Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730649/2/BP/JO

Linz, 02.08.2012

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufung des X, StA der Türkei, derzeit aufhältig in der JA X, X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Steyr vom 16. Juli 2012, AZ: 1-1013062/FP/10, mit dem ein Antrag des Berufungswerbers auf Aufhebung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes abgewiesen wurde, zu Recht erkannt:

 

 

      Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid vom        16. Juli 2012 aufgehoben.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Steyr vom 17. Jänner 2008, AZ.: 1-1013062/FP/08, wurde über den Berufungswerber (im Folgenden Bw) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot rechtskräftig erlassen.

 

1.2. Mit Bescheid vom 16. Juli 2012, AZ.: 1-1013062/FP/10, wies die belangte Behörde einen Antrag des Bw auf Aufhebung dieses Aufenthaltsverbotes vom 27. Juni  2012 gemäß § 69 Abs. 2 FPG in der geltenden Fassung zurück.

 

Im angefochtenen Bescheid führt die belangte Behörde wie folgt aus:

 

"Gegen Sie wurde mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Steyr vom 17.1.2008, zu Zahl 1-1013062/FP/08 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet Österreich erlassen.

 

Mit Schreiben vom 27.6.2012 beantragten Sie bei der Bundespolizeidirektion Steyr die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes.

 

Sie geben in Ihrem Antrag an, dass Sie seit 17.1.2005 eine 14 1/2 jährige Freiheitsstrafe verbüßen und die Verurteilung sehr ernst genommen haben. Auch haben sie an Ihrer Persönlichkeitsentwicklung gearbeitet und haben nach Ihrer Haftentlassung konkrete Pläne und Ziele. Sie möchten ihr Leben in Österreich leben und gestalten.

 

Die Behörde hat im Zuge der Beweisführung Ihre Angaben und sonstigen Beweismittel nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung wie folgt gewürdigt:

 

Die Behörde hat nach der Aufnahme von Beweisen zu prüfen, ob ihr diese die erforderliche Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen des maßgeblichen Sachverhalts vermitteln. Die Behörde hat dabei, unter sorgfältiger Berücksichtigung des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung, zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist. Das bedeutet, dass die Behörde nachdem sie alles zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts getan und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen gegeben hat, auf dieser Grundlage, ohne an irgendwelche Regeln gebunden zu sein, schlüssige Folgerungen im Sinne der Denkgesetze ziehen darf. Die dabei vorgenommenen Erwägungen müssen schlüssig sein, das heißt mit den Gesetzen der Logik und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut in Einklang stehen. Der Organwalter hat die Aufgabe, seine ganze Kenntnis zur Anwendung zu bringen, um aus Beweismittel auf die zu beweisende Sache zu schließen.

Unter Beweismittel werden jene Mittel verstanden, die dem zur Entscheidung berufenen Organwalter die sinnlichen Wahrnehmungen bieten, aus denen er die erforderliche Überzeugung über das Vorliegen des maßgeblichen Sachverhalts gewinnen soll.

 

Bei der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes ist von folgender Gesetzeslage auszugehen:

 

Sie beantragten mit Schreiben vom 27.6.2012 bei der Bundespolizeidirektion Steyr die „Aufhebung" des gegen Sie verhängten Aufenthaltsverbotes.

 

Gemäß § 69 Abs. 2 FPG sind eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu ihrer Erfassung geführt haben, weggefallen sind.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl I 2011/38 in wesentlichen Teilen in Kraft.

 

Laut dem unter der Überschrift „Aufenthaltsverfestigung" stehenden § 64 Abs.1 2. 1 FPG darf ein Aufenthaltsverbot gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich aufgrund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, nicht erlassen werden, wenn ihm vor Verwirklichung des maßgebenden Sachverhalts die Staatsbürgerschaft gem. § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985(StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können.

 

Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist in § 125 Abs. 3 FPG jedoch nicht vorgesehen, dass Aufenthaltsverbote auch dann aufzuheben wären, wenn sie bei Geltung des aktuellen FPG im Zeitpunkt Ihrer Verhängung nicht erlassen hätten werden dürfen. Die entsprechende Regelung für den gegenständlichen Fall findet sich in § 125 Abs. 16 FPG. Die Wirkung nachträglicher Änderungen der Rechtslage auf die Rechtskraft von Bescheiden obliegt dem Gesetzgeber und ist hierbei jeweils zu prüfen, ob sich die Norm nur auf künftig zu entscheidende Fälle beziehen soll oder ob ihr auch Rückwirkung zukommt. Eine derartige Bestimmung fehlt in, den Regelungen des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011, weshalb davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber die Ausweitung des Aufenthaltsverbot-Verbotes nur hinsichtlich der Erlassung künftiger Aufenthaltsverbote normieren wollte. Aus den Übergangsbestimmungen kann jedenfalls nicht abgeleitet werden, dass eine Aufhebung bereits rechtskräftiger Aufenthaltsverbote, die bei Geltung der neuen Rechtslage nicht verhängt hätten werden dürfen, vom Gesetzgeber beabsichtigt war.

 

Da Ihr Antragsbegehren in der obzitierten Norm des Fremdenpolizeigesetzes keine Deckung findet und keine materiellrechtliche Norm die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes vorsieht, war spruchgemäß zu entscheiden."

 

1.3. Gegen diesen Bescheid erhob der Bw rechtzeitig Berufung mit Schriftsatz vom 20. Juli 2012.

 

Dabei führt der Bw begründend wie folgt aus:

 

"In meinem Antrag um Aufhebung des gegen mich am 17.01.2008 erlassenen Aufenthaltsverbotes führe ich umfangreich und mit zahlreichen Belegen (Zeugnissen, Therapiebestätigungen, Lehrabschlüsse in zwei Berufen) und Berichten (meiner betreuenden Sozialarbeiterin, meines Therapeuten, meines Lehrherren) aus, dass ich in meiner bisherigen Haftzeit sehr intensiv an mir gearbeitet habe und alles mir mögliche getan habe, um mich für ein Leben in Freiheit vorzubereiten. Somit sind aus meiner Sicht ausreichend Beweismittel für die objektive Beweisführung vorgelegt worden, die meine Persönlichkeitsentwicklung und meine Bemühungen zu einer Resozialisierung und Integration in die österreichische Gesellschaft belegen.

 

Des Weiteren wird dadurch dokumentiert, dass die Gründe für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht mehr gegeben sind (§ 69 Abs. 2 FPG), da ich bewiesen habe, mich an die österreichische Gesetzgebung, österreichische Werte und Normen zu halten und diese zu respektieren. Die Annahme zur Begehung weiterer strafbarer Handlungen, sowie die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, wurden zusätzlich auf den bereits absolvierten, zahlreichen Freiheitsmaßnahmen, sowie durch meine vorbereiteten Nachbetreuungsmöglichkeiten, entkräftet.

 

Die Behörde führt aus, dass aufgrund des seit 1.7.2011 in Kraft getretenen Fremdenrechtsänderungsgesetzes die Voraussetzungen für eine Abschiebung meiner Person nicht mehr gegeben sind, bzw. vom derzeitigen Stand auch kein Aufenthaltsverbot gegen mich erlassen werden würde (§ 64 Abs. 1 Z 1 FPG). Die

Behörde folgert jedoch nicht daraus, dass mein Aufenthaltsverbot aufgehoben werden kann. Hierzu möchte ich anführen, dass eine rechtmäßige Integration in die österreichische Gesellschaft nur mit einem gültigen Aufenthaltstitel möglich ist. Es ist mir ohne Aufenthaltstitel nicht möglich, von einem Arbeitgeber eingestellt zu werden, mich in Österreich zu versichern etc. Auch hierzu habe ich eindeutig belegt, dass eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt bereits von mir vorbereitet wurde.

 

Ich ersuche daher, den von mir gestellten Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes nochmals zu prüfen."

 

 

2.1. Die belangte Behörde legte den in Rede stehenden Verwaltungsakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat mit Schreiben vom 27. Juli 2012 zur Entscheidungsfindung vor.

 

2.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, zumal der entscheidungswesentliche Sachverhalt völlig unbestritten ist, lediglich die Klärung von Rechtsfragen vorzunehmen war und auch die Akten erkennen lassen, dass eine allfällige weiterführende Erörterung für den Sachverhalt ergebnisneutral wäre. Im Übrigen wurde auch kein darauf gerichteter Parteienantrag gestellt.

 

2.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1.1. bis 1.3. dieses Erkenntnisses dargestellten relevanten Sachverhalt aus.

 

2.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

 

3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1. Gemäß § 69 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG idgF. BGBl. I Nr. 50/2012 sind eine Ausweisung und ein Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu ihrer Erlassung geführt haben, weggefallen sind.

 

3.2.1. Im vorliegenden Fall hatte die belangte Behörde einen Antrag des Bw auf Aufhebung des im Jahr 2008 gegen ihn erlassenen unbefristeten Aufenthaltsverbotes zurückgewiesen und damit zum Ausdruck gebracht, dass er zu einem derartigen Antrag nicht legitimiert sei. Für die Annahme der Unzulässigkeit eines Antrags käme zum Einen in Betracht, dass der Bw wegen bereits entschiedener Sache präkludiert sei, andererseits, dass es ihm an der Erfüllung formaler "Zugangskriterien" mangle oder auch insbesondere, dass die gesetzlichen Grundlagen überhaupt keine Antragsmöglichkeit vorsehen würden.

 

3.2.2. Unbestritten ist, dass der Bw vor der Erlassung der Maßnahme über einen Aufenthaltstitel für das österreichische Bundesgebiet verfügte, in dem er - wie sich aus dem Verwaltungsakt ergibt - auch geboren wurde. Nach aktueller Rechtslage müsste somit derzeit ein Aufenthaltsverbot auf § 63 FPG gestützt werden, zumal er nicht unter den Adressatenkreis der §§ 65, 65a oder 65b zu zählen ist.

 

Aus der Überschrift des 5. Abschnittes vor § 68 FPG "Gemeinsame Verfahrensbestimmungen für Ausweisungen Aufenthaltsverbote" wird deutlich, dass Aufenthaltsverbote, sei es auf § 63, sei es auf § 67 FPG gestützt, nach § 69 Abs. 2 FPG hinsichtlich der Aufhebung einer Überprüfung zuzuführen sind. Somit hat die belangte Behörde zurecht diese Gesetzesgrundlage herangezogen.

 

3.3.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dem inhaltlich mit dem aktuellen § 69 Abs. 2 FPG vergleichbaren § 65 Abs. 1 FPG in der vorhergehenden Fassung kann ein Antrag auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes die dafür maßgeblichen Umstände zugunsten des Fremden geändert haben, wobei im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag auch auf die nach der Verhängung des Aufenthaltsverbotes eingetretenen und gegen die Aufhebung der Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen ist.

 

Bei dieser Beurteilung ist maßgeblich, ob eine Gefährlichkeitsprognose weiterhin zu treffen ist, sodass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes erforderlich ist, um eine vom Fremden ausgehende erhebliche Gefahr im Bundesgebiet abzuwenden, und ob die Aufrechterhaltung dieser Maßnahme im Grunde des nunmehrigen § 61 FPG (Schutz des Privat- und Familienlebens) zulässig ist.

 

Da bei der Entscheidung über die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes die Rechtmäßigkeit des Bescheides, mit dem das Aufenthaltsverbot erlassen wurde, nicht mehr überprüft werden kann, ist für den Zeitpunkt der Erlassung des verfahrensgegenständlichen Bescheides nur zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes wegen einer Änderung der Umstände zu Gunsten des Fremden weggefallen sind (vergl. VwGH vom 24.2.2009, 2008/22/0587 und vom 10.11.2009, 2008/22/0848).

 

3.3.2. Genau diese Überprüfung nach § 69 Abs. 2 FPG hat die belangte Behörde jedoch unterlassen, sondern vielmehr dem Bw offenbar die Antragslegitimation ex ante abgesprochen.

 

Sie hätte sich also über die Frage der Zulässigkeit des in Rede stehenden Antrags hinaus mit der Frage der Begründetheit befassen, diese klären und bejahendenfalls dem Antrag stattgeben bzw. verneinendenfalls den Antrag abweisen müssen, wobei aus den Ausführungen im angefochtenen Bescheid die Tendenz einer intendierten Abweisung abzulesen ist. Dabei ist jedenfalls auch auf die diesbezügliche, aktuelle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Bedacht zu nehmen.  

 

3.4.1. Es war daher der Berufung stattzugeben und der erstinstanzliche Bescheid aufzuheben.

 

3.4.2. Nachdem der Bw der deutschen Sprache ausreichend mächtig ist, konnte gemäß § 67 Abs. 5 iVm. § 59Abs. 1 FPG die Übersetzung des Spruchs und der Rechtsmittelbelehrung dieses Bescheides unterbleiben.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 14,30 Euro (Eingabegebühr) angefallen.

 

Bernhard Pree