Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720299/14/Gf/Rt

Linz, 29.04.2013

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Gróf über die Berufung des A, vertreten durch RA Dr. H, gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 2. März 2011, Zl. 1068743/FRB, wegen der Verhängung eines auf zehn Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes zu Recht:

Der Berufung wird insoweit stattgegeben, als der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Rechtssache der Landespolizeidirektion Oberösterreich zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückverwiesen wird.

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs. 2 AVG.

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit Bescheid des Polizeidirektors der Stadt Linz vom 2. März 2011, Zl. 1068743/FRB, wurde gegen den Rechtsmittelwerber, einen seit 2007 in Österreich lebenden deutschen Staatsangehörigen, ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen; gleichzeitig wurde ihm ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat gewährt.

 

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes Wels vom 3. Dezember 2010, Zl. 15 Hv 136/10h, wegen des Verbrechens des teilweise versuchten und teilweise vollendeten Suchtgifthandels und anderer damit im Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren, davon 16 Monate bedingt auf 3 Jahre, rechtskräftig verurteilt worden sei, weil er einerseits einen anderen zur Ein- und Ausfuhr von Suchtgift in einem das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Ausmaß bestimmt bzw. zu bestimmen versucht sowie andererseits Dritten vorschriftswidrig Suchtgift überlassen habe.

 

Dieses kriminelle Verhalten stelle eine tatsächliche und massive Gefahr für die Gesellschaft dar, die das private, vornehmlich durch familiäre Beziehungen zu seiner österreichischen Lebensgefährtin und einem gemeinsamen Sohn sowie zu seinem sonstigen sozialen, v.a. beruflichen Umfeld geprägte Interesse des Rechtsmittelwerbers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet überwiegen würde.

 

1.2. Gegen diesen ihm am 3. März 2011 zugestellten Bescheid richtete sich die vorliegende, am 17. März 2011 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebene Berufung.

 

Darin wurde vorgebracht, dass der Rechtsmittelwerber ein Unionsbürger sei, sich seit langer Zeit in Österreich aufhalte und – wie sich aus den zahlreichen, im erstbehördlichen Verfahren vorgelegten Nachweisen ergebe – hier auch bestens sozial integriert sei. Insbesondere lebe er in einer aufrechten Beziehung mit seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn; außerdem arbeite er seit Februar 2011 als Elektrotechniker, wobei er monatlich ca. 1.200 Euro verdiene; zudem würden auch sein Bruder und dessen Ehefrau in Österreich leben, wobei er sich hier bereits einen großen Freundeskreis aufgebaut habe.

 

Dem gegenüber sei er am 3. Dezember 2010 zum ersten Mal gerichtlich verurteilt worden, wobei ein Großteil der Strafe bedingt nachgesehen und auch der Strafvollzug selbst vorzeitig beendet worden sei, was jeweils eine günstige Zukunftsprognose indiziere. Tatsächlich lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass vom Rechtsmittelwerber weiterhin eine gegenwärtige Gefahr ausgehe, wie dies Art. 27 Abs. 2 der Unionsbürger-Richtlinie fordere.

 

Daher wird beantragt, den angefochtenen Aufenthaltsverbotsbescheid aufzuheben.

 

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der BPD Linz zu Zl. 1068743/FRB; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ, die Verfahrensparteien einen entsprechenden Antrag nicht gestellt haben und fremdenpolizeiliche Angelegenheiten nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK fallen (vgl. z.B. die Nachweise bei J. Meyer-Ladewig, Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Baden-Baden 2003, RN 9 zu Art. 6), habe im Übrigen gemäß § 67d Abs. 4 AVG von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden können.

 

2.2. Nach der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. I 100/2005 i.d.F. BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden: FPG i.d.F. 2009, d.i. vor dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011), hätten über Berufungen gegen Entscheidungen, die auf Grund des FPG ergangen sind, die Unabhängigen Verwaltungssenate (im Folgenden: UVS) in den Ländern zu entscheiden gehabt; derartige Entscheidungen seien gemäß § 67a Abs. 1 AVG durch ein Einzelmitglied zu treffen.

 

3. Mit Erkenntnis vom 11. Mai 2011, Zl. VwSen-720299/2/Gf/Mu, hat der Oö. Verwaltungssenat dieser Berufung stattgegeben und den angefochtenen Aufenthaltsverbotsbescheid aufgehoben.

 

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass gemäß § 86 Abs. 1 FPG i.d.F. 2009 u.a. auch gegen einen Unionsbürger die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zulässig sei, wenn aufgrund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Dabei müsse das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, wobei strafrechtliche Verurteilungen allein eine derartige Maßnahme nicht ohne weiteres begründen könnten und vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen nicht zulässig seien.

 

Wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen werde, sei die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes nach § 60 Abs. 6 i.V.m. § 66 Abs. 1 FPG i.d.F. 2009 nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. In diesem Zusammenhang sei gemäß § 66 Abs. 2 FPG i.d.F. 2009 insbesondere die Art und die Dauer des bisherigen Aufenthalts sowie die Frage, ob dieser rechtswidrig war; das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens; die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; der Grad der Integration; die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden; die strafgerichtliche Unbescholtenheit; Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts; sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen.

 

Im gegenständlichen Fall sei von der belangten Behörde als einziger Umstand, der die Verhängung des Aufenthaltsverbotes rechtfertige, die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers ins Treffen geführt worden.

 

Konkret sei dieser damals mit Urteil des LG Wels vom 3. Dezember 2010, Zl. 15 Hv 136/10h, für schuldig befunden worden, "von Ende April 2010 bis um den 07.08.2010" eine in Berlin aufhältige Person damit beauftragt zu haben, "insgesamt etwa 1.400 g Kokain mit einem Reinheitsgehalt von etwa 40% durch bislang unbekannte Kuriere von Deutschland aus- und nach Österreich einzuführen, wobei die Tat hinsichtlich der Aus- und Einfuhr von 600 g Kokain beim Versuch geblieben ist", und "vorschriftswidrig Suchtgift anderen überlassen bzw. zu überlassen versucht" zu haben, und zwar "in einer das 15-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge (großen Menge), indem er in der Zeit von etwa Ende April 2010 bis zuletzt am 09.08.2010 insgesamt etwa 800 g Kokain mit einem Reinheitsgehalt von etwa 40% ..... verkaufte" sowie in der Zeit von etwa April/Mai 2010 bis um den 11.08.2010 "vorschriftswidrig Suchtgift in wiederholten Angriffen erworben und besessen" zu haben, wobei er letztere Straftat "ausschließlich zum persönlichen Gebrauch" begangen habe. Hierfür sei der Rechtsmittelwerber zu einer "Freiheitsstrafe von 2 Jahren" verurteilt worden, wobei "im Hinblick auf die bisherige Unbescholtenheit und das umfassende Geständnis ..... ein Teil der Freiheitsstrafe von 16 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachzusehen" gewesen sei.

 

Sonach habe sich unter Berücksichtigung der Untersuchungshaft der 11. April 2011 als Ende des gerichtlichen Strafvollzuges ergeben; tatsächlich sei der Beschwerdeführer jedoch bereits vorzeitig, nämlich am 21. Jänner 2011, unter Festsetzung einer Probezeit von 3 Jahren aus der Strafhaft entlassen worden.

 

Nach § 46 Abs. 1 des Strafgesetzbuches, BGBl.Nr. 60/1974 i.d.F. BGBl.Nr. I 111/2010 (im Folgenden: StGB), sei einem Verurteilten, der die Hälfte des nicht bedingt nachgesehenen Teiles einer Freiheitsstrafe verbüßt hat, der Rest der Strafe unter Bestimmung einer Probezeit bedingt nachzusehen, sobald unter Berücksichtigung der Wirkung von Maßnahmen gemäß §§ 50 bis 52 StGB (Erteilung von Weisungen und/oder Anordnung von Bewährungshilfe) anzunehmen ist, dass der Verurteilte durch die bedingte Entlassung nicht weniger als durch die weitere Verbüßung der Strafe von der Begehung strafbarer Handlungen abgehalten wird. Da diese – keine Ermessens-, sondern eine Rechtsentscheidung normierende – Bestimmung schon von ihrer Textierung her eine Günstigkeitsprognose voraussetze, sei das LG Wels somit offensichtlich davon ausgegangen, dass gegenwärtig keine aktuelle Gefahr dahin bestehe, dass der Beschwerdeführer demnächst neuerlich eine – sich insbesondere auf sein früheres Fehlverhalten gründende – Straftat begehen könnte.

 

Damit liege aber grundsätzlich auch keine gegenwärtige Gefahr iSd § 86 Abs. 1 FPG i.d.F. 2009 vor, es sei denn, dass sich aus den konkreten Umständen des Falles spezifische Anhaltspunkte für eine gegenteilige Sichtweise ergeben würden.

 

Davon ausgehend könne aber allein die hier in Rede stehende strafgerichtliche Verurteilung des Rechtsmittelwerbers prinzipiell noch keinen stichhaltigen Grund für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen ihn bilden.

 

Im Übrigen ergäben sich im gegenständlichen Fall weder aus dem angefochtenen Bescheid noch sonst auf Grund des erstbehördlichen Ermittlungsverfahrens spezifische Anhaltspunkte dafür, warum bzw. dass der Beschwerdeführer – als Unionsbürger – nicht bloß eine potentiell-abstrakte, sondern vielmehr eine vergleichsweise wesentlich gravierendere, nämlich konkret-gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit i.S.d § 86 Abs. 1 FPG i.d.F. 2009 bilde. Vielmehr beziehe sich die Begründung des angefochtenen Bescheides ausschließlich auf generalpräventive Aspekte (Suchtgiftprävention von Jugendlichen und Gefahr für die Volksgesundheit), die im Zusammenhang mit der vorerwähnten strafgerichtlichen Verurteilung stünden; allein daraus lasse sich jedoch nicht ableiten, dass bzw. warum der Fremde eine aktuell noch immer bestehende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen soll.

 

Abgesehen davon, dass somit die speziell-tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen Unionsbürger hier nicht in einer nachweisbaren Form vorliegen würden, sei die belangte Behörde auf die in § 66 Abs. 2 FPG i.d.F. 2009 festgelegten und nach § 60 Abs. 6 FPG i.d.F. 2009 auch im Aufenthaltsverbotsverfahren maßgeblichen Umstände, die im Zuge einer Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen einerseits und den privaten Interessen des Fremden andererseits zwingend zu gewichten sind, auch insofern nicht eingegangen, als der Grad der Integration des Fremden (vgl. § 66 Abs. 2 Z. 4 FPG i.d.F. 2009) nicht in einer über eine bloß verbale Erwähnung hinausgehenden, auch objektiv erkennbaren Weise materiell berücksichtigt bzw. gewürdigt worden sei (vgl. dazu VwGH v. 14. April 2011, Zl. 2010/21/0232).

 

4. Mit Erkenntnis vom 19. März 2013, Zl. 2011/21/0152, hat der Verwaltungsgerichtshof (im Folgenden: VwGH) einer von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (nunmehr: Landespolizeidirektion Oberösterreich) erhobenen Amtsbeschwerde stattgegeben und die h. Entscheidung vom 11. Mai 2011 wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

 

Begründend hat der VwGH dazu ausgeführt, dass sich die Fremdenpolizeibehörde in ihrem Aufenthaltsverbotsbescheid nicht nur darauf beschränkt habe, die Suchtgiftdelinquenz als ein besonders verpöntes Fehlverhalten darzustellen; vielmehr habe sie (zumindest erkennbar) auch eine Beziehung zu dem dem strafgerichtlichen Urteil zu Grunde liegenden Verhalten des Fremden hergestellt und ihrer Prognosebeurteilung zu Grunde gelegt. Dabei habe sie zu Recht auch annehmen dürfen, dass bei Suchtgiftdelikten der vorliegenden Art erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben sei. Ausgehend von einer allgemein gegebenen Wiederholungsgefahr habe die Fremdenpolizeibehörde sodann auch fallbezogen auf das Vorliegen einer aktuellen Gefahr i.S.d. § 86 Abs. 1 FPG i.d.F. 2009 geschlossen, weil der Beschwerdeführer auf näher beschriebene Weise Kokainlieferungen aus Deutschland nach Österreich organisiert und hier Suchtgifthandel betrieben habe; dieser Umstand sei geeignet, eine große Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen herbeizuführen und verstoße gravierend gegen das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität, zumal der Rechtsmittelwerber einen Dritten im April 2010 auf seine früheren Kontakte zur Suchtgiftszene in Berlin hingewiesen und sich in der Folge auch an Kokainlieferungen entsprechend beteiligt habe.

 

Weiters habe die Beurteilung einer Gefährdung i.S.d. § 86 Abs. 1 FPG i.d.F. 2009 durch die Fremdenpolizeibehörden nach der ständigen (ho. nicht geteilten) Judikatur des VwGH eigenständig und unabhängig von den Erwägungen der Gerichte im Zuge der Strafbemessung zu erfolgen. Daher lasse sich insoweit weder aus einer (teil‑)bedingten Strafnachsicht noch aus einer bedingten Entlassung aus der Strafhaft etwas gewinnen; vielmehr könne insbesondere bei gravierender Suchtgiftdelinquenz erst nach einer entsprechend langen Zeit des Wohlverhaltens nach der Haftentlassung auf einen allfälligen Gesinnungswandel geschlossen werden. Dazu komme weiters, dass der Beschwerdeführer auch selbst Kokainkonsument sei.

 

Da sich durch eine zulässige Berufung die Zuständigkeit zur Sachentscheidung in Ansehung aller hierfür maßgeblichen Vorschriften auf die zweitinstanzliche Behörde verlagere, hätte der Oö. Verwaltungssenat sohin eine eigene Beurteilung am Maßstab des § 86 Abs. 1 FPG i.d.F. 2009 vorzunehmen gehabt.

 

5.1. Vor diesem Hintergrund ist zunächst darauf hinzuweisen, dass für die nunmehr vom Oö. Verwaltungssenat gemäß § 63 Abs. 1 VwGG zu treffende Entscheidung nicht mehr die im Zeitpunkt der Erlassung des aufgehobenen Bescheides (vom 11. Mai 2011, Zl. VwSen-720299/2/Gf/Mu) maßgebliche, sondern vielmehr die im Zeitpunkt der Erlassung des gegenständlichen Ersatzbescheides aktuell bestehende Sach- und Rechtslage anzuwenden ist.

 

Abgesehen davon, dass zwischenzeitlich ein Zeitraum von nahezu zwei Jahren vergangen ist, in dem sich in Bezug auf die zu erstellende Gefährdungsprognose maßgebliche Änderungen im Tatsächlichen ergeben haben können, bedeutet dies, dass nunmehr jedenfalls die seither vorgenommenen Novellierungen des FPG, insbesondere das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, mit zu berücksichtigen sind.

 

5.2. Soweit der VwGH in seinem Erkenntnis vom 19. März 2013, Zl. 2011/21/0152, die Auffassung vertritt, dass einem UVS "gemäß § 66 Abs. 4 zweiter Satz AVG" die Funktion einer Berufungsbehörde zukommt, sodass dieser "eine eigenständige Beurteilung der Gefährdungsprognose ..... vorzunehmen" hat (vgl. die Pkte. 4.2. und 4.3. dieser Entscheidung), vermag sich der Oö. Verwaltungssenat dieser Rechtsmeinung – weil sie (wie auch die übrigen in diesem Erkenntnis angeführten VwGH-Entscheidungen) den verfassungsrechtlichen Hintergrund völlig außer Betracht lässt – nur eingeschränkt anzuschließen.

 

Denn dazu, dass die Entscheidungsbefugnis des UVS selbst auf einfachgesetzlicher Basis schon durch die "Sache des Berufungsverfahrens" inhaltlich eingeschränkt ist, kommt nämlich noch, dass die UVS ausschließlich aus dem Grund eingerichtet wurden, um den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK Rechnung zu tragen. Demzufolge ergibt sich nicht nur aus dieser Verfassungsbestimmung, sondern auch aus Art. 129 B-VG, dass den UVS vorrangig nicht eine behördliche, sondern eine judizielle Funktion zukommt. Die UVS haben daher nicht die Verwaltung zu "führen", sondern vielmehr die Rechtmäßigkeit des Handelns der Verwaltung zu "kontrollieren" (vgl. zu Art. 6 Abs. 1 EMRK jüngst EGMR v. 4. April 2013, 21565/07, RN 28: "According to the Court's case-law, a 'tribunal' is characterised in the substantive sense of the term by its judicial function ....."; und zu Art. 129 B-VG schon VfGH v. 26. Juni 1997, G 270/96 u.a., Pkt. IV.4.b: "..... wird in der Literatur als Ermächtigung angesehen, 'die UVS auch mit jedweder sonstigen Angelegenheit zu betrauen, sofern dies im Rahmen der Zielvorgaben der Art. 129 bis 129b B-VG erfolgt'" [Hervorhebungen jeweils nicht im Original]).

 

Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Kern der inhaltlichen Rechtsgestaltung – und zwar insbesondere dort, wo der Gesetzgeber eine Ermessens-, Prognose- oder Verhältnismäßigkeitsentscheidung vorsieht – bei der Behörde verbleiben muss.

 

Dies ergibt sich zudem schließlich auch daraus, dass die UVS nicht in den Instanzenzug der allgemeinen staatlichen Verwaltung eingegliedert sind, sondern eben erst nach dessen Erschöpfung zu entscheiden haben (vgl. Art. 129a Abs. 1 B‑VG).

 

5.3. Vor diesem verfassungsrechtssystematischen Hintergrund sowie deshalb, weil im gegenständlichen Fall zwischenzeitlich jedenfalls entsprechende Änderungen der Rechtslage eingetreten sind und zudem nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich auch maßgebliche Änderungen der Sachlage in Bezug auf die (u.a. auch im Wege einer persönlichen Anhörung des Beschwerdeführers im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu treffende) Gefährdungsprognose bzw. die damit im Zusammenhang stehende Dauer des Aufenthaltsverbotes ergeben haben (deren lückenlose Feststellung dem Oö. Verwaltungssenat mangels entsprechender Ermittlungsorgane und ‑einrichtungen schon faktisch nicht möglich ist), und schließlich auch deshalb, um es der Fremdenpolizeibehörde zu ermöglichen, im Falle einer Berufung gegen ihre künftige Entscheidung einen Widerspruch gemäß § 67h AVG zu erheben, um sich so den zuvor angesprochenen, ihr nach dem Gesetz zukommenden Kern der rechtspolitischen Gestaltungsbefugnis vorzubehalten, war der gegenständlichen Berufung daher zunächst bloß insoweit stattzugeben, als der Bescheid des Polizeidirektors der Stadt Linz vom 2. März 2011, Zl. 1068743/FRB, gemäß § 66 Abs. 2 AVG aufzuheben und die Rechtssache der Landespolizeidirektion Oberösterreich zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückzuverweisen war.   

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 240 Euro zu entrichten.

 

 

 

Dr.  G r ó f

 

 

 

VwSen-720299/14/Gf/Rt vom 29. April 2013

 

Erkenntnis

 

 

Rechtssatz

 

MRK Art6 Abs1;

B-VG Art129;

B-VG Art129a Abs1;

FrPolG 2005 §67 Abs1 idF BGBl I 68/2013;

FrPolG 2005 §86 Abs1 idF I 135/2009;

VwGG §63 Abs1;

AVG §66 Abs2;

AVG §67h

 

* Soweit der VwGH in seinem Erkenntnis vom 19. März 2013, 2011/21/0152, die Auffassung vertritt, dass einem UVS "gemäß § 66 Abs. 4 zweiter Satz AVG" die Funktion einer Berufungsbehörde zukommt, sodass dieser "eine eigenständige Beurteilung der Gefährdungsprognose ..... vorzunehmen" hat, vermag sich der Oö. Verwaltungssenat dieser Rechtsmeinung – weil sie (wie auch die übrigen in diesem Erkenntnis angeführten VwGH-Entscheidungen) den verfassungsrechtlichen Hintergrund völlig außer Betracht lässt – nur eingeschränkt anzuschließen. Denn dazu, dass die Entscheidungsbefugnis des UVS selbst auf einfachgesetzlicher Basis schon durch die "Sache des Berufungsverfahrens" inhaltlich eingeschränkt ist, kommt nämlich noch, dass die UVS ausschließlich aus dem Grund eingerichtet wurden, um den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK Rechnung zu tragen. Demzufolge ergibt sich nicht nur aus dieser Verfassungsbestimmung, sondern auch aus Art. 129 B-VG, dass den UVS vorrangig nicht eine behördliche, sondern eine judizielle Funktion zukommt. Die UVS haben daher nicht die Verwaltung zu "führen", sondern vielmehr die Rechtmäßigkeit des Handelns der Verwaltung zu "kontrollieren" (vgl. zu Art. 6 Abs. 1 EMRK jüngst EGMR 4. April 2013, Nr 21565/07, Rz 28: "According to the Court's case-law, a 'tribunal' is characterised in the substantive sense of the term by its judicial function ....."; und zu Art. 129 B-VG schon VfGH 26. Juni 1997, G 270/96 u.a., Pkt. IV.4.b: "..... wird in der Literatur als Ermächtigung angesehen, 'die UVS auch mit jedweder sonstigen Angelegenheit zu betrauen, sofern dies im Rahmen der Zielvorgaben der Art. 129 bis 129b B-VG erfolgt'" [Hervorhebungen jeweils nicht im Original]);

 

* Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Kern der inhaltlichen Rechtsgestaltung – und zwar insbesondere dort, wo der Gesetzgeber eine Ermessens-, Prognose- oder Verhältnismäßigkeitsentscheidung vorsieht – bei der Behörde verbleiben muss. Dies ergibt sich zudem schließlich auch daraus, dass die UVS nicht in den Instanzenzug der allgemeinen staatlichen Verwaltung eingegliedert sind, sondern eben erst nach dessen Erschöpfung zu entscheiden haben (vgl. Art. 129a Abs. 1 B VG).

 

* Vor diesem verfassungsrechtssystematischen Hintergrund sowie deshalb, weil im gegenständlichen Fall zwischenzeitlich jedenfalls entsprechende Änderungen der Rechtslage eingetreten sind und zudem nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich auch maßgebliche Änderungen der Sachlage in Bezug auf die (ua. auch im Wege einer persönlichen Anhörung des Fremden zu treffende) Gefährdungsprognose bzw. die damit im Zusammenhang stehende Dauer des Aufenthaltsverbotes ergeben haben (deren lückenlose Feststellung dem Oö. Verwaltungssenat mangels entsprechender Ermittlungsorgane und  Einrichtungen schon faktisch nicht möglich ist), und schließlich auch deshalb, um es der Fremdenpolizeibehörde zu ermöglichen, im Falle einer Berufung gegen ihre künftige Entscheidung einen Widerspruch gemäß § 67h AVG zu erheben, um sich so den zuvor angesprochenen, ihr nach dem Gesetz zukommenden Kern der rechtspolitischen Gestaltungsbefugnis vorzubehalten, war der gegenständlichen Berufung daher zunächst bloß insoweit stattzugeben, als der Bescheid des Polizeidirektors der Stadt Linz gemäß § 66 Abs. 2 AVG aufzuheben und die Rechtssache der Landespolizeidirektion Oberösterreich zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückzuverweisen war.

Beachte:

Vorstehende Entscheidung wurde aufgehoben.

VwGH vom 12. September 2013, Zl.: 2013/21/0118-10

 

 

 

 

 

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