Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
A-4012 Linz, Fabrikstraße 32 | Telefon (+43 732) 70 75-155 85 | Fax (+43 732) 70 75-21 80 18

VwSen-222720/11/Kl/TK

Linz, 11.11.2013

E r k e n n t n i s

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch das Mitglied Dr. Ilse Klempt über die Berufung des Herrn x, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. x, x, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems vom 24. September 2013, Ge20-100-1-2013-Sü, wegen  Verwaltungsübertretungen nach der Gewerbeordnung 1994 zu Recht erkannt:

 

I. Der Berufung wird stattgegeben und das angefochtene

   Straferkenntnis aufgehoben.

 

II. Es entfallen jegliche Verfahrenskostenbeiträge

 

 

Rechtsgrundlagen:

 

zu I: § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG iVm §§ 24, 44a und 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG.

 

zu II: § 66 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems vom 24. Juli 2013, Ge20-100-1-2013 Sü, wurden über den Berufungswerber zwei Geldstrafen von je 800 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe von je zwei Tagen) wegen je einer Verwaltungsübertretung nach § 366 Abs. 1 Z 3 iVm §§ 81 Abs.1, 74 Abs. 2 Z.2 GewO 1994 verhängt, weil er als gewerberechtlicher Geschäftsführer der  x GmbH, x, zu verantworten hat, dass im Zeitraum vom 8. August 2013 bis zum 31. August 2013 die Betriebsanlage beim Werk 1 der x in x, mit folgenden Änderungen betrieben wurde, obwohl hiefür keine entsprechende Genehmigung vorlag:

1. zwei Lagerzelte am Parkplatz x, beim Werk 1, auf den Grundstücken x und x, x

2. Parkplatz auf dem Grundstück x und x, KG x.

Die Genehmigungspflicht der Änderungen ist aufgrund deren abstrakter Eignung, Nachbarn durch Emissionen (Lärm) zu belästigen, gegeben.

 

2. Dagegen wurde fristgerecht Berufung eingebracht und die Aufhebung und Einstellung des Strafverfahrens beantragt. Begründend wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Errichtung der beiden Lagerzelte sowie des Parkplatzes und deren Inbetriebnahme vorerst ohne Vorliegen einer gewerberechtlichen Genehmigung im Rahmen eines äußerst wichtigen Investitionsprojektes in Höhe von € 13,8 Millionen notwendig und unumgänglich gewesen sei, um den Betrieb sicherzustellen. Ohne Inbetriebnahme der Lagerzelte sowie des Parkplatzes wären die fortgeschrittenen Bauvorbereitungen sowie Bautätigkeiten blockiert gewesen, was insbesondere in Anbetracht des Investitionsprojektes zu einem nicht wiedergutzumachenden Vermögensschaden und somit auch zur Gefährdung von Arbeitsplätzen geführt hätte. Bereits Ende April 2013 sei seitens des Beschuldigten um Erteilung der bau- sowie gewerberechtlichen Genehmigung der beiden Lagerzelte ersucht worden, die besagte bau- bzw. gewerberechtliche Verhandlung habe jedoch erst am 8. August 2013 stattgefunden. Gemäß § 45 VStG sei von der Einleitung eines Strafverfahrens abzusehen, wenn Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen. Auch habe sich der Beschuldigte gegenüber der Behörde von Beginn an geständig gezeigt. Der Beschuldigte sei der behördlichen Aufforderung vom 14. August 2013, die bei- den Zeltlager sowie den Parkplatz stillzulegen, umgehend nachgekommen. Auch habe die Errichtung und Inbetriebnahme der Lagerzelte und des Parkplatzes keine nachteiligen Folgen nach sich gezogen.

 

3. Die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems als belangte Behörde hat die Berufung samt dem bezughabenden Verwaltungsstrafakt vorgelegt.

 

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Akteneinsichtnahme. Weil bereits aus der Aktenlage ersichtlich ist, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte eine öffentliche mündliche Verhandlung gemäß § 51e VStG unterbleiben.

 

 

5. Hierüber hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

5.1. Gemäß § 366 Abs. 1 Z 3 Gewerbeordnung 1994 – GewO 1994 begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe bis zu 3.600 Euro zu bestrafen ist, wer eine genehmigte Betriebsanlage (§ 74) ohne die erforderliche Genehmigung ändert oder nach der Änderung betreibt (§§ 81f).

Gemäß § 81 Absatz 1 GewO 1994 bedarf, wenn es zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen erforderlich ist, auch die Änderung einer genehmigten Betriebsanlage einer Genehmigung im Sinne der vorstehenden Bestimmungen. Diese Genehmigung hat auch die bereits genehmigte Anlage so weit zu umfassen, als es wegen der Änderung zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen gegenüber der bereits genehmigten Anlage erforderlich ist.

Gemäß § 74 Abs. 2 GewO 1994 dürfen gewerbliche Betriebsanlagen nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind,

1.   das Leben oder die Gesundheit des Gewerbetreibenden … zu gefährden

2.   die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof spricht in seiner ständigen Judikatur aus, dass die Genehmigungspflicht im Sinn des § 74 Abs. 2 GewO immer schon dann gegeben ist, wenn die Auswirkungen im Sinn dieser Bestimmung (Gefährdungen, Belästigungen, usw.) nicht auszuschließen sind. Um dies zu beurteilen, genügt es in der Regel, auf das allgemeine menschliche Erfahrungsgut zurückzugreifen. (VwGH 22. Juni 2011,2009/04/0275).

Bei der Frage der Genehmigungspflicht einer gewerblichen Betriebsanlage ist nicht lediglich auf deren abstrakte, sondern auf die konkrete Eignung, die im § 74 GewO näher umschriebenen Interessen zu beeinträchtigten, abzustellen. Es ist daher nicht nur auf das Emissionsverhalten der Anlage, sondern auch auf die konkrete Umwelt, in der sie sich befindet, abzustellen (Kinscher/Paliege-Barfuß, Gewerbeordnung 1994, Kommentar, § 74, Anm. 43 mit Nachweisen). Es trifft zwar zu, dass die grundsätzliche Eignung der Betriebsanlage, Gefährdungen, Beeinträchtigungen oder Belästigungen der Nachbarn hervorzurufen, für die Bejahung der Genehmigungspflicht genügt, ohne dass es Feststellungen darüber im Einzelfall bedarf, oder solche Gefährdungen, Beeinträchtigungen und Belästigungen von der konkreten Betriebsanlage tatsächlich ausgehen; dies festzustellen und allenfalls durch entsprechende Auflagen zu verhindern, ist Sache des Genehmigungsverfahrens selbst. Eine derartige Eignung ist aber nicht schon allein dann gegeben, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass von der Betriebsanlage Immissionen der verschiedensten Art ausgehen könnten. Erforderlich ist vielmehr auch das Vorhandensein von Nachbarn, auf die diese Emissionen gefährdend, beeinträchtigend oder belästigend einwirken können. Um beurteilen zu können, ob eine Betriebsanlage unter dem Gesichtspunkt des Nachbarschutzes der Genehmigungspflicht nach § 74 Abs. 2 GewO unterliegt, bedarf es daher neben der Feststellung der von der Betriebsanlage möglicherweise ausgehenden Einwirkungen auch konkreter Feststellungen über das Vorhandensein von Nachbarn, die durch solche Einwirkungen gefährdet, beeinträchtigt oder belästigt werden können (obzit. Kommentar, Anm. 45 mit Judikaturnachweisen). Die GewO machte mit einer demonstrativen Aufzählung von Geruch, Lärm, Rauch, Staub und Erschütterung die in Betracht kommenden Belästigungen deutlich, ohne durch eine erschöpfende Aufzählung die Behörde einzuengen. Jedenfalls können auch Gase, Dämpfe, Nebel, Lichteinwirkung, sichtbare oder unsichtbare Strahlen, Wärme oder Schwingungen geeignet sein, die Nachbarn zu belästigen. (obzit. Kommentar, Anm. 73).

Unter dem Begriff “ Änderung“ im Sinn des § 81 GewO ist jede durch die bereits erteilte Genehmigung nicht gedeckte Maßnahme des Inhabers einer Betriebsanlage zu verstehen, durch die einer der in dieser Bestimmung angeführten Umstände eintritt. Unter „Änderung“ einer genehmigten Betriebsanlage im Sinn des § 80 Abs.1 GewO ist jede durch die erteilte Genehmigung nicht gedeckte, bauliche oder sonstige, die Anlage betreffende Maßnahme des Inhabers der Betriebsanlage zu verstehen, durch die sich die im § 74 Abs. 2 Z.1 bis 5 GewO 1994 bezeichneten Gefährdungen, Beeinträchtigungen oder sonstigen Auswirkungen ergeben können. Jeder Betrieb einer Betriebsanlage, der in seiner Gestaltung von dem im Genehmigungsbescheid (Betriebsbeschreibung) umschriebenen Projekt abweicht, bedeutet eine Änderung der genehmigten Betriebsanlage und bedarf unter den Voraussetzungen des § 81 Gewerbeordnung 1994 einer gewerbebehördlichen Genehmigung. Nicht jede Änderung einer gewerblichen Betriebsanlage bedarf einer Genehmigung im Sinn des § 81 Abs. 1 GewO 1994, sondern nur eine solche Änderung, die geeignet ist, die in § 74 Abs.2 GewO 1994 umschriebenen Interessen zu beeinträchtigen, wobei diese Eignung schon dann zu bejahen ist, wenn die im Gesetz näher bezeichneten Gefährdungen, Belästigungen, Beeinträchtigungen oder Einwirkungen auf bestimmte Personen im Sinn des § 74 Abs. 2 Z.1 und 2 oder auf bestimmte Tätigkeits- oder Sachbereiche im Sinn des § 74 Abs. 2 Z 3 bis 5 GewO 1994 nicht auszuschließen sind. Darauf, ob die erwähnten Gefährdungen, Belästigungen etc. mit den als Änderung der Betriebsanlage anzusehenden Maßnahmen tatsächlich verbunden sind, kommt es bei der Beurteilung der Genehmigungspflicht nicht an. Es genügt die grundsätzliche Eignung, diese Beeinträchtigungen hervorzurufen. Die Genehmigungspflicht der Änderung einer gewerblichen Betriebsanlage ist bereits dann gegeben, wenn die Änderung grundsätzlich geeignet ist, die im § 74 Abs. 2 GewO erwähnten Gefährdungen, Belästigungen, Beeinträchtigungen oder sonstigen Einwirkungen hervorzurufen. (obzit. Kommentar, § 81, Anm. 6 und 14 mit Judikaturnachweisen).

 

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Erfüllung des Straftatbestandes des § 366 Abs. 1 Z.3 eine (von der genehmigten Änderung betroffene) genehmigte Betriebsanlage voraus. Dieser Umstand erfordert aber im Sinn der in § 44a Z.1 VStG normierten spruchgemäßen Bezeichnung der als erwiesen angenommenen Tat die sachverhaltsmäßig von der Behörde in Betracht gezogene“ genehmigte Betriebsanlage“; diesem Konkretisierungsgebot wird im Regelfall jedenfalls durch einen Hinweis auf den (konkreten) Genehmigungsbescheid Rechnung getragen (vgl. Kinscher/Paliege-Barfuß, GewO, § 366, Anm. 88 mit Judikaturnachweisen). Weder im Spruch noch in der Begründung des Straferkenntnisses noch in der Aufforderung zur Rechtfertigung vom 14. August 2013 befindet sich ein Hinweis über eine Genehmigung der Betriebsanlage bzw. die Zitierung des diesbezüglichen Genehmigungsbescheides. Das Vorliegen einer genehmigten Betriebsanlage ist aber Voraussetzung für den Änderungstatbestand bzw. den Tatbestand des Betriebs einer Betriebsanlage nach Änderung ohne Änderungsgenehmigung.

Gemäß § 44a Z.1 VStG hat der Spruch, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Der Vorschrift des § 44a Z.1 VStG ist dann entsprochen, wenn im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, dass er (im ordentlichen Verwaltungsstrafverfahren, gegebenenfalls auch in einem Wiederaufnahmeverfahren) in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tat-vorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen und der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden.

Diesen Konkretisierungsanforderungen kommt der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses nicht nach. Es war daher spruchgemäß das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben.

 

6. Weil die Berufung Erfolg hatte, entfallen jegliche Verfahrenskostenbeiträge gemäß § 66 VStG.

 

 

 

 

R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G

 

Gegen diesen Bescheid ist ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig.

 

 

H I N W E I S

 

Gegen diesen Bescheid kann jedoch innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Sie muss  – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt oder einer bevollmächtigen Rechtsanwältin eingebracht werden. Die dafür zu entrichtende Eingabegebühr beträgt jeweils 240,-- Euro.

 

Läuft die Beschwerdefrist mit Ende des 31. Dezember 2013 noch und wurde bis dahin keine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben, so kann vom 1. Jänner bis zum Ablauf des 12. Februar 2014 eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.

 

Läuft die Beschwerdefrist mit Ende des 31. Dezember 2013 noch und wurde bis dahin eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder Verwaltungsgerichtshof erhoben, gilt die Beschwerde als rechtzeitig erhobene Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof bzw als rechtzeitig erhobene Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

 

Würde der Bescheid nach den Bestimmungen des Zustellgesetzes erst nach Ablauf des 31. Dezember 2013 als zugestellt gelten, kann innerhalb von sechs Wochen ab Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.

 

Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und die Revision an den Verwaltungsgerichtshof müssen – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt oder einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abgefasst und eingebracht werden. Die dafür zu entrichtende Eingabegebühr beträgt jeweils 240,-- Euro.

 

Dr. Ilse Klemp