Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401262/12/Gf/Rt

Linz, 05.09.2013

 

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mit­glied Dr. Gróf aus Anlass der Beschwerde des A, vertreten durch den Verein "X", wegen Anhaltung in Schubhaft durch den Bezirkshauptmann von Ried im Innkreis vom 21. Jänner 2013 bis zum 9. November 2013 zu Recht:

 

I. Die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vom 21. Jänner 2013 bis zum 9. Jänner 2013 wird als nicht rechtswidrig festgestellt.

 

II. Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in einer Höhe von insgesamt 426,20 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsgrundlage:

§ 83 FPG; § 67c Abs. 3 AVG; § 79a AVG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Ried im Innkreis vom 21. Jänner 2013, Zl. Sich41-2013, wurde über den Rechtsmittelwerber, einen Staatsangehörigen von Tunesien, gemäß § 76 Abs. 2 Z. 4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005 i.d.g.F. BGBl.Nr. I 22/2013 (im Folgenden: FPG), zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung sowie der Abschiebung die Schubhaft verhängt und diese durch Überstellung in das Polizeianhaltezentrum (PAZ) X umgehend vollzogen.

 

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer am selben Tag ohne gültiges Reisedokument und ohne gültigen Identitätsnachweis ins Bundesgebiet eingereist sei. Nach seiner Festnahme im Gemeindegebiet von U habe er einen Asylantrag gestellt, wobei sich im Zuge des Asylverfahrens ergeben habe, dass er zuvor schon in Bulgarien als Asylwerber behandelt worden sei. Da er nahezu mittellos sei und in Österreich weder über familiäre, berufliche oder sonstige soziale Anknüpfungspunkte verfüge, andererseits aber eine Zurückweisung seines Asylantrages sowie anzunehmen sei, dass er im Falle der Gewährung von Grundversorgung diese nur dazu nützen würde, sich seiner Abschiebung zu entziehen, bestehe jedenfalls ein konkreter Sicherungsbedarf. Dazu komme, dass er nicht gewillt sei, nach Bulgarien oder Tunesien zurückzukehren, sondern vielmehr befürchtet werden müsse, dass er – in Freiheit belassen – illegal in einen anderen EU-Staat weiterreisen werde, sodass insbesondere diese hohe Wahrscheinlichkeit des Untertauchens eine Ermessensausübung dahin rechtfertige, anstelle gelinderer Mittel die Schubhaft anzuordnen. Insbesondere sei auf Grund seines spezifischen bisherigen Verhaltens keineswegs anzunehmen, dass er allfällige, mit gelinderen Mitteln verbundene Auflagen einhalten würde.

 

1.2. Gegen seine Anhaltung in Schubhaft richtete sich die am 6. Februar 2013 vom Rechtsmittelwerber per Telefax eingebrachte Beschwerde.

 

Darin wurde eingewendet, dass es sich bei den von der belangten Behörde zur Begründung des Sicherungsbedarfes im Schubhaftbescheid angeführten Argumenten – insbesondere bei der Annahme, dass er einen Aufenthalt in einer bundesbetreuten Unterkunft ohnehin nur zur Flucht nützen würde – bloß um reine Vermutungen und Spekulationen handle, die sich auf keinerlei tragfähige Faktenbasis zu stützen vermögen. Davon abgesehen habe er auch gar keine Möglichkeit gehabt, noch vor seiner Festnahme einen Asylantrag zu stellen; in der Folge habe er der Fremdenpolizeibehörde aber ohnehin detailliert und freiwillig seine Reiseroute geschildert. Dazu komme, dass die belangte Behörde in Wahrheit keine konkrete Verhältnismäßigkeitprüfung vorgenommen, sondern in diesem Zusammenhang lediglich formelhafte Textbausteine in ihrer Bescheidbegründung verwendet habe.

 

Aus diesen Gründen wurde die kostenpflichtige Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Anhaltung in Schubhaft beantragt.

 

1.3. Die belangte Behörde hat dem Oö. Verwaltungssenat am 8. Februar 2013 den Bezug habenden Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, mit der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wurde.

 

Darin wurde (teilweise ergänzend) darauf hingewiesen, dass eine einen anderen aus der am 21. Jänner 2013 aufgegriffenen Gruppe von Fremden betreffende Schubhaftbeschwerde vom Oö. Verwaltungssenat bereits mit Erkenntnis vom 29. Jänner 2013, Zl. VwSen-401257, abgewiesen worden sei. Außerdem ergebe sich die erhöhte Fluchtgefahr daraus, dass der Rechtsmittelwerber selbst angegeben habe, nicht in seinen Heimatstaat Tunesien oder nach Bulgarien – wo sein Asylantrag bereits rechtskräftig abgelehnt worden sei – zurückkehren, sondern nach Italien weiterreisen zu wollen; dass er seine Asylanträge in Bulgarien und in Österreich nicht sofort, sondern jeweils erst nach dem polizeilichen Aufgriff und sohin zu dem Zweck, sich dadurch seinen Aufenthalt faktisch zu verlängern, gestellt habe; dass er bei seiner Einvernahme am 4. Februar 2013 jene seine Identität betreffenden Angaben vollständig und die Darlegung seiner Reiseroute zumindest teilweise abgeändert habe; dass er die aufenthaltsrechtlichen Vorschriften der von ihm durchreisten Staaten jeweils konsequent ignoriere; und dass er keinerlei sozialen Bindungen oder Verpflichtungen unterliege. Schließlich liege mittlerweile auch eine Zusage Bulgariens zur Rückübernahme des Rechtsmittelwerbers vor, sodass gegenwärtig sogar die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG erfüllt seien.

 

1.4. Mit h. Erkenntnis vom 9. Februar 2013, Zl. VwSen-401262/3/Gf/Rt, hat der Oö. Verwaltungssenat der Beschwerde stattgegeben und die Anhaltung des Rechtsmittelwerbers in Schubhaft als rechtswidrig festgestellt.

 

Begründend wurde dazu unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 3. Oktober 2012, G 140/11 u.a., insbesondere auf die RN 35 ff dieser Entscheidung, ausgeführt  dass ein Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit gemäß Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG nur dann und insoweit gerechtfertigt sei, wenn er zur Erreichung des mit dieser Maßnahme verfolgten Zweckes notwendig ist und zu dem mit der Maßnahme verfolgten Zweck nicht außer Verhältnis steht; dieses ausdrücklich formulierte Verhältnismäßigkeitsgebot erlaube der Behörde sohin nur dann die Verhängung der Schubhaft, wenn dies zur Sicherung des fremdenpolizeilichen Verfahrens notwendig ist und soweit der Freiheitsentzug zu diesem Zweck nicht außer Verhältnis steht. Angesichts der sich schon aus dem Grundrecht ergebenden Verpflichtung der Behörden, von der Anordnung der Schubhaft jedenfalls Abstand zu nehmen, wenn sie im Einzelfall nicht notwendig und Verhältnismäßig ist (VfSlg 14981/1997 u. 17288/2004), belaste es daher eine Regelung wie § 76 Abs. 1 FPG nicht mit Verfassungswidrigkeit, wenn es der Gesetzgeber den vollziehenden Behörden überlässt, die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des fremdenpolizeilichen Verfahren einerseits und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen andererseits vorzunehmen (VfSlg 17891/2006 u. 18145/2007).

 

Weiters spreche auch schon der klare Gesetzeswortlaut des § 77 Abs. 1 FPG gegen ein Verständnis dieser Bestimmung dahin, dass es dadurch zu einer unsachlichen rechtlichen Gleichbehandlung von Schubhaft und gelinderen Mitteln komme. Denn § 77 Abs. 1 FPG gebe der Behörde keine freie Wahlmöglichkeit zwischen der Anordnung gelinderer Mittel und der Verhängung der Schubhaft; vielmehr sei ein – nach Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG auch verfassungsrechtlich gebotener (VfSlg 19323/2011) – klarer Vorrang der Anordnung gelinderer Mittel festgelegt. Unter Heranziehung dieser verfassungsrechtlich zwingenden Auslegung sei der Inhalt des § 77 Abs. 1 FPG gegenüber der Behörde ausreichend determiniert und differenziere dieser auch im gebotenen Maße zwischen der Verhängung von Schubhaft und der Anordnung von gelinderen Mitteln.

 

Auch die Bedenken, dass die §§ 76 und 77 FPG eine Verletzung von Art. 13 EMRK darstellen, seien deshalb unbegründet, weil ein Fremder, der auf Grund von Gesetzen, die gegen die EMRK verstoßen, in Schubhaft genommen wird, die Möglichkeit hätte, gemäß § 82 FPG eine Beschwerde beim UVS einzubringen; dieser hätte binnen einer Woche über die Rechtmäßigkeit der Fortsetzung der Schubhaft zu entscheiden (VfSlg 18081/2007); gegen einen negativen Bescheid wäre dann eine Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG an den VfGH zulässig, der ihr auf Antrag des Fremden die aufschiebende Wirkung zuerkennen könne. Selbst wenn die Schubhaft also aufgrund von gegen die EMRK verstoßenden Gesetzen verhängt werden würde, stünde eine den Anforderungen des Art. 13 EMRK genügende wirksame Beschwerdemöglichkeit zur Verfügung.

 

Die gegen § 80 Abs. 2 und 4 FPG vorgebrachten Bedenken, dass danach die im Einzelfall geltende höchstzulässige Schubhaftdauer nicht festzustellen sei, seien schon deshalb nicht zu teilen, weil aus dem klaren Wortlaut des § 80 Abs. 2 Z. 1 FPG abgeleitet werden könne, dass gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, die Schubhaft grundsätzlich nur für eine Höchstdauer von vier Monaten verhängt werden darf; die in § 80 Abs. 3 und 4 FPG formulierten Fälle seien also als ausdrückliche Ausnahmen zu der in Abs. 2 Z. 1 festgelegten höchst zulässigen Dauer der Schubhaft zu verstehen. Außerdem bestehe die Pflicht zur Achtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei der Vollziehung des FPG zu jedem Zeitpunkt des Vollzuges der Haft, sodass § 80 Abs. 4 FPG keineswegs eine undifferenzierte Dauer der Verhängung der Schubhaft ermögliche.

 

Schließlich könne eine strukturelle Überlastung des UVS, die zu einer Missachtung der gesetzlichen Entscheidungsfrist führt, nicht auf die Verfassungsmäßigkeit einer einfachgesetzlichen Bestimmung, die der verfassungsmäßig vorgegebenen Frist entspricht, zurückwirken.

 

Von der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieser einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage bzw. davon ausgehend, dass diese nach dem zuvor dargestellten Erkenntnis des VfGH vom 3. Oktober 2012, G 140/11 u.a., unter Rückgriff auf Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG dahin auszulegen ist, dass die Fremdenpolizeibehörde während des Verfahrens zur zwangsweisen Durchsetzung einer Abschiebung zu jeder Zeit zu gewährleisten hat, dass eine solche Vollstreckungsmaßnahme klar vorrangig durch – in § 77 Abs. 3 FPG bloß demonstrativ normierte – gelindere Mittel und nur im Ausnahmefall im Wege der ultima-ratio-Maßnahme der Schubhaft gesichert wird, ist daher im Zuge einer gemäß § 82 Abs. 1 FPG erhobenen Beschwerde vom Unabhängigen Verwaltungssenat als gemäß Art. 6 Abs. 1 PersFrSchG zuständige Haftprüfungsinstanz, die hierüber, sofern der Fremde noch in Schubhaft angehalten wird, binnen einer Woche zu entscheiden hat, – gleichsam schrittweise – zu prüfen,

 

1.) ob die gesetzlichen Formalvoraussetzungen (hier: drohende Zurückweisung des Asylantrages bzw. Einleitung eines Ausweisungsverfahrens) einerseits und beim Beschwerdeführer die subjektiven Haftbedingungen (Haftfähigkeit etc.) andererseits (weiterhin) vorliegen,

 

2.) ob sich die Fremdenpolizeibehörde unter dem Aspekt der Zweckbindung (nämlich: Verfahrenssicherung im Wege der Verhältnismäßigkeit) der von ihr intendierten Maßnahmen – nachweislich – zunächst mit der Frage der Anordnung gelinderer Mittel auseinandergesetzt und ob sie dabei die Auswahl jenes gleichermaßen zur Zweckerreichung noch geeignete sowie den geringsten Rechtseingriff nach sich ziehende Mittel überhaupt sowie auch sachlich zutreffend in Erwägung gezogen hat, und

 

3.) ob und welche Belege dafür vorliegen, dass und aus welchen konkreten Gründen die Anordnung dieses gelinderen Mittels zur Zweckerreichung nicht geeignet erschien, sondern dass und ab welchem Zeitpunkt nachweislich eine solche ultima-ratio-Situation gegeben war, die die Anordnung der Schubhaftverhängung unabdingbar erforderte, und dass bzw. wie lange diese Fakten gegebenenfalls auch über den Zeitpunkt einer vom Unabhängigen Verwaltungssenat nach § 83 Abs. 4 FPG zu treffenden Entscheidung noch vorliegen werden, sowie

 

4.) gegebenenfalls, welche konkreten Umstände – nachweislich – gegeben sind, die die Annahme rechtfertigen, dass und wie lange diese ultima-ratio-Situation auch nach Ablauf der gemäß § 80 Abs. 2 Z. 2 FPG in aller Regel mit vier Monaten beschränkten Höchstdauer der Schubhaft fortbestehen wird.        

 

Davon ausgehend ergibt sich für den gegenständlichen Fall konkret Folgendes:

 

Im Zuge der seiner Inschubhaftnahme vorausgegangenen fremdenpolizeilichen Befragung hat sich ergeben, dass der Beschwerdeführer bereits vor seiner Einreise nach Österreich in Bulgarien – also in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union – einen Asylantrag gestellt hatte. Unter Bedachtnahme auf Art. 10 Abs. 1 der VO 343/2003 (sog. "Dublin-II-Verordnung") bildete jedenfalls bereits dieses Faktum eine hinreichend begründete Voraussetzung für die Annahme, dass sein nunmehr in Österreich eingebrachter Asylantrag zurückzuweisen sein wird. 

 

Davon ausgehend war daher die belangte Behörde im Grunde dazu berechtigt, über den Beschwerdeführer als einen Asylwerber, dessen Antrag i.S.d. § 5 Abs. 1 AsylG infolge der Zuständigkeit eines anderen Staates (nämlich: Bulgarien) zurückgewiesen werden wird, ihren auf § 76 Abs. 2 Z. 4 FPG gegründeten Bescheid vom 21. Jänner 2013, Zl. Sich41-27/2013, zu erlassen und damit die Schubhaft anzuordnen.

 

Die gesetzlichen Formalvoraussetzungen und die subjektiven Haftbedingungen sind daher – Letztere insbesondere schon mangels gegenteiligen Vorbringens des Beschwerdeführers selbst – im vorliegenden Fall als gegeben festzustellen.

 

Auch das von der belangten Behörde im vorzitierten Schubhaftbescheid angenommene – sowohl gelindere Mittel als auch eine Schubhaftanordnung in gleicher Weise materiell determinierende – Sicherungsbedürfnis erweist sich (wenngleich nicht als zwingend, so doch zumindest) als vertretbar:

 

Denn zum einen verfügt der Rechtsmittelwerber – ganz abgesehen davon, dass er sich an fremdenpolizeiliche Ordnungsvorschriften offensichtlich kaum gebunden fühlt – über keinen Identitätsnachweis, wobei er seine diesbezüglichen Angaben zudem während des Asylverfahrens geändert hat, wodurch der Fremdenpolizeibehörde ein nicht unerheblicher zusätzlicher Ermittlungsaufwand entstanden ist (der ihm wiederum einen entsprechenden Zeitgewinn verschafft); und zum anderen hat er zu erkennen gegeben, dass er weder gewillt ist, nach Bulgarien – nämlich: zur weiteren Durchführung des Asylverfahrens – noch in seinen Heimatstaat Tunesien zurückzukehren.

 

Vorrangig zu prüfen bleibt allerdings, ob die belangte Behörde die nach dem zuvor unter Pkt. 1.5. näher dargestellten Erkenntnis des VfGH vom 3. Oktober 2012, G 140/11 u.a., primär bzw. absolut vorrangig gebotene Heranziehung gelinderer Mittel – als eine grundlegende negativ-materielle Voraussetzung der allfälligen Zulässigkeit der Schubhaftverhängung – erwogen und im Ergebnis zutreffend verworfen hat, sodass sie davon ausgehend auch tatsächlich zur Anwendung der ultima-ratio-Maßnahme der Inschubhaftnahme berechtigt war.

 

Im Schubhaftbescheid der Fremdenpolizeibehörde vom 21. Jänner 2012, Zl. Sich41-27-2013, findet sich diesbezüglich nur der rudimentäre Hinweis, dass "realistische Ansatzpunkte für die Anwendung gelinderer Mittel gemäß § 77 FPG nicht ersichtlich sind", weil vor dem Hintergrund, dass sein Asylantrag in Bulgarien abgewiesen und er auf einer illegalen Reisebewegung in Richtung Italien oder Deutschland aufgegriffen wurde sowie dass er den Asylantrag erst nach erfolgtem fremdenpolizeilichen Zugriff gestellt hat, "massive Fluchtanreize" vorliegen (S. 2).

 

Mit einer solchen Argumentation werden jedoch in Wahrheit lediglich Gesichtspunkte ins Treffen geführt, die allenfalls dazu geeignet sind, eine höhere faktische Effektivität der Schubhaftverhängung im Vergleich zu bloß gelinderen Mitteln zu untermauern. Systemlogisch betrachtet kann die Beurteilung und Bewertung dieser Relation aber gleichsam bloß als "zweiter Schritt", nämlich erst dann erfolgen, wenn – objektiv – außer Zweifel gestellt ist, dass zuvor die Heranziehung gelinderer Mittel überhaupt erwogen wurde und welches derselben (allein oder in wechselseitiger Kombination) sachbezogen am ehesten in Betracht käme: Dieses ist bzw. diese sind dann der ultima-ratio-Maßnahme der Schubhaftverhängung gegenüberzustellen, wobei anhand eines solchen Vergleiches zu beurteilen ist, welche der beiden Eingriffsbefugnisse dem Verhältnismäßigkeitsprinzip in concreto gerecht wird. Dies bedeutet im Ergebnis freilich, dass die Inschubhaftnahme eines Asylwerbers, dem nur vorgehalten werden kann, dass er über einen anderen EU-Staat sowie ohne Reisedokumente und Identitätsnachweis (wenngleich schlepperunterstützt) in das Bundesgebiet eingereist ist, in aller Regel ausscheidet bzw. nur in absoluten Ausnahmenfällen, die stets einer mit Fakten entsprechend untermauerten Argumentation bedürfen, zulässig ist.

 

Unter diesem Blickwinkel erweist sich aber ein Zugang, bei dem – davon ausgehend, dass dem Fremden der Inhalt des Aktes der Fremdenpolizeibehörde nicht bekannt ist – nicht schon in der Begründung des Schubhaftbescheides eine argumentative Auseinandersetzung zumindest mit den in § 77 Abs. 3 FPG explizit angeführten Arten von gelinderen Mitteln erfolgt, ebenso als verfehlt wie ein solcher, der ohne Bezugnahme auf die konkreten Umstände des vorliegenden Falles einem Asylwerber pauschal unterstellt, dass er die entsprechenden Anordnungen ohnehin nicht befolgen wird: Eine solche Herangehensweise würde nämlich im Endeffekt nicht nur zu einer unzulässigen Beweislastumkehr, sondern vielmehr dazu führen, dass der Betroffene so schon von vornherein gar nie in die Lage kommen kann, sein normenkonformes Verhalten unter Beweis stellen zu können.

 

Unter Beachtung der dem genannten VfGH-Erkenntnis vom 3. Oktober 2012, G 140/11 u.a., zu Grunde liegenden Prioritätensetzung hätte daher der Bezirkshauptmann von Ried im Innkreis hier in der Begründung des Schubhaftbescheides beispielsweise darzulegen gehabt, weshalb die Verpflichtung zur Unterkunftnahme in von der Behörde bestimmten Räumen in Verbindung mit einer periodischen (d.h. allenfalls auch mehrfachen) täglichen Meldung bei einem Polizeikommando sowie gegebenenfalls auch mit dem Erlag einer angemessenen finanziellen Sicherheit keinesfalls dazu hingereicht hätte, sicherzustellen, dass der Rechtsmittelwerber der belangten Behörde für die Durchführung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung zur Verfügung steht.

 

Aus solchen Gründen, wie sie in Fällen von schlepperunterstützten Asylwerbern typischerweise vorliegen (wie: Nichtfeststehen der Identität; Fehlen von Reisedokumenten, sozialen Bindungen und finanziellen Mitteln; Rückkehrunwilligkeit; etc.), kann hingegen – anders als dies möglicherweise die belangte Behörde vermeint – nicht schon per se darauf geschlossen werden, dass diese stets für die Verhängung von Schubhaft hinreichen; denn bei einer solchen Sichtweise würde die Priorität gelinderer Mittel gerade ins Gegenteil verkehrt.

 

Im Verfahren nach den §§ 82 f FPG ist der Unabhängige Verwaltungssenat nicht – wie in einem sonstigen Administrativ- oder Verwaltungsstrafverfahren nach dem 1. und 2. Abschnitt des IV. Teiles des AVG bzw. nach dem 5. Abschnitt des II. Teiles des VStG – Berufungs-, sondern nur Haftprüfungsbehörde i.S.d. Art. 6 PersFrSchG und Art. 5 Abs. 4 EMRK. Dies bedeutet, dass dem UVS nur eine Rechtmäßigkeitskontrolle zukommt, und zwar dahin, ob es unter Zugrundelegung der von der Haftbehörde vorgenommenen Bewertung der tatsächlichen Umstände des konkreten Falles verhältnismäßig war, von der Verhängung gelinderer Mittel abzusehen und stattdessen die Schubhaft zu verhängen.

 

Davon ausgehend kann die originäre Entscheidung darüber, ob bzw. welche gelinderen Mittel – singulär oder kumulativ – anzuordnen sind oder stattdessen die Schubhaft zu verhängen ist, nur von der Fremdenpolizeibehörde selbst getroffen, d.h. im Falle einer dementsprechenden Unterlassung vom UVS im Rahmen des Schubhaftbeschwerdeverfahrens auch nicht nachgetragen werden.

 

Gleiches gilt auch hinsichtlich der Gründe für das Vorliegen einer die Schubhaftverhängung tragenden ultima-ratio-Situation: Diese müssen sich unter gleichzeitiger Angabe der entsprechenden Beweise für das Vorliegen entsprechender Fakten bereits aus dem Schubhaftbescheid selbst – und nicht etwa nur aus dem behördlichen Akt, der dem Fremden nicht bzw. nur eingeschränkt zugänglich ist – ergeben und können auch nicht ex post (z.B. etwa erst im Zuge einer Gegenschrift oder einer öffentlichen Verhandlung vor dem UVS) substituiert werden.

 

Angesichts des Umstandes, dass die belangte Behörde im gegenständlichen Fall dem Rechtsmittelwerber gegenüber nicht in einer nachvollziehbaren Weise – geschweige denn auch entsprechend belegt – zu erkennen gegeben hat, dass sie überhaupt die Anordnung gelinderer Mittel (sowie konkret: welcher dieser Mittel) in Erwägung gezogen und davon ausgehend das Vorliegen einer derartigen ultima-ratio-Situation, die sogar eine vorgängige Anordnung solcher Maßnahmen ausgeschlossen, sondern vielmehr die unverzügliche Schubhaftverhängung als geboten angenommen hat, erweist sich sohin die bisherige Anhaltung des Beschwerdeführers als rechtswidrig; Gleiches gilt auf einer derartigen Basis auch bezüglich der Voraussetzungen für dessen weitere Anhaltung in Schubhaft.

 

1.5. Gegen diese Entscheidung hat die Landespolizeidirektion Oberösterreich eine Amtsbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben.

 

1.6. Mit Erkenntnis vom 2. August 2013, Zl. 2013/21/0054, hat der VwGH dieser Amtsbeschwerde stattgegeben und die h. Entscheidung vom 9. Februar 2013, Zl. VwSen-401262/3/Gf/Rt, wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts aufgehoben.

 

Begründend wurde dazu unter Hinweis auf das Erkenntnis des VwGH vom 2. August 2013, Zl. 2013/21/0008, ausgeführt, dass der VwGH zwar bereits mehrfach betont habe, dass die Verhängung von Schubhaft in sog. „Dublin“-Fällen nicht als Standardmaßnahme gegen Asylwerber angewendet werden dürfe. Da der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall jedoch total rückkehrunwillig und er im Zuge einer illegalen Reisebewegung nach Italien oder Deutschland aufgriffen worden sei und er seinen Asylantrag erst nach diesem Aufgriff gestellt habe, ergebe sich insgesamt, dass auch in diesem frühen Stadium des Asylverfahrens ein nur durch Schubhaft zu sicherndes überwiegendes öffentliches Interesse dargetan ist.

 

1.7. An diese im Hinblick auf dessen Beschluss vom gleichen Tag, Zl. 2013/21/0025, schlechthin nicht nachvollziehbare, weil insgesamt besehen eine einheitliche und berechenbare Struktur nicht erkennen lassende (Be-)Wertung durch den VwGH ist der Oö. Verwaltungssenat zumindest im vorliegenden Fall gemäß § 63 Abs. 1 VwGG gebunden.

 

2. Davon ausgehend war sohin gemäß § 83 Abs. 1 und 4 FPG i.V.m. § 67c Abs. 3 AVG festzustellen, dass die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vom 21. Jänner 2013 bis zum 9. Februar 2013 rechtswidrig war.

 

3. Ein Ausspruch gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz konnte entfallen, weil sich der Rechtsmittelwerber zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr in Schubhaft befindet.

 

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Beschwerdeführer dazu zu verpflichten, dem Bund nach § 79a Abs. 3 und Abs. 4 Z. 3 AVG i.V.m. § 1 Z. 3 und 4 der UVS-Aufwandersatzverordnung, BGBl.Nr. II 456/2008, Aufwendungen in einer Höhe von insgesamt 426,20 Euro (Vorlageaufwand: 57,40 Euro; Schriftsatzaufwand: 368,80 Euro) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.


 

Hinweis:

 

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden, wobei für jede dieser Beschwerden eine Gebühr von 240 Euro zu entrichten ist.

 

 

 

 

 

 

Dr.  G r ó f

 

 

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