Linz, 17.07.2013
E r k e n n t n i s
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch seine I. Kammer (Vorsitzende: Maga. Bissenberger, Berichter: Dr. Bleier, Beisitzer: Dr. Keinberger) über die Berufung des Herrn J M, geb. X, K, S, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 12. Februar 2013, Zl: VerkR96-14637-2012/Hai, in dessen Spruchpunkt 1) nach der am 17. Juli 2013 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung und Verkündung, zu Recht erkannt:
I. Die Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis im Punkt 1) behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.
II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.
Rechtsgrundlagen:
Entscheidungsgründe:
Zu I.:
1. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck hat mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis in dessen Punkt 1) wider den Berufungswerber wegen einer Verwaltungsübertretung nach § 1 Abs.3 iVm § 37 Abs.1 u. 37 Abs.3 Z1 FSG eine Geldstrafe von 2.180 Euro, für den Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 624 Stunden (entspricht 26 Tagen), sowie zusätzlich eine primäre Freiheitsstrafe von 1008 Stunden (entspricht 42 Tagen bzw. sechs Wochen) verhängt.
Ihm wurde zur Last gelegt, er habe am 01.06.2012, 21:35 Uhr, in S auf der X, Strkm 4,4, Fahrtrichtung S, den Pkw mit dem Kennzeichen
1.1. Die Behörde erster Instanz führte in der Begründung Folgendes aus:
3. Da im Punkt 1) des Straferkenntnisses eine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe und auch eine primäre Freiheitsstrafe verhängt wurde, hatte der Unabhängige Verwaltungssenat in diesem Punkt durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige 1. Kammer zu entscheiden (§ 51c VStG). Die Durchführung einer Berufungsverhandlung war mit Blick auf das bestreitende Berufungsvorbringen erforderlich (§ 51e Abs.1 Z1 VStG).
3.1. Beweis erhoben wurde durch Verlesung des vorgelegten Verfahrensaktes und dessen Erörterung anlässlich der öffentlichen Berufungsverhandlung. Beigeschafft wurden Luftbilder aus dem System Doris über den in Rede stehenden Abschnitt der X, die darauf dargestellte Straßenkilometrierung und die dortigen Verkehrszeichen, sowie vom Anhalteort.
Am 15.7.2013 ersuchte die als Zeugin geladene Ehefrau des Berufungswerbers um Verlegung der Berufungsverhandlung, weil sie um 11:00 Uhr des 17.7.2013 in W eine zivilgerichtliche Verhandlung habe und ihr Mann ohne sie nicht nach L fahren könne.
Die Verlegung auf einen anderen Tag wurde abgelehnt, aber ihr die Einvernahme bereits um 9.00 Uhr zugesagt. Am 16.7.2013 langte schließlich ein vom Berufungswerber in seinem Namen versendetes Email ein, wonach wegen des Gerichtstermins seiner Frau um 11:00 Uhr auch er nicht kommen könne. Diesem Schreiben ist im Ergebnis nochmals das Berufungsvorbringen angeschlossen. In einem telefonischen Rückruf (Aktenvermerk v. 16.7.2013, 13:55 Uhr) wurde die Ehefrau des Berufungswerbers vom Berichter fernmündlich in Kenntnis gesetzt, dass eine Vertagung nicht stattfinden würde. Dies insbesondere mit Blick auf die Zeugenladung aber auch aus organisatorischen und verfahrensökonomischen Sachzwängen.
Der Berufungswerber erschien zur Berufungsverhandlung letztlich dann unentschuldigt nicht, wobei sein Mail vom 17.7.2013, 08:26 Uhr, verlesen wurde.
4. Im Rahmen der Berufungsverhandlung legte der Meldungsleger (Ml) nach dem Hinweis auf die Wahrheitspflicht des § 289 StGB seine Wahrnehmung so dar, dass er damals als Fahrer einer Zivilstreife mit einer Kollegin als Beifahrerin in fremdenpolizeilicher Angelegenheit unterwegs gewesen sei und dabei das Dienstfahrzeug auf der X etwa bei Strkm 4,4 in Fahrtrichtung S vom auf den Berufungswerber zugelassenen Pkw X noch im 100 km/h-Bereich überholt wurde. Im darauffolgenden Ortsgebiet K besteht laut Darstellung in der Anzeige von Strkm 4,100 bis 3,650 eine durch Straßenverkehrszeichen kundgemachte erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h.
In diesem Ortsgebiet hat der Ml durch Nachfahrt in gleichbleibendem Abstand eine Fahrgeschwindigkeit von 80 km/h festgestellt. Aufzeichnungen von dieser Wahrnehmung gibt es nicht.
Am Dienstkraftwagen wurde sodann das Blaulicht angebracht und der Pkw X im vorderen Bereich einer Bushaltestelle bei Strkm 2,900 angehalten. Das Dienstfahrzeug hielt wenige Meter schräg links dahinter an. Während der Ml sich unmittelbar nach dem Anhalten von links hinten und die Beifahrerin des Dienstwagen aus polizeistrategischen Gründen von rechts auf das anhaltende Fahrzeug zubewegte, konnte er nach eigenen Aussagen im Lichtstrahl seiner Taschenlampe eine Bewegung im Fahrzeuginneren wahrnehmen, welche von ihm als „Fahrerwechsel“ insofern gedeutet wurde, als sich der Berufungswerber vom Fahrersitz auf die Rückbank und die Beifahrerin (Gattin des Berufungswerbers) vom Beifahrersitz auf den Fahrersitz begeben habe. Als der Ml letztlich beim Fahrzeug angekommen war, befand sich „in der Zwischenzeit“ der Berufungswerber auf dem Rücksitz und seine Ehefrau „bereits zur Gänze“ auf dem Fahrersitz; beide waren nicht angegurtet. Diese Darstellung wurde vom Meldungsleger im Ergebnis inhaltsgleich mit seinen früheren Aussagen auch in der Berufungsverhandlung zum Ausdruck gebracht. Der Berufungswerber habe sofort einen Fahrerwechsel bestritten und seine Ehegattin habe sich schon damals sofort als Lenkerin bekannt; so war es auch in der Anzeige bereits festgehalten.
Insgesamt räumt der Meldungsleger in seiner Zeugenaussage dezidiert ein, den Berufungswerber zu keinem Zeitpunkt am Fahrersitz sondern dort nur dessen Frau wahrgenommen zu haben. Beim Überholvorgang hatte er nicht auf Insassen im PKW geachtet.
Im Rahmen der Beweiswürdigung gilt es festzuhalten, dass einerseits am 1. Juni um 21:35 Uhr – etwa eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang – noch von keiner nächtlichen Dunkelheit ausgegangen werden kann. Der Zeuge beschreibt die Anhalteposition des auf den Berufungswerber zugelassenen Pkw im vorderen Bereich der Bushaltestelle und die Endposition des Dienstfahrzeug nur knapp links schräg dahinter. Bei logischer Betrachtung kann es sich bei der Zeitspanne vom Anhalten des Vorderfahrzeuges bis zum Eintreffen des Meldungslegers bei diesem Fahrzeug nur um wenige Sekunden handeln. Der Meldungsleger erklärte, unmittelbar nach dem Anhalten hinter dem Vorderfahrzeug sofort ausgestiegen zu sein und sich dem Fahrzeug mit der vom Gürtel genommenen und sofort eingeschalteten Taschenlampe genähert zu haben. Dabei habe er die von ihm durchaus nachvollziehbar als Fahrerwechsel interpretierten Bewegungen in diesem Fahrzeug gesehen, jedoch beim Eintreffen an diesem die darin befindlichen Personen an den jeweiligen Positionen – den Berufungswerber am Rücksitz mehr liegend als sitzend und seine Frau am Fahrersitz, beide unangegurtet – angetroffen.
Gesichert ist, dass der Berufungswerber damals einen Harnröhren- bzw. Blasenkatheder mit entsprechendem Harnbehälter trug, was den Schluss auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Beweglichkeit zulässt und die Sitzposition des Bw auf der Rückbank – er lag nach übereinstimmenden Aussagen an die rechte hintere Tür gelehnt dort – erklärt.
Nach den im E-Mail festgehaltenen Darlegungen der Ehegattin des Berufungswerbers sowie seinen eigenen Aussagen machte ihn die Gattin darauf aufmerksam, dass sich hinter ihnen ein Fahrzeug mit Blaulicht befinde, worauf der Berufungswerber sich an der Rückenlehne des Fahrersitzes festhaltend aufgerichtet und umgedreht habe, um nach hinten zu schauen.
Der Unabhängige Verwaltungssenat konnte vor diesem Hintergrund zumindest nicht mit einer für ein Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit von dem vom Meldungsleger in seiner Anzeige dargestellten Fahrerwechsel ausgehen. Selbst eine gesundheitlich fitte und sportliche Person hätte wohl Probleme bei einem Pkw mit Mittelkonsole – auch bei einem BMW 520 – in einer derart kurzen Zeit und unter Rücksichtnahme auf den Blasenkatheder zwischen den Sitzlehnen durchzuschlüpfen und sich auf dem Rücksitz zu positionieren, wobei weiter zu bedenken ist, dass die Beifahrerin erst bei „Freiwerden“ des Lenkerplatzes in der Lage gewesen wäre, sich über die Mittelkonsole schwingend dorthin zu setzen.
Wie der Meldungsleger im Rahmen seiner Aussage vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat einräumte, sahen weder er noch seine Beifahrerin zu irgendeinem Zeitpunkt eine Person am Beifahrersitz. Eine solche wäre aber im Licht der Taschenlampe und bei einer wohl noch nicht gänzlichen Dunkelheit zumindest in Konturen wahrnehmbar gewesen.
Auch wenn der Berufungswerber ob der eingangs genannten Gründe nicht wirklich entschuldbar an der Berufungsverhandlung nicht teilnahm, war seine Verantwortung doch im gesamten Verwaltungsstrafverfahren und auch bereits bei der Anhaltung gleichlautend, wobei seine Gattin diese Verantwortung in mehreren schriftlichen Mitteilungen durchaus leidenschaftlich untermauert hatte.
Die aus der subjektiven Sicht des Meldungslegers zwar verständliche Einschätzung der damaligen Situation lässt jedoch angesichts der oben zusammengefassten Umstände aus mehreren sachlichen Überlegungen mehrere Deutungsmöglichkeiten und Erklärungen zu, sodass der subjektive Eindruck des Meldungslegers von „Bewegungen im Fahrzeug“ nicht zwingend und ausschließlich als Fahrerwechsel gedeutet werden kann.
Aus diesem Grund war der Verantwortung des Berufungswerbers und seiner Ehefrau, welche bereits vor der Behörde erster Instanz in einer sehr knappen Zeugenniederschrift am 12.7.2012 dezidiert ihre damalige Lenkereigenschaft erklärte, zu folgen gewesen.
Laut Akteninhalt hat auch die Behörde erster Instanz die Aussage der Ehegattin des Berufungswerbers nicht als falsche Zeugenaussage gewertet, zumal auch keine Anzeige erstattet wurde.
5. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:
Der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zur Beweiswürdigung nach § 45 Abs.2 AVG folgend, sowie insbesondere in Wahrung des verfassungs- und menschenrechtlichen Gebotes der Garantie eines fairen Verfahrens, ist an einen Beweis ein strengerer Maßstab als bloß eine aus einer vordergründigen Lebensnähe gezogene Schlussfolgerung zu stellen (vgl. VfSlg 12649; sowie Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, 5. Auflage, S 98, Fn 372).
Schon bei bloßem Zweifel an der Tatbegehung ist nämlich von der Fortführung eines Verwaltungsstrafverfahrens abzusehen und dessen Einstellung zu verfügen (vgl. VwGH 12.3.1986, Zl. 84/03/0251; ZfVB 1991/3/1122.
Das Verwaltungsstrafverfahren war demnach „in dubio pro reo“ nach § 45 Abs.1 Z1 VStG einzustellen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
H i n w e i s:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 240 Euro zu entrichten.
Mag. Bissenberger