Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
A-4012 Linz, Fabrikstraße 32 | Telefon (+43 732) 70 75-155 85 | Fax (+43 732) 70 75-21 80 18

VwSen-730741/4/SR/MH/WU

Linz, 09.09.2013

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des X, geboren am X, StA des Kosovo, wohnhaft in X, vertreten durch X, gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 8. Mai 2013, GZ 1052770/FRB, betreffend die Erlassung eines auf die Dauer von drei Jahren befristeten Aufenthaltsverbots nach dem Fremdenpolizeigesetz, zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs 4 iVm § 67a Abs 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

 


Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Bescheid der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 8. Mai 2013, GZ: 1052770/FRB, wurde gegen den Berufungswerber auf Basis des § 67 Abs 1, 2 und 3 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen sowie gemäß § 70 Abs 3 FPG von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt.

 

1.1 Begründend führt die belangte Behörde zunächst zum Sachverhalt aus, dass der Berufungswerber im Mai 2005 nach Österreich einreiste und einen Asylantrag stellte, der mit 17. Jänner 2012 rechtskräftig abgewiesen wurde. Am 4. September 2010 habe der Berufungswerber eine lettische Staatsbürgerin geheiratet, die von der ihr unionsrechtlich eingeräumten Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe. Die Ehefrau des Berufungswerbers sei am 26. Jänner 2012 verstorben, was jedoch nicht das Aufenthaltsrecht des Berufungswerbers gemäß § 52 Abs 1 NAG beeinträchtige, sodass er nach wie vor begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs 4 Z 11 FPG sei.

 

Am 23. Jänner 2013 (rk 28. Jänner 2013) sei der Berufungswerber vom LG Linz, GZ 16 Hv 42/2012 s, wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB, des Vergehens der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 1 und 5 Z 4 StGB und des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 147 Abs 1 und 2, 148 1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, bedingt auf drei Jahre, verurteilt worden.

 

1.2. Der Berufungswerber, der mit Schreiben der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 6. März 2013 über die beabsichtigte Erlassung eines auf drei Jahre befristeten Aufenthaltsverbots informiert wurde, habe hierzu im Wege seiner Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 4. April 2013 Stellung genommen.

 

Darin wird – auf das Wesentliche reduziert – Folgendes ausgeführt: Der Berufungswerber habe die Taten, die letztendlich zur gegenständlichen Verurteilung führten, lediglich als Strohmann gesetzt, wobei diese Handlungen auf eine wirtschaftliche Notlage zurückzuführen seien. Der Berufungswerber sehe jedoch das Unrecht ein, werde zukünftig nur mehr unselbstständig tätig werden und beabsichtige, den entstandenen Schaden gut zu machen. Überdies sei der Berufungswerber bis zu dieser Verurteilung unbescholten gewesen. Das kriminelle Potenzial des Berufungswerbers sei bloß als untergeordnet zu bewerten, sodass dies nicht für die Verhängung eines Aufenthaltsverbots ausreichen sollte. Weiters würde eine Ausweisung einen nicht unerheblichen Eingriff in das Privatleben des Berufungswerbers darstellen, der sich mittlerweile seit acht Jahren in Österreich aufhalte und seit nunmehr drei Jahren wieder völlig unbescholten lebe. Überdies sei er in Österreich integriert und könne einer geregelten Arbeit bei der Firma X nachgehen. Dieses Arbeitsverhältnis würde dem Berufungswerber letztendlich auch die Wiedergutmachung des entstandenen Schadens ermöglichen. Weiters leide der Berufungswerber an einer schweren Augenkrankheit und sei HIV-positiv, wobei die Augenerkrankung durch nicht ordnungsgemäße Weiterbehandlung zur Erblindung führen könne. Durch eine Ausweisung und die mangelnde medizinische Behandelbarkeit der Augenkrankheit im Kosovo würden somit Leben und Gesundheit des Berufungswerbers massiv gefährdet.

 

1.3. Die belangte Behörde hat im Wesentlichen wie folgt erwogen: Aufgrund des achtjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet sei dem Berufungswerber eine der Dauer entsprechende Integration zuzubilligen, wobei die soziale Integration durch das kriminelle Verhalten deutlich beeinträchtigt sei. Auch wenn zukünftig keine unternehmerische Tätigkeit mehr zu erwarten ist, sei doch die kriminelle Energie des nunmehrigen Berufungswerbers zu beachten. Auch eine Schadensgutmachung sei aufgrund der vorhandenen Schulden innerhalb einer halbwegs überschaubaren Zeit nicht zu erwarten. Es sei daher davon auszugehen, dass das Verhalten des nunmehrigen Berufungswerbers eine tatsächliche, gegenwärtige bzw zukünftige erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle und aufgrund der vorhandenen kriminellen Energie ein längerer Beobachtungszeitraum einzuhalten sei, um davon ausgehen zu können, dass dessen Aufenthalt keine gegenwärtige hinreichend schwere Gefahr mehr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle.

 

Zur notwendigen medizinischen Versorgung des nunmehrigen Berufungswerbers führte die belangte Behörde aus, dass im Schreiben des AKH Linz, Abteilung Dermatologie und Venerologie vom 19. März 2012 angeführt sei, dass dieser an einem ausgeprägten Immundefekt leide, der mit mehreren Komplikationen verbunden sei, sodass eine regelmäßige Kontrolle und Einnahme von Medikamenten lebensnotwendig sei. Die Augenerkrankung könne demnach bei Nichteinhaltung der Termine und Nichteinnahme der erforderlichen Therapie zur Erblindung führen. Die exakte Einnahme der antiretroviralen Therapie sei folglich sowohl für die Besserung der immunologischen Situation als auch für die Vermeidung von Resistenzentwicklungen entscheidend. Nicht angeführt sei in diesem Schreiben jedoch, dass eine weitere Behandlung mit dem Präparat „Ganciclovir Injektionen“, die im Kosovo nicht erhältlich sind, unbedingt erforderlich wäre. Vielmehr sei – nach Einholung umfangreicher Informationen zum Stand der medizinischen Versorgung im Kosovo – eine kostenlose medizinische Grundversorgung von Patienten mit chronischen Krankheiten auch im Kosovo gewährleistet – wenngleich auch diese nicht mit österreichischen Standards vergleichbar ist.

 

Unter Berufung auf die Rechtsprechung des EGMR (Entscheidung vom 27. Mai 2008, Bsw. Nr. 26.565/05) führt die belangte Behörde aus, dass allein die Tatsache, dass die Lebenserwartung eines Beschwerdeführers im Falle seiner Ausweisung deutlich herabgesetzt würde, für sich nicht ausreiche, um eine Verletzung des Art 3 EMRK zu begründen. Vielmehr seien für eine Verletzung des Art 3 EMRK durch eine Abschiebung außergewöhnliche Umstände erforderlich – wie etwa wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben. Dass eine Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver sei, sei jedoch grundsätzlich unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten gebe. Da nach dem Stand der eingeholten Informationen eine Behandlung von HIV/Aids im Kosovo angeboten werde, lägen im Fall des nunmehrigen Berufungswerbers keine solch außergewöhnlichen Umstände vor, die die Verhängung eines Aufenthaltsverbots verhindern würden.

 

Aus diesen Gründen kommt die belangte Behörde zum Schluss, dass zwar durch die Erlassung des Aufenthaltsverbots in das Privatleben des nunmehrigen Berufungswerbers eingegriffen werde, dessen Erlassung jedoch zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und im Lichte des § 66 Abs 2 FPG zulässig sei.

 

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Bw mit Schriftsatz vom 24. Mai 2013 durch seinen Rechtsvertreter rechtzeitig Berufung.

 

2.1. Im Wesentlichen rügt der Berufungswerber die fehlerhafte Beurteilung der Möglichkeit seiner notwendigen medizinischen Versorgung im Kosovo durch die belangte Behörde und legt zum Beweis die Behandlungsunterlagen des AKH Linz vom 22. Mai 2013 vor. Begründend wird im Wesentlichen angeführt, dass im Kosovo die Behandlung des Berufungswerbers nicht gewährleistet sei und dem Berufungswerber durch die mögliche Erblindung bzw ein weiteres Fortschreiten der HIV-Erkrankung keinerlei Möglichkeit zustehen, eine entsprechende Behandlung vorzunehmen. Dies führe letztlich dazu, dass die Abschiebung bzw das Einreiseverbot einen Eingriff in Art 3 EMRK bewirke. Es lägen jedenfalls die außergewöhnlichen Umstände im Sinne der ständigen Judikatur des EGMR vor, zumal eine lebensbedrohliche Erkrankung und die Gefahr der Erblindung vorlägen und durch die Abschiebung ein absolut reales Risiko bestehe, dass der Berufungswerber bei Verhängung der seitens der Behörde gesetzten Maßnahmen erblinde und qualvoll zu Grunde gehe.

 

Auch die aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung des Berufungswerbers von der belangten Behörde angenommene tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr sei nicht gegeben: Da der Berufungswerber keinerlei Möglichkeit habe, selbstständig einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen, gehe keine weiter Gefahr der Begehung weiterer Straftaten von diesem aus. Der Berufungswerber habe vielmehr höchstes Interesse an der Schadenswiedergutmachung und das strafrechtswidrige Verhalten wurde in der Vergangenheit gesetzt, sodass nicht auf eine gegenwärtige oder zukünftige erhebliche Gefahr der öffentlichen Ordnung geschlossen werden kann. Das kriminelle Potenzial, das bei der Verwirklichung der vorliegenden Tatbilder zu Tage getreten sei, liege nicht in einer derart ausgeprägten Form vor, die die Verhängung eines Aufenthaltsverbots rechtfertigen würde. In Zusammenschau mit der völlig unzureichenden Behandlungsmöglichkeit des Berufungswerbers im Kosovo sei die Verhängung des Aufenthaltsverbots daher weder indiziert noch zulässig.

 

2.2. Abschließend werden die Berufungsanträge gestellt, der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich möge den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufheben, in eventu die Sache zur neuerlichen Entscheidung an die I. Instanz zurückverweisen.

 

3.1. Die belangte Behörde legte den in Rede stehenden Verwaltungsakt mit Schreiben vom 28. Mai 2013 dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Entscheidung vor.

 

3.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde sowie durch Einholung ärztlicher Stellungnahmen vom 16. Juli 2013 (telefonisch) und vom 25. Juli 2013 (schriftlich).

 

3.3. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte entfallen, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist (§ 67d Abs 2 Z 1 2. Fall AVG).

 

3.4. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1. und 2. dieses Erkenntnisses dargestellten, im Wesentlichen unbestrittenen Sachverhalt aus.

 

3.5. Der Oö. Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (§ 67a Abs 1 Z 1 AVG).

 

4. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

4.1.  Gemäß § 67 Abs 1 des Fremdenpolizeigesetzes – FPG, BGBl I 2005/100 zuletzt geändert durch das Bundesgesetzblatt BGBl I 2013/144, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß Abs 2 par cit kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Ein Aufenthaltsverbot kann gemäß Abs 3 par cit auch unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

Gemäß Abs 4 par cit ist bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist beginnt mit Eintritt der Durchsetzbarkeit zu laufen.

 

4.2. Im vorliegenden Fall ist § 67 FPG einschlägig, weil der Berufungswerber am 4. September 2010 mit einer lettischen Staatsbürgerin, Frau X, die Ehe geschlossen hat, die von der ihr unionsrechtlich eingeräumten Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat. Die Ehefrau des Berufungswerbers ist am 26. Jänner 2012 verstorben, wodurch jedoch das Aufenthaltsrecht des Berufungswerbers gemäß § 52 Abs 1 NAG nicht berührt wird. Er ist somit begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs 4 Z 11 FPG.

4.3. Im Hinblick auf die Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit durch das Verhalten des Berufungswerbers teilt der Unabhängige Verwaltungssenat grundsätzlich die Meinung der belangten Behörde. Im Verhalten des Berufungswerbers, das schließlich zur Verurteilung wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB, des Vergehens der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 1 und 5 Z 4 StGB und des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 147 Abs 1 und 2, 148 1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten geführt hat, manifestiert sich eine erhebliche kriminelle Energie, die sich gegen Grundinteressen der österreichischen Gesellschaft, nämlich die Freiheit von Vermögensdelinquenz, richtet. Wenn der Berufungswerber in seiner Berufung ausführt, dass es sich hierbei um Wirtschaftsdelikte gehandelt habe, wie sie vielfach, insbesondere in Zeiten schlechter wirtschaftlicher Lage, verurteilt werden, so vermag der Unabhängige Verwaltungssenat darin die Auffassung des Berufungswerbers zu erblicken, Österreich sei eine Art „Selbstbedienungsladen“, in dem das Vorliegen einer wirtschaftlichen Notlage eine an sich rechtswidrige Vermögenszuwendung rechtfertige. Eine solche Einstellung lässt unzweifelhaft die Begehung weiterer Vermögensdelikte erwarten. Wenn der Berufungswerber moniert, dass die Gefahr der Begehung weiterer Delikte gebannt sei, weil er hinkünftig keine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit mehr ausüben dürfe, so übersieht er offenbar, dass Vermögensdelinquenz nicht notwendig mit selbstständiger Tätigkeit verknüpft ist, sondern durchaus auch abseits davon – in einem abhängigen Arbeitsverhältnis oder außerhalb dessen – begangen werden kann. Aus diesen Gründen ist der Unabhängige Verwaltungssenat davon überzeugt, dass vom Berufungswerber auch weiterhin eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für Grundinteressen der Gesellschaft, nämlich die Freiheit von Vermögensdelinquenz, ausgeht.

 

4.4. Wird durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß § 61 Abs 1 FPG zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Nach Abs 2 par cit sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4. der Grad der Integration;

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

4.5. Im Sinne der zitierten Normen ist eine Interessensabwägung – basierend auf einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung – vorzunehmen.

 

Aufgrund der vorstehend dargestellten kriminellen Energie des Berufungswerbers, die sich bereits in einer strafgerichtlichen Verurteilung niedergeschlagen hat, ergibt sich eine Gefahr für gesellschaftliche Grundinteressen und daraus abgeleitet ein hohes öffentliches Interesse an der Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den Berufungswerber. Legitim ist dessen Erlassung jedoch nur, wenn die privaten bzw familiären Interessen im jeweils konkreten Einzelfall nicht als höherrangig anzusehen sind.

 

4.5.1. Der Bw ist verwitwet und kinderlos. Verwandte in Österreich sind – soweit ersichtlich – nicht gegeben. Wie aus dem Anlass des Verfahrens zur Erlassung des Aufenthaltsverbots gegen den Berufungswerber ersichtlich ist, ist dieser nicht strafrechtlich unbescholten. Der bisherige Aufenthalt des Berufungswerbers ist jedoch aufgrund des von 2005 bis 2012 dauernden Asylverfahrens bzw aufgrund der Eheschließung mit einer von ihrer Freizügigkeit Gebrauch machenden Unionsbürgerin am 4. September 2010 überwiegend als legal anzusehen.

 

Aufgrund seines mittlerweile etwa achtjährigen Aufenthalts in Österreich ist ihm eine der Dauer des Aufenthalts entsprechende Integration zuzubilligen, der jedoch auch eine Verwurzelung in seiner Heimat gegenübersteht: Der heute knapp 42-jährige Berufungswerber hat den Großteil seines Lebens in seinem Herkunftsstaat verbracht und dort eine Berufsausbildung zum Autolackierer absolviert. Es ist davon auszugehen, dass er mit den dortigen gesellschaftlichen Werten und der Kultur vertraut ist.

 

4.5.2. Einen wesentlichen Punkt bei der vorzunehmenden Rechtsgüterabwägung stellt die Schutzwürdigkeit des Privatlebens dar. Wie sich unter anderem aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Dezember 2009, 2009/21/0348, ergibt, kann unter gewissen Umständen das Privatleben eines Berufungswerbers alleine eine positive Gesamtbeurteilung nach sich ziehen.

 

In seinem Kern schützt dieses Recht auf Privatleben die Selbstbestimmung über den eigenen Körper sowie über die eigene Lebensführung, worunter insbesondere die körperliche und geistige Integrität fällt (vgl VfSlg 11.923/1987; 15.632/1999). Unter diesem Aspekt ist daher zu untersuchen, ob die HIV-Infizierung sowie die schwere Augenerkrankung des Berufungswerbers die Verhängung eines Aufenthaltsverbots verhindern können.

 

Der Berufungswerber ist HIV-positiv und leidet an einer HIV-induzierten CMV-Retinitis. Daher unterzieht er sich regelmäßig einer Therapie mit Ganciclovir Injektionen und nimmt ständig Valcyte (Wirkstoff Ganciclovir) ein. Die Erhebungen des Unabhängigen Verwaltungssenaes haben ergeben, dass eine Heilung von der CMV-Retinitis nicht möglich ist. Die Cytomegalie-Viren bleiben lebenslang im Körper und können nur medikamentös im Zaum gehalten werden. Derzeit zeige sich beim Berufungswerber ein stabiler Befund ohne Aktivitätszeichen, jedoch sollte die Therapie lebenslang fortgesetzt werden, weil es im Falle eines Rezidivs der CMV-Retinitis bis zur Erblindung kommen kann. Aufgrund seiner Grunderkrankung und Immunschwäche ist es dabei weniger eine Frage ob der Berufungswerber im Falle des Therapieabbruches erblinden würde, sondern vielmehr wann die Erblindung eintritt. Darüber hinaus bestehe im Fall des Therapieausbruchs auch die Gefahr der Ausbreitung des Virus auf andere Organe.

 

Grundsätzlich müsse der Berufungswerber aufgrund seiner HIV-Infizierung alle drei Monate behandelt bzw seine Abwehrlage und Blutwerte kontrolliert werden.

 

Bereits die Erhebungen der belangten Behörde haben ergeben, dass das Medikament Ganciclovir, mit dem der Berufungswerber ständig in Form von Valcyte bzw im Akutfall in Form von Ganciclovir-Injektionen behandelt wird, im Kosovo nicht erhältlich ist. Die Behandlung seiner Erkrankung ist somit im Kosovo nicht möglich, sodass der Berufungswerber über kurz oder lang erblinden würde. Tritt der Prozess der Erblindung in Gang, kommt es sehr rasch – oft innerhalb eines Tages – zum Verlust der Sehkraft.

 

Aufgrund der fehlenden Behandlungsmöglichkeit mit Ganciclovir im Kosovo hätte eine Erzwingung des Therapieabbruchs in Österreich durch Erlassung eines Aufenthaltsverbots somit unweigerlich die früher oder später eintretende völlige Erblindung des Berufungswerbers und damit einen massiven Eingriff in den Kernbereich dessen Rechts auf Privatleben, nämlich die körperliche und gesundheitliche Integrität, zur Folge.

4.6. Vor diesem Hintergrund gelangt der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zum Schluss, dass eine Interessensabwägung im Sinne des Art 8 EMRK bzw des § 61 FPG eindeutig zugunsten des Berufungswerbers ausfällt. Die sicher – nur dem genauen Zeitpunkt nach fragliche – Erblindung stellt einen derart schweren Nachteil für den Berufungswerber dar, dass öffentliche Interessen an der Erlassung eines Aufenthaltsverbots dahinter zurücktreten, weshalb der angefochtene Bescheid aufzuheben war.

 

5. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 240 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 29,90 Euro (Eingabe- und Beilagengebühren) angefallen.

Mag. Christian Stierschneider