Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-730195/17/BP/MZ/JO VwSen-730196/16/BP/MZ/JO

Linz, 20.11.2012

Mitglied, Berichter/in, Bearbeiter/in:                                                                                                                               Zimmer, Rückfragen:

Mag. Dr. Bernhard Pree                                                                                      5A02, Tel. Kl. 18060

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufung 1. der X, sowie 2. der minderjährigen X, gesetzlich vertreten durch die Erstberufungswerberin, beide StA der Türkei, X, beide vertreten durch RA X, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirks Vöcklabruck vom 28. März 2011, GZ: Sich40-28432-2010, betreffend eine Ausweisung der Berufungswerberinnen nach dem Fremdenpolizeigesetz zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

İtirazın kabul edilmesine ve itiraz edilen kararın tazminsiz ortadan kaldırılmasına.

 

Hukuki dayanak:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 


Entscheidungsgründe:

 

 

1.1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 28. März 2011, GZ.: Sich40-28432-2010, wurde gegen die Berufungswerberinnen (im Folgenden: Bw) auf Basis der §§ 54 Abs. 1 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung in Verbindung mit § 11 Abs. 2 Z 1 und Abs. 4 sowie § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes – NAG, die Ausweisung angeordnet und die Ausreiseverpflichtung mit 29. April 2011 festgesetzt.

 

Begründend führt die belangte Behörde zunächst zum Sachverhalt aus, dass die Bw, beide Staatsangehörige der Türkei, seit dem 10. Mai 2010 rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig seien. Am 14. März 2010 habe die Erst-Bw für sich und ihre minderjährige Tochter einen Verlängerungsantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "beschränkt" gestellt.

 

Aus dem besagten Antrag sei ersichtlich, das der Gatte der Erst-Bw für sie und die im Jahr 2005 geborene Zweit-Bw zu sorgen habe. In Österreich habe die Erst-Bw keine gesetzliche Krankenversicherung und sei auch nicht berufstätig. Ihr Ehegatte – ebenfalls ein türkischer Staatsangehöriger – sei im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltstitels. Weiters sei er auch Bezieher der Wohnbeihilfe.

 

Bei der Prüfung der Anträge sei festgestellt worden, dass das Familieneinkommen für einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet nicht ausreichend sei. Aufgrund der vorgelegten Lohnzettel des Ehegatten verfüge er über ein monatliches Durchschnittseinkommen in Höhe von 1.367,41 Euro. Die monatlichen Mietkosten beliefen sich auf 673,43 Euro. Abzüglich des Werts der freien Station in Höhe von 253,51 Euro ergebe sich daraus ein monatlich verfügbares Einkommen in Höhe von 947,49 Euro.

 

Nach den Richtsätzen des § 293 ASVG müsste der Gatte jedoch ein monatlich verfügbares Einkommen in Höhe von mindestens 1.311,97 Euro besitzen. Daraus resultiere ein monatlicher Differenzbetrag in Höhe von 364,48 Euro.

 

Auf die Aufforderung zur schriftlichen Stellungnahme zur beabsichtigten Ausweisung mit Schreiben vom 15. März 2011, die von der Erst-Bw persönlich übernommen worden sei, habe die Erst-Bw nicht reagiert.

 

Zu den persönlichen Verhältnissen führt die belangte Behörde aus, dass Erst- und Zweit-Bw gemeinsam mit deren Gatten bzw. Vater, der seit dem Jahr 2000 rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig ist, an einer Adresse gemeldet und wohnhaft sind. Mangels anderer Angaben könne angenommen werden, dass die Bw enge Familienbeziehungen zu ihrem Herkunftsland hätten. Die Erst-Bw spreche türkisch und habe auch dort die Schulausbildung absolviert. Weiters sei sie mit Kultur und gesellschaftlichen Gepflogenheiten ihres Herkunftsstaates vertraut. Aufgrund des relativ kurzen Aufenthalts im Bundesgebiet von zehn Monaten sei von keinem hohen Grad an Integration auszugehen. Die Erst-Bw spreche nur wenig Deutsch und habe bislang einen Deutschkurs Stufe 1 absolviert. Beruflich sei sie nicht integriert.

 

1.1.2. In rechtlicher Hinsicht führt die belangte Behörde aus, dass aufgrund der Einkommensverhältnisse der Familie feststehe, dass der Aufenthalt hier im Bundesgebiet zu einer finanziellen Belastung einer öffentlichen Gebietskörperschaft führen werde.

 

Die Sozialhilferichtsätze (Sozialhilfeverordnung des Landes OÖ.) erforderten für ein Ehepaar ein monatlich verfügbares Einkommen von 1.189,56 Euro, für ein minderjähriges Kind 122,41 Euro – insgesamt also 1.311,97 Euro.

 

Das monatliche Einkommen des Ehegatten der Erst-Bw betrage 1.367,41 Euro. Die Mietkosten beliefen sich auf 673,43 Euro. Der Wert für die "freie Station" betrage 253,51 Euro. Nach Abzug der Mietkosten und Addition des Werts der freien Station resultiere ein monatlich verfügbares Einkommen von 947,49 Euro. Die erforderlichen Existenzmittel seien somit nicht gesichert.

 

Nach einer Interessensabwägung im Sinne des § 66 FPG (in der bis zum 1. Juli 2011 geltenden Fassung) kommt die Behörde zu dem eindeutigen Schluss, dass die öffentlichen Interessen die familiären bzw. privaten Interessen der Bw überwögen.

 

1.2. Gegen diesen Bescheid erhoben die Bw mit Schriftsatz vom 7. April 2011 rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung.

 

In der Berufung wird u.a. angemerkt, dass die im angefochtenen Bescheid angeführten Umstände großteils nicht den Tatsachen entsprechen würden. Das Einkommen des Ehegatten der Erst-Bw betrage seit März 2011 monatlich 1.480,88 Euro netto. Dies sei um ca. 113 Euro mehr als der im Bescheid angenommene.

 

Die vom Ehegatten bezogene Wohnbeihilfe des Landes belaufe sich auf 315 Euro. Zudem lägen aufrechte Krankenversicherungen für Erst- und Zweit-Bw vor.

 

Es werde daher die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "beschränkt" gemäß § 44 NAG beantragt.

 

1.3. Die belangte Behörde legte zunächst den in Rede stehenden Verwaltungsakt der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vor.

 

Mit 1. Juli 2011 trat das Fremdenrechtsänderungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2011 in wesentlichen Teilen in Kraft. Aus § 9 Abs. 1a FPG in der nunmehr geltenden Fassung ergibt sich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist, weshalb der in Rede stehende Verwaltungsakt von der Sicherheitsdirektion – nach In-Krafttreten der Novelle am 1. Juli 2011 – dem Oö. Verwaltungssenat übermittelt wurde.

 

1.4. Mit Erkenntnissen vom 12. September 2011, VwSen-730195/3/BP/WU und VwSen-730196/2/BP/Wu, wurden die Berufungen der beiden Bw vom Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich mit näherer Begründung hinsichtlich Spruchpunkt I. als unbegründet ab-, hinsichtlich Spruchpunkt II. als unzulässig zurückgewiesen.

 

1.5. Gegen Spruchpunkt I. der in Punkt 1.4. genannten Entscheidungen erhoben die Bw Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. Oktober 2012, 2011/21/0231-9, beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich eingelangt am 30. Oktober 2012, wurden die Erkenntnisse vom 12. September 2011 im angefochtenen Umfang wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

 

Die Verfahren den aufgehobenen Spruchpunkt betreffend sind daher nun wieder offen und vom Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich ist ein Ersatzbescheid zu erlassen, bei welchem er an die die Aufhebung tragenden Gründe gebunden ist.

 

2.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde sowie durch Einsichtnahme in das verwaltungsgerichtliche Erkenntnis vom 2. Oktober 2011/21/0231-9.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte trotz der entsprechenden Ausführungen im ggst. verwaltungsgerichtlichen Erkenntnis abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt (§ 67d AVG). Zudem verzichtete die belangte Behörde, deren Bescheid nunmehr aufgrund der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zu beheben ist, mit E-Mail vom 2. November 2012 ausdrücklich auf die Abhaltung einer solchen.

 

2.2. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1.1.1. und 1.2. dieses Erkenntnisses dargestellten, im Wesentlichen unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

Insofern sich die Angaben bezüglich des Vorliegens einer Krankenversicherung für die Bw und die Höhe der Wohnbeihilfe widersprechen, werden die unter Punkt 1.2. angeführten Daten als entscheidungsrelevant anerkannt.

 

Hinsichtlich des Vorbringens der belangten Behörde in der E-Mail vom 5. November 2012, wonach davon auszugehen sei, dass nach wie vor kein ausreichendes Familieneinkommen vorliege, wird auf die von den Bw vorgelegte Stellungnahme der X vom 12. November 2012 verwiesen. Dieser ist zu entnehmen, dass Herr X laut Buchhaltung Oktober 2012 einen vorläufigen Gewinn (eine endgültige Gewinnberechnung ist erst nach der steuerlichen Veranlagung und somit erst nach Ablauf des Wirtschaftsjahres 2012 in Form einer Steuererklärung möglich) aus Gewerbebetrieb in Höhe von 17.600 Euro im Zeitraum Juli bis Oktober 2012 erzielt hat.

 

2.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

 

3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1. Im verwaltungsgerichtlichen Erkenntnis vom 2. Oktober 2012, 2011/21/0231, wird ausgeführt, der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich habe bei seiner Erstentscheidung unberücksichtigt gelassen, dass den Bw als Familienangehörige eines türkischen Staatsangehörigen die Stillhalteklausel des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 zu Gute komme. Gemäß dieser Bestimmung dürften die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Diese Klausel entfalte unmittelbare Wirkung und schließe bezüglich der in ihren Geltungsbereich fallenden türkischen Staatsangehörigen die Anwendbarkeit aller neu eingeführten Beschränkungen aus. Es sei daher im vorliegenden Fall mit der Stillhalteklausel nicht vereinbar, diesen einer restriktiveren Regelung zu unterwerfen, als sie eine frühere Rechtslage vorgesehen habe.

 

Nach der früheren Rechtslage dürften Wohnkosten in die Unterhaltsberechnung nicht eingerechnet werden.

 

3.2. Die Sozialhilferichtsätze (Sozialhilfeverordnung des Landes OÖ.) erfordern für ein Ehepaar ein monatlich verfügbares Einkommen von 1.189,56 Euro, für ein minderjähriges Kind 122,41 Euro – insgesamt also 1.311,97 Euro. Hinzu kommt mittlerweile – wie von der belangten Behörde in ihrer E-Mail vom 5. November 2012 festgehalten und von den Bw in ihren Stellungnahmen vom 13. bis zum 15. November unwidersprochen ist – ein zusätzliches Kind, sodass zu dem errechneten Betrag nochmals 122,41 Euro zu addieren sind. Der für den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet notwendige Betrag beträgt vor diesem Hintergrund 1.434,38 Euro.

 

Das monatliche Einkommen des Ehegatten der Erst-Bw beträgt – wenn man die von der Steuerberatungskanzlei X für die Monate Juli bis Oktober 2012 als vorläufigen Gewinn genannte Summe von 17.600 Euro entsprechend herunterbricht – 4.400 Euro. Selbst wenn die Mietkosten in Abzug gebracht werden dürften, wären aufgrund der geänderten Einkommensverhältnisse die erforderlichen Existenzmittel als gesichert anzusehen. Dies gilt umso mehr, als die Mietkosten – wie verwaltungsgerichtlich festgestellt wurde – im ggst. Fall vom genannten Betrag aufgrund der Stillhalteklausel nicht abgezogen werden dürfen.

 

Auch wenn es sich bei dem in Rede stehenden monatlichen Einkommen des Ehegatten der Erst-Bw um eine vorläufige Berechnung handelt und es daher wahrscheinlich noch korrigiert werden wird, geht der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich davon aus, dass die Differenz zwischen dem nunmehr ermittelten Betrag und der gesetzlich geforderten Mindestvoraussetzung so groß ist, dass das Familieneinkommen im Zuge der Korrektur nicht unter 1.434,38 Euro fallen dürfte. Der Versagungsgrund des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG liegt daher nicht vor.

 

Auch ist mit Blick auf die Stillhalteklausel nicht ersichtlich, dass die beiden Bw aus sonstigen Gründen ausgewiesen werden dürfen.

 

3.3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 23,00 Euro angefallen.

 

 

Hukuki itiraz yolu bilgilendirilmesi

İşbu karar karşı olağan kanun yolu açık değildir.

 

Talimat

Verilen karara karşı kararın tebliğ gününden itibaren altı hafta içinde Anayasa Mahkemesi’nde ve/veya Danıştay‘da itiraz edilebilinir. Yasal istisnalar hariç, şikayetin vekil tayin edilmiş bir avukat tarafından yapılması gerekmektedir. Her itiraz için 220.- Euro dilekçe harcı ödenilir.

 

 

Bernhard Pree

 

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