Linz, 05.09.2012
E r k e n n t n i s
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufung des X, geb. X, StA von Rumänien, vertreten durch Rechtsanwalt X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 6. Juli 2012, AZ: 1072880/FRB, mit dem über den Berufungswerber ein auf 3 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot verhängt wurde, zu Recht erkannt:
Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.
Rechtsgrundlage:
§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG
§ 65 iVm § 67 Abs. 1 und 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005, BGBl I 2005/100 idF BGBl I Nr. 87/2012
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 6. Juli 2012, AZ: 1072880/FRB, wurde über den Berufungswerber (im Folgenden: Bw) ein auf drei Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen und ihm von Amts wegen ein einmonatiger Durchsetzungsaufschub gewährt. Als Rechtsgrundlagen werden § 67 Abs. 1 und 2 sowie § 70 Abs. 3 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF. genannt.
1.2. Gegen den angefochtenen Bescheid – dem Bw persönlich zugestellt mittels Polizeiorgan am 7. August 2012 – erhob der Bw mit Fax vom 21. August 2012 rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung.
In der Berufung führt der Bw im Wesentlichen aus, dass er in den Besitz des Schreibens vom 6. Juni 2012, mit dem ihm Gelegenheit eingeräumt worden wäre, eine Stellungnahme abzugeben, nicht gelangt sei und liege ein solches Schreiben auch nicht vor.
Ihm sei im gegenständlichen Verfahren nicht entsprechend mitgeteilt worden, dass ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen werde. Es werde daher seinerseits bestritten, dass er Gelegenheit erhalten habe, sich iSd. § 45 Abs. 3 AVG zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes zu äußern bzw. vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung zu beziehen.
Da die Erstbehörde gegenständliche Verfahrensvorschrift aus seiner Sicht verletzt habe, werde schon aus diesem Grund der gegenständliche Bescheid aufzuheben sein.
Die gegenständliche Verurteilung des Landesgerichtes Linz wegen § 127, § 130 1. Fall, § 15 Abs. 1 StGB werde vom Bw nicht in Abrede gestellt. Er habe hierfür eine empfindliche Freiheitsstrafe mit einer Probezeit von 3 Jahren erhalten.
Er bestreite jedoch, dass einerseits die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei und andererseits die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes iSd. § 61 Abs. 2 PFG im Zuge der zwingend vorzunehmenden Interessenabwägung bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens zu verhängen gewesen sei. Er lebe in ständiger Lebensgemeinschaft mit Frau X, geb. X, rumänische StA, CX. Seine Lebensgefährtin arbeite bei der Fa. X, in der X als Servierkraft und verdiene dort ca. 1 200 Euro netto pro Monat. Die beiden planten eine Verehelichung, die in den nächsten Tagen stattfinden werde.
Die beiden hätten einen Kinderwunsch, weshalb sie im Kinderwunschzentrum X an der X in der X in Behandlung seien. Bei den bevorstehenden Terminen sei es notwendig, dass der Bw und seine Lebensgefährtin zusammen zu diversen medizinischen Untersuchungen in Zukunft erscheinen würden.
Es sei daher nicht nur das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens gegeben, vielmehr auch die Schutzwürdigkeit des Privatlebens.
Bis zur angeführten Straftat sei der Bw strafgerichtlich unbescholten gewesen. Auch seit Begehung der strafbaren Handlung im August 2011 habe er keinerlei verwaltungs- bzw. gerichtlich strafbares Verhalten gesetzt.
Dies sei aufgrund der verhängten Probezeit im Ausmaß von 3 Jahren auch nicht zu erwarten. Auch aus generalpräventiven Gründen sei eine Doppelsanktionierung im Sinne der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger nicht geboten, zumal die Verhängung einer gerichtlichen Probezeit an sich bereits bedinge, dass ihm seitens des Gerichtes die Chance auf Bewährung zuerkannt worden sei.
Es sei jegliche Begründung unterlassen worden, warum gerade die Dauer von 3 Jahren als Aufenthaltsverbot herangezogen worden sei. Ein Begründungsmangel könne einen wesentlichen Verfahrensmangel iSd. § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c. VwGG bilden (VwGH 29.11.1982, Zl. 82/12/0079). Der angefochtene Bescheid werde daher auch aus diesem Grunde aufzuheben sein.
Als wesentlich sei jedenfalls festzustellen, dass sein mehr als 1 Jahr zurückliegendes persönliches Verhalten nicht mehr eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Nach § 67 Abs. 1 FPG seien strafrechtliche Verurteilungen alleine nicht ohne weiteres dazu geeignet, dieses Verhalten mit einem Aufenthaltsverbot zu sanktionieren.
Die Erstbehörde habe selber ausgeführt, dass der von dem Bw begangene Diebstahl teilweise versucht gewesen sei und einen Gesamtschaden von unter 500 Euro verursacht habe, wobei dieser Schaden in Folge Unterbleibens der Vollendung nur zum Teil eingetreten sei.
Bei Berücksichtigung der oben angeführten Umstände sei im Hinblick auf die Beurteilung des Privat- und Familienlebens iSd. Art. 8 EMRK gem. § 61 Abs. 2 FPG festzustellen gewesen, dass die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes unzulässig sei.
Da der Bw zudem ledig und ohne Kinder (derzeit) sei, den Mittelpunkt seines Lebensinteresses hier bei seiner Lebensgefährtin und zukünftigen Familie verbringe, werde dieser Umstand entsprechend zu berücksichtigen sein. Nach der in Kürze geplanten Verehelichung werde der Bw umgehendst eine Beschäftigungsbewilligung durch das AMS X erhalten und werde ihm daher die Möglichkeit gegeben werden, in ein entsprechendes Erwerbsleben in Österreich einzusteigen und seinen Lebensunterhalt für ihn, seine Freundin und deren zukünftiges Kind zu verdienen. Entsprechende Einstellungszusagen werde der Bw im Berufungsverfahren noch zur Vorlage bringen.
Abschließend stellt der Bw die Anträge
1. Die Berufungsbehörde wolle den angefochtenen Bescheid wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufheben, der Erstbehörde zur Verfahrensergänzung und zur Erlassung eines neuerlichen Bescheides zurückverweisen., in eventu
2. den angefochtenen Bescheid wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung aufheben und das gegen ihn auf die Dauer von 3 Jahren befristete Aufenthaltsverbot widerrufen, jedenfalls
3. eine mündliche Berufungsverhandlung unter Wahrung seiner Parteieneinvernahme anberaumen.
2.1. Mit Schreiben vom 21. August 2012, eingelangt am 27. August 2012, wurde der gegenständliche Verwaltungsakt von der Bundespolizeidirektion Linz dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt.
2.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt.
Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte – entgegen dem Parteienantrag - abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG). Nachdem die entscheidungsrelevanten Sachverhaltsangaben des Bw in keinster Weise angezweifelt werden, erübrigt sich auch aus diesem Grund eine weitere mündliche Erörterung.
2.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1.1.1. und 1.2. dieses Erkenntnisses dargestellten widerspruchsfreien Sachverhalt aus.
2.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).
3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:
Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens 10 Jahren erlassen werden.
Gemäß § 67 Abs. 3 FPG kann ein Aufenthaltsverbot unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere
1. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;
2. aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);
3. aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder
4. ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger öffentlich in einer Versammlung oder durch Verbreitung von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.
Gemäß § 67 Abs. 4 FPG ist bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände bedacht zu nehmen. Die Frist beginnt mit Eintritt der Durchsetzbarkeit zu laufen.
3.1.2. Beim Bw handelt es sich um einen rumänischen Staatsangehörigen, der von seiner Freizügigkeit Gebrauch machte, indem er sich in Österreich niederließ, also grundsätzlich um eine Person des in § 67 Abs. 1 FPG erster Satz angesprochenen Adressatenkreises. Nachdem sich der Bw – nach Aktenlage - nicht schon seit 10 Jahren im Bundesgebiet aufhält, kommt § 67 Abs. 1 vorletzter Satz FPG nicht zur Anwendung.
3.2.1. Es ist – im Hinblick auf die oa Bestimmung - nun zu prüfen, ob das Verhalten des Bw auch aus derzeitiger Sicht geeignet erscheint, die öffentliche Ordnung oder Sicherheit tatsächlich, gegenwärtig und erheblich zu gefährden.
Bei Interpretation des unbestimmten Gesetzesbegriffs "tatsächlich" ist festzuhalten, dass darunter sowohl eine nach Intensität als auch Konkretheit vorliegende Wirksamkeit angesprochen wird. Als Synonym bzw. Deskription von tatsächlich könnte demnach auch "wirksam feststellbar", im Umkehrschluss: nicht fiktiv, verstanden werden.
Zum Vorliegen des Tatbestandselements der Gegenwärtigkeit bedarf es eines Sachverhalts, dessen Wirkungen nicht schon in der Vergangenheit erschöpft, sondern auch zumindest in die Gegenwart reichend anzusehen sind. Dies impliziert jedoch auch die Beurteilung einer aus Sicht des gegenwärtigen Augenblicks erstellten Zukunftsprognose.
"Erheblich" wiederum bedeutet in etymologischer Herleitung: "Schwer genug, um die Waagschale zu heben". Ursprünglich aus dem Rechtsbegriff Relevanz abgeleitet, übersteigt "erheblich" in der Gemeinsprache den Ursprungsbegriff der Intensität nach.
Die eben dargestellten Tatbestandselemente müssen zur Rechtfertigung eines Aufenthaltsverbotes kumulativ gegeben sein.
3.2.2. Im vorliegenden Fall wurde der Bw am 21. Mai 2012 (rk 25. Mai 2012) vom LG Linz, zu AZ. 27 Hv 180/11 i, wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 1. Fall, 15 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Nötigung nach § 105 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten bedingt auf 3 Jahre verurteilt.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.
2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 26,- Euro (Eingabe- und Beilagengebühr) angefallen.
Bernhard Pree