Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-750063/4/BP/WU

Linz, 17.12.2012

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch seine 10. Kammer (Vorsitzender: Mag. Christian Stierschneider, Berichter: Mag. Dr. Bernhard Pree, Beisitzer: Mag. Dr. Markus Brandstetter) über die Berufung der X, geb. X, vertreten durch X, gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes des Bezirks Eferding vom 30. Oktober 2012, GZ.: Sich96-55-2012, wegen einer Übertretung nach dem Fremdenpolizeigesetz zu Recht erkannt:

 

            I.      Der Berufung wird stattgegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

 

        II.      Die Berufungswerberin hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zu leisten. 

 

Rechtsgrundlagen:

zu I.: §§ 24 und 51 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991-VStG iVm. § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG;

zu II.: § 64ff. VStG.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1.1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Eferding vom 30. Oktober 2012, GZ.: Sich96-55-2012, wurde über die Berufungswerberin (in der Folge: Bw) gemäß § 120 Abs. 1a FPG eine Geldstrafe in der Höhe von 2.500,-- Euro sowie im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 8 Tagen verhängt. Die belangte Behörde führt dabei folgenden Tatvorwurf aus:

 

"Wie von Beamten der PI X am 10.08.2012 um 14:00 Uhr in der Flüchtlingsunterkunft X anlässlich einer fremdenpolizeilichen Überprüfung festgestellt wurde, sind Sie Fremde im Sinne des § 2 Abs. 4 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes und hielten sich zum Tatzeitpunkt unrechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich auf, da Sie gem. § 31 Abs. 1 FPG weder aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz noch aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind, Sie nicht im Besitze eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind, ihnen eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz nicht zukommt, Sie nicht Inhaber einer Beschäftigungsbewilligung, Entsendebewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz sind und sich auch kein Aufenthaltsrecht aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt."

 

1.1.2. Begründend führt die belangte Behörde zum Sachverhalt ua. aus, dass anlässlich einer Fremdenkontrolle am angeführten Tatort zur angeführten Tatzeit festgestellt worden sei, dass die Bw sich im Bundesgebiet von Österreich nicht rechtmäßig aufhalte. Die Bw stamme vermutlich aus Georgien, sei somit Drittstaatsangehörige und könne sich nicht auf die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union berufen. Sie sei somit eine sichtvermerkspflichtige Fremde in Österreich, welche zum Tatzeitpunkt über keinerlei Reisedokumente respektive über keinen Einreisetitel (Sichtvermerk) für Österreich verfüge.

 

Auch habe die Bw sich nicht auf eine Aufenthaltsberechtigung, eine Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene aus Usbekistan/Georgien gem. § 31 Abs. 1 Z 2 FPG berufen können. Die Bw könne sich nicht auf einen rechtmäßigen Aufenthalt gem. § 31 Abs. 1 Z 3 FPG berufen, da sie einen von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitel nicht habe vorweisen können.

 

Das Asylbegehren der Bw sei mit AGH-Erkenntnis vom 29. Juni 2012, nachweislich zugestellt am 3. Juli 2012, gem. §§ 3 und 8 Asylgesetz abgewiesen und die Bw gem. § 10 Asylgesetz aus dem Bundesgebiet von Österreich ausgewiesen worden. In diesem AGH-Erkenntnis und auch in der fremdenpolizeilichen Mitteilung gem. § 58 FPG, zugestellt am 3. Juli 2012, sei der Bw aufgetragen worden, das Bundesgebiet binnen 14 Tagen freiwillig zu verlassen. Ihr gem. § 31 Abs. 1 Z 4 FPG temporär befristetes Aufenthaltsrecht in Österreich habe somit am 3. Juli 2012 geendet.

 

Eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu 6 Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gem. § 3 Abs. 5 AuslBG oder gem. § 18 Abs. 3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu 6 Monaten besitze die Bw gem. § 31 Abs. 1 Z 6 FPG nicht bzw. ergebe sich auch nicht gem. § 31 Abs. 1 Z 7 FPG aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften. Die Bw lebe bis dato von der Grundversorgung und ginge keiner Arbeit nach.

 

Mit Strafverfügung vom 17. Juli 2012, rechtskräftig am 1. August 2012, habe die Bw wegen der Verwaltungsübertretung gem. § 120 Abs. 1a iVm. § 31 Abs. 1 FPG eine Geldstrafe von 250 Euro erhalten.

 

Im Identitätsprüfungsverfahren zum Zwecke der Erlangung von Heimreisezertifikaten am 17. Juli 2012 habe die Bw den vorgelegten Antrag eines usbekischen Heimreisezertifikates nur lückenhaft ausgefüllt. Das Beantworten von Fragen zu ihrer Herkunft habe sie jedoch abgelehnt.

 

Mit Schreiben vom 30. August 2012 sei die Bw aufgefordert worden, sich zum Tatvorwurf ihres unrechtmäßigen Aufenthaltes zu rechtfertigen.

 

Mit Schreiben vom 10. September 2012 habe Herr X Stellung im Verwaltungsstrafverfahren des Mannes der Bw genommen. Hinsichtlich des Tatvorwurfes in ihrem Verwaltungsstrafverfahren sei keine Stellungnahme erfolgt und sei auch keine Vollmacht nachgewiesen worden.

 

Seit dem 10. Oktober 2012 sei für die Bw und ihren Ehemann die Verpflegungsgeldauszahlung ausgesetzt worden.

 

In der zum geplanten Einreiseverbot gem. § 53 FPG aufgenommenen Niederschrift vom 24. Oktober 2012 habe die Bw Fragen zu ihrer Herkunft wie folgt beantwortet:

 

"Wissen Sie welche Produkte in Usbekistan erzeugt werden? früher Baumwolle jetzt weiß ich nicht

Welcher Fluss durchfließt dass Ferghanatal? weiß ich nicht

In welchen 3 Staaten liegt das Ferghanatal? weiß ich nicht

Wie heißt der Präsident, die Währung und die Hauptstadt von Usbekistan? weiß ich nicht

Wie heißt der Präsident, die Währung und die Hauptstadt von Aserbaidschan?

1 Manat =100 Qäpik, Ilhan Aliyev ist Präsident, Baku ist die Hauptstadt in der wir 20 Jahre gewohnt haben, blau-rot-grün mit Halbmond und Stern, Fluss: Kur

Wieviele Verwaltungsreyons hat Aserbaidschan: mehr als 10

 

Wie heißt der Präsident, die Währung und die Hauptstadt von Georgien? Lari, den Namen des Präsidenten hab ich vergessen und an die Hauptstadt kann ich mich auch nicht erinnern. Schwarzes Meer. Im Winter ist es kalt und heiß im Sommer; Gebirgszug Kaukasus

Die Fahne hat vier kleine, rote Kreuze und in der Mitte so glaube ich ein großes rotes Kreuz sonst ist sie weiß, Weinanbau

 

Wo sind Sie zur Schule gegangen, wie hieß ihre Lehrerin? kein Schulbesuch, als meine Tochter zur Welt gekommen ist, habe ich mir das Schreiben selber beigebracht"

 

1.1.3. Die Behörde hat ua. erwogen, dass sich Fremde, sofern kein Fall des § 31 Abs. 1 FPG vorliege, nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten würden; die objektive Tatseite des § 120 Abs. 1a FPG liege somit vor.

 

Das FPG enthalte keine eigene Regelung hinsichtlich des Verschuldens, weshalb
§ 5 Abs. 1 VStG zur Anwendung komme, wonach zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten genüge. Fahrlässigkeit sei bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schaden oder einer Gefahr nicht gehöre und der Täter nicht glaubhaft mache, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden treffe (Ungehorsamkeitsdelikt).

 

Die gegenständliche Verwaltungsübertretung sei ein Ungehorsamsdelikt und genüge daher fahrlässige Tatbegehung. Die Bw habe daher initiativ alles darzulegen, was für ihre Entlastung spreche. Dies habe in erster Linie durch geeignetes Tatsachen vorbringen und durch Beibringen von Beweismitteln oder Stellung konkreter Beweisanträge zu erfolgen.

 

Im Verfahren zur Überprüfung der Identität habe die Bw bis dato nur bei genauen Befragungen mitgewirkt. In der Niederschrift vom 24. Oktober 2012, nachdem die Bw von einer NGO Rechtsberatung erhalten habe, habe sie behördliche Fragen zu ihrem Herkunftsland widersprüchlich zum Asylverfahren beantwortet. Einfache Fragen zum Gebiet von Usbekistan habe die Bw nicht beantworten können. Auf Fragen zu Aserbaidschan sei sie gut vorbereitet gewesen, jedoch habe sie nicht gewusst, dass Aserbaidschan 70 Verwaltungsrayons habe. Auch die Fahne von Aserbaidschan habe sie nicht exakt beschreiben können.

Fragen zu Georgien habe die Bw ohne Schwierigkeiten beantworten können, jedoch habe sie nicht sagen können oder wollen wie die Hauptstadt von Georgien oder der Präsident heißen.

 

Aufgrund der Angaben in der Niederschrift vom 24. Oktober 2012 habe die Fremdenbehörde den Eindruck gewonnen, dass die Bw keine Staatsangehörige von Usbekistan sei. Bemühungen seitens der Fremdenbehörde einen Passersatz von der usbekischen Botschaft in Österreich zu bekommen, respektive Bemühungen von X der Bw die Vorsprache bei der usbekischen Botschaft zu ermöglichen, um Dokumente zu bekommen, seien somit fehlgeschlagen. Für die Fremdenbehörde sei es erwiesen, dass die Bw, ihr Mann und ihre Kinder Staatsbürger von Georgien seien und sie der aserbaidschanischen Minderheit angehören.

Fragen zu Aserbaidschan habe die Bw nur zögerlich beantwortet. Allgemeinfragen zu Georgien, die man nur wisse, wenn man dort gelebt habe, habe sie richtig und ohne zu überlegen beantwortet.

Konkrete Fragen zu ihrer Familie, insbesondere zu Familiennamen, Verwandte, Bekannte, Schulbesuchen etc. habe die Bw auch diesmal nicht beantwortet.

 

Da die Bw sowohl im AsylGH-Erkenntnis als auch durch Mitteilung gem. § 58 FPG aufgefordert worden sei, das Bundesgebiet von Österreich zu verlassen, finde sie sich damit ab, behördliche Fragen zu ihrer Familie und Herkunft zum Teil nicht bzw. falsch zu beantworten und wolle sie so ihren unrechtmäßigen Aufenthalt in Österreich absichtlich erzwingen.

 

Umstände, die einen entsprechenden Schuldentlastungsbeweis darstellen könnten, habe sie bis dato nicht geltend gemacht.

 

Die Bw habe somit eine Verwaltungsübertretung gem. § 120 Abs. 1a iVm. § 31 Abs. 1 Z 4 FPG 2005 idgF. begangen. Es sei zu berücksichtigen gewesen, dass eine einschlägige Strafe am 17. Juli 2012 verhängt worden sei, die inzwischen rechtskräftig geworden sei.

 

1.2. Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die vorliegende Berufung vom 13. November 2012, die von Herrn X, der lt. Vollmacht vom 6. November 2012 der Vertreter der Bw ist, eingebracht wurde.

 

Begründend wird Folgendes ausgeführt:

 

1.      Aufgrund von Missverständnissen zwischen der Bw und Herrn X wurde im bisherigen Verfahren verabsäumt, sich zum Tatvorwurf des unrechtmäßigen Aufenthaltes zu rechtfertigen (30.8.2012) und gegen die Strafverfügung vom 21.9.2012 zu berufen. Der Ehemann der Bw, Herr X, erhielt eine sinngemäß gleichlautende Rechtfertigungsaufforderung und ebenso eine Strafverfügung. Irrtümlich wurde nur für Herrn X eine Rechtfertigung verfasst (10.9.2012) und die Strafverfügung (Sich96-56-2012-As/Bm) beeinsprucht (7.10.2012). Der UVS gab im Erkenntnis VwSen-750057/2/BP/WU vom 18.10.2012 der Berufung statt und hob den angefochtenen Bescheid auf. Es ist davon auszugehen, dass der UVS das auch im Fall der Bw getan hätte, wenn Berufung eingelegt worden wäre, weil der Sachverhalt ident war.

2.      Die Behörde wirft der Bw auf S.4 des Straferkenntnisses vom 30.10.2012 vor, dass sie „behördliche Fragen zu Ihrem Herkunftsland widersprüchlich zum Asylverfahren" beantworte. Dieser Vorwurf wird durch keinerlei Fakten untermauert und ist haltlos. Die Aussagen der Bw decken sich mit jenen des Asylverfahrens. Ebenso entspricht der Vorwurf aus S.5, „dass Sie behördliche Fragen zu Ihrer Familie und Ihrer Herkunft zum Teil nicht bzw. falsch beantwortet haben und so Ihren unrechtmäßigen Aufenthalt in Österreich absichtlich erzwingen wollen" nicht den Tatsachen. Die Bw habe immer betont, dass sie Angehörige der Volksgruppe der Mescheten ist, in Fergana, Usbekistan geboren wurde und nach den Pogromen gegen ihre Volksgruppe, bei denen ihre Eltern getötet wurden, nach Aserbaidschan evakuiert wurde. Das Nichtbeantworten mancher Fragen zu ihrer Familie bzw. Herkunft, geschah nicht aus Berechnung, wie die Behörde behauptet, sondern aus folgenden  nachvollziehbaren Gründen:

          Die Bw war 1989 ein Kind. Da sie danach nie mehr nach Usbekistan zurückkehrte, ist es nicht verwunderlich, dass sie viele Einzelheiten vergessen hat.

          Sie ist nie zur Schule gegangen und lernte erst viel später Lesen und Schreiben. Es erscheint logisch, dass daher ihr Wissensstand im Jahre 1989 gegenüber einem vergleichbaren österreichischen Kind gravierend hinterherhinkte.

          Es ist fraglich, ob in einem usbekischen Dorf jede Straße einen Namen und jedes Haus eine Nummer hatte. Es gibt auch heute noch Länder, die viel moderner sind als Usbekistan im Jahre 1989, wo das nicht der Fall ist (z.B. Türkei).

          In turksprachigen Kulturen spielt der Familienname im Alltag praktisch keinerlei Rolle, da ausschließlich der Vorname gebraucht wird. So kannte auch ich (Vertreter X) die Familiennamen meiner Nachbarn in Istanbul nicht, obwohl ich 7 Jahre lang im gleichen Wohnblock wohnte und einen sehr guten Kontakt zu ihnen hatte. Der Familienname war einfach kein Thema. Wenn nun die Bw große Wissenslücken aufweist, was die Familiennamen ihrer Bekannten und Verwandten anbelangt, so ist bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen kein österreichischer Maßstab anzulegen, sondern muss ihr kulturelles Umfeld berücksichtigt werden. Diese Überlegungen scheint die Behörde offensichtlich nicht in Erwägung gezogen zu haben.

          Die traumatischen Auswirkungen eines Pogroms, bei dem ein Kind seine Eltern und seine Heimat verliert, auf das Erinnerungsvermögen dieses Kindes wird von der Behörde nicht einmal ansatzweise in Erwägung gezogen.

3.      Die Behörde kommt richtigerweise zum Schluss, dass die Bw keine Staatsangehörige von Usbekistan ist. Völlig haltlos ist jedoch die Behauptung auf S.5: „Für die Fremdenbehörde Eferding ist es seit dem 24.10.2012 aufgrund Ihrer eindeutigen Angaben erwiesen, dass Sie, Ihr Mann und Ihre Kinder Staatsbürger von Georgien sind und Sie der aserbaidschanischen Minderheit angehören." Wahr ist vielmehr, dass die Bw noch nie in ihrem Leben in Georgien war. Auf die wenigen, vollkommen allgemeinen Fragen wusste sie teilweise die Antwort, teilweise fehlte ihr das Wissen. Die Frage nach der georgischen Fahne konnte sie zuerst nur äußerst vage beantworten, nähere Details wie das große rote Kreuz in der Mitte konnte sie erst beantworten, als ihr die Antwort schon praktisch in den Mund gelegt wurde, aber selbst da blieb sie unsicher. Dass jemand, der 20 Jahre in der Kaukasusrepublik Aserbaidschan gelebt hat, richtig vermutet, dass auch Georgien Anteil am Kaukasus hat, ist nicht sehr verwunderlich. Umso mehr sind manche Kenntnisse über Georgien und ein gewisses Interesse an diesem Land für sie als Angehörige des Volkes der Mescheten, das ja ursprünglich aus Georgien stammt und unter Stalin von dort deportiert wurde, geradezu zu erwarten. Ihr gemeinsamer Großvater, bei dem die Bw und ihr Ehemann die nächsten Jahre in Aserbaidschan aufwuchsen, oder auch andere ihnen bekannte Angehörige ihrer Volksgruppe könnten ihr vom Schwarzen Meer oder vom Kaukasus erzählt haben. Das Wissen von ein paar allgemeinen Fakten über Georgien als ausreichend anzusehen, dass eine georgische Staatsbürgerschaft als „erwiesen" (S.5) anzusehen ist, ist ungeheuerlich. Umso mehr als die Bw über Aserbaidschan besser Bescheid wusste, das für die Behörde aber nicht zwangsläufig eine aserbaidschanische Staatsbürgerschaft nahelegte.

4.      Im Urteil des Asylgerichtshofs (ZI. D18 422837-2/2012/3E) heißt es auf S.4,1.4 und auf S. 81.8, dass das Bundesasylamt die „Volksgruppenzugehörigkeit" (zur Volksgruppe der Mescheten) von der Bw feststellte. Ebenso stellte auch der Asylgerichtshof fest, dass die Bw „Angehörige der Volksgruppe der Mescheten" ist (S.12 H.2.). Dem widersprechend behauptet die Behörde, dass die Bw Angehörige der aserischen Minderheit in Georgien sei, ohne dafür stichfeste Belege zu liefern. Die Behörde setzt sich damit über die Erkenntnisse sowohl des Bundesasylamts als auch des Asylgerichtshofs hinweg.

5.      Die Behauptung, dass die Bw georgische Staatsbürgerin sei, ist haltlos. Die Behörde bescheinigt ihr aber, dass sie keine Staatsangehörige von Usbekistan ist. Somit ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Frau X staatenlos ist. Bezugnehmend auf das Erkenntnis des UVS VwSen-750057/2/BP/WU vom 18.10.2012 im Fall X, ist es auch der Bw bei bestem Willen unmöglich, Österreich legal zu verlassen, weshalb sie „subjektiv nicht in der Lage gewesen wäre, den objektiv vorliegenden rechtswidrigen Aufenthalt zu beenden" (S.9).

6.      Der Bw wird von der Behörde ein Ungehorsamsdelikt und fehlende Mitwirkung vorgeworfen. Bisher wurde der Familie der Bw eine angebliche usbekische Staatsbürgerschaft vorgehalten. Wie im Erkenntnis des UVS VwSen-750057/2/BP/WU vom 18.10.2012 im Fall X bestätigt wurde, traf das nicht zu. Nun wird von der Behörde eine georgische Staatsbürgerschaft behauptet. Der Bw war es in der kurzen Zeit seit 30.10.2012 nicht möglich, diese Behauptung durch Beweismittel zu widerlegen. Sie ist aber willens, bei der georgischen Botschaft einen  Staatsbürgerschaftsnachweis zu beantragen. Die Familie der Bw hat schon durch das Vorsprechen ihres Ehemannes in der usbekischen Botschaft ihre Bereitschaft zur Mitwirkung in der Staatsbürgerschaftsfrage gezeigt.

7.      Die beiden Kinder der Bw, X, geb. X und besonders X, geb. X hatten erstmals in Österreich die Möglichkeit erhalten, die Schule zu besuchen. Ein Herausreißen aus diesem Umfeld wäre in Hinblick auf das Kindeswohl unverantwortlich. Das umfassende Wohl von Kindern und Jugendlichen gehört mit der Aufnahme in die österreichische Verfassung am 20.1.2011 zu den grundlegenden Staatszielen. Auch in der oberösterreichischen Landesverfassung werden die Kinderrechte explizit erwähnt.

8.      Die Behörde übersieht in dieser Sache völlig, dass diese Geldstrafe gegen eine staatenlose, und völlig mittellose Familie gerichtet ist, die durch die Erlebnisse in der Vergangenheit ohnehin schon unvorstellbar hohem psychischem Druck ausgesetzt ist. Durch diese Geldstrafe wird weiterer Druck erzeugt, um sie zum Verlassen des Staatsgebietes zu drängen, ohne dass diese Familie eine legale Möglichkeit hat, von einem anderen Staat aufgenommen zu werden, dort einen Rechtsstatus zu erhalten und sich dort eine Existenz aufzubauen.

 

Abschließend werden die Anträge gestellt

-         das angefochtene Straferkenntnis vom 30. Oktober 2012 aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen,

-         das Straferkenntnis vom 30. Oktober 2012 gem. AVG 68 Abs. 4 von Amts wegen aufzuheben,

-         in eventu der Bw eine Frist einzuräumen, um einen Staatsbürgerschaftsnachweis bei der georgischen Botschaft in Wien beantragen zu können.

 

 

2.1. Mit Schreiben vom 20. November 2012 übermittelte die belangte Behörde den bezughabenden Verwaltungsakt dem UVS des Landes Oberösterreich.

 

2.2.1. Der Oö. Verwaltungssenat erhob Beweis durch Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt und den Berufungsschriftsatz.

 

2.2.2. Mit E-Mail vom 29. November 2012 übermittelte die belangte Behörde dem UVS weitere Unterlagen, aus denen sich ua. ergibt, dass betreffend die Bw (wie auch betreffend ihren Ehegatten) keinerlei Informationen bei den staatlichen Institutionen Aserbeidschans vorliegen. Eine diesbezügliche Anfrage an Georgien sei noch nicht beantwortet worden.

 

Mit E-Mail vom 12. Dezember 2012 übermittelte der Vertreter der Bw eine Mitteilung der georgischen Botschaft (georgisches Konsulat) vom 6. Dezember 2012, wonach die Identität der Bw dort nicht bekannt, sie jedenfalls nicht georgische Staatsangehörige sei und einen derartigen Titel derzeit nicht erwerben könne, zumal dafür die Geburt in Georgien oder eine Einbürgerung (Naturalisation) erforderlich wäre. 

 

2.2.3. Da sich bereits aus der Aktenlage ergab, dass der mit Berufung bekämpfte Bescheid aufzuheben war, entfiel die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung gemäß § 51e Abs. 2 Z. 1 VStG.

 

2.3. Der Oö. Verwaltungssenat geht von dem unter den Punkten 1.1. und 1.2. dieses Erkenntnisses dargestellten, entscheidungs­relevanten Sachverhalt aus.

 

Insbesondere ergibt sich aus den unter dem Punkt 2.2.2. dargestellten nachträglich eingeholten Informationen, dass die Bw tatsächlich über keine Staatsangehörigkeit verfügt. 

 

2.4. Da im angefochtenen Bescheid eine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, ist der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Entscheidung durch die nach der Geschäftsverteilung zuständige Kammer berufen (§ 51c VStG).

 

 

3. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

 

3.1. Gemäß § 120 Abs. 1a des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 87/2012, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 500 Euro bis zu 2.500 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen zu bestrafen, wer sich als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Wer wegen einer solchen Tat bereits einmal rechtskräftig bestraft wurde, ist mit Geldstrafe von 2.500 Euro bis zu 7.500 Euro oder mit Freiheitsstrafe bis zu vier Wochen zu bestrafen. Als Tatort gilt der Ort der Betretung oder des letzten bekannten Aufenthaltsortes; bei Betretung in einem öffentlichen Beförderungsmittel die nächstgelegene Ausstiegsstelle, an der das Verlassen des öffentlichen Beförderungsmittels gemäß dem Fahrplan des Beförderungsunternehmers möglich ist.

 

Gemäß § 31 Abs. 1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1. wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im   Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die     durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung          bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;

2. wenn sie aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur          Niederlassung oder zum Aufenthalt oder aufgrund einer Verordnung für       Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;

3. wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten    Aufenthaltstitels sind, sofern sie während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet   keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen;

4. solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen         zukommt;

5. (aufgehoben durch BGBl. I Nr. 122/2009)

6. wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländer­beschäfti­gungs-        gesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsende­be-­       willi­gung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3     Abs. 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs. 3 AuslBG mit       einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, innehaben oder

7. soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.

 

Gemäß § 120 Abs. 7 liegt eine Verwaltungsübertretung nach Abs. 1 nicht vor, wenn der Fremde einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und ihm der Status des Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde. Während des Asylverfahrens ist das Verwaltungsstrafverfahren unterbrochen.

 

3.2. Im hier zu beurteilenden Fall stellt auch die Bw selbst das Vorliegen der objektiven Tatseite, somit das Bestehen des rechtswidrigen Aufenthalts, nicht in Abrede, weshalb sich eine Erörterung auch nach Aktenlage hiezu erübrigt.

 

Zu prüfen ist allerdings, ob dieser unrechtmäßige Aufenthalt der Bw subjektiv vorgeworfen werden kann.

 

3.3.1. Das FPG enthält keine eigene Regelung hinsichtlich des Verschuldens, weshalb § 5 Abs. 1 VStG zur Anwendung kommt, wonach zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten genügt. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft (Ungehorsamsdelikt).

 

3.3.2. Auch die gegenständliche Verwaltungsübertretung stellt ein Ungehorsamsdelikt dar. Es genügt daher fahrlässige Tatbegehung. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat ein Beschuldigter initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht. Dies hat in erster Linie durch geeignetes Tatsachenvorbringen und durch Beibringung von Beweismitteln oder Stellung konkreter Beweisanträge zu geschehen. Bloßes Leugnen oder allgemein gehaltene Behauptungen reichen für die "Glaubhaftmachung" nicht.

 

3.3.3. Schon bei einer Stellungnahme im Rahmen eines gegen den Ehegatten der Bw geführten Verwaltungsstrafverfahrens vor der belangten Behörde hatte dieser darauf hingewiesen, dass ihm eine Ausreise aufgrund des ungeklärten Staatsbürgerschaftsstatus und aufgrund mangelnder Dokumente nicht möglich sei (vgl. Feststellungen im Erkenntnis des UVS des Landes Oberösterreich vom 18. Oktober 2012 zu VwSen-750057). Offensichtlich bestehen bei diesem Ehegatten und der Bw gleichgelagerte Lebenssachverhalte, zumal diese über ein und den selben Großvater verfügen auch gleichgelagerte Aufenthalts- bzw. Reisesituationen vorliegen. Ebenfalls scheint auch im Fall der Bw die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Mescheten gesichert zu sein (vgl. Asylverfahren).

 

Diese Anmerkung konkretisierte die Bw nunmehr in der Berufung, wonach auch sie weder als usbekische Staatsangehörige anzusehen sein wird noch die Staatsangehörigkeit anderer konsultierter vorderasiatischer Staaten in Anspruch nehmen kann, was aber zur Folge hat, dass sie auch bei gegebener Ausreisewilligkeit Österreich gar nicht würde legal verlassen können, da sie in keinen anderen Staat einreisen dürfte. Die Bw zeigte sich zudem durchaus bereit mitzuwirken, um ihren Status klären zu lassen.

 

Ein Verschulden in welcher Form auch immer schon zum Tatzeitpunkt muss daher verneint werden, da die Bw subjektiv nicht in der Lage gewesen wäre, den objektiv vorliegenden rechtswidrigen Aufenthalt zu beenden.

 

Dieser Feststellung steht auch nicht entgegen, dass die Bw nicht zuletzt im Asylverfahren als usbekische Staatsangehörige qualifiziert wurde, da eine Ausreise dort hin ihr offensichtlich jedenfalls nicht möglich sein wird, wie sich nunmehr gezeigt hat.

 

3.3.4. Die subjektive Tatseite ist somit nicht erfüllt.

 

3.4. Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass – zumindest mangels Vorliegens der subjektiven Tatseite - der in Rede stehenden Berufung stattzugeben, der angefochtene Bescheid aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen war.

 

 

4. Gemäß § 64ff. VStG war der Bw weder ein Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vor der belangten Behörde noch ein Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem UVS des Landes Oö. aufzuerlegen.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

 

 

Mag. Christian Stierschneider

 

 

 

 

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum