Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730266/17/SR/WU

Linz, 11.09.2012

 

E r k e n n t n i s

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des X, geboren am X, kosovarischer Staatsangehöriger, vertreten durch Rechtsanwälte X, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmanns von Ried im Innkreis vom 2. März 2010, GZ Sich40-16479, mit dem über den Berufungswerber ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich nach dem Fremdenpolizeigesetz verhängt wurde, nach Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung am 22. August 2012 zu Recht erkannt:

 

 

 

Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

 

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG.

 

 

 


Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmanns von Ried im Innkreis vom 2. März 2010, Sich40-16479, wurde über den Berufungswerber (im Folgenden Bw) gemäß § 87, § 86 Abs. 1 in Verbindung mit § 60 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 Z. 1 sowie § 63 und   § 66 FPG in der zum Erlassungszeitpunkt geltenden Fassung ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich verhängt.

 

Begründend führte die belangte Behörde zum Sachverhalt wie folgt aus:

 

Sie besitzen nicht die österreichische Staatsbürgerschaft, sind kosovarischer Staatsangehöriger und somit Fremder gemäß § 2 Abs. 4 Z. 1 FPG.

 

Ihnen wurde erstmals am 22.06.2004 von der österr. Botschaft Skopje eine bis 30.11.2004 gültige Aufenthaltserlaubnis für Zwecke der Saisonbeschäftigung ausgestellt. Danach waren Sie von 27.07.2004 bis 13.12.2004 in X mit Nebenwohnsitz gemeldet. Über Antrag vom 11.05.2005 stellte Ihnen die1 BPD Wels am 02.06.2005 eine weitere Aufenthaltserlaubnis als Saisonarbeiter, gültig bis 31.10.2005, ausgestellt.

Danach waren Sie im Besitz von Aufenthaltsreisevisa D + C der öB Skopje, gültig von 01.06.2006 bis 31.10.2006 sowie von 15.05.2007 bis 31.10.2007.

 

Jeweils von 26.04.2005 bis 02.11.2005, von 07.06.2006 bis 02.11.2006 sowie von 21.05.2007 bis 05.11.2007 waren Sie wiederum in X mit Hauptwohnsitz gemeldet.

 

Am 19.12.2007 ging bei der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis die Mitteilung einer beabsichtigten Eheschließung zwischen Ihnen und Frau X, geb. X, wohnhaft in X, ein.

 

Am X schlössen Sie mit der österreichischen Staatsbürgerin X, geb. X, beim Standesamt X, Kosovo, die Ehe. Dem Verdacht auf Vorliegen einer sog. "Aufenthaltsehe" haben Sie und Ihre Ehegattin bei mehreren niederschriftlichen Einvernahmen strikt widersprochen.

 

Auf Ihre Eheschließung hin reichten Sie am 23.01.2008 im Wege der österreichischen Botschaft in Skopje einen Antrag auf Erteilung eines Erstaufenthaltstitels "Familienangehöriger" ein. Nach Durchführung eines umfangreichen Ermittlungsverfahrens wurde Ihnen seitens der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis am 17.09.2008 der begehrte Erstaufenthaltstitel "Familienangehöriger" mit freiem Zugang zum Arbeitsmarkt mit Gültigkeit bis 29.01.2009 erteilt. In weiterer Folge brachten Sie am 16.12.2008 bei der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis einen Verlängerungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" ein, über den bislang noch nicht entschieden wurde. Der Grund dafür liegt darin, dass Sie am 29.09.2008 unter GZ B5/13764/2008/1733 vom Stadtpolizeikommando Wels wegen des Verdachtes des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen angezeigt wurden.

 

In diesem Zusammenhang wurden Sie vom Landesgericht Wels unter Zahl 13 Hv 120/09i am 02.11.2009 wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB sowie des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon 12 Monate bedingt nachgesehen unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren, verurteilt (rechtskräftig seit 06.11.2009).

 

Im Einzelnen wurden Sie dabei vom Gericht für schuldig befunden, am X in X X mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt zu haben, indem Sie sie unter Einsatz nicht unerheblicher physischer Kraft zu Boden brachten und in der Folge festhielten. Durch diese Tathandlung haben Sie mit der am X geborenen, sohin im Tatzeitpunkt unmündigen X den Beischlaf unternommen. Weiters wurden Sie schuldig gesprochen, an die Privatbeteiligte X einen Schmerzengeldbeitrag in Höhe von EUR 4.000,00 zu bezahlen. Bei der Strafbemessung war Ihre bisherige Unbescholtenheit mildernd. Erschwerend war das Zusammentreffen strafbarer Handlungen.

 

Seit 01.12.2009 befinden Sie sich im Zusammenhang dieser Verurteilung in Strafhaft, und zwar seit 02.12.2009 in der Justizanstalt X, wobei der Entlassungszeitpunkt mit 01.06.2010 errechnet ist.

 

Mit Schriftsatz der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis von 14.01.2010, Sich40-16479, wurden Sie in Wahrung des Parteiengehörs davon in Kenntnis gesetzt, dass die Fremdenpolizeibehörde auf Grund der von Ihnen in Österreich gesetzten strafbaren Handlungen beabsichtigt, gegen Sie wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gemäß §§ 60 Abs. 2 Z. 1, 86 und 87 Fremdenpolizeigesetz 2005 ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für Österreich zu erlassen.

 

Hiezu bezogen Sie, vertreten durch Rechtsanwalt X, X, mit Schriftsatz vom 28.01.2010 Stellung. Sie verwiesen in diesem Zusammenhang darauf, dass sich auf Grund des bedingt nachgesehenen Teils der Freiheitsstrafe von 12 Monaten aus der Sicht des Strafgerichtes eine günstige Verhaltenprognose ergebe, die auch für die Aufenthaltsbehörde bindend sei. Da somit der Gesamtgehalt der Straftat die fremdenrechtliche Grenze für aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht überschreite, werde um Abstandnahme von den angekündigten Maßnahmen ersucht. Schließlich beantragen Sie zwecks behördlicher Feststellung der günstigen Verhaltensprognose eine Verfahrensergänzung durch Beischaffung des Strafaktes und Einholung eines psychologischen Gutachtens. Außerdem verfügten Sie bei der Firma X, X, über einen sicheren Arbeitsplatz. Schließlich müssten Sie Frau X gegenüber Schadenersatz in Höhe EUR 4.000,00 und der Republik Österreich gegenüber Verfahrenskosten in Höhe von EUR 3.202,70 zahlen. Sie seien natürlich gewillt, diese Verpflichtungen zu erfüllen, doch sei hiefür eine Erwerbstätigkeit in Österreich erforderlich. Aus diesem Grunde bestehe ein öffentliches Interesse am weiteren Aufenthalt in Österreich. Abgesehen von der beruflichen und sozialen Integration bestehe auch eine 100%-ige private Integration. Sie seien mit einer Österreicherin verheiratet, wobei Familie X klar von einem lebenslangen Aufenthalt in Österreich ausgehen würde und keine Alternative vorhanden sei. Unter Berücksichtigung all dieser Aspekte würden die privaten Interessen an einem weiteren Verbleib in Österreich bei weitem etwaigen öffentlichen Interessen im Hinblick auf eine Aufenthaltsbeendigung überwiegen. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sei gemäß Art. 8 EMRK menschenrechtswidrig. In diesem Sinne beantragten Sie die Abstandnahme aufenthaltsbeendender Maßnahmen und Einstellung des zugrunde liegenden Verwaltungsverfahrens sowie die Erteilung der beantragten Niederlassungsbewilligung.

 

Rechtlich führte die belangte Behörde aus:

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtslage nach dem Fremdengesetz 1997 - diese Rechtssprechung ist im Prinzip auch auf die durch das Fremdenpolizeigesetz 2005 gegebenen neue Rechtslage anzuwenden - darf gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot nur erlassen werden, wenn die Voraussetzung des § 60 Abs. 1 FPG erfüllt ist. Dabei ist § 60 Abs. 2 FPG als Orientierungs­maßstab heranzuziehen.

 

Gemäß § 60 Abs. 1 Z. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet.

 

Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 gilt gemäß § 60 Abs. 2 Z. 1 insbesondere, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als 3 Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

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Würde nach § 66 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 durch eine Ausweisung (diese Bestimmung gilt als gemeinsame Verfahrensbestimmung auch für Aufenthaltsverbote) in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Ausweisung (das Aufenthaltsverbot) zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Nach § 66 Abs. 2 leg. cit. sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4. der Grad der Integration;

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

 

Das Wort "kann" in § 60 Abs. 1 FPG stellt klar, dass im gegebenen Zusammenhang Ermessen der Behörde besteht. Für die Ausübung dieses Ermessens ist nicht bloß das Gewicht der privaten und familiären Interessen des betroffenen Fremden, das bereits für die Entscheidung, ob die Voraussetzungen der §§ 60 und 61 FPG gegeben sind, maßgeblich ist, von entscheidender Bedeutung. Die Behörde hat vielmehr bei ihrer Ermessensentscheidung gemäß § 60 Abs. 1 FPG in Erwägung zu ziehen, ob und wenn ja welche Umstände im Einzelfall vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung für und gegen die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sprechen, und sich hierbei insbesondere von den Vorschriften des Fremdenpolizeigesetzes 2005 leiten zu lassen.

 

Weil Sie mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sind, ist in Ihrem Fall § 86 Abs. 1 FPG maßgeblich. Danach ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige nur zulässig, wenn auf Grund Ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

 

Im Gegensatz zur grundsätzlichen Regelung des § 60 FPG wurde im Zusammenhang mit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige. Der Rechtsprechung des EuGH kommt somit bindende Wirkung stets im Range der jeweils auszulegenden Norm des Europäischen Rechts zu. Ein entsprechender, dem § 60 Abs. 2 vergleichbarer Katalog müsste auf Einzelfallentscheidungen Bedacht nehmen und würde so den Rahmen eines Gesetzes sprengen. Dessen ungeachtet kann jedoch zur Beurteilung der Frage, ob ein bestimmter Sachverhalt die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen EWR-Bürger, einen Schweizer Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen rechtfertigt, auf den Katalog des § 60 Abs. 2 als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden, soweit dem nicht europarechtliche Vorgaben entgegen stehen.

 

§ 60 Abs. 2 FPG enthält eine demonstrative Aufzählung solcher bestimmter Tatsachen, welche die Annahme des Vorliegens eines Grundes für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes im Sinne des § 60 Abs. 1 rechtfertigen. Eine solche ausdrücklich im Gesetz erwähnte Tatsache liegt nach § 60 Abs. 2 Z. 1 dann vor, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als 3 Monaten, zu einer teil bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist. Weiters liegt eine solche ausdrücklich im Gesetz erwähnte Tatsache nach § 60 Abs. 2 Z. 5 dann vor, wenn ein Fremder Schlepperei begangen oder an ihr mitgewirkt hat.

 

Wie oben ausführlich dargestellt, wurden Sie vom Landesgericht Wels unter Zahl 13 Hv 120/09i am 02.11.2009 wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB sowie des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon 12 Monate bedingt nachgesehen unter einer Probezeit von 3 Jahren, verurteilt (rechtskräftig seit 06« 11.2009). Mit der genannten Verurteilung werden die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltverbotes gemäß § 60 Abs. 2 Z. 1 nicht nur erfüllt, sondern werden diese Vorraussetzungen bei einer Freiheitsstrafe in Gesamthöhe von 18 Monaten um ein Mehrfaches übertroffen. Die der genannten Verurteilung zugrunde liegenden Straftaten - 2 Delikte! - gelten angesichts des zur Anwendung gelangenden Strafrahmens von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe zweifellos als schwerwiegend.

 

Die Verwaltungsbehörde ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH an die rechtskräftige Entscheidung eines Strafgerichtes gebunden (vgl. Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I2, Rz 56 zu § 38 AVG). Auf Ihr verharmlosendes Vorbringen anlässlich Ihrer niederschriftlichen Stellungsnahmen vom 02.01.2009 (hier ist noch von einem "ungerechtfertigten Vorwurf von Frau X die Rede!) und vom 28.01.2010 (hinsichtlich der angeblich "günstigen Verhaltensprognose") braucht daher angesichts der rechtskräftigen Schuldfeststellung durch ein staatliches Gericht nicht näher eingegangen zu werden. Dies umso mehr, als das Gericht Ihre bisherige Unbescholtenheit ohnehin als Milderungsgrund gewertet hat. Die Behörde zieht aus Ihrem Verhalten insgesamt den Schluss, dass Ihr Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit in hohem Maße gefährdet.

 

Bei den von Ihnen begangenen Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB und des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB handelt es sich um schwere und besonders verwerfliche strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeit. Bei der Vergewaltigung handelt es sich überdies um ein Gewaltdelikt und einen schweren Eingriff in die körperliche Unversehrtheit eines Menschen. Vor allem, die strafgesetzliche Bestimmung des § 206 Abs. 1 StGB dient dem Schutz der ungestörten physischen und psychischen Entwicklung junger Menschen, dem in StGB ein hoher Stellenwert im Sinne eines Grundinteresses der Gesellschaft zugemessen wird. Bei diesem Verbrechen handelt es sich um sehr verwerfliche Handlungen gegen die geschlechtliche Freiheit anderer und ist es Aufgabe des Staates bzw. seiner Behörden, Übertretungen der von Ihnen begangenen Art entsprechend zu ahnden bzw. weiteren derartigen Übertretungen entsprechend vorzubeugen. Gerade Unmündige sind solchen Gefahren auf Grund ihrer mangelnden Reife weitgehend schutzlos ausgeliefert. Weiters ist auf den hohen sozialen Störwert und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung hinzuweisen und besteht gerade bei Sexualdelikten eine hohe Rückfallsgefahr. Weiters zeigt Ihr Vorbringen in der Stellungnahme vom 28.01.2010, wonach Sie lediglich zu einer 6-monatigen unbedingten Freiheitsstrafe plus 12 Monate bedingt nachgesehener Freiheitsstrafe verurteilt wurden, woraus sich eine günstige Verhaltensprognose aus Sicht des Strafgerichtes ergeben soll, dass Ihr Unrechtsbewusstsein nur in sehr geringem Maße ausgebildet ist, was wiederum eine bei Ihnen bestehende hohe Rückfallsgefahr nahelegt. Angesichts dieser in Ihrer Stellungnahme erfolgten Verharmlosung zweier Verbrechen gegen die Sittlichkeit kann von einer günstigen Verhaltensprognose wohl keine Rede sein und ist in diesem Zusammenhang auch die Einholung eines psychologischen Gutachtens entbehrlich.

 

Ihr Gesamt(fehl)verhalten lässt sohin nur eine für Sie negative Zukunftsprognose zu. Die Erlassung des Aufenthaltverbotes ist folglich im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie anderer im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannter Ziele, nämlich zur Verhinderung von strafbaren Handlungen und zum Schutz der Rechte anderer, dringend geboten. Die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme trifft zu.

 

Da Sie jedoch seit X mit der österreichischen Staatsbürgerin X verheiratet und Sie seit 11.06.2008 durchgehend in Österreich mit Hauptwohnsitz gemeldet sind - zuvor haben Sie in Österreich seit dem Jahr 2004 regelmäßig fünf bis sechs Monate als Saisonarbeiter gearbeitet - greift das Aufenthaltsverbot zweifellos in Ihr Privat- und Familienleben ein. Ihr oben näher umschriebenes Fehlverhalten stellt aber zweifellos eine tatsächliche und hinreichende schwere Gefährdung dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Da Sexualdelikte besonders verwerflich sind - im konkreten Fall haben sie Ihre sexuellen Interessen über die Integritätsinteressen einer Unmündigen gestellt - und bei Ihnen angesichts des Umstandes, dass Sie den obigen Ausführungen zufolge kein besonders aufgeprägtes Unrechtsbewusstsein haben, zumal Sie die von Ihnen begangenen Taten verharmlosen, ist insgesamt keine günstige Sozialprognose gegeben. Da im besagten Deliktsbereich nur selten mit einer Verhaltensbesserung des Täters gerechnet werden kann, stellt Ihr Fehlverhalten nach wie vor eine gegenwärtige Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtssprechung häufig Aufenthaltsverbote als rechtmäßig bestätig, bei denen das dem Aufenthaltsverbot zugrunde liegende Sittlichkeitsdelikt acht Jahre, oft sogar mehr als zehn Jahre zurückliegt (vgl. VwGH vom 30.03.2004, ZI. 2004/21/0043, ua.). Jedenfalls ist die in Ihrer Stellungnahme vom 28.01.2010 dargestellte Verharmlosung Ihrer Taten, wonach Sie ohnedies nur zu einer 6-monatigen unbedingten Freiheitsstrafe plus 12 Monate bedingt nachgesehener Freiheitsstrafe verurteilt worden wären und sich daraus eine günstige Verhaltensprognose ergebe, völlig unangebracht und ist die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sohin auch aus spezialpräventiven Überlegungen dringend geboten.

 

Davon abgesehen muss im Rahmen der Interessensabwägung nach § 66 FPG berücksichtigt werden, dass Sie erst seit 11.06.2008 durchgehend mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet sind. Außerdem haben Sie erst am X die österreichische Staatsbürgerin X geheiratet. Nach der Heirat haben Sie sich am 11.06.2008 in Österreich an einer X Adresse angemeldet. Im Zuge von Ermittlungen wegen des Verdachts einer Scheinehe konnte Ihre Gattin dafür keinen plausiblen Grund angeben. Erst am 14.07.2008 haben Sie sich bei Ihrer Ehegattin unter der Adresse X, angemeldet. Jedenfalls sprechen die von Ihnen begangenen Verbrechen gegen die Sittlichkeit eindeutig gegen das tatsächliche Bestehen eines ausgeprägten Familienlebens. Die genannten Verbrechen stehen vielmehr mit einem normalen Familienleben in Widerspruch. Davon abgesehen sind der Aktenlage nach Ihre persönlichen bzw. freundschaftlichen Beziehungen zu in Österreich lebenden Personen ohnedies nur sehr gering ausgeprägt. Wesentlich stärker ausgeprägt sind hingegen Ihre beruflichen Bindungen zu Österreich, waren Sie hier doch in den Jahren 2004 bis 2007 regelmäßig als Saisonarbeiter im Rahmen befristeter Arbeitsverhältnisse tätig und verfügen Sie durchaus glaubhaft über einen sicheren Arbeitsplatz bei der Firma X in X.

 

Insgesamt betrachtet kann man jedoch bei einer durchgehenden Niederlassung in Österreich von nicht einmal zwei Jahren noch von keinem langen, eine vollkommene Integration begründenden Aufenthalt sprechen. Schließlich war im Rahmen der Einzellfallbetrachtung anlässlich der Interessenabwägung nach § 66 Abs. 2 FPG zu berücksichtigen, dass in Ansehung der ständigen Spruchpraxis des Verwaltungsgerichtshofes auf Grund der besonders hohen Verwerflichkeit von an Unmündigen begangenen Sexualdelikten selbst eine ansonsten volle Integration eines Fremden einem Aufenthaltsverbot nicht entgegensteht (vgl. VwGH vom 24.03.2000, ZI. 99/21/0291, ua.). Die mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Auswirkungen auf Ihr berufliches Fortkommen und Ihre in Österreich gepflegten familiären bzw. privaten Bindungen müssen im öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Sittlichkeits- und Gewaltdelikten in Kauf genommen werden. Als Ergebnis der Interessensabwägung kann Ihnen im Rahmen der Einzellfallbetrachtung trotz des Umstandes, dass Sie in Österreich Arbeitsplatz und ausschließlichen Wohnsitz haben, keine solche inländische Integration zuerkannt werden, die in ihrem Gewicht auch nur in die Nähe des beschriebenen öffentlichen Interesses an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes reicht. Schließlich sei bei Berücksichtigung des Umstandes, dass die von Ihnen begangenen Sittlichkeitsdelikte mit einem normalen Familienleben stark in Widerspruch stehen, bemerkt, dass es mit Ihrem Familien- bzw. Eheleben nicht weit hergewesen sein kann, wenn Sie bereits kurz nach der Übersiedlung zu Ihrer Ehegattin nach X am 04.07.2008 bereits am 09.09.2008 die Ihnen zur Last gelegten Sittlichkeitsdelikte begangen haben. Allein schon dieser kurze zeitliche Zusammenhang spricht gegen das Vorliegen eines normalen Familien- und Ehelebens.

 

Zusammenfassend zieht die Behörde den Schluss, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes als gesetzlich vorgesehener Eingriff zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie zum Schutz der Integrität Minderjähriger, dringend geboten ist. Gründe für die Unzulässigkeit eines Aufenthaltverbotes nach § 61 FPG sind nicht hervorgekommen.

 

Auf Grund des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Sittlichkeitsdelikten war das in § 60 Abs. 1 FPG eingeräumte Ermessen eindeutig zu Ihren Ungunsten auszulegen.

 

Gemäß § 63 Abs. 1 FPG kann das Aufenthaltsverbot in den Fällen des § 60 Abs. 2 Z. 1, 5 sowie 12 bis 14 unbefristet und sonst für die Dauer von höchstens 10 Jahren erlassen werden. Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 63 Abs. 2 FPG auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. In Anbetracht der Art und Schwere Ihrer in Österreich begangenen Sittlichkeitsdelikte und des hohen sozialen Störwertes der selben war die Befristung des Aufenthaltsverbotes mit 10 Jahren zu bemessen und kann auf Grund der Tatumstände davon ausgegangen werden, dass die Gründe für das Aufenthaltsverbot erst nach Ablauf eines längeren Zeitraumes von 10 Jahren wegfallen werden.

 

Bemerkt sei, dass das von Ihnen gesetzte persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes ist sohin zur konkreten Abwehr einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr, insbesondere wegen Ihrer verharmlosenden Haltung, somit aus spezialpräventiven Gründen dringend geboten. Diese Verharmlosung spricht für ein mangelndes Unrechtsbewusstsein Ihrerseits und erhöht die bei Ihnen konkret gegebene Rückfallsgefahr nicht unwesentlich.

 

2. Gegen diesen dem Rechtsvertreter des Bw am 4. März 2010 zugestellten Bescheid richtet sich die vorliegende, rechtzeitig vom nunmehrigen Rechtsvertreter per Post am 18. März 2010 eingebrachte, Berufung.

 

Einleitend kritisierte der Rechtsvertreter, dass sich die belangte Behörde nicht näher mit dem Akt und dem Urteil des LG Wels auseinandergesetzt habe. Wäre dies geschehen, hätte sie erkennen müssen, warum es zu der offensichtlich milden Strafe gekommen ist. Zum Beweis dafür, dass eine günstige Verhaltensprognose besteht, wäre von der belangten Behörde ein psychologisches Gutachten einzuholen gewesen.

 

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde könne aus der Strafbemessung abgeleitet werden, dass besondere Umstände bzw. Voraussetzungen vorliegen, wonach keine hohe Rückfallgefahr bestehe. Von der Verharmlosung der Taten könne keine Rede sein. In ihrer Argumentation maße sich die belangte Behörde an, die beantragte gutachterliche Stellungnahme durch moralische Grundsätze zu ersetzen.

 

Die als Zeugin beantragte Arbeitgeberin X hätte bestätigen können, dass der Bw seit Jahren einen sicheren Arbeitsplatz besitze und es sich beim Bw um einen in ganz besonderem Maße beliebten, verlässlichen und tüchtigen Arbeitnehmer handle, der aufgrund seiner Tüchtigkeit und Verlässlichkeit über Jahre hinweg eine Arbeitsplatzgarantie erhalten hätte.

 

Die Bewertung, dass die soziale Integration (persönliche und freundschaftliche Beziehungen in Österreich) gering ausgeprägt sei, wird als nicht nachvollziehbar erachtet, Gegenteiliges aber nicht vorgebracht.

 

Dem Bw tue der gegenständliche Vorfall furchtbar leid und es handle sich dabei um einen einmaligen Fehltritt.

 

Die Auswirkungen der getroffenen Maßnahme auf die Lebenssituation des Bw und seiner österreichischen Ehegattin (Obsorgeverpflichtung) seien in keiner Weise gewürdigt worden und die Entscheidung nicht objektiv ergangen.

 

Das LG Ried im Innkreis gehe von einer günstigen Zukunftsprognose aus und habe 6 Wochen der unbedingt verhängten Freiheitsstrafe von 6 Monaten nachgesehen. Während der Verbüßung der Freiheitsstrafe habe der Bw regelmäßig Ausgang gehabt und hätte die Wochenenden bei der Familie verbringen dürfen.

 

Den Ausführungen der belangten Behörde, wonach gerade bei Sexualdelikten eine hohe Rückfallgefahr bestehe, sei die Äußerung der Abteilung X (X) entgegenzuhalten. Diese habe zuletzt am 22. Dezember 2009 ausgeführt, dass beim Bw von einer nicht erhöhten statistisch-aktuarischen Wiederverurteilungswahrscheinlichkeit für Gewalt- und Sexualdelikte auszugehen sei.

 

Nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug könne der Bw einer geregelten Arbeit im Unternehmen X nachgehen, er verfüge über einen festen Wohnsitz und lebe in einer festen Partnerschaft.

 

Unberücksichtigt habe die belangte Behörde gelassen, dass der Bw schadenersatzpflichtig gegenüber dem Opfer sei und zur Kostentragungspflicht gegenüber der Republik Österreich verpflichtet worden wäre.

 

Einerseits sei das befristete Aufenthaltsverbot in der Höhe von 10 Jahren nicht angemessen und andererseits widerspreche es der EMRK. Beispielsweise enthalte der angefochtene Bescheid keine Interessensabwägung zwischen den Interessen der Ehegattin des Bw und den in Artikel 8 Abs. 2 EMRK genannten Interessen des Staates.

 

Abschließend wurde die ersatzlose Aufhebung des Aufenthaltsverbotes beantragt.

 

3. Die belangte Behörde legte den in Rede stehenden Verwaltungsakt zuständigkeitshalber der Sicherheitsdirektion Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion Oberösterreich – nach Inkrafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Unabhängigen Verwaltungssenat übermittelt wurde.

 

3.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat am 22. August 2012 eine öffentlich mündliche Verhandlung durchgeführt und darüber hinaus Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt sowie durch Einsichtnahme in das Elektronische Kriminalpolizeiliche Informationssystem, eine Meldeauskunft und  Versicherungsdatenauszüge eingeholt.

 

3.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1. und 2. dieses Erkenntnisses dargestellten Sachverhalt und den ergänzenden Sachverhaltsfeststellungen aus.

 

Der Bw zeigte sich während der mündlichen Verhandlung einsichtig, betonte aber, dass er stets an seiner subjektiven Sichtweise der Tathandlung festgehalten habe und daher keinesfalls die Tat als solche leugnen wollte.

 

Durchgehend ist der Bw seit 2007 in Österreich aufhältig und abgesehen von den Zeiten der Haft in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis. Auch während der saisonbedingten Aufenthalte in Österreich ab dem Jahr 2002 war der Bw immer beschäftigt. Nach wie vor besteht eine enge familiäre und soziale Bindung des Bw. Am 20. Oktober 2011 wurde den Ehegatten ein gemeinsamer Sohn geboren. Eine Intensivierung des Familienlebens fand durch die Beschäftigungsaufnahme in unmittelbarer Nähe des Wohnortes statt.

 

3.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

4. In der Sache hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

 

4.1.1. Gemäß § 65b des Fremdenpolizeigesetzes – 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 49/2012, unterliegen Familienangehörige der Visumspflicht. Für sie gelten die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 41a, 65a Abs. 2, 66, 67 und 70 Abs. 3.

 

Nach § 2 Abs. 4 Z. 12 FPG ist unter Familienangehöriger ein Drittstaatsangehöriger zu verstehen, der Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind ist; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner.

 

Gemäß § 67 Abs. 1 ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

 

4.1.2. Bei dem Bw handelt es sich um einen kosovarischen Staatsangehörigen, der mit einer Österreicherin verheiratet ist. § 67 Abs. 1 FPG erster Satz findet auf den Bw daher Anwendung.

 

4.2.1. Es ist – im Hinblick auf die oa Bestimmung - nun zu prüfen, ob das Verhalten des Bw auch aus derzeitiger Sicht geeignet erscheint, die öffentliche Ordnung oder Sicherheit zu gefährden und das Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gemeinschaft berührt.

 

Nachdem der Bw seit Juni 2008 durchgehend seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat, kommt der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 2. Satz FPG zum Tragen.

 

Hinsichtlich der nach dem FPG anzustellenden Prognosebeurteilungen hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen, dass es letztlich immer auf das in Betracht zu ziehende Verhalten des Fremden ankommt. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Das FPG legt, bezogen auf unterschiedliche Personenkreise oder nach bestimmter Aufenthaltsdauer, ein unterschiedliches Maß für die zu prognostizierende Gefährlichkeit des Fremden fest. So verlangt § 67 Abs 1 FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") im Verhältnis zu § 64 Abs 4 FPG ein höheres Maß der Gefährdungsprognose, die sich zudem nach dem fünften Satz des § 67 Abs 1 FPG ("nachhaltige und maßgelbliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit") noch weiter steigert (vgl. VwGH vom 20. November 2008, 2008/21/0603; E vom 3. April 2009, 2008/22/0913).

 

Der EuGH hat im Urteil vom 27. Oktober 1977, Rs 30/77, ausgeführt, dass jede Gesetzesverletzung eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellt. Neben dieser Störung der öffentlichen Ordnung muss nach Ansicht des Gerichtshofes jedenfalls eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Frühere strafrechtliche Verurteilungen dürfen nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zugrunde liegenden Umstände  ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Wenn auch in der Regel die Feststellung einer derartigen Gefährdung eine Neigung des Betroffenen nahelegt, dieses Verhalten in Zukunft beizubehalten, so ist es doch auch möglich, dass schon allein das vergangene Verhalten den Tatbestand einer solchen Gefährdung der öffentlichen Ordnung erfüllt. Es obliegt den nationalen Behörden und gegebenenfalls den nationalen Gerichten, diese Frage in jedem Einzelfall zu beurteilen, wobei sie die besondere Rechtstellung der dem Gemeinschaftsrecht unterliegenden Personen und die entscheidende Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit zu berücksichtigen haben.

 

Für den Oö. Verwaltungssenat steht zunächst zweifelsfrei fest, dass das Verhalten des Bw ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

 

Im konkreten Fall handelt es sich auch nicht um ein bloß sonstiges öffentliches Interesse sondern tatsächlich um ein Grundinteresse der Gesellschaft, dass darin gelegen ist, strafbare Handlungen die Sittlichkeit und die körperliche Unversehrtheit (Verbrechen der Vergewaltigung und Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs gegen eine Unmündige) zu verhindern.

 

Die mehrfach qualifizierten Straftaten des Bw wurden in dem unter Punkt 1. wiedergegebenen Urteil als Verbrechen eingestuft.

 

Im Sinne der wiedergegeben Judikatur (VwGH, EGMR, EuGH) ist nicht primär maßgeblich, dass eine strafgerichtliche Verurteilung ausgesprochen wurde, sondern dass im Sinne einer Prognoseentscheidung das gegenwärtige und zukünftige Verhalten einer Person im Lichte einer strafgerichtlichen Verurteilung rechtlich zu würdigen ist. Im konkreten Einzelfall ist zu analysieren, ob davon ausgegangen werden kann, dass sich der Bw hinkünftig rechtskonform verhalten wird.

 

4.2.2. Aus dem Vorlageakt und der Berufung lassen sich Rückschlüsse auf den verwerflichen Charakter des Bw ziehen. Die Beurteilung und die Gefährlichkeitsprognose der belangten Behörde konnte der Bw in der mündlichen Verhandlung entkräften.

 

Der Bw bestreitet nicht die aktenkundige rechtskräftige Verurteilung wegen der Verbrechen gegen die zum Tatzeitpunkt Unmündige. Im Verfahren vor der belangten Behörde kritisierte der Bw, dass diese nicht den Akt des LG Wels beigeschafft und sich auch nicht mit dem Urteil auseinandergesetzt habe. Hätte die belangte Behörde den Akt angefordert und sich mit dem Urteil beschäftigt, wäre sie zum Ergebnis des Erstgerichtes gekommen, dass das umschriebene Fehlverhalten keinesfalls eine tatsächliche und hinreichende schwere Gefährdung darstellt.

 

Diesen Ausführungen ist zu entgegnen, dass die im gegebenen Zusammenhang anzustellende Gefährdungsprognose allein aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts vorzunehmen ist und die Erwägungen des zuständigen Strafgerichts insoweit nicht als ausschlaggebend angesehen werden können (vgl. VwGH vom 21. Dezember 2010, Zl. 2010/21/0456).

 

Grundsätzlich darf die belangte Behörde ihre Prognose unabhängig von den die Strafbemessung und die bedingte Strafnachsicht betreffenden Erwägungen des Strafgerichtes stellen (vgl. VwGH vom 18. Mai 2006, 2006/18/0103).

 

Bei den vom Bw begangenen Verbrechen der Vergewaltigung und des schweren sexuellen Missbrauchs einer Unmündigen handelt es sich um schwere und besonders verwerfliche strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeit und bei der Vergewaltigung überdies um ein Gewaltdelikt und einen schweren Eingriff in die körperliche Unversehrtheit eines Menschen. Wie bereits von der belangten Behörde umfassend ausgeführt, dient § 206 Abs. 1 StGB dem Schutz der ungestörten physischen und psychischen Entwicklung junger Menschen. Es ist Aufgabe des Staates bzw. seiner Behörden, derartige Verbrechen zu ahnden bzw. weiteren einschlägigen Verbrechen entsprechend vorzubeugen. Gerade Unmündige sind solchen Gefahren auf Grund ihrer mangelnden Reife weitgehend schutzlos ausgeliefert. Weiters ist auf den hohen sozialen Störwert und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung hinzuweisen und besteht gerade bei Sexualdelikten eine hohe Rückfallsgefahr.

 

Unbestritten sind diese Verbrechen als schwer einzustufen. Die besonderen Umstände bei der Tatbegehung (gewaltsames zu Boden bringen einer Unmündigen, Anwendung nicht unerheblicher physischer Kraft, Festhalten des Opfers und Nötigung zur Duldung des Beischlafs) lassen Rückschlüsse auf die kriminelle Energie des Bw zu.

 

Wie der Verwaltungsgerichtshof darlegt, kommt es letztlich immer auf das in Betracht zu ziehende Verhalten des Fremden. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen.

 

Im angesprochenen Urteil wurde das Tatverhalten des Bw anschaulich geschildert. Der Bw hat in der mündlichen Verhandlung sein Verhalten nicht zu beschönigen versucht, jedoch auf seine ursprüngliche und aufrechterhaltene Darstellung verwiesen. Teilweise decken sich diese Ausführungen mit Zeugenaussagen, die unmittelbar nach der Tat aufgenommen worden sind. Misst man diesen frühen Aussagen, dem Vorbringen des Bw und seiner äußerst glaubwürdigen Verantwortung bei der mündlichen Verhandlung das entsprechende Gewicht bei, erscheint die vorliegende Straftat nicht mehr so schwer wie bisher angenommen.

 

Wie bereits ausgeführt, darf die belangte Behörde ihre Prognose "grundsätzlich" unabhängig von den die Strafbemessung und die bedingte Strafnachsicht betreffenden Erwägungen des Strafgerichtes stellen. Im vorliegenden Fall ist aber eine abweichende Sichtweise geboten. Zutreffend hat der Rechtsvertreter des Bw vorgebracht, dass das urteilende Gericht bei Straftaten wie im gegenständlichen Fall unbedingte Freiheitsstrafen in der Höhe von 5 Jahren verhängt und die vergleichweise "milde" teilbedingte Freiheitsstrafe eindeutige Rückschlüsse auf die Art und Schwere dieser Straftat zulasse. Bestätigung findet diese Ansicht auch in der Äußerung der Abteilung X (X) vom 22. Dezember 2009. Die gutachterliche Äußerung lag dem erkennenden Gericht bereits vor der Urteilsfindung vor und auf diese hat sie auch im Beschluss vom 1. März 2010 (bedingte Entlassung aus dem Vollzug einer Freiheitsstrafe) verwiesen. Darin wird davon ausgegangen, dass beim Bw nicht von einer erhöhten "statistisch-aktuarischen" Wiederverurteilungswahrscheinlichkeit auszugehen sei.

 

Der Bw ist dieser Einschätzung gerecht geworden und seit seiner Tat im Jahr 2008 weder einschlägig noch sonst straffällig geworden. Seit der vorzeitigen bedingten Entlassung aus der Strafhaft im April 2010 wird der Bw im Rahmen der Bewährungshilfe betreut. In der Stellungnahme vom 21. Juni 2012 (der mündlichen Verhandlung zugrunde gelegt) beschrieb der Bewährungshelfer den Bw als sehr zuverlässig in den Kontakten und Vereinbarungen mit der Bewährungshilfe. Im gegenständlichen Fall habe eine hohe Kontaktfrequenz und eine regelmäßig Einschätzung der Rückfallgefahr stattgefunden. Der Bw habe in der Auseinandersetzung mit dem Delikt die volle Verantwortung für sein Handeln übernommen und die Tat nie zu beschönigen versucht. Auf Grund dieser offenen Auseinandersetzung sei die "regelmäßige Rückkehrgefahr" immer als sehr gering eingeschätzt worden. Seit der Entlassung habe der Bw regelmäßig die ihm auferlegten Kosten zurückbezahlt.

 

Von wesentlicher Bedeutung ist auch, dass der Bw sein soziales und privates Umfeld maßgeblich geändert hat und schon aus diesem Grund eine Rückkehrgefahr kaum gegeben scheint.

 

Die Straftat bzw. deren Folgen haben die Kernfamilie nicht zerbrechen lassen sondern in der Folge noch stärker vereint. Dies zeigt sich auch im kürzlich geborenen Sohn. Der Bw hat jene berufliche Tätigkeit, die die Tatbegehung erleichtert hatte, aufgegeben und ist eine regelmäßige (nicht saisonbedingte) Beschäftigung eingegangen. Darüber hinaus ist der Beschäftigungsort in der Nähe der Familienunterkunft gelegen und ermöglicht somit deutlich engere Beziehungen zur Ehegattin und zu dem neugeborenen Sohn. Dass der Bw ein fürsorglicher Familienvater und Ehegatte ist und gute Kontakte zur Familie der Ehegattin pflegt, wurde bereits vom Bewährungshelfer angesprochen und hat sich auch in der mündlichen Verhandlung bestätigt.

 

Die diesem Fall zugrunde liegenden Umstände lassen ein persönliches Verhalten des Bw erkennen, das keine gegenwärtige, tatsächliche und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

 

4.3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 14,30 Euro (Eingabegebühr) angefallen.

Mag. Stierschneider

 

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