Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-301136/3/MB/WU

Linz, 14.02.2013

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch seine 11. Kammer (Vorsitzender: Dr. Weiß; Berichter: Dr. Brandstetter; Beisitzer: Dr. Gróf) über die Berufung des X, geb. X, vertreten durch X, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz vom 20. Dezember 2011, Zl. S-49518/11-2, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem Glücksspielgesetz zu Recht erkannt:

 

I.             Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 und Z 3 VStG eingestellt.

 

II.          Der Berufungswerber hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Kostenbeitrag für das Berufungsverfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat zu leisten.

 

Rechtsgrundlagen:

zu I: § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG iVm § 66 Abs 4 Allgemeines Verwal­tungsverfahrens­gesetz 1991 – AVG;

zu II: § 66 Abs 1 VStG.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz (nunmehr: Landespolizeidirektion Oberösterreich; im Folgenden: belangte Behörde) vom 20. Dezember 2011, Zl. S-49518/11-2, wurde der Berufungswerber (im Folgenden: Bw) für schuldig erkannt, er habe es, wie am 15. September 2011 um 9:49 Uhr in Linz, X, im Lokal "X" von Organen des Finanzamtes Linz festgestellt wurde, als handelsrechtlicher Geschäftsführer der Firma X, X, in der Funktion als Veranstalter von Glücksspielen zu verantworten, dass gegen die Mitwirkungspflicht gem. § 50 Abs 4 GSpG verstoßen wurde, da er den Organen des Finanzamtes Linz die geforderten Auskünfte zu den Glücksspielgeräten nicht erteilt habe bzw. keine Geldbeträge zwecks Durchführung von Testspielen ausgehändigt und keinen Einblick in die geführten Aufzeichnungen ermöglicht habe.

 

Als verletzte Rechtsvorschriften führte die belangte Behörde § 9 Abs 1 VStG iVm § 50 Abs 4 Satz 2 GSpG iVm § 52 Abs 1 Z 5 GSpG an, verhängte über den Bw eine Geldstrafe in Höhe von 3.500 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 4 Tage) und verpflichtete ihn zur Leistung eines Beitrags zu den Kosten des Strafverfahrens erster Instanz in Höhe von 10 % der Geldstrafe.

 

1.2. Zum Sachverhalt stellte die belangte Behörde fest, dass zum Tatzeitpunkt von Organen des Finanzamtes Linz im "X", X, in Linz eine Glücksspielkontrolle durchgeführt worden sei. Als Betreiber dieser Glücksspiele sei die X anzusehen, als dessen handelsrechtlicher Geschäftsführer der Bw fungiere, welcher aber bei der Kontrolle nicht anwesend gewesen sei. Bei dieser Kontrolle habe die Finanzpolizei 10 betriebsbereite Geräte eingeschaltet vorgefunden. Die Organe des Finanzamtes Linz haben sodann die im Lokal anwesende Angestellte aufgefordert, die notwendigen Auskünfte zu erteilen, Einsicht in die notwendigen Unterlagen zu gewähren und Spielgeld für die Testspiele zur Verfügung zu stellen. Die Angestellte habe sodann eine Dienstanweisung, welche vom Bw stamme, vorgelegt und den Bw telefonisch informiert, dass die einschreitenden Organe Spielgeld zur Verfügung gestellt und Einsicht in die Unterlagen gewährt haben wollen. Zudem sei der Bw persönlich telefonisch von einem Organ des Finanzamtes Linz angewiesen worden, die notwendigen Auskünfte zu erteilen, Einsicht in die notwendigen Unterlagen zu gewähren und Testspiele für die Geräte zu ermöglichen. Diesen Anweisungen sei der Bw nicht nachgekommen.

 

1.3. In rechtlicher Hinsicht wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass unbestritten feststehe, dass es sich bei den vorgefundenen Gerätschaften um betriebsbereite und eingeschaltete Glücksspielgeräte handle. Zudem sei ersichtlich, dass der Bw als handelsrechtlicher Geschäftsführer der X, welche als Veranstalter und Betreiber anzusehen sei, gemäß § 9 VStG verantwortlich sei. Auch sei das Verhalten der zuvor erwähnten Angestellten dem Bw zurechenbar. Als Indiz hierfür könne die Dienstanweisung des Bw gewertet werden.

 

Nach Bewertung des § 50 Abs. 4 GSpG als Ungehorsamsdelikt führt die belangte Behörde aus, dass vor diesem Hintergrund das verantwortliche Organ – der Bw – dann strafbar sei, wenn er nicht genügend Verkehrungen getroffen habe, um die Verwirklichung des Tatbildes durch den unmittelbaren Täter zu verhindern. Es liege daher eine Unterlassung dem Vorwurf zugrunde. Im gegenständlichen Fall habe der Bw keine Vorkehrungen getroffen, sondern habe vielmehr gegenteilig eine schriftliche Dienstanweisung an das Personal ausgegeben, worin der Auftrag enthalten sei, dass das Personal betriebsfremden Personen, auch Behördenvertretern gegenüber keinerlei Angaben oder Aussagen über Betriebsabläufe machen dürfe. Weiters besage diese Anweisung, dass bei Erscheinen der Organe unverzüglich der Betriebsführer zu verständigen und die Organe aufzufordern seien, bis zum Eintreffen desselbigen zuzuwarten. In weiterer Folge werde auf ein Aussageverweiterungsrecht der Mitarbeiter gem. § 158 Abs.1 Z 1 StPO bzw. § 49 Abs. 1 Z 1 AVG hingewiesen.

 

Weiters folgert die belangte Behörde, dass der Bw mit Erlassung der verfahrensgegenständlichen "Dienstanweisung" ein Verhalten gesetzt habe, welches vorsätzliches Handeln indiziere. Zudem stehe fest, dass durch die (anwesende) Mitarbeiterin welche vom Bw durch "Anweisungen" geleitet worden sei, keine umfassenden Auskünfte gegeben und keine Geldbeträge zur Durchführung von Probespielen ausgehändigt worden seien. Auch sei kein Einblick in die geführten Aufzeichnungen ermöglicht worden.

 

Auch das Vorbringen des Bw im Rahmen seiner Stellungnahme (Grundsatz des "nemo tenetur se ipsum accusare") sowie die Verneinung einer Handlungspflicht (Hingabe von Spielgeld) seien nicht zielführend.

 

Abschließend führt die belangte Behörde zur Strafzumessung aus, dass der Bw Unbescholtenheit nicht geltend machen könne und die Tat unrechts- und schuldangemessen sei. Einkommens-, Familien- und Vermögensverhältnisse werden von der belangten Behörde in der Form angenommen, als keine Sorgepflichten, kein Vermögen und 1.200 Euro netto Monatsverdienst als gegeben angenommen werden können.

 

 

2. Gegen dieses Straferkenntnis, zugestellt am 23. Dezember 2011, richtet sich die rechtzeitige Berufung welche am selben Tag per Fax übermittelt wurde.

 

Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die belangte Behörde nicht darlegt habe, worin die vorgeworfene Verletzung der Mitwirkungspflicht gelegen sei, da die Organe des Finanzamtes Linz die Probespiele durchgeführt haben, die Spielbeschreibungen einsehen und die Aufzeichnungen dokumentieren konnten. Zudem sei aus dem Gesetz nicht ersichtlich woraus die Pflicht der Hingabe von Spielgeld abgeleitet werde. Auch sei zu erkennen dass die "notwendigen" Auskünfte nicht auch jene seien, in irgendwelche Unterlagen Einsicht zu nehmen, da die Überprüfung nach dem GSpG darauf zu beschränken sei, dass überprüft werde, ob eine verbotene Ausspielung vorliege oder nicht. Welche Urkunden hierfür notwendig seien und wie die von den Organen gestellten Fragen zur Klärung dieser Frage beitragen könnten, sei nicht ersichtlich.

 

Zudem seien die Rechtsausführungen der belangten Behörde zum Selbstbezichtigungsverbot nicht zutreffend. Bereits im Falle der Feststellung, dass verbotene Ausspielungen durchgeführt werden, habe der Bw das Recht, sich nicht selbst zu bezichtigen. Werde der Bw beispielsweise gefragt, ob er Gewinne in Aussicht stelle, müsse er diese Frage nicht beantworten. Dasselbe gelte für die Frage, ob auf den Geräten Glücksspiele stattfänden. Dies alles betreffe schon den Bereich des verfassungsrechtlich verankerten Selbstbezichtigungsverbotes und könne durch eine einfachgesetzliche Mitwirkungspflicht nicht ausgehebelt werden.

 

Der Bw beantragt daher sinngemäß, der Berufung Folge zu geben und das angefochtene Straferkenntnis ersatzlos aufzuheben. Ausdrücklich beantragt der Bw auch die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, zu der sämtliche bei der Kontrolle anwesenden Personen als Zeugen zu laden seien.

 

2.2. Die belangte Behörde legte mit Schreiben vom 28. Dezember 2011 die Berufung und ihren Bezug habenden Verfahrensakt dem Oö. Verwaltungssenat zur Entscheidung vor. Von der Möglichkeit einer Berufungsvorentscheidung macht die belangte Behörde aus Plausibilitätsgründen nicht Gebrauch.

 

 

3. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsstrafakt der belangten Behörde (einschließlich der Schriftsätze der Parteien). Da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben war, konnte gemäß § 51e Abs 2 Z 1 VStG von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

Gemäß § 51c VStG hatte der Oö. Verwaltungssenat im gegenständlichen Fall – weil hier eine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde – durch eine Kammer zu entscheiden.

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 50 Abs 1 Glücksspielgesetz, BGBl 620/1989 in der zur Tatzeit geltenden Fassung BGBl I 76/2011 (in der Folge: GSpG) sind für Strafverfahren und Betriebsschließungen nach diesem Bundesgesetz in zweiter Instanz die Unabhängigen Verwaltungssenate gemäß § 51 Abs 1 VStG zuständig. Nach § 27 VStG ist im vorliegenden Fall auch die örtliche Zuständigkeit als gegeben anzunehmen.

 

4.2. Gemäß § 50 Abs 4 GSpG sind die Behörde nach § 50 Abs 1 GSpG und die im § 50 Abs 2 und 3 leg.cit. genannten Organe zur Durchführung ihrer Überwachungsaufgaben berechtigt, Betriebsstätten und Betriebsräume sowie Räumlichkeiten zu betreten, auch wenn dies sonst der Allgemeinheit untersagt ist, soweit dies zur Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes erforderlich ist. Veranstalter, Anbieter und Personen, die Glücksspieleinrichtungen bereithalten, haben der Behörde nach § 50 Abs 1 GSpG, dem Amtssachverständigen (§ 1 Abs 3 GSpG) und den Organen der öffentlichen Aufsicht umfassend Auskünfte zu erteilen, umfassende Überprüfungen und Testspiele zu ermöglichen und Einblick in die geführten Aufzeichnungen sowie die nach diesem Bundesgesetz aufzulegenden Spielbeschreibungen zu gewähren.

 

Gemäß § 52 Abs 1 Z 5 GSpG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Behörde mit Geldstrafe bis zu 22 000 Euro zu bestrafen, wer gegen eine Bestimmung der in § 2 Abs 3 GSpG vorgesehenen Verordnung, gegen die Auflageverpflichtung von Spielbeschreibungen, die Anzeigeverpflichtung gemäß § 4 Abs 6 GSpG oder eine Duldungs- oder Mitwirkungspflicht nach § 50 Abs 4 GSpG verstößt.

 

Gemäß § 52 Abs 5 GSpG beträgt die Verjährungsfrist (§ 31 Abs 2 VStG) für Verwaltungsübertretungen gemäß § 52 Abs 1 GSpG ein Jahr.

 

4.3. § 50 Abs 4 GSpG normiert eine "umfassende" Mitwirkungs- und Duldungspflicht, welche sich an verschiedene Adressaten richtet. Im Grunde soll diese Mitwirkungs- und Duldungspflicht die Effizienz der Kontrolle im Rahmen des GSpG steigern (vgl grundlegend EBRV 658 BlgNR 24. GP, 3) und zur Gewinnung der notwendigen Informationen zur Durchführung der Überwachungsaufgaben im Rahmen des GSpG führen, soweit dies zur Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen des GSpG erforderlich ist (vgl dazu § 50 Abs 4 1. Satz GSpG).

 

Schon aus dem Wortlaut der Bestimmung wird eine erste Grenze der Duldungs- und Mitwirkungspflicht ersichtlich. Diese Pflichten erstrecken sich nur auf den Bereich der Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen des GSpG. Liegt hingegen der Verdacht – welcher im Kern des Begriffes notwendig ein begründeter, d.h. auf Tatsachen zurückzuführender, ist (siehe zum retrospektiv diagnostischen Element des Verdachtsbegriffes im Rahmen der abduktiven Entdeckung und Bewertung von Hypothesen Schulz, Normiertes Misstrauen, 224 ff, 312 ff und 528 f) – auf den Verstoß gegen das GSpG vor, so endet die Duldungs- und Mitwirkungspflicht. Ab diesem Zeitpunkt handelt es sich nicht mehr um die Durchführung von Überwachungsaufgaben zum Zwecke (arg.: "erforderlich") der Einhaltung des GSpG, sondern zum Zwecke der Tataufklärung und Ermittlung wegen eines angenommenen Verstoßes gegen das GSpG.

 

Diese Auslegung korreliert jedenfalls betreffend die Mitwirkungspflicht in den überwiegenden Fallkonstellationen mit den Vorgaben des verfassungsrechtlich verankerten Prinzips "nemo tenetur se ipsum accusare", nach dem der Gesetzgeber keine Regelung treffen darf, die eine im Verdacht einer strafbaren Handlung stehende Person verpflichtet, Beweise gegen sich selbst zu liefern (dazu mwN Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 Rz 786).

 

Darüber hinaus ist aus dem Wortlaut abzuleiten, dass die Duldungs- und Mitwirkungspflicht nicht nur ad personam durch die Anwendbarkeit des Selbstbezichtigungsverbotes begrenzt ist, sondern dass das Entstehen der Verdachtslage auch generell die Zäsur darstellt.

 

Ist somit aus der objektiven Sichtweise ex ante eine Verdachtslage auf einen Verstoß gegen das Glücksspielgesetz gegeben, so endet zumindest die Mitwirkungspflicht (siehe zur vorzunehmenden Art der Abgrenzung in ähnlichen Konstellationen Lienbacher, Ist staatsanwaltliches Handeln ein zulässiger Kontrollgegenstand, in Lienbacher/Wielinger, Jahrbuch Öffentliches Recht 2010, 73 f). Denn es geht dann nicht mehr nur um die Wahrnehmung von Überwachungsaufgaben zur Kontrolle der Einhaltung des Glücksspielgesetzes, sondern um strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen im Hinblick auf einen Verstoß.

 

Das Argument, dass durch das bloße Einschreiten von Hilfsorganen - deren Verhalten der zuständigen Verwaltungsstrafbehörde zuzurechnen ist - der öffentlichen Aufsicht (Finanzpolizei) noch kein formaler Beginn eines Strafverfahrens im Sinne des § 32 VStG (arg. noch keine behördliche Verfolgungshandlung) erfolgt sei, vermag am oben dargelegten, verfassungsrechtlich gebotenen Interpretationsergebnis, das nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs aus der materiellen Bedeutung des Anklageprinzips nach Art 90 Abs 2 B-VG folgt und daher auch im Verwaltungsstrafverfahren gilt (vgl mN Mayer, B-VG4 [2007] Art 90 B-VG Anm III), sachlich nichts zu ändern. Es liegt auf der Hand, dass das bloße Abstellen auf behördliche Verfolgungshandlungen und ein Ausblenden des Verfolgungsverhaltens von Hilfsorganen nur ein der Aushöhlung und Umgehung dienender Formalismus wäre, der dem Wesensgehalt des verfassungsrechtlichen Selbstbezichtigungsverbots und der Unschuldvermutung des Art 6 Abs 2 EMRK diametral zuwiderliefe.

 

Vor diesem Hintergrund ist nun aus der Zusammenschau des Akteninhalts, insbesondere der Anzeige der Finanzpolizei samt der aufgenommenen Niederschrift mit ihren offenkundig dem Ziel der strafrechtlichen Aufklärung (Strafverfolgung) dienenden Fragen und Formulierungen (zB "Eingriffsgeräte"), und aus dem Umstand, dass in Oberösterreich auch das kleine Glücksspiel immer verboten war (weshalb keine Übergangsfristen gemäß § 60 Abs 25 GSpG in Betracht kommen) zu erkennen, dass für das Einschreiten der Finanzpolizei im gegenständlichen Fall der Verdacht von Eingriffen in das Glücksspielmonopol und damit von Übertretungen der Strafbestimmung des § 52 GSpG im Vordergrund stand. So wurden laut Feststellungen der Finanzpolizei beim Eintreffen im Lokal 10 Geräte betriebsbereit und eingeschaltet vorgefunden. Schon in diesem Zeitpunkt lag die oben beschriebene Verdachtslage vor und endete bei verfassungskonformer Auslegung die Mitwirkungspflicht gemäß dem § 50 Abs 4 GSpG. Mangels einer Mitwirkungspflicht an der Strafverfolgung und Aufklärung von Delikten war auch keine mit Strafe bedrohte Handlung möglich.

 

4.4. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu den Sprucherfordernissen nach § 44a Z 1 VStG ist die Tat so weit zu konkretisieren, dass diese erstens nach Tatort und Tatzeit unverwechselbar feststeht sowie zweitens eine eindeutige Zuordnung zu den Tatbestandsmerkmalen ermöglicht wird und damit auch die Identität der Tat unverwechselbar feststeht (stRsp seit verst. Senaten VwSlg 11.466 A/1984 und VwSlg 11.894 A/1985); im Spruch sind daher alle wesentlichen Tatbestandsmerkmale anzuführen, die zur Individualisierung und Konkretisierung des inkriminierten Verhaltens notwendig sind.

 

Der Vorschrift des § 44 a Z 1 VStG ist dann entsprochen, wenn im Spruch die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, dass der Beschuldigte in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen und der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhalten nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Eine Umschreibung der Tat bloß in der Begründung reicht im Verwaltungsstrafrecht nicht aus (vgl Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2004] 1522, Anm 2 zu § 44a VStG).

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Rechtsmittelbehörde nach § 66 Abs 4 AVG (iVm § 24 VStG) nicht die Befugnis, dem Beschuldigten eine andere Tat als die Erstbehörde anzulasten und damit die Tat auszuwechseln (vgl allgemein VwGH 25.3.1994, Zl. 93/02/0228; VwGH 19.5.1993, Zl. 92/09/0360; VwGH 28.2.1997, Zl. 95/02/0601). Die Entscheidungsbefugnis der Berufungsbehörde ist durch den Spruchgegenstand des angefochtenen Bescheides beschränkt (vgl VwGH 23.11.1993, Zl. 93/04/0169). Eine Abänderungsermächtigung besteht nur im Rahmen der Sache iSd § 66 Abs 4 AVG (vgl etwa VwGH 25.9.1992, Zl. 92/09/0178; VwGH 8.2.1995, Zl. 94/03/0072; VwGH 3.9.1996, Zl. 96/04/0080). Dabei ist Sache des Berufungsverfahrens die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs im Bescheid der Unterbehörde bildet (vgl u.a. VwGH 24.3.1994, Zl. 92/18/0356; VwGH 23.10.1995, Zl. 94/04/0080; VwGH 29.10.1996, Zl. 96/07/0103; VwGH 19.3.1997, Zl. 93/11/0107). Ein Austausch wesentlicher Tatbestandsmerkmale führt zur Anlastung einer anderen Tat und ist daher unzulässig (vgl VwGH 20.11.1997, Zl. 97/06/0170).

 

4.5.1. Die Bestimmung des § 50 Abs 4 GSpG in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung verpflichtet verschiedene Adressaten, nämlich Veranstalter und Anbieter von Glücksspielen und Personen, die Glücksspieleinrichtungen bereithalten, unmittelbar zur Mitwirkung. Zu diesen Varianten unmittelbarer Täterschaft kann jeweils eine Beteiligungssituation hinzutreten. Beispielsweise ist denkbar, dass der Veranstalter oder Anbieter von Glücksspielen dazu beiträgt oder anstiftet, dass eine bereithaltende Person der Mitwirkungspflicht nicht nachkommt. Weiters ist zu bedenken, dass – wie es im gegenständlichen Fall gegeben ist – eine juristische Person als Veranstalter bzw Anbieter in Frage kommt und wiederum ein außenvertretungsbefugtes Organ (zB Geschäftsführer) im Rahmen des § 9 VStG verantwortlich ist. In diesem Zusammenhang haftet das außenvertretungsbefugte Organ wiederum in zwei Varianten. Entweder setzt das Organ selbst in zurechenbarer Weise ein rechtswidriges Verhalten für die juristische Person oder das außenvertretungsbefugte Organ muss sich ein rechtswidriges Verhalten von Mitarbeitern als Organisationsverschulden zurechnen lassen.

 

Da nun die Art der Täterschaft einer Verwaltungsübertretung nach dem § 50 Abs 4 iVm § 52 Abs 1 Z 5 GSpG in vielen Erscheinungsformen möglich ist, hat im Spruch des Straferkenntnisses eine genaue Aus- und Anführung zur Täterschaft und Beteiligung iSd § 7 VStG zu erfolgen, um dem Beschuldigten eine entsprechende Verteidigung zu ermöglichen. Erfolgt diese Differenzierung und Konkretisierung nicht, so ist der Spruch des Straferkenntnisses nicht iSd Anforderungen nach § 44a Z 1 VStG bestimmt und unverwechselbar und daher mit Rechtswidrigkeit behaftet. So hat beispielsweise der Verwaltungsgerichtshof zur Beteiligungsform der Beihilfe klargestellt, dass im Spruch sowohl die Tatumstände zu konkretisieren sind, welche eine Zuordnung der Tat des Haupttäters zur verletzten Verwaltungsvorschrift ermöglicht, als auch jenes konkrete Verhalten darzustellen ist, durch welches der Tatbestand der Beihilfe verwirklicht wird (vgl VwSlg 13112 A/1990 und VwSlg 13224 A/1990).

 

4.5.2. Vor dem Hintergrund der verschiedenen Tatbegehungsformen hätte die belangte Behörde eine differenzierte und konkretisierte Fassung des Tatvorwurfes vornehmen müssen. Ihre Ausführungen decken sich stattdessen weitgehend mit dem Gesetzeswortlaut im § 50 Abs 4 GSpG und reichen für die Bestimmtheit iSd § 44a Z 1 VStG nicht hin. Durch die substanzlose Verwendung der verba legalia wird nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs noch keine Konkretisierung im Sinne der Anforderungen des § 44a Z 1 VStG vorgenommen. Denn es reicht nicht aus, den bloßen Gesetzeswortlaut unter Anführung von Tatzeit und Tatort wiederzugeben, sondern die Tat ist entsprechend den Gegebenheiten des jeweiligen Falles zu individualisieren (vgl mwN Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2004] 1522, Anm 2 zu § 44a VStG).

 

Diese einzelfallbezogene Konkretisierung des Spruches iSd § 44a Z 1 VStG ist einerseits deshalb erforderlich, damit der Beschuldigte in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und andererseits um den Beschuldigten rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden (vgl VwGH 18.10.2011, Zl. 2011/02/0281 unter Bezugnahme auf Vorjudikatur) und damit der Gefahr einer allfälligen Doppelbestrafung ausgesetzt zu sein (vgl speziell für Übertretungen nach dem GSpG VwGH 12.3.2010, Zl. 2010/17/0017).

 

4.5.3. Im konkreten Fall wird der Bw zunächst als außenvertretungsbefugtes Organ der X angesprochen und ihm dann aber persönlich vorgeworfen, dass er es als Veranstalter von Glücksspielen zu verantworten habe, dass gegen die Mitwirkungspflicht nach § 50 Abs 4 GSpG verstoßen wurde, da er selbst (arg. "... Sie ... haben ... ") den Organen des Finanzamtes Linz "die geforderten Auskünfte zu den Glücksspielgeräten nicht erteilt" [Faktum 1], "keine Geldbeträge zwecks Durchführung von Testspielen ausgehändigt" [Faktum 2] und "keinen Einblick in die geführten Aufzeichnungen ermöglicht" [Faktum 3] habe.

Bezüglich Faktum 2 und 3 ergibt sich schon aus der unbestrittenen Aktenlage, dass der Bw gar nicht am Tatort anwesend war und daher persönlich gar keinen Einblick gewähren und auch kein Geld aushändigen hätte können. In diesen Punkten mangelt es dem Spruch bereits an einer geeigneten Tatsachengrundlage. Er stellt sich schon deshalb als rechtswidrig dar, weil dahingehend keine Anhaltspunkte im Sachverhalt vorhanden sind. Diese Annahme findet – unabhängig von den Aufzeichnungen der Finanzpolizei – ihre Bestätigung darin, dass selbst die belangte Behörde in der Aufforderung zur Rechtfertigung vom 7. November 2011 bezüglich der Fakten 2 und 3 noch eine andere Anlastung vornahm und – wenn auch völlig unkonkretisiert - von der Anweisung der Mitarbeiter durch den Bw zur Auskunftsverweigerung und zur Nichtherausgabe von Geld sprach.

 

In diesem Zusammenhang sei noch erwähnt, dass sich die aktenkundige schriftliche Dienstanweisung lediglich auf die Rechte der Dienstnehmer im Strafverfahren – sei es ein verwaltungsbehördliches oder ein gerichtliches Verfahren – bezieht und die Dienstnehmer insofern verpflichtet, sich im Rahmen eines solchen Strafverfahrens ihrer Aussageverweigerungsrechte zu bedienen. Da sich aus verfassungsrechtlicher Sicht - wie oben im Punkt 4.3. näher dargelegt - die Mitwirkungspflichten nur auf die Überwachung der Einhaltung des Glücksspielmonopols im Vorfeld der Strafverfolgung beschränken und auch nicht der Umgehung des Selbstbezichtigungsverbotes dienen dürfen, fehlt es an dem von der belangten Behörde hergestellten Zusammenhang.

 

Der Vorwurf keine Geldbeträge zwecks Durchführung von Testspielen ausgehändigt zu haben, entbehrt auch einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage für eine derartige Verpflichtung im § 50 Abs 4 GSpG in der im Tatzeitpunkt geltenden Fassung. Eine so extensive "Auslegung" der gesetzlichen Verpflichtung, Testspiele zu ermöglichen, findet keine Stütze im Wortlaut und verletzt daher nach Ansicht des Oö. Verwaltungssenats das rechtsstaatliche Prinzip "nullum crimen sine lege".

 

In Bezug auf den verbleibenden Tatvorwurf im Straferkenntnis, dass der Bw "die geforderten Auskünfte zu den Glücksspielgeräten nicht erteilt" und daher gegen §§ 50 Abs 4 iVm 52 Abs 1 Z 5 GSpG verstoßen habe, fehlt es dem Spruch an der erforderlichen Konkretisierung, zumal es sich um eine bloße Leerformel handelt, die nur eine (teilweise) Wiederholung des Gesetzeswortlautes darstellt und nicht geeignet ist, dem Bw eine individuelle Tat unverwechselbar vorzuwerfen. Genau betrachtet enthält der Spruch keine Substanz und damit auch keinen "echten" Tatvorwurf. Bestätigt wird dies aus dem Akteninhalt. Darin findet sich lediglich der Hinweis, dass die "notwendigen" Auskünfte zu erteilen gewesen wären. Welche das konkret gewesen und welche Fragen vergeblich gestellt worden wären, wird nicht angesprochen. Ein Erhebungsergebnis ist zu diesem Tatvorwurf nicht vorzufinden.

 

4.5.4. Die gemäß § 50 Abs 5 2. Satz GSpG verpflichteten Personen haben u.A. den Organen der öffentlichen Aufsicht "umfassende" Auskünfte zu erteilen, "umfassende" Überprüfungen und Testspiele zu ermöglichen und Einblick in die geführten Aufzeichnungen sowie die aufzulegenden Spielbeschreibungen zu gewähren. Aus der gesetzlichen Fassung dieser Mitwirkungsverpflichtung ist dem Grunde nach zu erkennen, dass die von der belangten Behörde vorgeworfene "Tat" nicht mit Strafe gemäß § 52 Abs 1 Z 5 iVm § 50 Abs 4 GSpG bedroht wird, da ein wesentlicher Unterschied zwischen den "geforderten" und den "umfassenden" Auskünften besteht. § 50 Abs 4 GSpG statuiert die Pflicht zur umfassenden Auskunftserteilung allein an die Behörde und die Organe der öffentlichen Aufsicht, welche die Einhaltung des GSpG kontrollieren. Auf der Überwachung der Einhaltung des GSpG liegt iSd § 50 Abs 4 1. Satz der Bezug der umfassenden Auskunftserteilung.

 

Mit anderen Worten: Es sind jene umfassenden Auskünfte zu erteilen, die erforderlich sind, um die Überwachung der Einhaltung des GSpG zu ermöglichen. Diese Zielrichtung lässt sich aus einem Kausalzusammenhang mit der Aufgabenerfüllung ableiten, wogegen sich das "Geforderte" lediglich aus der Existenz einer entsprechenden Frage bzw Forderung determiniert. Letzteres wird jedoch vom Gesetz nicht mit Strafe bedroht. Auch insofern ist daher der Spruch des Bescheides der belangten Behörde verfehlt und mit Rechtswidrigkeit behaftet.

 

4.6. Die belangten Behörde hat weder im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses, noch in der Aufforderung zur Rechtfertigung mit der teilweise abweichenden Anlastung einen entsprechend den Umständen des Einzelfalles konkretisieren Tatvorwurf erhoben, der die Identität der Tat mit ausreichender Bestimmtheit formuliert und unverwechselbar erscheint. Mangels einer geeigneten behördlichen Verfolgungshandlung ist insofern nach Ablauf der Jahresfrist des § 52 Abs 5 GSpG auch die Verfolgungsverjährung eingetreten.

 

Dem Unabhängigen Verwaltungssenat war es außerdem als Berufungsbehörde, die gemäß dem § 66 Abs 4 AVG iVm § 24 VStG bei ihrer Entscheidungsbefugnis auf den Gegenstand des Spruches des Straferkenntnisses beschränkt ist, verwehrt, eine ganz neue Anlastung vorzunehmen und dabei wesentliche Tatmerkmale auszutauschen.

 

5. Im Ergebnis war das angefochtene Straferkenntnis im Hinblick auf wesentliche Spruchmängel mangels einer zutreffend angelasteten Verwaltungsübertretung aufzuheben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 und Z 3 VStG einzustellen.

Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Bw gemäß § 66 Abs 1 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch ein Kostenbeitrag für das Berufungsverfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils durch einen Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

Dr. W e i ß

 

 

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