Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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Linz, 17.06.2013

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Beschwerden des X, geboren am X, der X, geboren am X, deren Kinder X, geboren am X, X, geboren am X, X, geboren am X und X, geboren am X, alle Kinder vertreten durch X, afghanische Staatsangehörige, derzeit aufhältig in Litauen, alle vertreten durch den X, wegen Rechtswidrigkeit der Festnahme und Abschiebung am 5. März 2013 nach Litauen durch der Bezirkshauptmannschaft Perg zurechenbare Organe zu Recht erkannt:

 

 

 

Die Beschwerden werden abgewiesen.

 

 

 

Rechtsgrundlagen:

Art 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG iVm § 67a Abs. 1 Z. 2 u § 67c AVG 1991; § 79a AVG 1991 iVm Aufwandersatzverordnung UVS, BGBl II Nr. 456/2008.

 

 

 


Entscheidungsgründe:

 

1. Mit undatiertem Schriftsatz, übermittelt per Fax (16. April 2013 21:01), eingelangt beim Oö. Verwaltungssenat am 17. April 2013, erhoben die Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf) durch ihren Vertreter Maßnahmenbeschwerde wegen der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt am 5. März 2013 in Form der Festnahme und Abschiebung der Bf nach Litauen durch der Bezirkshauptmannschaft Perg zurechenbare Organe.

 

Zum Sachverhalt brachte der Vertreter wie folgt vor: 

Bei den BF handelt es sich um Flüchtlinge aus Afghanistan. Alle Kinder sind minderjährig.

Die Familie ist über Litauen in das Gebiet der Europäischen Union eingereist. Dort war man nicht bereit, der Familie ein faires Asylverfahren und ausreichende humanitäre Versorgung zu bieten.

Frau X erlitt in Litauen durch den Stress und den Mangel an geeigneter Versorgung eine Fehlgeburt.

Das Bundesasylamt kam zu der Entscheidung, die Familie gemäß der Dublin II Verordnung nach Litauen auszuweisen und den Asylantrag gem. § 5 AsylG zurückzuweisen. Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung hat der Asylgerichtshof nicht stattgegeben.

 

Durch eine neuerliche - problematische - Schwangerschaft ist ein neuer Sachverhalt entstanden, der Frau X dazu veranlasst hat, einen neuerlichen Antrag auf Asyl zu stellen. Dieser Asylantrag ist nach wie vor beim Bundesasylamt anhängig.

 

Die Familie wurde in der Unterkunft in der X festgenommen und am 05.03.2013 abgeschoben.

 

Eine Information über eine geplante Abschiebung wurde dem Rechtsvertreter nie übermittelt. Ebenso wurde nie ein Bericht über den Verbleib der Familie übermittelt. Soweit ersichtlich, ist die Festnahme und Abschiebung der BH Perg zuzuordnen.

 

Die Beschwerden wurden folgendermaßen begründet:

 

Frau X litt unter den Komplikationen einer problematischen Schwangerschaft und war zum Zeitpunkt der Abschiebung bereits vom Mutterschutz erfasst. Bereits von daher war eine Festnahme und Abschiebung nicht zulässig.

 

Weiters hat Frau X einen neuen Asylantrag gestellt. Dieser Asylantrag mit GZ 13 01.028 war berechtigt, da eine Risikoschwangerschaft vorliegt.

 

Der neue Asylantrag ist beim Bundesasylamt anhängig. Dem Asylantrag kommt ein Abschiebeschutz zu, zumal der Abschiebeschutz nie aberkannt wurde.

 

Aufgrund des Asylantrages der Mutter bzw. der Ehefrau hätte die gesamte Familie nicht festgenommen und abgeschoben werden dürfen.

 

Abschließend stellten die Bf den Antrag, den angefochtenen Verwaltungsakt, Festnahme und Abschiebung der Bf am 5. März 2013 durch die belangte Behörde, für rechtswidrig zu erklären, eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen und die belangte Behörde zum Kostenersatz zu verurteilen.

 

 

2.1. Mit E-Mail vom 19. April 2013 wurde die belangte Behörde zur Aktenvorlage aufgefordert und ihr die Möglichkeit eingeräumt eine Gegenschrift zu erstatten.

 

2.2. Mit Schreiben vom 16. Mai 2013 übermittelte die belangte Behörde die bezughabenden Verwaltungsakte und erstattete eine Gegenschrift.

Dem dortigen Ersuchen vom 19. April 2013 entsprechend darf der zum Gegenstand vorhandene Verwaltungsakt übermittelt werden. Dieser wurde in drei Teile unterteilt:

Teil 1 - Überstellungs- bzw. Abschiebeversuch für 18.10.2012

Teil 2 - Überstellungs- bzw. Abschiebeversuch für 24.1.2013

Teil 3 - Überstellung bzw. Abschiebung für 5.3.2013

 

Bezüglich der Einladung zur Gegenschrift darf auf folgendes verwiesen werden: Einleitend eine zusammenfassende Verfahrensübersicht:

 

Teil 1: Die Familie X stammt aus Afghanistan.

Sie reisten am 13.8.2012 unrechtmäßig nach Österreich ein und beantragten noch am selben Tag die Zuerkennung der Asyleigenschaft.

Im Rahmen der Dublin-Bestimmungen wurde Litauen für dieses Verfahren zuständig er­kannt.

Aus diesem Grund erging am 5.9.2012 der negative Bescheid gemäß § 5 AslyG.

Nach Eintritt der "Durchführbarkeit" wurde am 1.10.2012 um Überstellung der Familie nach Litauen ersucht (Teil1, Beilage 9).

Nach Erhalt der Zustimmung zur Überstellung/Abschiebung seitens der LPD organisierte die Behörde erstmals für 18.10.2012 eine Flugüberstellung. Für diese Überstellung wurde im speziellen eine mögliche Fluguntauglichkeit des Familienvaters intensiv geprüft. Die Ärztin beurteilte den Betroffene jedoch als flugtauglich (Teil 1, AV auf Beilage 14).

Mit 16.10.2012 erging der Auftrag an die PI X, die Familie zum Zweck der Abschiebung nächsten Tag festzunehmen und in die Familienunterkunft X zu überstellen. Dieses Ersuchen enthielt auch die Anweisung, die Familie nachweislich über den bevorstehenden Abschiebtermin zu informieren (Teil1, Beilage 26)

Laut Bericht der Pl-X vom 17.10.2012 (Teil1, Beilage 37) verweigerten die Betroffenen jedwede Unterschriftsleistung zur Bestätigung der erhaltenen Informationen. Eine Vertretung der Genannten durch den X bestand zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Mit 17.10.2012 erging auch die Anforderung der Rechtsberatung (Teil1, Beilage 32). Auch die Jugendwohlfahrt wurde zur Unterstützung der Abschiebung ersucht.

Am 18.10.2012 musste der Überstellungs- bzw. Abschiebeversuch jedoch laut Information des Wachkommandanten der X - Bl X abgebrochen werden, da die Familie ohne Anwendung von Gewalt nicht zu bewegen war, die Fahrt zum Flughafen anzutreten. Herr X rechtfertigte dabei sein Verhalten damit, dass er nunmehr bereit wäre, freiwillig in sein Heimatland zurück zu kehren. Angemerkt dazu wird noch, dass das polizeiamtsärztliche Gutachten vom 17.10.2012 die Flugtauglichkeit der Frau X trotz möglicher Schwangerschaft bestätigt.

 

Teil 2: Nachdem diese Abschiebung vereitelt wurde und eine Rückbringung der Betroffenen in die Betreuungsstelle Bad Kreuzen nicht mehr möglich war, musste zur Sicherung des nächsten Abschiebeversuches die Familie in das "gelindere Mittel" genommen werden (Bescheid Beilage 4 und 6, Teil 2).

Neuerliche Anforderung einer Rechtsberatung mit 18.10.2012 (Beilage 8).

Am 21.10.2012 kam es zu einer Einweisung von Fr. X in das Krankenhaus X da sie über akute Beschwerden im Unterleib klagte.

Bei der neuerlichen Rechtsberatung wird hinsichtlich der freiwilligen Rückkehr nunmehr festgehalten, "freiwillig nirgend wohin" zu gehen (Beilage 14 Teil2). Ergänzend dazu wird in Beilage 16 ausgeführt, welche Forderung Herr X (z.B. den Erhalt von 60.000 USD) stellt um tatsächlich freiwillig zurück zu kehren.

22.10.2012 Erteilung der Vollmacht an X im Zuge der Vorstellung gegen gelinderes Mittel (Beilage 21 Teil 2)

Der Bevollmächtigte bringt bereits in der Eingabe vom 26.11.2012 (Beilage 34) vor, dass Frau X unter enormen psychischen Problemen und einer Risikoschwangerschaft leide.

Dem entgegen führt jedoch der fachärztliche Endbefund vom 22.11.2012 (der Beilage 34 angeschlossen) aus, dass derzeit keine Gefahr für das Ungeborene bestünde. Es seien auch im Verlauf dieser Schwangerschaft keine weiteren Kontrollen notwendig.

Gegen das "gelindere Mittel" wurde Vorstellung erhoben (Familie leidet im Quartier, fühlt sich dort nicht wohl, wird in der Freiheit ungebührlich eingeschränkt, kann keine Speisen zubereiten, unzureichende medizinische Versorgung). Stellungnahme dazu unter Beilage 40 von der Landespolizeidirektion Wien.

Neuerlich Anordnung des gelinderen Mittels nach Vorstellungsprüfung am 14. Jänner 2013 -Adressierung und Zustellung an bevollmächtigten Migrantinnenverein (Beilage 48).

Organisation unter Einbindung des BMI einer nunmehr begleiteten Abschiebung. Hinsicht­lich einer eventuell erforderlichen ärztlichen Begleitung wird seitens des BMI keine Not­wendigkeit gesehen (Beilage 49).

Es wird für 24. Jänner 2013 ein neuer Abschiebversuch festgelegt. Rechtsberatung wurde neuerlich angefordert und der bevollmächtigte Migrantinnenverein wurde per mail vom 23. Jänner 2013 vom Abschiebetermin informiert (Beilage 65).

Auch diesen neuerlichen Abschiebeversuch vereitelte die Familie. Es konnte aus dem "ge­linderen Mittel" in der X keine Überstellungsfahrt zum Flughafen auch nur an­satzweise angetreten werden. Die Familie verblieb in der X im "gelinderen Mit­tel". Eine genaue Ablaufschilderung ist aus der Beilage 76 zu entnehmen. Die Abschiebung musste wieder abgebrochen werden.

Im Anschluss an diese Vereitelung blieb die Familie im "gelinderen Mittel". Noch am Vor-mittag des Tages des Vorfalles verließ die Familie die Unterkunft - der Familienvater be­suchte angeblich einen "Rechtsanwalt" die Mutter ging ins Krankenhaus.

In der Folge erhielt die BH-Perg am 24. Jänner 2013 das mail der EAST-West aus dem hervor ging, dass Frau X einen Folgeantrag gestellt hat. Die diesbezügliche fremdenpolizeiliche Information enthielt aber auch die Feststeilung, dass diesem Folgean­trag gem. § 12a Abs.1 ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt (Beilage 71).

 

Teil 3: Nach Anfrage beim BMI über Möglichkeiten hinsichtlich des weiteren Vorganges wurde schließlich ein begleiteter Buscharter nach Litauen festgelegt. Termin dieser Abschiebung auf dem Landweg war 6. März 2013. Im mail vom 25. Februar 2013 wird das BMI auf den Schwangerschaftstermin 24.5.2013 hingewiesen (Teilt 3 Beilage 7).

Am 1.3.2012 wurde schließlich der Auftrag zur Abschiebung erlassen (Beilage 19). In die­sem wurde speziell nochmals auf die Notwendigkeit der medizinischen Untersuchung betreffend Transportfähigkeit verwiesen. Eine weitere Rechtsberatung wurde angefordert.

Die Information über den Abschiebetermin wurde den Betroffenen am 5.3.2013 um 6:40 Uhr gegeben. Die Unterschrift zur Bestätigung verweigerten sie jedoch.

Die Abschiebung/Überstellung nach Litauen konnte schließlich ohne besondere Vorkomm­nisse abgeschlossen werden.

 

Konkret zu den Beschwerdepunkten:

 

"Schwangerschaft der Frau X":

 

Die immer wieder behauptete "Risikoschwangerschaft" hat sich in keinem einzigen ärztlichen Gutachten bestätigt. Es wurde auch mehrmals bei den Abschiebeversuchen von der Behörde auf die behauptete Transportunfähigkeit hingewiesen und um entsprechende ärztliche Begutachtung ersucht. Es gab keine Hinderungsgründe. Bei der Überstellung selbst war eine Arztbegleitung gegeben.

 

"Abschiebeschutz aufgrund Asylantragstellung":

 

Es wurde im Abschiebeverfahren der Fremdenbehörde am 24.1.2013 vom Bundesasylamt mitgeteilt, dass kein Abschiebeschutz besteht. Der Folgeantrag bedeutete somit eindeutig kein Hindernis für die Überstellung der Familie nach Litauen.

Dass der eingetretene Mutterschutz (8 Wochen vor Geburtstermin 24.5.2013) ein Hindernis für die Überstellung dargestellt hätte, ist nicht nachvollziehbar.

 

"Information Abschiebtermin":

 

Abgesehen davon, dass diese Informationen ergingen, wird diesbezüglich auf § 58 Abs.2 FPG verwiesen, wonach Entscheidungen gemäß § 5 AsylG (und das liegt in ggstl Fall vor) sogar von dieser Informationspflicht ausgenommen sind.

 

2.3. Mit Schreiben vom 21. Mai 2013 wurde dem Vertreter die Gegenschrift der belangten Behörde zur Kenntnis gebracht.

 

2.4. Mit undatiertem Schreiben, übermittelt per Fax (27. Mai 2013, 21:47), eingelangt beim Oö. Verwaltungssenat am 28. Mai 2013, gab der Vertreter folgende Stellungnahme ab:

Bei der Schwangerschaft von Frau X handelt es sich um eine Risikoschwangerschaft.

 

Unbestritten hat sie ja während des Aufenthalts in Litauen ein Kind verloren.

 

Abzustellen ist bei der Beurteilung, ob eine Risikoschwangerschaft vorliegt, auf die gesamte Situation und nicht nur auf die unmittelbaren medizinischen Untersuchungsergebnisse. Tatsache ist, dass die BF eine panische Angst vor der Abschiebung und der Situation in Litauen hatte.

 

Da die vorhergehende Schwangerschaft mit dem Verlieren des Kindes endete, hätte ein besonderer Schutz von früh angesetzt werden müssen.

 

Die belange Behörde stützt sich in der Stellungnahme vom 16.05.2013 auf einen „Endbefund" vom 22.11,2012(1). Aktuelles kann die BH Perg nicht bieten. Dazu kommt, dass die BH Perg das konkrete Vorbringen hinsichtlich der Risikoschwangerschaft während der Zeit als die Familie noch in Österreich war, nie in Frage gestellt hat und diesem auch nie entgegengetreten ist.

Die brutale und rechtswidrige Vorgehensweise der belangten Behörde zeigt sich auch daran, dass die schulpflichtigen Kinder über viele Monate die Schule nicht besuchen durften.

 

Gemeinsam mit den unwidersprochenen Rügen, dass die Familie nicht das der Kultur entsprechende Essen selbst zubereiten durfte, ja etwa nicht einmal die Möglichkeit hatte Tee zu Kochen ergibt sich das Bild eines besonders menschenverachtenden Vorgehens der belangten Behörde. So etwas traut sich die belangte Behörde wohl nur mit Flüchtlingen zu machen, in der „Gewissheit", diese könnten ihre Rechte sowieso nicht durchsetzen.

 

(Asylverfahren:)

 

Im neuerlichen Asylantrag, den nur Frau X allein, also nicht die Familienmitglieder, gestellt haben, ging es konkret um die Risikoschwangerschaft und die Befürchtung der ungeeigneten Unterbringung in Litauen iSd Art 3 EMRK.

 

Der Asylantrag hätte daher jedenfalls inhaltlich geprüft werden müssen. Ohne Angabe von Gründen wurde die anberaumte Einvernahme in der EAST Ost Traiskirchen abgesagt, ohne dass je wieder eine Einvernahme abgehalten wurde.

 

Über den Asylantrag hat der Asylgerichtshof bis jetzt noch nicht abgesprochen.

 

Im gegenständlichen Fall war jedenfalls von einem faktischen Abschiebeschutz durch den neuen Asylantrag auszugehen. Dies entspricht den gesetzlichen Regelungen und ergibt sich aus dem Willen des Gesetzgebers.

 

Festgehalten wird am Antrag auf eine mündliche Beschwerdeverhandlung. Die Einvernahmen der Betroffenen sind der Beweis, dass die Abschiebung ein unverhältnismäßiges Risiko insbesondere für das ungeborene Kind darstellte und dafür, dass die belangte Behörde grob fahrlässig gehandelt hat.

 

 

3. Der Oö. Verwaltungssenat erhob Beweis durch Einsichtnahme in den vorliegenden Verwaltungsakt und die eingebrachten Schriftsätze bzw. Beweismittel.

 

3.1. Die Bf halten sich derzeit in Litauen auf und sind nicht zur Einreise in Österreich berechtigt. Da der entscheidungsrelevante Sachverhalt abschließend feststeht, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung trotz wiederholter Beantragung durch den Vertreter unterbleiben.

 

3.2. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter Punkt 2.2. dieses Bescheides dargestellten Sachverhaltselementen und den folgenden Sachverhaltsfeststellungen aus:

 

Die Bf haben am 18. Juni 2012 in Litauen Anträge auf internationalen Schutz (Asylanträge) gestellt. Nach mehrwöchigem Aufenthalt haben sie die Reise fortgesetzt und sind am 13. August 2012 illegal in Österreich eingereist. Unmittelbar nach der Einreise haben die Bf Asylanträge gestellt und im Rahmen der Erstbefragung die Asylantragstellungen in einem anderen Staat bestritten. Im Zuge des Verfahrens kamen die Antragstellungen in Litauen hervor. Litauen stimmte am 29. August 2012 der Wiederaufnahme der Bf zu. Mit Bescheiden vom 5. September 2012 wies das Bundesasylamt die Asylanträge zurück und verfügte die Ausweisung nach Litauen. Die Durchsetzbarkeit der Bescheide war mit 5. und die Durchführbarkeit mit 28. September 2012 gegeben. Mit Erkenntnis vom 19. Oktober 2012, Zlen. S3 429.262-1/2012/5E ff, wies der Asylgerichtshof die Beschwerden als unbegründet ab.

 

Im Hinblick auf die Ohrenerkrankung des Erst-Bf wurde dieser im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern einer Untersuchung unterzogen. Der Bf wurde für flugtauglich befunden (Aktenvorlage Teil 1 ONr. 14/2).

 

Am 17. Oktober 2012 wurden die Bf von der bevorstehenden Abschiebung nach Litauen (Formular § 58 Abs. 2 FPG – ONrn. 22 und 37) schriftlich in Kenntnis gesetzt. Die Bf haben die Entgegennahme und Unterschrift verweigert.

 

Die vom Polizeiamtsarzt durchgeführten Untersuchungen ergaben die Flugtauglichkeit sämtlicher Bf. Diese war auch bei der Zweit-Bf gegeben. Auf die mögliche Schwangerschaft – 2. Monat – wurde ausdrücklich Bezug genommen (Gutachten vom 17. Oktober 2012 – ONr. 40).

 

Bedingt durch die „massive“ Weigerung des Erst-Bf und der weiteren Bf wurde die für 18. Oktober 2012 geplante Abschiebung abgebrochen. Der Erst-Bf gab bei der Amtshandlung bekannt, dass er freiwillig nach Afghanistan zurückkehren werde, jedoch keinesfalls nach Litauen wolle (Aktenvermerk vom 18. Oktober 2012 –ONr. 34).

 

Am 21. Oktober 2012 äußerte die Zweit-Bf akute Schmerzen im Unterleib und wies auf ihre Schwangerschaft hin. Zur Abklärung wurde die Zweit-Bf mit dem Rettungsdienst in die Gyn. Abteilung der X gebracht.

 

Rückkehrberatungsgespräche des Vereins „X“ mit den Bf ergaben am 24. und 26. Oktober 2012, dass die Bf keinesfalls rückkehrbereit waren und sich die Zweit-Bf mittlerweile im 2. Schwangerschaftsmonat befand. Eine Rückkehr in der Herkunftsstaat hätte sich der Erst-Bf nur vorstellen können, wenn ihm die Ausgaben für die Reise in der Höhe von 60.000 US $ rückerstattet worden wären. Eine Rückkehr nach Litauen komme keinesfalls in Frage. Lieber lasse er sich beim nächsten Abschiebeversuch erschießen oder er werfe sich vors Polizeiauto. Die Abschiebungen werde er so lange verhindern bis er Papiere bekomme und in Österreich bleiben könne.

 

Die Erkenntnisse des Asylgerichtshofes vom 19. Oktober 2012 (siehe oben) erwuchsen am 15. November 2012 in Rechtskraft.

 

Am 2. November 2012 übermittelte der Vertreter Vollmachten der Bf und brachte für diese eine Vorstellung gegen die Anordnung der gelinderen Mittel ein. U.a. wies der Vertreter darauf hin, dass die Bf in der Wohnung nicht einmal Tee kochen könnten und der Erst-Bf regelmäßige medizinische Behandlung benötige (Nasenverletzung durch Taliban) Die Zweit-Bf habe große gesundheitliche Probleme und eine sehr angeschlagene Psyche. In Litauen habe sie durch schlechte Behandlung, den Stress und die psychischen Probleme ein Kind verloren. Die aktuelle Schwangerschaft wurde nicht thematisiert.

 

Zur Vorstellung brachte der Vertreter mit Schriftsatz vom 26. November 2012 ergänzend vor, dass die Zweit-Bf schwanger sei und es sich um eine Risikoschwangerschaft handle. Sie habe enorme physische Probleme und zuletzt in Litauen ein Kind verloren. In diesem Risikozustand habe die Zweit-Bf keinen ausreichenden Zugang zu ärztlicher Versorgung. Am 11. November 2012 habe sie über starke Schmerzen geklagt und man habe ihr nur eine Kopfschmerztablette angeboten. Die Art der Unterbringung sei skandalös, die Familie könne keine Ruhe finden, habe keine Küche und könne nicht einmal Tee kochen. Die Schwangere benötige die größte aufbietbare Schonung und Ruhe.

Dem Schreiben wurden „ärztliche Dokumente“ und die Bescheinigung über die Schwangerschaft beigelegt.

Im Endbefund vom 22. November 2012 (Gruppenpraxis – Auftragsnummer 4112494525) wird ausgeführt: „Derzeit keine Gefahr für das Ungeborene. Im Verlauf dieser Schwangerschaft keine weiteren Kontrollen notwendig“.

Die Sonographie des Unterbauches am 19. November 2012 bestätigt das Vorliegen der Schwangerschaft und befundet keine Auffälligkeiten.

Am 23. November 2012 bestätigt Dr. X, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, X, dass sich die Zweit-Bf in der 15 SSW befinde und der X. Mai 2013 der errechnete Geburtstermin wäre. [Teil 2 des Vorlageaktes ONr. 34]

 

Der Stellungnahme der LPD Wien vom 20. November 2012 ist zu entnehmen, dass die Zimmer der Bf eine Küche aufweisen, die Wohnung nach kompletter Adaptierung am 3. Oktober 2011 in Betrieb genommen worden ist und die komplette Verpflegung von der hauseigenen Küche geliefert wird. Für die Bf besteht die Möglichkeit sich Tee selbst zu besorgen und in der Küche der Wohnung zuzubereiten (Mikrowellenherd und Wasserkocher vorhanden).

Medizinische Versorgung ist rund um die Uhr gewährleistet. Notwendige Untersuchungen können im Amber-Med Ambulatorium durchgeführt werden. In Notfällen wird unverzüglich der Rettungsdienst angefordert. Die Zweit-Bf wurde am 19. und 21. Oktober 2012 mit dem Rettungsdienst in das KH gebracht und im Zuge einer Kontrolle am 12. November 2012 untersucht. Der Erst-Bf hat sich bis dato nicht für eine Behandlung gemeldet.

Die Vorwürfe des Vertreters, die im Rechtsmittel und der Stellungnahme enthalten sind, seien an die Ansprechpersonen vor Ort nicht herangetragen worden.

 

Zur Stellungnahme der LPD Wien brachte der Vertreter vor, dass sich die Familie im Quartier nicht wohlfühle und dies unbestritten geblieben sei. Die Familie könne sich ein dem kulturellen Hintergrund entsprechendes Essen nicht zubereiten und dies bedeute Stress. Wie gerügt, könne die Familie auch nicht den traditionellen Tee zubereiten. Egal wie viel Tee zur Verfügung gestellt werde, die Familie habe von der eigenen Teezubereitung gesprochen. Ein Wasserkocher helfe nicht. Unverhältnismäßig sei, dass die Bf die eigene Kultur nicht einmal in Bezug auf Essen und Trinken ausüben können. Die Zweit-Bf leide an großen psychischen Problemen und das Quartier trage dazu bei. Darauf, dass die Zweit-Bf schwanger sei, wäre nicht eingegangen worden und auch nicht darauf, dass es sich um eine Risikoschwangerschaft handle.

 

Im Schreiben vom 4. Jänner 2013 informierte die LPD Oberösterreich die belangte Behörde davon, dass nach Beweiserhebung aus derzeitiger Sicht keine Schwangerschaftskomplikationen vorliegen würden. Am 15. Jänner 2013 teilte der chefärztliche Dienst des BMI mit, dass nach Durchsicht der Befunde für die nachstehende geplante Familienabschiebung keine ärztliche Begleitung notwendig sei.

 

Zur Sicherung der für 24. Jänner 2013 geplanten Abschiebung auf dem Luftweg sollten die Bf am 23. Jänner 2013 festgenommen werden. Zuvor wurden die Bf von der beabsichtigten Abschiebung in Kenntnis gesetzt (Ausfolgung des Formblattes). Sowohl der Erst-Bf als auch die Zweit-Bf leisteten passiven Widerstand (krampfhaftes Festhalten am Bett). Da der Widerstand nur „mit einer enormen Anwendung von Körperkraft“ gebrochen werden hätte können wurde im Hinblick auf die Schwangerschaft und die anwesenden Kinder davon Abstand genommen, die Bf nicht festgenommen und auch nicht in die vorgesehene Unterkunft überstellt.

 

In Kenntnis der bevorstehenden Abschiebung haben die Bf das gelindere Mittel verlassen und sich seit dem 23. Jänner 2013, 22.00 Uhr, nicht mehr an der vorgesehen Adresse aufgehalten.

 

Nach der versuchten Festnahme suchte die Zweit-Bf das AKH X wegen „Bauch- und Kopfschmerzen“ auf und wurde um 20.52 Uhr untersucht. Nach der Befundaufnahme, bei der sich die Zweit-Bf auf eine „Visitierung durch die Polizei und einen Vorladetermin für den 24. Jänner 2013“ bezog, wurde eine „psychische Belastung durch den Asylwerberstatus“ und die „Einlingsgravidität“ diagnostiziert. Anzeichen auf eine Risiko- oder Problemschwangerschaft sind nicht hervorgekommen und lassen sich dem Gutachten auch nicht entnehmen.

 

Am 24. Jänner 2013 verständigte das Bundesasylamt die belangte Behörde davon, dass die Zweit-Bf am 24. Jänner 2013 beim Bundesasylamt, EAST-Ost, einen Asylfolgeantrag gestellt hat und diesem gemäß § 12a Abs. 1 AsylG ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukomme.

 

Mit Schreiben vom 1. März 2013 beauftragte die belangte Behörde die LPD Wien die Bf am 5. März 2013 gemäß § 74 Abs. 2 FPG festzunehmen, die Abschiebeinformation nachweislich auszufolgen, in die Familienunterkunft zu überstellen, der amtsärztlichen Untersuchung zuzuführen (Feststellung der Transportfähigkeit) und in Begleitung von 5 Beamten, einem Arzt und einem Sanitäter [Teil 3 des Vorlageaktes, ONrn. 5 und 19] per Buscharter nach Litauen abzuschieben. Ergänzend wurde mitgeteilt, dass die Rechtsberatung verständigt werde, um nach der Festnahme die Bf zu beraten.

 

Auftragsgemäß vollzogen die Einsatzkräfte der LPD Wien am 5. März 2013 den Festnahmeauftrag der belangten Behörde und informierten die Bf entsprechend
§ 58 Abs. 2 FPG nachweislich von der bevorstehenden Abschiebung (Unterschriften wurden verweigert). Neben den einschreitenden Beamten waren der Dolmetscher X, ein Vertreter des Vereins X und die Amtsärztin X vor Ort. Die Einsatzkräfte führten die gemäß §§ 39 und 74 FPG festgenommenen Bf der zuständigen Amtsärztin zur Feststellung der Transporttauglichkeit vor. Alle Bf wurden nach der Untersuchung als gesund und transportfähig befunden. Bei der Zweit-Bf hielt die Amtsärztin am Laufzettel fest: „Die Frau ist transportfähig. Allgemeinzustand gut, hat heute Rückenschmerzen, 1 Tablette  ....(unleserlich) 500 mg“.

 

Im Zuge des Kontaktgespräches am 5. März 2013 um 11.20 Uhr taten die Bf wiederholt ihren Unwillen kund und teilten mit, dass sie keinesfalls Österreich verlassen wollen. Nachdem ihnen klar geworden war, dass die Abschiebung vorgenommen werde, klärte sich der Erst-Bf bereit, auf dem Luftweg nach Litauen zurückzukehren. Den Bf wurde nochmals zur Kenntnis gebracht, dass die Abschiebung mit dem Bus auf dem Landweg vorgenommen werde.

 

Am 5. März 2013 um 12.30 Uhr wurden die Bf abgeholt und die Abschiebung mit dem Bus über Deutschland und Polen nach Litauen durchgeführt. Neben den Einsatzkräften begleiteten der Polizeiarzt Dr. X (LPD NÖ), ein Sanitäter der LPD Wien, der Dolmetscher X und Mag. X (Human Rights Observer) die Bf.

 

Rechtsberatungen wurden mehrmals vom Verein X durchgeführt (siehe zB. ONrn. 32, 41 [Teil 1 der Aktenvorlage], ONn. 8, 9, 12, 63, 64 [Teil 2 der Aktenvorlage], ONrn. 4 und 21 [Teil 3 der Aktenvorlage]).

 

3.3. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich nachvollziehbar und schlüssig aus dem Vorlageakt und der Gegenschrift.

 

Die in der Beschwerdeschrift angesprochene Fehlgeburt und die angeblich mangelhafte medizinische Versorgung in Litauen wurden weder bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Aufenthalt in Litauen wurde geleugnet) noch in der ersten Befragung vor dem Bundesasylamt thematisiert. Der Asylgerichtshof hat sich auf Grund des Beschwerdevorbringens damit auseinander gesetzt und festgestellt, dass die Bf keine besonderen Gründe glaubhaft machen konnten, die für eine reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK sprächen.

 

Entgegen den wiederholten Äußerungen – Vorliegen einer „Risikoschwangerschaft“ / „Komplikation einer problematischen Schwangerschaft“ – sprechen alle Befunde und Untersuchungsergebnisse von einem normalen Schwangerschaftsverlauf. Nur so ist auch erklärbar, dass die amtsärztliche Untersuchung vor dem unmittelbaren Beginn der Abschiebung die Transporttauglichkeit der Zweit-Bf ergeben hat. Wäre tatsächlich die behauptete „Risikoschwangerschaft“ (auch „problematische Schwangerschaft“) vorgelegen, hätte dies Eingang in das Untersuchungsergebnis gefunden und allenfalls die Transportuntauglichkeit ergeben. Ebenso wenig hat das Bundesasylamt im weiteren Verfahren das nicht belegbare Vorbringen als neuen Sachverhalt gewertet, den Asylfolgeantrag gemäß § 68 AVG zurückgewiesen und neuerlich die Ausweisung nach Litauen ausgesprochen. Diese Entscheidung ist in Rechtskraft erwachsen.

 

Der Vertreter der Bf hat sich im Verfahren trotz anderslautender Befunde und Untersuchungsergebnisse laufend mit der Behauptung einer Risikoschwangerschaft begnügt und in nicht nachvollziehbarer Weise vorgebracht, dass das Vorliegen dieser unstrittig sei.

 

 

4. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

4.1.1. Gemäß § 67a Abs. 1 Z. 2 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51/1991 idgF., entscheiden die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen. Solche Beschwerden sind nach § 67c Abs. 1 AVG innerhalb von sechs Wochen ab dem Zeitpunkt beim Unabhängigen Verwaltungssenat einzubringen, in dem der Beschwerdeführer von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Kenntnis erlangt hat.

 

4.1.2. Die behaupteten Maßnahmen fanden - unbestritten - am 5. März 2013 statt. Die Beschwerdeschrift langte am 17. April 2013 beim Oö. Verwaltungssenat ein. Sie sind daher rechtzeitig erhoben worden.

 

4.2.1. Eine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt liegt nach der höchstgerichtlichen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dann vor, wenn einseitig in subjektive Rechte des Betroffenen eingegriffen und hierbei physischer Zwang ausgeübt wird oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehls droht (vgl. VwGH 29.6.2000, 96/01/0596 mwN und unter Hinweis auf die Lehre). Entscheidend ist dabei, dass es sich um einen Hoheitsakt einer Verwaltungsbehörde handelt, mit dem in die Rechte von individuellen natürlichen oder juristischen Personen eingegriffen wird, ohne dass ein Bescheid erlassen wird (vgl. Köhler in Korinek/Holoubek [Hrsg], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Rz 45 f zu § 129a B-VG).

 

4.2.2. Im vorliegenden Fall behaupten die Bf durch die Abschiebung am 5. März 2013 in ihren Rechten verletzt worden zu sein. Die Abschiebungen seien als rechtswidrig anzusehen, da die Zweit-Bf unter den Komplikationen einer problematischen Schwangerschaft gelitten habe, sie vom Mutterschutz erfasst gewesen sei, berechtigterweise einen neuen Asylantrag gestellt habe, ihr ein Abschiebeschutz zugekommen sei, zumal ihr dieser nicht aberkannt worden wäre und somit weder sie noch die weiteren Bf abgeschoben werden hätten dürfen. Weiters sei dem „Rechtsvertreter“ die Information über die bevorstehende Abschiebung nicht übermittelt worden.

 

Bei den einschreitenden Beamten handelt es sich zweifelsfrei um Organe der öffentlichen Aufsicht, die in Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben im Rahmen des Fremdenpolizeigesetzes einschritten.

 

Die Festnahmen und die Abschiebungen wurden über Weisung der belangten Behörde vorgenommen, weshalb dieser das Einschreiten der Organe zuzurechnen ist.

 

Dass es sich bei der Durchführung einer Abschiebung um eine Maßnahme der unmittelbaren verwaltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt handelt, bedarf im vorliegenden Fall keiner weiteren Erörterung; dies gilt naturgemäß auch für das frühe Stadium der Abschiebung, in dessen Rahmen die Bf in den Morgenstunden festgenommen und in der Folge vorgeführt wurden, wobei hier ihre persönliche Freiheit jedenfalls eingeschränkt war, gleich, ob eine formale Festnahme erfolgte (wie im vorliegenden Fall) oder bloß faktischer Zwang ausgeübt wurde.

 

4.3.1. Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 1 FPG sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, einen Fremden festzunehmen, gegen den ein Festnahmeauftrag (§ 74 Abs. 1 oder 2) besteht, um ihn der Behörde vorzuführen.

 

Nach § 74 Abs. 2 FPG kann ein Festnahmeauftrag gegen einen Fremden auch dann erlassen werden,

  1. wenn die Voraussetzungen zur Verhängung der Schubhaft nach § 76 oder zur Anordnung gelinderer Mittel gemäß § 77 Abs. 1 vorliegen und nicht aus anderen Gründen die Vorführung vor die Fremdenpolizeibehörde erfolgt;
  2. wenn er seiner Verpflichtung zur Ausreise (§§ 52 Abs. 1 und 70 Abs. 1, § 10 AsylG) nicht nachgekommen ist;
  3. wenn gegen den Fremden ein Auftrag zur Abschiebung (§ 46) erlassen werden soll oder
  4. wenn er, ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zu eigenen Handen zugestellten Ladung gemäß § 46 Abs. 2a, in der dieses Zwangsmittel angedroht war, zur Befragung zur Klärung seiner Identität und Herkunft, insbesondere zum Zweck der Einholung eines Ersatzreisedokumentes bei der zuständigen ausländischen Behörde durch die Behörde, nicht Folge geleistet hat.

 

Gemäß § 46 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der anzuwendenden Fassung des Bundesgesetzblattes sind Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung (§§ 61, 66, § 10 AsylG) oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag der Behörde zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

  1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,
  2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,
  3. aufgrund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder
  4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

 

Gemäß § 10 Abs. 7 AsylG idF BGBl I Nr. 38/2011, gilt eine Ausweisung, wenn sie durchsetzbar wird, als durchsetzbare Rückkehrentscheidung nach dem FPG 2005.

 

Nach § 10 Abs. 4 AsylG idF. BGBl I Nr. 122/2009, hat der Fremde unverzüglich auszureisen, wenn eine durchsetzbare Ausweisung besteht.

 

Gemäß § 67 Abs. 3 FPG idF BGBl. I Nr. 122/2009, hat die Behröde den Fremden, gegen den eine durchsetzbare Ausweisung gemäß § 10 AsylG erlassen wurde, über seine Pflicht zur unverzüglichen Ausreise zu informieren. Dabei ist er insbesondere ist auf die Möglichkeit der freiwilligen Rückkehr und der Rückkehrhilfe sowie auf mögliche fremdenpolizeiliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung (§ 46 FPG) hinzuweisen.

 

Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG gestellt, kommt ihm ein faktischer Abschiebeschutz nicht zu, wenn

  1. gegen ihn eine aufrechte Ausweisung besteht oder eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde,
  2. kein Fall des § 39 Abs. 2 vorliegt und
  3. eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt (§ 12a Abs. 1 AsylG).

 

Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt und liegt kein Fall des Abs. 1 vor, kann das Bundesasylamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn

  1. gegen ihn eine aufrechte Ausweisung besteht oder eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde,
  2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und
  3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (§ 12a Abs. 2 AsylG).

 

4.3.2. Im vorliegenden Fall steht nun außer Frage, dass die Bf mit dem Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 19. Oktober 2012 gemäß § 10 AsylG aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden sind. Die Bf wurden somit mit Zustellung dieses Erkenntnisses nachweislich von der Ausreiseverpflichtung in Kenntnis gesetzt. Nachdem die Abschiebung der Bf am 18. Oktober 2012 erstmals gescheitert ist, bekundete der Erst-Bf vordergründig seine Rückkehrwilligkeit in den Herkunftsstaat und machte diese von „Bedingungen“ wie Rückerstattung der Schlepperkosten in der Höhe von 60.000 US $ abhängig.

Daraus folgt aber, dass der Tatbestand des § 46 Abs. 1 Z. 2 FPG als erfüllt anzusehen ist und die zwangsweise Abschiebung dem Grunde nach zulässig war.

 

4.4.1. Gemäß § 58 Abs. 2 FPG hat die Behörde den Fremden, gegen den eine durchsetzbare Ausweisung gemäß § 10 AsylG erlassen wurde, ausgenommen nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG folgenden zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG, ehest möglich ab Vorliegen der dafür erforderlichen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen nachweislich über den festgelegten Abschiebetermin sowie über die Rechtsfolgen eines versäumten Abschiebetermins zu informieren. Wurde ein von der Behörde festgelegter Abschiebetermin bereits einmal aus Gründen, die dem Fremden zurechenbar sind versäumt, so hat die Behörde den Fremden erst mit Durchsetzung eines Festnahmeauftrages gemäß § 74 über den neuerlich festgesetzten Abschiebetermin zu informieren. Das Bundesasylamt ist in allen Fällen unmittelbar nach Festlegung eines Abschiebetermins in Kenntnis zu setzen. Diese Information ist von der Akteneinsicht ausgenommen.

 

4.4.2. Zutreffend hat die belangte Behörde auf die Ausnahme von der Informationspflicht hingewiesen.

 

Unabhängig von der Frage, ob im vorliegenden Fall auch der „Rechtsvertreter“ informiert wurde, stellt sich zunächst die Frage, ob ein allfälliges Unterlassen überhaupt dazu geeignet sein kann, als Rechtsfolge die Unzulässigkeit der betreffenden Maßnahme - also der Abschiebung - nach sich zu ziehen. Der Gesetzestext bietet hier per se keine ausreichenden Anhaltspunkte, weshalb folgend auf die grammatikalische Interpretation auf die Gesetzesmaterialien zurückzugreifen ist.

 

4.4.3. Die RV 1078 BlgNR 24. GP zu § 58 des Fremdenpolizeigesetzes in der Fassung des Fremdenrechtsänderungsgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 geben zu der hier relevierten Frage keinen Aufschluss, verweisen jedoch dem Inhalt nach auf die RV 330 BlgNR 24. GP zu § 67 Abs. 3 - 5 FPG in der vorgehenden Fassung.

 

Ua. wird dort ausgeführt: "Es wird daher künftig die Aufgabe der Fremdenpolizeibehörde sein, derartige Maßnahmen vorausschauend zu planen und dem Fremden seine tatsächliche und rechtliche Situation zur Kenntnis zu bringen. Diese Information entfaltet im Hinblick auf die Bestimmungen des FPG keine normative Wirkung, sondern stellt vielmehr eine objektive Tatbestandsvoraussetzung für die Anwendbarkeit des § 12a Abs. 3 AsylG  dar."

 

§ 12a Abs. 3 AsylG behandelt allerdings lediglich den faktischen Abschiebeschutz im Zusammenhang mit Asyl-Folgeanträgen und ist für den hier zu beurteilenden Fall nicht weiter von Relevanz, da hier auf § 12a Abs. 1 AsylG abzustellen ist.

 

4.4.4. Abschließend darf erläuternd noch festgehalten werden, dass nach dem Willen des Gesetzgebers eine allfällige Verletzung der Informationspflicht nach   § 58 Abs. 2 FPG keine Auswirkung auf die Zulässigkeit einer Maßnahme der unmittelbaren verwaltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt nach dem FPG hat. In anderen Worten bedeutet dies, dass eine Abschiebung - wie im konkreten Fall - nicht dadurch rechtswidrig werden kann, wenn allenfalls eine Information darüber nicht oder nicht ehest möglich an die betroffenen Parteien ergeht.

 

4.5.1. Durch den Asylfolgeantrag vom 24. Jänner 2013 (AI 13 01.028) ist der Zweit-Bf nach § 12a Abs. 1 AsylG kein faktischer Abschiebeschutz zugekommen, da der Asylantrag vom 13. August 2012 (AI 12 10.611) gemäß § 5 AsylG zurückgewiesen worden ist und die Ausweisung zum Zeitpunkt der Vornahme der Folgeantragstellung noch aufrecht bestanden hat. Rechtskräftig abgeschlossen ist dieses Verfahren seit dem 15. November 2012. Auch den weiteren Bf kommt seit dem rechtskräftigen Abschluss ihrer Asylverfahren kein Aufenthaltsrecht in Österreich mehr zu.

 

Der Ansatz des Vertreters im Beschwerdeverfahren ist verfehlt, da er sich augenscheinlich auf den hier nicht einschlägigen § 12a Abs. 2 AsylG zu stützen versucht. Die von ihm herangezogene Bestimmung ist nur dann anwendbar, wenn Abs. 1 nicht vorliegt. Unstrittig wurden alle Asylanträge der Bf gemäß § 5 AsylG zurückgewiesen und Ausweisungen nach Litauen verfügt. Da aufrechte Ausweisungen bestehen, findet ausschließlich Abs. 1 auf den Folgeantrag der Zweit-Bf Anwendung. Die Fragen, ob ein neuer Sachverhalt vorliegt bzw. ob der faktische Abschiebeschutz aberkannt worden ist, würden sich im Anwendungsfall des Abs. 2 stellen.

 

4.5.2. Wie den vorliegenden Feststellungen zu entnehmen ist, waren die Bf zu keinem Zeitpunkt bereit, das Bundesgebiet freiwillig zu verlassen und haben bis zur Abschiebung am 5. März 2013 zweimal die Verbringung nach Litauen erfolgreich verhindert.

 

Zu Recht hat die belangte Behörde, gestützt auf § 74 Abs. 2 FPG, Festnahmeaufträge erlassen. Auf Grund dieser haben die der belangten Behörde zurechenbaren Organe die Bf gemäß § 39 Abs. 2 Z. 2 FPG am 5. März 2013 in den Morgenstunden festgenommen, unverzüglich den notwendigen Untersuchungen zugeführt und in der Folge am 5. März 2013 im Auftrag der belangten Behörde gemäß § 46 Abs. 1 Z. 2 FPG zur Ausreise verhalten (abgeschoben).

 

In die Verfassungsebene reichende Rechtswidrigkeiten sind nicht hervorgekommen und wurden auch nicht behauptet. Die Festnahmen und Abschiebungen wurden äußerst behutsam vorgenommen. Das maßvolle Vorgehen der belangten Behörde kommt auch darin zum Ausdruck, dass zwei Abschiebeversuche aus Verhältnismäßigkeitsgründen abgebrochen und die nunmehr bekämpften Abschiebungen in Begleitung eines Arztes, eines Sanitäters, eines Dolmetschers und einer Beobachterin von Human Rights vorgenommen wurden.

 

Die zwangsweisen Abschiebungen waren auch nicht unverhältnismäßig und haben auch nicht gegen Art. 3 EMRK verstoßen.

 

Über die erneut vorgebrachte Befürchtung, in Litauen ungeeignet versorgt und untergebracht zu werden, haben sowohl das Bundesasylamt als auch der Asylgerichtshof rechtskräftig abgesprochen. Abgesehen davon, dass keine „Risikoschwangerschaft“ vorgelegen ist, war das diesbezügliche Vorbringen derart vage und hat auch seitens des Bundesasylamtes im Folgeverfahren zur Zurückweisung wegen entschiedener Sache geführt.

 

4.6. Die vorliegenden Maßnahmenbeschwerden waren spruchgemäß als unbegründet abzuweisen.

 

4.7. Im Hinblick auf jene Ausführungen des Vertreters in der am 28. Mai 2013 eingelangten Stellungnahme, wonach die Vorgangsweise der belangten Behörde während des Aufenthaltes der Bf im Bundesgebiet „brutal und rechtswidrig“ gewesen sei, da die schulpflichtigen Bf über Monate die Schule nicht besuchen und die Bf nicht ihrer Kultur entsprechend das Essen zubereiten durften, ist anzumerken, dass diese Äußerungen, die allenfalls eine Verletzung in sonstigen Rechten beschreiben, nicht von den ursprünglichen Beschwerden („Bekämpfung der Abschiebungen“) umfasst und daher nicht im Rahmen der vorliegenden Entscheidung zu beurteilen sind. Da in der Stellungnahme keine diesen Sachverhalt betreffende Anträge eingegangen sind, hat diesbezüglich auf Grund der derzeitigen Aktenlage keine Entscheidung zu ergehen.

 

 

5. Nach § 79a Abs. 1 AVG 1991 iVm § 83 Abs. 2 FPG hat die im Verfahren nach    § 67c AVG obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wird die Beschwerde zurückgewiesen oder zurückgezogen oder abgewiesen, dann ist die belangte Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei (§ 79a Abs. 3 AVG). Nach § 79a Abs. 6 AVG ist Aufwandersatz nur auf Antrag der Partei zu leisten.

 

Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren hat die belangte Behörde obsiegt. Mangels eines entsprechenden Antrages war den Bf kein Kostenersatz zugunsten des Bundes aufzutragen.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt unterschrieben werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 240 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in Höhe von 132,60 Euro (sechs Mal Eingabegebühr à 14,30 und zwölf Mal Beilagengebühr à 3,90) angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

 

 

Mag. Stierschneider

 

 

 

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