Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-420743/22/Gf/Rt

Linz, 24.09.2012

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mit­glied Dr. Gróf über die Beschwerde der S, vertreten durch RA Mag. L, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt am 16. Mai 2012 gegen 11:30 Uhr in Linz durch Organe der Landespolizeidirektion Oberösterreich nach den am 8. August 2012 und am 19. September 2012 durchgeführten öffentlichen Verhandlungen zu Recht:

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

II. Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Kosten in einer Höhe von 887,20 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Rechtsgrundlage:

§ 67c Abs. 3 AVG; § 79a AVG.

Entscheidungsgründe:

 

 

1.1. In einem mit 22. Mai 2012 datierten, am 30. Mai 2012 (und damit rechtzeitig) unmittelbar beim Oö. Verwaltungssenat eingebrachten Schriftsatz wird von der Rechtsmittelwerberin vorgebracht, dass sie am 16. Mai 2012 gegen 11:30 Uhr vor dem Kindergarten in der X-Straße, von zwei Polizeibeamten durch die Anwendung körperlicher Gewalt dazu gezwungen worden sei, ihren damals gerade 1 Jahr alten und von ihr im Arm gehaltenen Sohn loszulassen und Mitarbeiterinnen des Amtes für Soziales, Jugend und Familie des Magistrates der Stadt Linz zu übergeben. Diese Zwangsmaßnahme sei gesetzt worden, obwohl sich weder die einschreitenden Organe auf eine entsprechende gerichtliche oder behördliche Verfügung hätten stützen können noch zu diesem Zeitpunkt eine aktuelle Gefährdung des Kindeswohles bestanden hätte. Konkret sei die Beschwerdeführerin – um ihr Kind loszulassen – vor dem Kindergarten auf offener Straße bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und zu Boden gebracht worden, sodass sie durch diese unverhältnismäßigen Maßnahmen zudem erhebliche Verletzungen im Bereich ihres Kopfes und Oberkörpers erlitten habe. 

 

Durch diese weder gemäß § 215 ABGB noch nach dem Sicherheitspolizeigesetz gedeckte und sohin gesetzlose Vorgangsweise sei die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens i.S.d. Art. 8 EMRK sowie in ihren durch das Sicherheitspolizeigesetz gewährleisteten Rechten, insbesondere in ihrem Recht auf Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, verletzt worden, weshalb die kostenpflichtige Feststellung der Rechtswidrigkeit der Vorgangsweise der Behörde beantragt wird.

 

1.2. Die Landespolizeidirektion Oberösterreich hat den Bezug habenden Akt zu Zl. vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, mit der die kostenpflichtige Zurückweisung, in eventu die kostenpflichtige Abweisung der gegenständlichen Maßnahmenbeschwerde beantragt wird.

 

Begründend wird dazu ausgeführt, dass der Magistrat Linz bereits am 8. Mai 2012 beim Bezirksgericht Linz einen darauf gerichteten Antrag gestellt habe, der Rechtsmittelwerberin das Sorgerecht für ihren Sohn zu entziehen und dieses dem zuständigen Jugendwohlfahrtsträger zu übertragen. In diesem Antrag sei auch auf das Bestehen von Gefahr in Verzug und dadurch bedingte Sofortmaßnahmen noch vor der gerichtlichen Beschlussfassung hingewiesen worden. Am Vorfallstag einschreitende Behörde sei daher der Magistrat – und nicht die Bundespolizeidirektion Linz – gewesen; das Handeln der Polizeibeamten sei sohin eine bloße, auf das Jugendwohlfahrtgesetz gestützte Assistenzleistung gewesen, die dem Bürgermeister der Stadt Linz zuzurechnen gewesen sei. Konkret habe der einschreitende Beamte mit dem Einsatz einer sog. "Halsklammer" die Absicht verfolgt, weitere Verletzungen des Kindes hintanzuhalten, nachdem dieses zuvor bereits mehrfach mit seinem Kopf gegen eine Glasscheibe des Kindergartens geschlagen und von der Beschwerdeführerin derart fest gehalten worden sei, dass es offensichtlich Probleme bekommen habe, frei zu atmen; situationsbedingt habe diese Anwendung von Körperkraft das gelindeste und gleichzeitig effektiv zum Ziel führende Mittel dargestellt.

 

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in die Akten der Landespolizeidirektion Oberösterreich zu Zl. und des Magistrates Linz zu Zl. sowie im Wege der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung am 8. August und am 19. September 2012, zu der als Parteien die Beschwerdeführerin und deren Rechtsvertreter Mag. L einerseits und Mag. C als Vertreter der Landespolizeidirektion Oberösterreich andererseits sowie die Zeugen RI P (PI L), N F, R W und M L erschienen sind.

 

2.1.1. Im Zuge dieser Beweisaufnahme wurde folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt:

 

Am 16. Mai 2012 haben vier Bedienstete des Magistrates Linz (Amt für Soziales, Jugend, und Familie) und zwei von diesen angeforderte Polizeibeamte in der X-Straße in L zunächst einige Zeit darauf gewartet, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem einjährigen Sohn den dort befindlichen Kindergarten verlässt. Kurz nachdem jene mit ihrem Kind – das sie zu diesem Zeitpunkt bereits in ihrem Arm gehalten hatte – aus dem Gebäude herausgetreten war, wurde sie von einer der Magistratsbeamtinnen unter entsprechenden Beschwichtigungsversuchen mehrmals dazu aufgefordert, jener ihren Sohn zur künftigen Übernahme der Obsorge für das Kind zu übergeben. Die Rechtsmittelwerberin verweigerte dies jedoch konsequent und drückte ihren Sohn mit ihrem Arm schützend an ihre Brust. Als eine der Magistratsbediensteten in der Folge näher zu ihr hintrat, wich die Beschwerdeführerin in Richtung des Kindergarteneinganges zurück und bewirkte durch gleichzeitig ausgeführte Drehbewegungen, dass ihr Sohn zumindest zwei Mal mit seinem Kopf gegen eine Glasscheibe des Gebäudes schlug. Darauf hin trat der erste Zeuge von hinten an die Rechtsmittelwerberin heran und erfasste sie zunächst an deren Schultern, um sie in eine angemessene Distanz zur Glasfront des Gebäudes zu bringen. In weiterer Folge begann die Beschwerdeführerin, ihren Sohn immer fester gegen ihren Körper zu drücken, sodass dieser schließlich nicht mehr frei atmen konnte; dies war für sämtliche anderen Beteiligten insbesondere auf Grund entsprechend gepresster Weinlaute des Kindes akustisch wahrnehmbar. Der erste Zeuge erfasste sodann die Rechtsmittelwerberin von hinten durch Anwendung einer "Halsklammer", d.h. durch Anlegen seines Ober- und Unterarmes an ihrem Hals und wies eine Magistratsbedienstete an, das Kind zu sichern. Infolge des dadurch bewirkten kurzzeitigen Abdrückens ihrer Halsschlagader ließ die Beschwerdeführerin ihren Sohn in die Arme einer Magistratsbediensteten los; gleichzeitig wurde sie vom ersten Zeugen in die stabile Seitenlage zu Boden gebracht. Kurz darauf erhob sie sich wieder, wobei sie ein Angebot zur Herbeiholung von ärztlicher Hilfe zwecks Versorgung allenfalls erlittener Verletzungen ablehnte. In der Folge wurde sie mit ihrem Einverständnis zwecks Aufnahme einer Niederschrift zur Polizeiinspektion L verbracht. Ihr Sohn war zwischenzeitlich bereits von den Bediensteten des Magistrates Linz in Obhut genommen worden.

 

2.1.2. Diese Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf die in sich widerspruchsfreien und in jeder Weise glaubwürdigen Aussagen der in der öffentlichen Verhandlung einvernommenen Zeugen sowie auf den Inhalt der vorgelegt Akten und wurden insoweit auch vom Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin auch gar nicht weiter in Zweifel gezogen.

 

2.1.3. Im Übrigen werden das h. Verhandlungsprotokolle vom 8. August und vom 19. September 2012 zu einem integrierenden Bestandteil der Begründung dieses Erkenntnisses erklärt.

 

2.2. Gemäß § 67a AVG hatte der Oö. Verwaltungssenat über die vorliegende
Beschwerde durch ein Einzelmitglied zu entscheiden.

 

 

3. Über die vorliegende Beschwerde hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

 

3.1. Zur Zulässigkeit (tauglicher Anfechtungsgegenstand, belangte Behörde):

 

Nach § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG i.V.m. Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG entscheiden die Unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein.

 

3.1.1. Dass das von einem Exekutivorgan vorgenommene Anlegen seines Ober- und Unterarmes um den Hals eines Betroffenen zum Zweck des kurzzeitigen Abdrückens der Halsschlagader (sog. "Halsklammer") und das anschließende Zu-Boden-Bringen desselben gegen dessen Willen eine Ausübung von unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt darstellt, ist offenkundig und bedarf daher keiner weiteren Erörterung (s. zu vergleichbaren Zwangsakten die Judikaturnachweise bei bei J. Hengstschläger – D. Leeb, Kommentar zum Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz, Bd. 3, Wien 2007, RN 42 zu § 67a AVG).

 

3.1.2. Weiters ist vorweg klarzustellen, dass die beiden einschreitenden Exekutivorgane grundsätzlich zur Assistenzleistung im Zuge einer seitens des Jugendwohlfahrtsträgers zu setzenden Maßnahme tätig geworden sind.

 

3.1.2.1. Denn nach § 4 Abs. 3 des Oö. Jugendwohlfahrtsgesetzes, LGBl.Nr. 111/1991, zuletzt geändert durch LGBl.Nr. 74/2011 (im Folgenden: OöJWG), sind die Aufgaben der Jugendwohlfahrt grundsätzlich von der Bezirksverwaltungsbehörde, in Statutarstädten also durch den Magistrat, zu besorgen.

 

Gemäß § 37 OöJWG ist einem Minderjährigen dann, wenn eine bloße Unterstützung der Erziehung nicht zielführend erscheint oder sich diese als nicht zielführend erwiesen hat, volle Erziehung in Form einer Unterbringung in Einrichtungen zu gewähren; volle Erziehung liegt vor, sofern der Jugendwohlfahrtsträger zumindest mit der Pflege und Erziehung zur Gänze betraut wurde.

 

Nach § 253 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, JGS 946/1811, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 58/2010 (im Folgenden: ABGB), hat das Gericht die Obsorge für ein Kind an eine andere Person zu übertragen, wenn das Wohl des minderjährigen Kindes dies erfordert, und zwar insbesondere deshalb, weil von der mit der Obsorge betrauten Person – d.i. bei unehelichen Kindern gemäß § 166 ABGB in erster Linie dessen Mutter – i.S.d. § 188 Abs. 2 Z. 2 ABGB eine dem Wohl des minderjährigen Kindes förderliche Ausübung der Obsorge nicht zu erwarten ist. Lassen sich in einem solchen Fall keine Verwandten oder andere nahe stehenden oder sonst geeignete Personen finden, so hat das Gericht die Obsorge nach § 213 ABGB dem Jugendwohlfahrtsträger zu übertragen. Jener hat gemäß § 215 Abs. 1 ABGB die zur Wahrung des Wohles eines Minderjährigen erforderlichen gerichtlichen Verfügungen im Bereich der Obsorge grundsätzlich jeweils vorab zu beantragen. Bei Gefahr in Verzug kann der Jugendwohlfahrtsträger die erforderlichen Maßnahmen der Pflege und Erziehung aber vorläufig mit Wirksamkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung auch selbst treffen, wobei er in diesem Fall eine solche Entscheidung unverzüglich, längstens jedoch innerhalb von acht Tagen zu beantragen hat; in einem solchen Fall gilt der Jugendwohlfahrtsträger im Umfang der getroffenen Maßnahmen als vorläufig mit der Obsorge betraut.

 

Insgesamt folgt daraus mit Blick auf den vorliegenden Fall, dass bei (von diesem angenommem) Vorliegen von Gefahr in Verzug im Umfang der konkret getroffenen Maßnahmen – hier: Abnahme des Kindes – der Jugendwohlfahrtsträger ex lege und autonom (und nicht etwa im Vollzugsbereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit) tätig wird; und insoweit kann dieser – wie sich aus § 36 des (unmittelbar anwendbaren) Jugendwohlfahrtsgesetzes (des Bundes), BGBl.Nr. 161/1989, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 41/2007 (im Folgenden: JWG), ergibt – auch die Assistenzleistung der Exekutivorgane in Anspruch nehmen.

 

3.1.3. Wenngleich der Jugendwohlfahrtsträger durch § 215 Abs. 1 zweiter Satz ABGB auch zur Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ermächtigt ist, ist damit jedoch nur eine Befugnis zur Setzung solcher Maßnahmen verbunden, die mit der Ausübung dieser Zuständigkeit materienspezifisch typisch und notwendig verbunden sind.

 

Mit Blick auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass – unter der Voraussetzung, dass tatsächlich Gefahr in Verzug vorlag (was hier jedoch schon deshalb nicht zu prüfen war, weil sich die vorliegende Maßnahmenbeschwerde nicht gegen die Kindesabnahme als solche, sondern nur gegen die Art und Weise ihrer Durchführung richtete; vgl. den Schriftsatz der Rechtsmittelwerberin vom 28. August 2012, S. 2) – die gesetzliche Ermächtigung des § 215 ABGB hier nur so weit reichte, Zwangsgewalt zur Überwindung des unter derartigen Umständen (nämlich: bei der Vollziehung der §§ 211 ABGB bzw. des JWG und des OöJWG) materienbezogen zu erwartenden Widerstandes auszuüben. Dass aber die Beschwerdeführerin ihr Kind derart fest gegen ihren Oberkörper presste, dass dieses – für sämtliche Beteiligten erkennbar – schon nicht mehr frei atmen konnte, stellt sich hingegen objektiv besehen als eine vom Einschreiten des Jugendwohlfahrtsträgers losgelöste – d.h. von diesem wohl kausal verursachte, jedoch im Regelfall in keiner Weise vorhersehbare – und daher auch rechtlich eigenständig zu qualifizierende Eingriffssituation dar.

 

Diese Unterscheidung ist deshalb bedeutsam, weil damit das Eingreifen des Polizeibeamten im vorliegenden Fall (wobei es aus rechtlicher Sicht grundsätzlich ohne Belang ist, ob ihm dies auch subjektiv bewusst war) insoweit nicht mehr in seiner Funktion als Hilfsorgan des Magistrates Linz gemäß § 36 JWG, sondern vielmehr in Ausübung der ersten allgemeinen Hilfeleistungspflicht i.S.d. § 19 i.V.m. § 32 Abs. 2 des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl.Nr. 566/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 50/2012 (im Folgenden: SPG), erfolgte. Dies hat zur Folge, dass im gegenständlichen Verfahren nicht der Magistrat Linz, sondern die Landespolizeidirektion Oberösterreich als belangte Behörde anzusehen ist.

 

3.1.4. Da hier auch die übrigen Prozessvoraussetzungen des § 67c Abs. 1 und 2 AVG erfüllt sind, ist die gegenständliche Beschwerde sohin zulässig.

 

3.2. In der Sache:

 

3.2.1. Gemäß § 32 Abs. 2 SPG sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, zwecks Hilfeleistung u.a. im Falle einer gegenwärtigen Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit von Menschen in die Rechtsgüter desjenigen einzugreifen, der die Hilfeleistung zu verantworten hat. Das bedeutet, dass in Situationen, in denen das Einschreiten einer Behörde offensichtlich erst verspätet erfolgen könnte, ein Exekutivorgan auch aus eigenem – und zwar unmittelbar auf Grund des Gesetzes und ohne spezifische vorangehende behördliche Ermächtigung – tätig werden kann. Diese Befugnis wird zusätzlich durch die Anordnung des § 14 Abs. 3 SPG untermauert, wonach in Fällen, in denen keine örtlich zuständige Behörde die notwendigen Maßnahmen rechtzeitig setzen kann, die zu sicherheitspolizeilichem Exekutivdienst ermächtigten Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes auch außerhalb des Sprengels der Behörde, der sie beigegeben, zugeteilt oder unterstellt sind, sicherheitspolizeiliche Amtshandlungen führen dürfen. Soweit sich in einem derartigen Zusammenhang ein Eingriff in die Rechte von Menschen als erforderlich erweist, ist hierbei allerdings gemäß § 29 SPG stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

 

3.2.2. Diese Rechtsvorschriften hat der einschreitende Polizeibeamte im gegenständlichen Fall nicht verletzt.

 

Denn den Anlass zur Setzung der Zwangsmaßnahme in Form einer sog. "Halsklammer" (also des Anlegens des Ober- und Unterarmes um den Hals des Betroffenen sowie das sekundenkurze Abdrückens der Halsschlagader zum Zweck des augenblicklichen Loslassens des Kindes) bildete hier – wie sich aus dem entscheidungsrelevanten Sachverhalt (s.o., 2.1.1.) ergibt – die allseits unbestritten gebliebene Tatsache, dass die Rechtsmittelwerberin ihr Kind zuvor bereits mehrfach (wenngleich jeweils unabsichtlich) mit dessen Kopf gegen eine Glasscheibe geschlagen hatte, sowie – vor allem – der auf Grund entsprechend gepresster Schrei- und Weinlaute ihres Kindes für sämtliche Beteiligten akustisch deutlich wahrnehmbare Umstand, dass die Beschwerdeführerin ihren Sohn bereits derart fest gegen ihren Körper gedrückt hatte, dass dieser offenkundig schon gar nicht mehr frei atmen konnte.

 

Da der einschreitende Exekutivbeamte sohin unter den spezifischen Umständen dieser konkreten Situation jedenfalls vertretbar annehmen konnte bzw. sogar zwingend annehmen musste, dass raschest mögliche Abhilfe geboten ist, stellt der zwecks Befreiung des Kindes aus dessen misslicher Lage vorgenommene Einsatz von Körperkraft ein situationsbezogen offenkundig sowohl gleichermaßen gelindes als auch effektives Mittel zur Überwindung des von seiner Mutter geleisteten Widerstandes bzw. konkret gesetzten Verhaltens – nämlich derart festes An-Sich-Drücken des Kindes, dass dieses schon gar nicht mehr frei atmen kann – dar. Andere Eingriffsbefugnisse, wie diese etwa in § 4 des Waffengebrauchsgesetzes, BGBl.Nr. 149/1969, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 113/2006 (im Folgenden: WaffGebrG), (ohnehin bloß) demonstrativ aufgezählt sind, wären unter dem Aspekt, dass die Rechtsmittelwerberin unmittelbar zuvor bereits mehrfach und erfolglos unter entsprechenden Beschwichtigungsversuchen verbal zur Herausgabe ihres Kindes aufgefordert worden war, entweder zwar weniger eingriffsintensiv, aber nicht in gleicher Weise unmittelbar wirksam (wie z.B. die alleinige Aufforderung zur Herausgabe des Kindes oder die bloße Androhung eines Waffengebrauches) oder umgekehrt doch wesentlich eingriffsintensiver (wie z.B. der Einsatz von Dienstwaffen) gewesen.

 

Dazu kommt, dass der Exekutivbeamte unter einem sowohl darauf geachtet hat, dass das Kind nicht zu Boden fällt, indem er den Magistratsbediensteten zuvor die Anweisung erteilt hatte, den Sohn der Beschwerdeführerin zu sichern, als auch, dass die Rechtsmittelwerberin selbst möglichst unbeschadet zu Boden und dort in eine stabile Seitenlage gebracht wurde.

 

Schließlich ist auch noch darauf hinzuweisen, dass die Zuständigkeit des einschreitenden Organes auch nicht dadurch gehindert war, dass sich zum Zeitpunkt seines Eingreifens auch mehrere Vertreterinnen des Jugendwohlfahrtsträgers vor Ort befanden. Denn § 19 Abs. 4 letzter Satz SPG legt diesbezüglich explizit fest, dass die Pflicht bzw. die Befugnis zur Hilfeleistung erst "mit dem Einschreiten der zuständigen Behörde" endet. Ein derartiges Vorgehen erfolgte jedoch seitens der Vertreterinnen des Jugendwohlfahrtsträgers gerade nicht – ganz abgesehen davon, dass diese in der öffentlichen Verhandlung vor dem Oö. Verwaltungssenat keinen Zweifel daran ließen, dass sie sich dazu auch gar nicht in der Lage sahen.  

 

3.3.1. Im Ergebnis stellt sich daher aus allen diesen Gründen die im gegenständlichen Fall vorgenommene Ausübung von verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nicht als rechtswidrig dar, weshalb die vorliegende Maßnahmenbeschwerde gemäß § 67c Abs. 3 AVG als unbegründet abzuweisen war.

 

3.3.2. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Kindesabnahme seitens des Jugendwohlfahrtsträgers objektiv betrachtet keineswegs als optimal geplant qualifiziert werden kann: Denn ganz abgesehen davon, dass für eine derartige Maßnahme jeder andere Ort als der unmittelbare Nahebereich eines Kindergartens wesentlich geeigneter erscheint und die Frage, welche Polizeiinspektion zur Assistenzleistung örtlich zuständig ist, sinnvollerweise nicht erst unmittelbar bei Einsatzbeginn, sondern zwanglos schon wesentlich früher klargestellt werden kann, bleibt vor allem offen, weshalb nicht einmal daran gedacht wurde, dieser Aktion auch eine Vertrauensperson der Mutter beizuziehen, zumal die Behördenvertreterinnen gerade im gegenständlichen Fall nicht nur mit dem aus dem natürlichen elterlichen (mütterlichen) Schutzinstinkt resultierenden Widerstand rechnen mussten; vielmehr war ihnen die Beschwerdeführerin und deren Verhalten bereits aus früheren Amtshandlungen bekannt und bildete doch gerade dieser Umstand den Grund dafür, warum der Jugendwohlfahrtsträger hier schon a priori (und nicht erst wegen außergewöhnlicher Vorkommnisse anlässlich der Durchführung der Amtshandlung) um polizeiliche Assistenzleistung ersucht hat. Dennoch hätte allein der Aspekt einer nicht optimalen Planung selbst dann, wenn (seitens der Rechtsmittelwerberin nicht nur die konkrete Art und Weise, sondern) die Zwangsausübung auch dem Grunde nach bekämpft worden wäre, noch nicht zur Feststellung der Rechtswidrigkeit des Handelns des Jugendwohlfahrtsträgers geführt, weil auf eine optimale Planung einer Amtshandlung als solche kein subjektiv-öffentliches Recht besteht.

 

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war die Beschwerdeführerin dazu zu verpflichten, dem Bund nach § 79a Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4 Z. 3 AVG i.V.m. § 1 Z. 3 bis 5 der UVS-Aufwandersatzverordnung, BGBl.Nr. II 456/2008, Kosten in einer Höhe von insgesamt 887,20 Euro (Vorlageaufwand: 57,40 Euro; Schriftsatzaufwand: 368,80 Euro; Verhandlungsaufwand: 461,00 Euro) zu ersetzen.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweise:

 

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden, wobei für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in einer Höhe von 98,80 Euro entstanden; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

Dr.  G r ó f

 

 

 

VwSen-420743/22/Gf/Rt vom 24. September 2012

 

Erkenntnis

 

 

Rechtssatz

 

ABGB §215;

SPG §19;

SPG §29;

SPG §32 Abs2

 

* Wenngleich der Jugendwohlfahrtsträger gemäß § 215 ABGB auch selbst zur Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt ermächtigt ist, beschränkt sich diese Zuständigkeit doch auf Zwangsmaßnahmen, die der Vollziehung seiner materienspezifischen Aufgaben nach den §§ 211 ff ABGB und dem JWG bzw. dem OöJWG dienen; kommt es hingegen im Zuge der Abnahme eines Kindes dazu, dass seine Mutter dieses derart fest an sich drückt, dass es schon gar nicht mehr frei atmen kann, dann erweist sich die von einem Polizeibeamten zu dem Zweck, das Kind augenblicklich loszulassen, eingesetzte Zwangsmaßnahme in Form einer sog. "Halsklammer" (d.i. das Umfassen des Halses eines Betroffenen und kurzzeitige Abdrücken seiner Halsschlagader) nicht als auf § 215 ABGB, sondern als auf die Pflicht zur ersten allgemeinen Hilfeleistung gemäß § 32 Abs. 2 i.V.m. § 19 SPG gegründet; belangte Behörde in einem auf die Feststellung der Art und Weise der Zwangsausübung gerichteten Maßnahmenbeschwerdeverfahren ist daher nicht die Bezirksverwaltungsbehörde als Jugendwohlfahrtsträger, sondern die Sicherheitsbehörde;

 

* Eine derartige Maßnahme stellt sich unter solchen Umständen i.S.d. § 29 SPG auch nicht als unverhältnismäßig dar;

 

* Die Zuständigkeit des einschreitenden Organes war auch nicht durch die Anwesenheit mehrerer Vertreterinnen des Jugendwohlfahrtsträgers gehindert, weil § 19 Abs. 4 letzter Satz SPG diesbezüglich explizit festlegt, dass die Pflicht bzw. die Befugnis zur Hilfeleistung erst "mit dem Einschreiten der zuständigen Behörde" endet; ein derartiges Vorgehen erfolgte jedoch seitens der Vertreterinnen des Jugendwohlfahrtsträgers gerade nicht – ganz abgesehen davon, dass diese in der öffentlichen Verhandlung vor dem Oö. Verwaltungssenat keinen Zweifel daran ließen, dass sie sich dazu auch gar nicht in der Lage sahen;

 

* Allein der Umstand, dass die Kindesabnahme seitens des Jugendwohlfahrtsträgers – insbesondere deshalb, weil dieser nicht auch eine Vertrauensperson der Mutter beigezogen wurde – nicht optimal geplant war, hätte selbst dann, wenn (seitens der Rechtsmittelwerberin nicht nur die konkrete Art und Weise, sondern) die Zwangsausübung auch dem Grunde nach bekämpft worden wäre, noch nicht zur Feststellung der Rechtswidrigkeit des Handelns des Jugendwohlfahrtsträgers geführt, weil auf eine optimale Planung einer Amtshandlung als solche kein subjektiv-öffentliches Recht besteht.

 

 

 

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