Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-101317/6/Bi/Fb

Linz, 28.04.1994

VwSen-101317/6/Bi/Fb Linz, am 28. April 1994 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Bissenberger über die Berufung des Johann F, M, M, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christian H, B, vom 12. Mai 1993 gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau/Inn vom 22. April 1993, Zl. VerkR96/8403/1992/Li, wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren diesbezüglich eingestellt.

II. Verfahrenskostenbeiträge sind nicht zu entrichten.

Rechtsgrundlage:

zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 und 45 Abs.1 Z2 VStG, §§ 15 Abs.2a iVm 99 Abs.3a StVO 1960.

zu II.: § 66 VStG.

Entscheidungsgründe:

zu I.:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Braunau/Inn hat mit dem oben angeführten Straferkenntnis über den Beschuldigten wegen der Verwaltungsübertretung gemäß §§ 15 Abs.2a iVm 99 Abs.3a StVO 1960 eine Geldstrafe von 1.000 S und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 48 Stunden verhängt, weil er am 10. April 1994 um ca 13.10 Uhr den PKW auf der I von M kommend in Richtung W in Richtung A gelenkt und bei km 3,205 ein Fahrzeug, dessen Lenker die Absicht anzeigte, nach links einzubiegen und das Fahrzeug links eingeordnet hatte, links überholt habe. Gleichzeitig wurde ihm ein Verfahrenskostenbeitrag von 100 S auferlegt.

2. Dagegen hat der Rechtsmittelwerber fristgerecht Berufung erhoben, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da keine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 51c VStG). Die Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung erübrigte sich, weil bereits aus der Aktenlage ersichtlich war, daß der angefochtene Bescheid aufzuheben war (§ 51e Abs.1 VStG).

3. Der Rechtsmittelwerber macht im wesentlichen geltend, die Behörde stütze sich in der Begründung allein auf das Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. S vor dem Bezirksgericht M, ziehe aus diesem Gutachten jedoch unrichtige Schlüsse. Der Zeuge W sei unmittelbar vor Beginn des Abbiegemanövers entweder dicht an der Leitlinie oder gering rechts davon gefahren, jedoch lasse sich nicht objektivieren, welche Fahrlinie er vorher eingeschlagen habe. Zum Blinkzeichen konnte der Sachverständige keine Angaben machen, sondern überlies dies der Beweiswürdigung. Der Sachverständige konnte auch seine Angaben nicht widerlegen, er habe, als der Beteiligte W noch nicht links eingeordnet gewesen sei, bereits links zu überholen begonnen. Auch stehe nicht mit Sicherheit fest, daß er unter Umständen einen Reaktionsverzug zu verantworten habe, da der Sachverständige die Bremsspurlänge nicht mit 17 m, sondern mit der beinahe doppelten Länge geschätzt habe. Eine fotogrammetrische Auswertung der Bremsspur sei nicht durchgeführt worden.

Die Erstinstanz habe weder seinem Antrag auf Lokalaugenschein unter Beiziehung eines Sachverständigen noch auf Einholung eines weiteren KFZ-Gutachtens Folge gegeben.

Diesbezüglich liege ein Verfahrensmangel vor. Aus dem Gutachten des Gerichtssachverständigen lasse sich keinesfalls ableiten, daß er ein Fahrzeug überholt habe, welches bereits links eingeordnet gewesen sei und den Abbiegevorgang angezeigt habe. Eine verspätete Reaktion stelle keinen Verstoß gegen § 15 Abs.2a StVO dar.

Überdies habe der Zeuge T angegeben, er habe den Blinker zum Linksabbiegen betätigt, als dies auch der Zeuge W getan habe. Gleichzeitig, als der Zeuge T den Blinker betätigte, habe er seinen PKW bemerkt, der sich bereits in Überholposition befand. Die Erstinstanz sei darauf nicht eingegangen.

Der Rechtsmittelwerber beantragt daher die Aufhebung des Straferkenntnisses, jedenfalls aber die Herabsetzung der Strafe bzw den Ausspruch einer Ermahnung aufgrund des erheblichen Mitverschuldens von seiten des Zeugen W.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz, in dem sich außer der Kopie der Lichtbildbeilage auch Teile des Aktes U97/92 des Bezirksgerichtes Mauerkirchen, insbesondere Befund und Gutachten des gerichtlich beeideten Sachverständigen Dr. Dipl.-Ing. Hans S befinden. Weiters wurde durch den unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich das Gutachten des Amtssachverständigen Ing.

Stefan H vom 10. Februar 1994, BauME-010191/233-1993/Ham/Pr zur Frage, inwieweit dem Rechtsmittelwerber bei Beginn des Überholmanövers die Absicht des Zeugen W nach links einzubiegen, bereits erkennbar sein mußte, eingeholt.

4.1. Auf dieser Grundlage geht der unabhängige Verwaltungssenat von folgendem entscheidungswesentlichen Sachverhalt aus:

Der Rechtsmittelwerber lenkte am 10. April 1992 gegen 13.10 Uhr seinen PKW auf der Imolkamer Bezirksstraße von Mettmach Richtung Wildenau. Kurz vor dem Ortsgebiet Wildenau bei Strkm schloß er auf zwei hintereinanderfahrende Fahrzeuge, nämlich den Klein-LKW des Zeugen Hermann W und den dahinterfahrenden PKW des Zeugen Anton T, auf. Beide beabsichtigten, zu einer linksseitig befindlichen Baustelle einzubiegen, und hielten bei einem Abstand der beiden Fahrzeuge von ca 20 m eine Geschwindigkeit von ca 40 km/h ein. Der Rechtsmittelwerber beabsichtigte, die beiden langsam fahrenden Fahrzeuge links zu überholen, und leitete mit einer Geschwindigkeit von 90 bis 100 km/h einen Überholvorgang ein, als er plötzlich wahrnahm, daß der Zeuge W links blinkte und mit seinem LKW in Richtung Baustellenzufahrt einbog. Trotz eines sofort eingeleiteten Bremsmanövers stieß der Rechtsmittelwerber mit seinem PKW gegen den Klein-LKW des Zeugen W. Der Verkehrsunfall wurde von Beamten des Gendarmeriepostenkommandos Maria S als Sachschadenunfall aufgenommen, jedoch stellte sich am nächsten Tag heraus, daß der Rechtsmittelwerber bei dem Unfall insofern verletzt worden war, als er unter anderem ein Peitschenschlagtrauma und eine Brustkorbprellung erlitten hatte.

Der Zeuge Hermann W wurde vor dem Bezirksgericht Mauerkirchen vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen.

Das Gutachten des Gerichtssachverständigen wurde sohin im Verfahren gegen den Zeugen W erstattet, wobei in erster Linie dessen Verhalten und nicht das Verhalten des Rechtsmittelwerbers einer Prüfung unterzogen wurde. Aus dem Gutachten ergibt sich zweifelsfrei, daß die Unfallstelle übersichtlich und die Baustellenzufahrt erstmals aus einer Entfernung von rund 80 m erkennbar ist. Die Unfallstelle wurde, weil ein Sachschadenunfall angenommen wurde, von der Gendarmerie nicht vermessen und es wurde auch keine Skizze angefertigt. Der Zeuge W vermaß die Bremsspur mit einer Länge von 17 m, allerdings ergab das gerichtliche Sachverständigengutachten, daß offensichtlich nur die stark ausgezeichneten Teile abgemessen wurden, sodaß die Bremsspur insgesamt mit der doppelten Länge angenommen wurde. Der Gerichtssachverständige hat weiters ausgeführt, daß der theoretische Reaktionspunkt des Rechtsmittelwerbers 72 m oder 3,1 sec vor der Kollision lag. Der Zeuge W legte im Abbiegevorgang eine Strecke von 8 m in 1,4 sec mit einer Geschwindigkeit von 20 km/h zurück. Daraus schloß der Sachverständige, daß der Rechtsmittelwerber nicht erst auf das Abbiegen selbst reagiert habe, sondern bedeutend früher, nämlich als sich der LKW 35 bis 38 m vor der späteren Kollisionsstelle befunden habe. Zu diesem Zeitpunkt hat der Rechtsmittelwerber laut eigenen Angaben das Blinken erstmals gesehen. Der Sachverständige kommt weiters zu der Auffassung, daß bei einer sofortigen Reaktion von Seiten des Rechtsmittelwerbers auf das ihm erkennbare Blinkzeichen am LKW von ihm der Unfall verhindert hätte werden können.

4.2. In rechtlicher Hinsicht ist zunächst auf die Bestimmung des § 15 Abs.2 lit.a StVO zu verweisen, wonach Fahrzeuge, deren Lenker die Absicht anzeigen, nach links einzubiegen, oder zum linken Fahrbahnrand zuzufahren, und die Fahrzeuge links eingeordnet haben, rechts zu überholen sind.

Sowohl aus den Aussagen des Rechtsmittelwerbers als auch aus den Ausführungen des Gerichtssachverständigen geht hervor, daß der Rechtsmittelwerber das Blinkzeichen und damit den bevorstehenden Linkseinbiegevorgang des Zeugen W erst wahrgenommen hat, als er sich bereits auf Höhe des PKW T befunden hat. Auch der Amtssachverständige Ing.

H hat ausgeführt, daß es durchaus möglich sei, daß der PKW des Zeugen T die Sicht des Rechtsmittelwerbers auf den Klein-LKW des Zeugen W verdeckte, sodaß dessen Blinkzeichen für den Rechtsmittelwerber bei Beginn des Überholmanövers nicht erkennbar waren.

Der Zeuge T hat bei der Gendarmerie ausgesagt, der Zeuge W habe etwa 50 m vor der Baustellenzufahrt zu blinken begonnen und er selbst habe wenig später den Blinker betätigt, wobei er im selben Augenblick einen links überholenden PKW bemerkte.

Auf der Grundlage des Akteninhalts steht für den unabhängigen Verwaltungssenat zweifelsfrei fest, daß der Rechtsmittelwerber die Absicht des Zeugen W, nach links einzubiegen, erst erkannt hat, als er sich in einer Position befunden hat, die ihm die Sicht auf den Blinker am Kleinbus ermöglichte. Zum Zeitpunkt des Ansetzens zum Überholen war der Rechtsmittelwerber somit nicht in der Lage, das beabsichtigte Linksabbiegemanöver zu erkennen. Aus diesem Grund gelangt der unabhängige Verwaltungssenat zu der Auffassung, daß den Rechtsmittelwerber an der Nichteinhaltung des Gebotes des § 15 Abs.2 lit.a StVO 1960 kein Verschulden trifft, wobei auch aus der vom Sachverständigen erwähnten Reaktionsverzögerung kein Verschulden zu konstruieren ist, weil die Frage der Möglichkeit des Abbruchs des Überholmanövers im Zusammenhang mit dem Vorliegen einer Verwaltungsübertretung irrelevant ist.

Abgesehen davon, daß der Rechtsmittelwerber bei dem Unfall selbst Verletzungen davongetragen hat, die sicher sein Verhalten im Straßenverkehr im Hinblick auf größere Vorsicht und Geduld beeinflußt haben, wäre ihm - im Nachhinein betrachtet - höchstens ein Vorwurf daraus zu machen, in einer für ihn unklaren Verkehrssituation (auf einem übersichtlichen und geraden Straßenstück fahren zwei Fahrzeuge ohne erkennbaren Grund mit einer Geschwindigkeit von nur 40 km/h) überhaupt überholt zu haben. Ein derartiger Tatvorwurf wurde ihm jedoch nie gemacht.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

zu II.:

Der Ausspruch über den Entfall der Verfahrenskosten ist gesetzlich begründet.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Mag. Bissenberger

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