cit. eine Geldstrafe von 140,00 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage) und

b) wegen Übertretung des § 4 Abs.2 StVO 1960 gemäß § 99 Abs.2 lit.a leg.cit. eine Geldstrafe von 140 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage) verhängt, weil er

am 11.10.2011 um 16:15 Uhr in Linz, Volksfeststraße aus Richtung xstraße kommend, Fahrtrichtung x, Bereich Kreuzung xstraße – xstraße (beim Einbiegen nach rechts in die Dinghoferstraße) das KFZ, LKW x mit dem Kennzeichen x gelenkt hat und

a) es als Lenker unterlassen hat, nach einem Verkehrsunfall mit dem sein Verhalten am Unfallsort in ursächlichem Zusammenhang stand, sein Fahrzeug sofort anzuhalten und

b) als Lenker des o.a. Kraftfahrzeuges an einem Verkehrsunfall mit Personenschaden beteiligt war und somit als Person deren Verhalten am Unfallsort mit diesem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang stand, nicht sofort die nächste Sicherheitsdienststelle verständigt hat.

 

Ferner wurde gemäß § 64 VStG jeweils ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 10 % der verhängten Geldstrafe vorgeschrieben.

 

2. Dagegen richtet sich die durch den ausgewiesenen Vertreter rechtzeitig eingebrachte Berufung. Die Bundespolizeidirektion Linz – als nunmehr belangte Behörde – legte das Rechtsmittel samt bezughabendem Verwaltungsstrafakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vor, der, weil jeweils 2.000,00 Euro nicht übersteigende Geldstrafen verhängt wurden, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied (§ 51c erster Satz VStG) zu entscheiden hat.

 

3.                  Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 13. August 2012. An dieser Verhandlung haben der Bw sowie sein Vertreter, Herr x, teilgenommen. Der Bw wurde zum Sachverhalt befragt. Weiters hat der Amtssachverständige für Verkehrstechnik, Herr x, ein Gutachten erstattet.

 

4.                  Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

Unstrittig ist die Lenkereigenschaft. Weiters steht fest – wie die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses bereits ausgeführt hat – dass der Bw an der Kreuzung mit der Dinghoferstraße nach rechts abgebogen ist und zur selben Zeit auf der Volksfeststraße in der gleichen Richtung der Unfallbeteiligte Herr O. mit seinem Fahrrad unterwegs war. An der gegenständlichen Kreuzung beabsichtigte dieser die Dinghoferstraße in gerader Richtung in Richtung Hessenplatz zu übersetzen. Im Bereich der Kreuzung zwischen dem vom Bw gelenkten LKW und dem von Herrn O. gelenkten Fahrrad kam es zu einer Streifung, wobei am rechten hinteren Radkasten des vom Bw gelenkten Kraftfahrzeuges deutlich sichtbare Schleifspuren im vorderen Bereich ersichtlich waren bzw. am Vorderrad des Fahrrades ein deutlich blauer Farbabrieb. Der Radfahrer wurde darüber hinaus leicht verletzt.

 

Der Bw führte stets aus, vom Verkehrsunfall nichts bemerkt zu haben. Er habe keinen Radfahrer gesehen, er habe auch nichts von einem Anstoß gehört, gesehen oder verspürt.

 

Die belangte Behörde hat im erstinstanzlichen Verfahren ein verkehrstechnisches Gutachten zu der Frage eingeholt, ob der Bw den gegenständlichen Verkehrsunfall wahrgenommen hat bzw. ob er diesen bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte wahrnehmen müssen. Der Sachverständige Herr E. H. ist in seinem Gutachten vom 20. Februar 2012, VerkR-210000/2737-2012-He, zum Ergebnis gelangt, dass nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass der Bw den Anstoß als Stoßreaktion ("Ruck") wahrgenommen hat, da nicht sichergestellt werden kann, dass der bei der Kontaktierung zwischen dem PKW und dem Fahrrad entstandene "Ruck" die Wahrnehmungsschwelle des Bw überstiegen hat. Weiters ist der Sachverständige zum Ergebnis gelangt, dass nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass der gegenständliche Verkehrsunfall für den Bw als akustisch wahrnehmbar einzustufen war. Allerdings ist der Sachverständige auch zum Ergebnis gelangt, dass der Bw das von Herrn T. O. gelenkte Fahrrad sowie Herrn O. selbst während des Abbiegemanövers über den rechten Außenspiegel wahrnehmen konnte.

 

In seinem Rechtsmittel gegen dieses Straferkenntnisses bringt der Bw unter anderem vor, dass das o.a. Gutachten unvollständig sei. Es habe nicht objektiviert werden können, wo der "Geschädigte" Obristhofer vor dem Unfall mit seinem Fahrrad gestanden sei. Auch die Feststellung bzw. Vermutung der belangten Behörde, dass der Radfahrer im Seitenspiegel gesehen werden hätte können, habe nicht verifiziert werden können. Alleine aus der optischen Wahrnehmbarkeit hätte auch noch nicht die tatsächliche Wahrnehmbarkeit des Unfalls folgen müssen. Primäre Kriterien für die Erkennbarkeit eines Unfalles gerade im hinterer Bereich des KFZ können daher allenfalls nur die kinetische und die akustische Wahrnehmbarkeit gewesen sein. Diese seien vom Sachverständigen ausgeschlossen worden. Es sei zwar einem rechts Einbiegenden zuzumuten, vor Antritt der Fahrt in den rechten Außenspiegel zu sehen. Während des rechts Abbiegemanövers in eine Straße, bei der von links bekanntermaßen sehr viel und schnell fahrender Verkehr herannahe, sei es jedoch unstrittig so, dass das Hauptaugenmerk auf jenen Verkehr zu lenken sei.

 

Der Bw stellt den Antrag, der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich möge das angefochtene Straferkenntnis ersatzlos beheben und das Verwaltungsstrafverfahren einstellen; in eventu das angefochtene Straferkenntnis aufheben und in Anwendung des § 21 VStG von einer Strafe absehen; in eventu das Strafausmaß auf ein zumutbares Maß herabsetzen.

 

Der Oö. Verwaltungssenat stellt dazu vorerst in rechtlicher Hinsicht fest, dass das behauptete Nichtbemerken des Verkehrsunfalles den Bw noch nicht von der Erfüllung der ihm zur Last gelegten Tatbestände in subjektiver Hinsicht entlastet. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes handelt auch derjenige fahrlässig, dem bei gehöriger Aufmerksamkeit objektive Umstände zum Bewusstsein hätten kommen müssen, was die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles zu erkennen vermocht hätte.

 

In Befolgung dieser Judikatur hat bereits – siehe oben – die belangte Behörde ein verkehrstechnisches Gutachten zu der Frage eingeholt, ob der Schadenseintritt für den Bw bei gehöriger Aufmerksamkeit wahrnehmbar war. Der Sachverständige H. hat die kinetische sowie die akustische Wahrnehmung verneint, jedoch die optische (visuelle) Wahrnehmung bejaht.

 

Bei der Berufungsverhandlung hat der Amtssachverständige x ebenfalls ein Gutachten zur Wahrnehmbarkeit des Verkehrsunfalles erstattet. Dieses ist vom Oö. Verwaltungssenat aufgrund des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (§ 51i VStG) zu Grunde zu legen. Der Sachverständige hat bei der Beschreibung der Schadensbilder unter anderem ausgeführt, dass mit seinem eigenen PKW sowie mit seinen eigenen Fahrrädern die Situation nachgestellt wurde. Dabei habe aufgrund der Lackspuren am Felgenhorn des Fahrrades eindeutig erarbeitet werden können, dass die Kollisionssituation sich so ereignet hat, dass das Fahrrad in den Radlauf bzw. Radkasten eingefahren ist.

 

Der Sachverständige hielt fest, dass je nach Spiegeleinstellung des rechten Außenspiegels in der Kollisionsposition entweder der Abstand zwischen dem Lenker zur Karosserie oder auch das vordere Rad erkennbar ist. Dies hängt sehr stark von der jeweiligen Spiegeleinstellung des rechten Außenspiegels ab. Im schlechtesten Falle erkenne man den Abstand zwischen dem Lenker des Fahrrades und der Karosserie. Dabei ergebe sich ein Abstand in der Größenordnung von ca. 20 cm. Das sei augenscheinlich der erkennbare Abstand zwischen dem Fahrradfahrer und dem PKW. Nachdem in dieser Spiegeleinstellung das Vorderrad nicht erkennbar sei, gebe es keinen weiteren Anhaltspunkt zur Abstandseinschätzung. Wenn man davon ausgeht, dass die Spiegeleinstellung so gewählt war, dass sie weiter nach unten geneigt ist, bestehe die Möglichkeit, dass das Vorderrad im Blickfeld des Außenspiegels liege und man da zwischen dem Vorderrad und dem PKW einen sehr geringen Abstand erkennen müsse.

 

Der Sachverständige hielt weiters fest, dass, weil das Fahrzeug des Bw in Bewegung war und sich in einem Rechtsbogen befand, auch wenn man den aus Sicht des Radfahrers günstigsten Spiegelblick annehme, der Bw diese Situation nur in Sekundenbruchteilen erkennen habe können. Bei der gegenständlichen Ausführung des vom Bw gelenkten KFZ handelt es sich um einen Klein-LKW. Nur die Seitenscheiben auf der Fahrer- und Beifahrerseite sind aus Glas, die anderen Seiten sind verblecht. Das heißt, dass ein Schulterblick im gegenständlichen Fall nach rechts keine Erweiterung des Sichtfeldes bringen würde, da eben nach der B-Säule sich kein weiteres Sichtfeld eröffnet. Eine optische Wahrnehmung der Kollision ergebe sich bei optimaler Spiegeleinstellung im Zuge des Rechtsabbiegens in einem Zeitfenster, das mit Sekundenbruchteilen zu beziffern ist.

 

Im Hinblick auf den großen Unterschied der stoßenden Massen sei ebenfalls nicht davon auszugehen, dass der Bw den Anstoß des Fahrrades als Ruck wahrnehmen habe können.

 

Im Hinblick auf eine akustische Wahrnehmung hielt der Sachverständige fest, dass aufgrund der Kontaktspuren zwischen der Felge und dem Radlauf alleine nicht von einer sicheren akustischen Wahrnehmung auszugehen ist. Eine sichere akustische Wahrnehmung wäre aus technischer Sicht gegeben, wenn nachgewiesen werden könnte, dass z.B. der Lenker mit der Lenkstange des Fahrrades mit dem PKW in Kontakt gekommen ist. Dazu halte er fest, dass beim Beschuldigtenfahrzeug nur die Kratzspuren im Bereich des Radlaufes seitens der Polizei festgestellt werden konnten. Aufgrund der augenscheinlichen Auswertung der Bilder sind beim Beschuldigtenfahrzeuge keine weiteren Kontaktspuren erkennbar. Auch beim Fahrrad ist nicht bekannt, ob in Fahrtrichtung gesehen, links irgendwelche Kontaktspuren vorliegen. Die von der Polizei dokumentierten Kontaktspuren rechts können dem Umfallen eines Fahrrades zugewiesen werden. Es kann sich aber auch oder zumindest zum Teil um Gebrauchsspuren handeln. Daher sei aus technischer Sicht der sichere Nachweis einer akustischen Wahrnehmung nicht zu führen.

 

Unter Zugrundelegung dieses Gutachtens ist daher vom Oö. Verwaltungssenat die entscheidungswesentliche Frage zu beantworten, ob der Bw verpflichtet gewesen wäre, genau in dem Zeitfenster – also Sekundenbruchteile – in dem die Berührung mit dem Fahrrad stattgefunden hat, den Blick in Richtung Fahrrad zu richten. Der gesamte Einbiegevorgang (nicht protokolliert) dauert ca. 3 Sekunden. Hätte der Bw während des gesamten Einbiegevorganges den Blick nach rechts bzw. in den rechten Außenspiegel gerichtet, hätte er die Streifung des Radfahrers visuell wahrnehmen müssen. Die Kollision des Radfahrers dauerte jedoch lediglich einen Sekundenbruchteil (ca. 0,3 Sekunden). Es stellt sich sohin die Frage, ob der Bw verpflichtet gewesen wäre, während der gesamten Dauer des Einbiegevorganges nach rechts zu blicken. Diese Frage ist zu verneinen, denn es ist zu bedenken, dass es sich bei der Dinghoferstraße um eine stark befahrene zweispurige Einbahnstraße handelt. Zum Tatzeitpunkt hat auch bereits der Stoßverkehr eingesetzt. Vor dem Hintergrund der ständigen Rechtssprechung des VwGH, wonach ein Lenker verpflichtet ist, den Verkehrsgeschehnissen die volle Aufmerksamkeit zu widmen, war sohin der Bw primär verpflichtet, seinen Blick nach links in Fahrtrichtung des bevorrangten Verkehrs zu richten. Der Vertreter des Bw führte bei der Berufungsverhandlung auch zutreffend aus, dass die Situierung der gegenständlichen Kreuzung jedenfalls dazu geeignet ist, dass der Bw primär Richtung links seine Aufmerksamkeit gerichtet hat. Zudem muss zusätzlich auf allenfalls die Fahrbahn querende Fußgänger geachtet werden. Der Radfahrer hat lt. schlüssigem Gutachten des Sachverständigen sein Fahrrad nicht vor dem LKW des Bw bei der gegenständlichen Kreuzung angehalten, sondern ist dieser von hinten in den LKW des Bw gefahren. Da es im konkreten Fall vom Aspekt der Verkehrssicherheit besonders wichtig war, dass der Bw seine Aufmerksamkeit nach links bzw. geradeaus gewendet hat, der Radfahrer von hinten in sein Fahrzeug gefahren ist und die Kollision lediglich einen Sekundenbruchteil gedauert hat, musste dem Bw visuell nicht zu Bewusstsein kommen, dass es bei diesem Abbiegevorgang zu einem Verkehrsunfall gekommen ist. Ein Verschulden ist nicht mit Sicherheit nachweisbar.

 

Da es sohin dem Bw mit seinem Vorbringen gelungen ist, die Fahrlässigkeitsvermutung im Sinne des § 5 Abs.1 zweiter Satz VStG zu entkräften, war spruchgemäß zu entscheiden.

 

5. Die Kostenentscheidung ist gesetzlich begründet.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

Dr. Johann Fragner

 

 

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum