Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-222648/2/Bm/MG/BRe

Linz, 10.04.2013

E r k e n n t n i s

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Mag. Michaela Bismaier über die Berufung des Herrn x, vertreten durch Herrn Rechtsanwalt Mag. x, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 29.11.2012, Zl. Ka96, mit dem der Antrag vom 27.11.2012 auf Strafaufschub der offenen Ersatzfreiheitsstrafen zu Ge96-9-2010, Ge96-10-2010, Ge96-43-2010, Ge96-71-2010, Ge96-152-2010, Ge96-167-2010, Ge96-234-2010 und Ge96-243-2010 zum Zwecke der Erbringung gemeinnütziger Leistungen zurückgewiesen wurde, zu Recht erkannt:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid vollinhaltlich bestätigt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwal­tungsverfahrens­gesetz 1991.

Entscheidungsgründe:

1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 29.11.2012, Zl. Ka96, wurde der Antrag des Berufungswerbers, für seine offenen Verwaltungsstrafen zu Ge96-9-2010, Ge96-10-2010, Ge96-43-2010, Ge96-71-2010, Ge96-152-2010, Ge96-167-2010, Ge96-234-2010 und Ge96-243-2010 einen Strafaufschub zum Zwecke der Erbringung gemeinnütziger Leistungen zu erhalten, mangels gesetzlicher Grundlage zurückgewiesen.

 

In der Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen – nach Wiedergabe der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen – aus, dass es sich in der gegenständlichen Angelegenheit um offene, rechtskräftige Verwaltungsstrafen handle, für welche im Nichteinbringungsfall der Geldstrafe eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt worden sei. Dem Berufungswerber seien für die Abstattung der Strafen auch alle im Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten einer Zahlungserleichterung, wie Ratenzahlung, Zahlungs- und Haftaufschübe bewilligt worden, welche von ihm jedoch nicht eingehalten worden seien.

Da im VStG die Erbringung gemeinnütziger Leistungen nicht vorgesehen sei, werde der Antrag mangels gesetzlicher Grundlage zurückgewiesen.

 

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, rechtzeitig eingebrachte Berufung vom 17.12.2012.

Darin bringt der Berufungswerber im Wesentlichen vor, dass er beantragt habe, ihm analog zu § 3a StVG und gem. § 54a VStG einen Aufschub des Strafvollzugs zum Zwecke der Erbringung gemeinnütziger Leistungen zu gewähren. Der Berufungswerber sei sich im Klaren, das es entsprechende Regelungen im VStG nicht gäbe. Das VStG kenne weder einen Vollzug durch Erbringung gemeinnütziger Leistungen, noch Hafterleichterungen wie etwa die Fußfessel. Das Fehlen derartiger Bestimmungen sei verfassungswidrig.

Wie das vorgelegte Erkenntnis des VfGH, B 1070/11-10, zeige, sei das Fehlen derartiger Bestimmungen im Finanzstrafrecht als verfassungswidrig qualifiziert worden. Dies könne auch im Bereich des VStG nicht ignoriert werden, insbesondere im Hinblick darauf, dass gerichtlich strafbare Handlungen und deren Bestrafungen schwerer wögen als Verwaltungsübertretungen. Es sei nicht nachzuvollziehen, warum die Bestrafung von Verwaltungsübertretungen wesentlich strenger sei, weil es keine Hafterleichterungen oder andere Formen des Strafvollzugs gäbe.

 

Der Berufungswerber regt an, die gegenständliche Sache zum Zwecke der Gesetzesprüfung dem VfGH gemäß Art. 140 B-VG vorzulegen.

Im Übrigen beantragt der Berufungswerber, der Berufung – nach Gesetzesprüfung durch den VfGH – stattzugeben.

 

3. Die Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn als belangte Behörde hat die Berufung samt dem bezughabenden Verwaltungsakt dem Oö. Verwaltungssenat vorgelegt. Eine Äußerung zum Berufungsvorbringen wurde von der belangten Behörde nicht vorgebracht.

 

Gemäß Art. 129a Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges in Verfahren wegen Verwaltungsübertretungen, ausgenommen Finanzstrafsachen des Bundes. Nach § 51c VStG hatte der Oö. Verwaltungssenat im gegenständlichen Fall nicht durch eine Kammer, sondern durch ein Einzelmitglied zu entscheiden.

 

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt des Bezirkshauptmanns des Bezirks Braunau am Inn zu GZ Ka96; da sich bereits aus diesem Akt der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ, konnte im Übrigen gemäß § 51e Abs. 2 Z 1 VStG von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

4.1. Der UVS geht bei seiner Entscheidung von folgendem entscheidungswesentlichen Sachverhalt aus:

 

Über den Berufungswerber wurden in den Verwaltungsstrafverfahren Ge96-9-2010, Ge96-10-2010, Ge96-43-2010, Ge96-71-2010, Ge96-152-2010, Ge96-167-2010, Ge96-234-2010 und Ge96-243-2010 Geld- bzw. im Nichteinbringungsfall Ersatzfreiheitsstrafen verhängt.

 

Der Berufungswerber ist infolge des wegen mangelnder Deckung eingestellten Konkursverfahrens GZ 351/11d des BG Mattighofen zahlungsunfähig und nicht in der Lage, die über ihn verhängten Geldstrafen zu bezahlen.

 

Mit Schreiben vom 21.02.2012 wurde der Berufungswerber aufgefordert, die über ihn verhängten, noch offenen Ersatzfreiheitsstrafen in der Höhe von insgesamt 118 Tagen und 6 Stunden nach Erhalt dieser Aufforderung anzutreten.

Dieser Aufforderung kam der Berufungswerber nicht nach.

 

Mit Schreiben vom 03.10.2012 wurde der Berufungswerber von der belangten Behörde über die Anordnung der zwangsweisen Vorführung zum Strafantritt im Polizeianhaltezentrum Salzburg, 5020 Salzburg, Alpenstraße 90, informiert.

Die Festnahme des Berufungswerbers erfolgte am 15.11.2012, 11.50 Uhr.

Wegen Haftuntauglichkeit des Berufungswerber wurde die Verwaltungsstrafhaft am 16.11.2012 um 11.00 Uhr beendet.

 

Mit Schreiben vom 27.11.2012 beantragte der Berufungswerber den Aufschub des Strafvollzuges zum Zwecke der Erbringung gemeinnütziger Leistungen.

 

4.2. Der dargestellte Sachverhalt ergab sich widerspruchsfrei aus den Beweismitteln.

 

 

 

5. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

5.1. Gemäß § 54b Abs. 1 VStG sind rechtskräftig verhängte Geldstrafen oder sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen zu vollstrecken. Gemäß § 54b Abs. 2 VStG ist, soweit eine Geldstrafe uneinbringlich ist oder dies mit Grund anzunehmen ist, die dem ausstehenden Betrag entsprechende Ersatzfreiheitsstrafe zu vollziehen.

 

Wie sich aus dem Sachverhalt eindeutig und unstrittig ergeben hat, waren die Geldstrafen der bezeichneten Verwaltungsstrafverfahren uneinbringlich. Aus diesem Grund hatte die belangte Behörde im Sinne einer gebundenen Entscheidung nach § 54b Abs. 2 VStG vorzugehen und die Ersatzfreiheitsstrafen zu vollziehen.

 

5.2. Mit Erkenntnis vom 11.10.2012, B 1070/11, hatte der VfGH klargestellt, dass im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren aus gleichheitsrechtlichen Erwägungen die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes über die Möglichkeit der Abwendung von Freiheitsstrafen durch Erbringung gemeinnütziger Leistungen auf eine mit einer (Ersatz-)Freiheitsstrafe belegte Person anzuwenden sind:

 

"Es ist im gegebenen Zusammenhang zu prüfen, ob die [...] Vorschrift des § 175 Abs 2 FinStrG - als lex specialis - den Bestimmungen des § 3 f StVG uneingeschränkt (also auch in Bezug auf die erst später in den Rechtsbestand aufgenommene Regelung über die Möglichkeit der Abwendung von Freiheitsstrafen durch Erbringung gemeinnütziger Leistungen) vorgeht oder nur insoweit, als Vorgänge um die Strafvollzugsanordnung bzw den Strafantritt betroffen sind.

 

Unter gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten ist davon auszugehen, dass § 175 Abs 2 nur insoweit besondere Bestimmungen zu § 3 und § 3a StVG enthält, als der Strafantritt als solcher oder die Vorführung geregelt sind. Anderes trifft indes auf jene Teile des § 3 und § 3a StVG zu, welche die Haftverschonung durch gemeinnützige Leistung regeln:

 

Die Annahme einer gänzlichen Verdrängung des § 3 und § 3a StVG einschließlich der hier maßgeblichen Regelungen über die Möglichkeit der Abwendung der Strafverbüßung durch § 175 Abs 2 FinStrG würde nämlich zu einem nicht hinnehmbaren Wertungswiderspruch zwischen dem Vollzug von Freiheitsstrafen im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren einerseits und im gerichtlichen Finanzstrafverfahren andererseits führen.

 

Es ist [...] kein sachlicher Grund ersichtlich, der es rechtfertigen würde, § 175 Abs 2 FinStrG so zu verstehen, dass die von einem Strafgericht wegen einer Finanzstraftat zu einer - maximal neunmonatigen - (Ersatz-)Freiheitsstrafe Verurteilten in § 3 und § 3a StVG eröffnete Option einer von der Finanzstrafbehörde mit einer - geringeren (höchstens dreimonatigen - § 20 Abs 2 FinStrG) - Ersatzfreiheitsstrafe belegten Person nicht zukommt."

 

5.3. Bereits seit Mitte der 1970er Jahre anerkennt der VfGH grundsätzlich, dass eine Gleichheitswidrigkeit durch ein – allenfalls partielles – Unterlassen einer gesetzlichen Regelung bewirkt werden kann (VfSlg. 7947/1976 und 8017/1977), d.h. das Fehlen einer bestimmten gesetzlichen Vorschrift kann zur Verfassungswidrigkeit einer anderen, vom Gesetzgeber tatsächlich erlassenen Vorschrift führen. Wenn der Gesetzgeber innerhalb einer bestimmten Norm einem bestimmten Kreis von Rechtsträgern Begünstigungen gewährt, einem anderen (vergleichbaren) Kreis von Rechtsträgern aber nicht, kann ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz vorliegen, der zur Aufhebung von Gesetzesbestimmungen wegen Verfassungswidrigkeit führt (vgl. u.a. VfSlg. 15.054/1997, 17.306/2004).

 

Angesichts der (strukturellen, systembedingten) Unterschiede zwischen dem Verwaltungsstrafrecht einerseits und dem gerichtlichen Strafrecht andererseits ist der Gesetzgeber aber nicht gehalten, im Verwaltungsstrafrecht dieselben Regelungen des gerichtlichen Strafrechts anzuordnen (VwGH 24.03.2011, 2008/09/0216).

 

5.4. Im Unterschied sowohl zum gerichtlichen als auch zum verwaltungsrechtlichen Finanzstrafrecht sieht das VStG einen grundsätzlichen Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe im Haftraum der Behörde 1. Instanz, ersatzweise auch in Polizeianhaltezentren vor (§ 53 Abs. 1 VStG); nur subsidiär erfolgt der Vollzug in gerichtlichen Gefangenenhäusern und Strafvollzugsanstalten (§ 53d Abs. 1 VStG). Und nur auf den letztgenannten – nicht die Regel, sondern gerade die Ausnahme im Verwaltungsstrafverfahren bildenden – Fall sind gem. § 53d Abs. 1 VStG die Bestimmungen des StVG anzuwenden.

 

§ 175 Abs 1 dritter Satz FinStrG ordnet für den Vollzug von (Ersatz-) Freiheitsstrafen die sinngemäße Anwendung der Vorschriften des StVG über den Vollzug von Freiheitsstrafen (bis höchstens achtzehn Monaten) an, soweit dies zu Anlass und Ausmaß der Freiheitsstrafe nicht außer Verhältnis steht und das FinStrG keine speziellen Regelungen enthält.

§ 175 Abs. 1 dritter Satz FinStrG entspricht im Wesentlichen der Regelung des § 53d Abs. 1 erster Satz VStG. Das bedeutet, dass die Aussagen des VfGH zur Gleichheitswidrigkeit der Ausschließung der sinngemäßen Anwendung der Erbringung gemeinnütziger Leistungen allenfalls nur auf jenen Bereich des Verwaltungsstrafrechts übertragbar sein könnten, wo auch im VStG ein Vollzug in gerichtlichen Gefangenenhäusern und Strafvollzugsanstalten vorgesehen ist.

Da der Berufungswerber konkret jedoch zu einem Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe nicht in einem gerichtlichen Gefangenenhaus bzw. einer Strafvollzugsanstalt, sondern im Polizeianhaltezentrum Salzburg aufgefordert wurde, kommt § 53d Abs. 1 VStG nicht zur Anwendung, weshalb insoweit auch keine Analogie zum Erkenntnis des VfGH vom 11.10.2012, B 1070/11, gezogen kann.

 

5.5. Anders als im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafrecht steht darüber hinaus die einfachgesetzliche Bestimmung des § 54b Abs. 2 VStG der sinngemäßen Anwendung des § 3 Abs 1 sowie § 3a StVG im Verwaltungsstrafrecht entgegen: Wie der VfGH im Rahmen eines – im Übrigen nicht zulässigen – Individualantrags ausführte, befindet sich die "Grundlage für den (sofortigen) Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe [...] in § 54b Abs. 2 erster Satz VStG" (VfGH 27.2.2012, G 77/11).

 

5.6. Bezüglich des Strafvollzugs durch elektronisch überwachten Hausarrest ("Fußfessel") ist auszuführen, dass eine solche Form des Strafvollzugs im Verwaltungsstrafverfahren gesetzlich nicht vorgesehen ist. Auch hier gilt, dass der Gesetzgeber angesichts der Unterschiede zwischen dem Verwaltungsstrafrecht einerseits und dem gerichtlichen Strafrecht andererseits nicht gehalten ist, im Verwaltungsstrafrecht dieselben Regelungen des gerichtlichen Strafrechts anzuordnen (VwGH 24.03.2011, 2008/09/0216).

 

5.7. Was die – insgesamt nicht ausreichend substantiierte – Anregung des Berufungswerbers zur Einleitung eines Normprüfungsverfahrens wegen des Fehlens "derartiger Bestimmungen" (gemeint wohl: des elektronisch überwachten Hausarrests und der Erbringung gemeinnütziger Leistungen) im Verwaltungsstrafrecht unter dem Blickwinkel der aus dem Gleichheitssatz des Art. 7 Abs. 1 B-VG abgeleiteten Garantien anlangt, hält es der Oö. Verwaltungssenat daher im Sinne der obigen Ausführungen für nicht zweckmäßig, einen diesbezüglichen Gesetzesprüfungsantrag auf Grundlage von Art. 140 Abs. 1 B-VG zu stellen.

Ein subjektives Recht des Berufungswerbers auf Einbringung eines solchen Gesetzesprüfungsantrags besteht jedenfalls nicht.

 

Sohin war spruchgemäß zu entscheiden.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 240 Euro zu entrichten.

Mag. Michaela Bismaier

Beachte:

Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgewiesen.

VfGH vom 12.12.2013, Zl.: B 628/2013-14

 

 

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