Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720299/25/Gf/Rt

Linz, 22.11.2013

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Gróf über die Berufung des A, vertreten durch RA Dr. H, gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 2. März 2011, Zl. 10/FRB, wegen der Verhängung eines auf zehn Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes zu Recht:

Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 AVG.

Entscheidungsgründe:

 

 

1.1. Mit Bescheid des Polizeidirektors der Stadt Linz (nunmehr: Landespolizeidirektion Oberösterreich) vom 2. März 2011, Zl. 10/FRB, wurde gegen den Rechtsmittelwerber, einen seit 2007 in Österreich lebenden deutschen Staatsangehörigen, ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen; gleichzeitig wurde ihm ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat gewährt.

 

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes Wels vom 3. Dezember 2010, Zl. 15 Hv, wegen des Verbrechens des teilweise versuchten und teilweise vollendeten Suchtgifthandels und anderer damit im Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren, davon 16 Monate bedingt auf 3 Jahre, rechtskräftig verurteilt worden sei, weil er einerseits einen anderen zur Ein- und Ausfuhr von Suchtgift in einem das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Ausmaß bestimmt bzw. zu bestimmen versucht sowie andererseits Dritten vorschriftswidrig Suchtgift überlassen habe.

 

Dieses kriminelle Verhalten stelle eine tatsächliche und massive Gefahr für die Gesellschaft dar, die das private, vornehmlich durch familiäre Beziehungen zu seiner österreichischen Lebensgefährtin und einem gemeinsamen Sohn sowie zu seinem sonstigen sozialen, v.a. beruflichen Umfeld geprägte Interesse des Rechtsmittelwerbers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet überwiegen würde.

 

1.2. Gegen diesen ihm am 3. März 2011 zugestellten Bescheid richtete sich die vorliegende, am 17. März 2011 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebene Berufung.

 

Darin wurde vorgebracht, dass der Rechtsmittelwerber ein Unionsbürger sei, sich seit langer Zeit in Österreich aufhalte und – wie sich aus den zahlreichen, im erstbehördlichen Verfahren vorgelegten Nachweisen ergebe – hier auch bestens sozial integriert sei. Insbesondere lebe er in einer aufrechten Beziehung mit seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn. Seit Februar 2011 sei er als Elektrotechniker beschäftigt, wobei er monatlich ca. 1.200 Euro verdiene. Auch seine Brüder würden in Österreich leben und außerdem habe er sich hier bereits einen großen Freundeskreis aufgebaut.

 

Dem gegenüber sei er am 3. Dezember 2010 zum ersten Mal gerichtlich verurteilt worden, wobei ein Großteil der Strafe bedingt nachgesehen und auch der Strafvollzug selbst vorzeitig beendet worden sei, was jeweils eine günstige Zukunftsprognose indiziere. Tatsächlich lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass vom Rechtsmittelwerber weiterhin eine gegenwärtige Gefahr ausgehe, wie dies Art. 27 Abs. 2 der Unionsbürger-Richtlinie fordere.

 

Daher wird beantragt, den angefochtenen Aufenthaltsverbotsbescheid aufzuheben.

 

1.3. Mit Erkenntnis vom 11. Mai 2011, Zl. VwSen-720299/2/Gf/Mu, hat der Oö. Verwaltungssenat dieser Berufung stattgegeben und den angefochtenen Aufenthaltsverbotsbescheid aufgehoben.

 

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass gemäß § 86 Abs. 1 FPG (nunmehr: § 67 Abs. 1 FPG) u.a. auch gegen einen Unionsbürger die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zulässig sei, wenn aufgrund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Dabei müsse das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, wobei strafrechtliche Verurteilungen allein eine derartige Maßnahme nicht ohne weiteres begründen könnten und vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen nicht zulässig seien.

 

Wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen werde, sei die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes nach § 60 Abs. 6 i.V.m. § 66 Abs. 1 FPG (a.F.) nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. In diesem Zusammenhang sei gemäß § 66 Abs. 2 FPG (a.F.) insbesondere die Art und die Dauer des bisherigen Aufenthalts sowie die Frage, ob dieser rechtswidrig war; das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens; die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; der Grad der Integration; die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden; die strafgerichtliche Unbescholtenheit; Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts; sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen.

 

Im gegenständlichen Fall sei von der belangten Behörde als einziger Umstand, der die Verhängung des Aufenthaltsverbotes rechtfertige, die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers ins Treffen geführt worden.

 

Konkret sei dieser damals mit Urteil des LG Wels vom 3. Dezember 2010, Zl. 15 Hv, für schuldig befunden worden, "von Ende April 2010 bis um den 07.08.2010" eine in Berlin aufhältige Person damit beauftragt zu haben, "insgesamt etwa 1.400 g Kokain mit einem Reinheitsgehalt von etwa 40% durch bislang unbekannte Kuriere von Deutschland aus- und nach Österreich einzuführen, wobei die Tat hinsichtlich der Aus- und Einfuhr von 600 g Kokain beim Versuch geblieben ist", und "vorschriftswidrig Suchtgift anderen überlassen bzw. zu überlassen versucht" zu haben, und zwar "in einer das 15-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge (großen Menge), indem er in der Zeit von etwa Ende April 2010 bis zuletzt am 09.08.2010 insgesamt etwa 800 g Kokain mit einem Reinheitsgehalt von etwa 40% ..... verkaufte" sowie „in der Zeit von etwa April/Mai 2010 bis um den 11.08.2010 vorschriftswidrig Suchtgift in wiederholten Angriffen erworben und besessen" zu haben, wobei er letztere Straftat "ausschließlich zum persönlichen Gebrauch" begangen habe. Hierfür sei der Rechtsmittelwerber zu einer "Freiheitsstrafe von 2 Jahren" verurteilt worden, wobei "im Hinblick auf die bisherige Unbescholtenheit und das umfassende Geständnis ..... ein Teil der Freiheitsstrafe von 16 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachzusehen" gewesen sei.

 

Sonach habe sich unter Berücksichtigung der Untersuchungshaft der 11. April 2011 als Ende des gerichtlichen Strafvollzuges ergeben; tatsächlich sei der Beschwerdeführer jedoch bereits vorzeitig, nämlich am 21. Jänner 2011, unter Festsetzung einer Probezeit von 3 Jahren aus der Strafhaft entlassen worden.

 

Nach § 46 Abs. 1 StGB sei einem Verurteilten, der die Hälfte des nicht bedingt nachgesehenen Teiles einer Freiheitsstrafe verbüßt hat, der Rest der Strafe unter Bestimmung einer Probezeit bedingt nachzusehen, sobald unter Berücksichtigung der Wirkung von Maßnahmen gemäß §§ 50 bis 52 StGB (Erteilung von Weisungen und/oder Anordnung von Bewährungshilfe) anzunehmen ist, dass der Verurteilte von der Begehung strafbarer Handlungen durch die bedingte Entlassung nicht weniger als durch die weitere Verbüßung der Strafe abgehalten wird. Da diese – keine Ermessens-, sondern eine Rechtsentscheidung normierende – Bestimmung schon von ihrer Textierung her eine Günstigkeitsprognose voraussetze, sei das LG Wels somit offensichtlich davon ausgegangen, dass gegenwärtig keine aktuelle Gefahr dahin bestehe, dass der Beschwerdeführer demnächst neuerlich eine – sich insbesondere auf sein früheres Fehlverhalten gründende – Straftat begehen könnte.

 

Damit liege aber grundsätzlich auch keine gegenwärtige Gefahr iSd § 86 Abs. 1 FPG vor, es sei denn, dass sich aus den konkreten Umständen des Falles spezifische Anhaltspunkte für eine gegenteilige Sichtweise ergeben würden.

 

Davon ausgehend könne aber allein die hier in Rede stehende strafgerichtliche Verurteilung des Rechtsmittelwerbers prinzipiell noch keinen stichhaltigen Grund für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen ihn bilden.

 

Im Übrigen ergäben sich im gegenständlichen Fall weder aus dem angefochtenen Bescheid noch sonst auf Grund des erstbehördlichen Ermittlungsverfahrens spezifische Anhaltspunkte dafür, warum bzw. dass der Beschwerdeführer – als Unionsbürger – nicht bloß eine potentiell-abstrakte, sondern vielmehr eine vergleichsweise wesentlich gravierendere, nämlich konkret-gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit i.S.d § 86 Abs. 1 FPG i.d.F. 2009 bilde. Vielmehr beziehe sich die Begründung des angefochtenen Bescheides ausschließlich auf generalpräventive Aspekte (Suchtgiftprävention von Jugendlichen und Gefahr für die Volksgesundheit), die im Zusammenhang mit der vorerwähnten strafgerichtlichen Verurteilung stünden; allein daraus lasse sich jedoch nicht ableiten, dass bzw. warum der Fremde eine aktuell noch immer bestehende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen soll.

 

Abgesehen davon, dass somit die speziell-tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen Unionsbürger hier nicht in einer nachweisbaren Form vorliegen würden, sei die belangte Behörde auf die in § 66 Abs. 2 FPG (a.F.) festgelegten und nach § 60 Abs. 6 FPG (a.F.) auch im Aufenthaltsverbotsverfahren maßgeblichen Umstände, die im Zuge einer Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen einerseits und den privaten Interessen des Fremden andererseits zwingend zu gewichten sind, auch insofern nicht eingegangen, als der Grad der Integration des Fremden (vgl. § 66 Abs. 2 Z. 4 FPG [a.F.]) nicht in einer über eine bloß verbale Erwähnung hinausgehenden, auch objektiv erkennbaren Weise materiell berücksichtigt bzw. gewürdigt worden sei (vgl. dazu VwGH v. 14. April 2011, Zl. 2010/21/0232).

 

1.4. Mit Erkenntnis vom 19. März 2013, Zl. 2011/21/0152, hat der Verwaltungsgerichtshof einer von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (nunmehr: Landespolizeidirektion Oberösterreich) erhobenen Amtsbeschwerde stattgegeben und die h. Entscheidung vom 11. Mai 2011 wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

 

Begründend hat der VwGH dazu ausgeführt, dass sich die Fremdenpolizeibehörde in ihrem Aufenthaltsverbotsbescheid nicht nur darauf beschränkt habe, die Suchtgiftdelinquenz als ein besonders verpöntes Fehlverhalten darzustellen; vielmehr habe sie (zumindest erkennbar) auch eine Beziehung zu dem dem strafgerichtlichen Urteil zu Grunde liegenden Verhalten des Fremden hergestellt und ihrer Prognosebeurteilung zu Grunde gelegt. Dabei habe sie zu Recht auch annehmen dürfen, dass bei Suchtgiftdelikten der vorliegenden Art erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben sei. Ausgehend von einer allgemein gegebenen Wiederholungsgefahr habe die Fremdenpolizeibehörde sodann auch fallbezogen auf das Vorliegen einer aktuellen Gefahr i.S.d. § 86 Abs. 1 FPG (a.F.) geschlossen, weil der Beschwerdeführer auf näher beschriebene Weise Kokainlieferungen aus Deutschland nach Österreich organisiert und hier Suchtgifthandel betrieben habe; dieser Umstand sei geeignet, eine große Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen herbeizuführen und verstoße gravierend gegen das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität, zumal der Rechtsmittelwerber einen Dritten im April 2010 auf seine früheren Kontakte zur Suchtgiftszene in Berlin hingewiesen und sich in der Folge auch an Kokainlieferungen entsprechend beteiligt habe.

 

Weiters habe die Beurteilung einer Gefährdung i.S.d. § 86 Abs. 1 FPG (a.F.) durch die Fremdenpolizeibehörden nach der ständigen (ho. aus Gründen der Einheitlichkeit der Gesamtrechtsordnung nicht geteilten) Judikatur des VwGH eigenständig und unabhängig von den Erwägungen der Gerichte im Zuge der Strafbemessung zu erfolgen. Daher lasse sich insoweit weder aus einer (teil‑)bedingten Strafnachsicht noch aus einer bedingten Entlassung aus der Strafhaft etwas gewinnen; vielmehr könne insbesondere bei gravierender Suchtgiftdelinquenz erst nach einer entsprechend langen Zeit des Wohlverhaltens nach der Haftentlassung auf einen allfälligen Gesinnungswandel geschlossen werden. Dazu komme weiters, dass der Beschwerdeführer auch selbst Kokainkonsument sei.

 

Da sich durch eine zulässige Berufung die Zuständigkeit zur Sachentscheidung in Ansehung aller hierfür maßgeblichen Vorschriften auf die zweitinstanzliche Behörde verlagere, hätte der Oö. Verwaltungssenat sohin eine eigene Beurteilung am Maßstab des § 86 Abs. 1 FPG (a.F.) vorzunehmen gehabt.

 

1.5. Der Oö. Verwaltungssenat hat darauf hin der vorliegenden Berufung vom 17. März 2011 mit h. Erkenntnis vom 29. April 2013, Zl. VwSen-720299/14/Gf/Rt, insoweit stattgegeben, als der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Rechtsache der LPD Oberösterreich zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückverwiesen wurde.

 

Begründend wurde dazu zunächst darauf hingewiesen, dass für die nunmehr vom Oö. Verwaltungssenat gemäß § 63 Abs. 1 VwGG zu treffende Entscheidung nicht mehr die im Zeitpunkt der Erlassung des aufgehobenen Bescheides (vom 11. Mai 2011, Zl. VwSen-720299/2/Gf/Mu) maßgebliche, sondern vielmehr die im Zeitpunkt der Erlassung des gegenständlichen Ersatzbescheides aktuell bestehende Sach- und Rechtslage anzuwenden sei.

 

Abgesehen davon, dass zwischenzeitlich ein Zeitraum von nahezu zwei Jahren vergangen sei, in dem sich in Bezug auf die zu erstellende Gefährdungsprognose maßgebliche Änderungen im Tatsächlichen ergeben haben könnten, bedeute dies, dass nunmehr jedenfalls die seither vorgenommenen Novellierungen des FPG, insbesondere das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, mit zu berücksichtigen sind.

 

Soweit der VwGH in seinem Erkenntnis vom 19. März 2013, Zl. 2011/21/0152, die Auffassung vertrete, dass einem UVS "gemäß § 66 Abs. 4 zweiter Satz AVG" die Funktion einer Berufungsbehörde zukommt, sodass dieser "eine eigenständige Beurteilung der Gefährdungsprognose ..... vorzunehmen" habe (vgl. die Pkte. 4.2. und 4.3. dieser Entscheidung), vermöge sich der Oö. Verwaltungssenat dieser Rechtsmeinung – weil sie (wie auch die übrigen in diesem Erkenntnis angeführten VwGH-Entscheidungen) den verfassungsrechtlichen Hintergrund völlig außer Betracht lasse – nur eingeschränkt anzuschließen.

 

Denn dazu, dass die Entscheidungsbefugnis des UVS selbst auf einfachgesetzlicher Basis schon durch die "Sache des Berufungsverfahrens" inhaltlich eingeschränkt sei, komme nämlich noch, dass die UVS ausschließlich aus dem Grund eingerichtet wurden, um den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK Rechnung zu tragen. Demzufolge ergibt sich nicht nur aus dieser Verfassungsbestimmung, sondern auch aus Art. 129 B-VG, dass den UVS vorrangig nicht eine behördliche, sondern eine judizielle Funktion zukomme. Die UVS hätten daher nicht die Verwaltung zu "führen", sondern vielmehr die Rechtmäßigkeit des Handelns der Verwaltung zu "kontrollieren" (vgl. zu Art. 6 Abs. 1 EMRK jüngst EGMR v. 4. April 2013, 21565/07, RN 28: "According to the Court's case-law, a 'tribunal' is characterised in the substantive sense of the term by its judicial function ....."; und zu Art. 129 B-VG schon VfGH v. 26. Juni 1997, G 270/96 u.a., Pkt. IV.4.b: "..... wird in der Literatur als Ermächtigung angesehen, 'die UVS auch mit jedweder sonstigen Angelegenheit zu betrauen, sofern dies im Rahmen der Zielvorgaben der Art. 129 bis 129b B-VG erfolgt'".

 

Im Ergebnis bedeute dies, dass der Kern der inhaltlichen Rechtsgestaltung – und zwar insbesondere dort, wo der Gesetzgeber eine Ermessens-, Prognose- oder Verhältnismäßigkeitsentscheidung vorsieht – bei der Behörde verbleiben müsse.

 

Dies ergebe sich zudem schließlich auch daraus, dass die UVS nicht in den Instanzenzug der allgemeinen staatlichen Verwaltung eingegliedert sind, sondern eben erst nach dessen Erschöpfung zu entscheiden haben (vgl. Art. 129a Abs. 1 B‑VG).

 

Vor diesem verfassungsrechtssystematischen Hintergrund sowie deshalb, weil im gegenständlichen Fall zwischenzeitlich jedenfalls entsprechende Änderungen der Rechtslage eingetreten seien und zudem nicht ausgeschlossen werden könne, dass sich auch maßgebliche Änderungen der Sachlage in Bezug auf die (u.a. auch im Wege einer persönlichen Anhörung des Beschwerdeführers im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu treffende) Gefährdungsprognose bzw. die damit im Zusammenhang stehende Dauer des Aufenthaltsverbotes ergeben haben (deren lückenlose Feststellung dem Oö. Verwaltungssenat mangels entsprechender Ermittlungsorgane und ‑einrichtungen schon faktisch nicht möglich ist), und schließlich auch deshalb, um es der Fremdenpolizeibehörde zu ermöglichen, im Falle einer Berufung gegen ihre künftige Entscheidung einen Widerspruch gemäß § 67h AVG zu erheben, um sich so den zuvor angesprochenen, ihr nach dem Gesetz zukommenden Kern der rechtspolitischen Gestaltungsbefugnis vorzubehalten, sei der gegenständlichen Berufung daher zunächst bloß insoweit stattzugeben gewesen, als der Bescheid des Polizeidirektors der Stadt Linz vom 2. März 2011, Zl. 1068743/FRB, gemäß § 66 Abs. 2 AVG aufzuheben und die Rechtssache der Landespolizeidirektion Oberösterreich zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückzuverweisen war.

 

1.6. Auf Grund einer dagegen erhobenen Amtsbeschwerde der Landespolizeidirektion Oberösterreich hat der VwGH mit Erkenntnis vom 12. September 2013, Zl. 2013/21/0118, auch diese Zurückweisungsentscheidung wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts aufgehoben.

 

Begründend wird dazu ausgeführt, dass in der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 Z. 1 FPG angeordnet werde, dass die Unabhängigen Verwaltungssenate über Berufungen gegen Entscheidungen nach dem FPG zu entscheiden haben. Darauf werde einfachgesetzlich in § 67a Z. 1 AVG Bedacht genommen, wonach die UVS über Berufungen in Angelegenheiten, die ihnen durch die Verwaltungsvorschriften zugewiesen sind, dann gemäß § 66 Abs. 4 AVG in der Sache zu entscheiden haben, wenn die belangte Behörde dem nicht bei der Vorlage der Berufung widerspricht. Davon ausgehend habe der VwGH gegen die vom Oö. Verwaltungssenat vertretene Auffassung, dass die Unabhängigen Verwaltungssenate eher von der Möglichkeit der Kassation Gebrauch machen dürften als andere Behörden, schon im Erkenntnis vom 23. Juli 1998, Zl. 98/20/0175, ausgeführt, dass der Spielraum für eine Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG eher geringer, jedenfalls aber nicht größer sei. Eine kassatorische Entscheidung dürfe daher nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhalts, sondern nur dann getroffen werden, wenn die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Dabei müsse dem Zurückverweisungsbescheid auch entnommen werden können, welche Mängel bei der Sachverhaltsfeststellung unterlaufen bzw. im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unterlaufen sind. Davon ausgehend, dass mangels eines Neuerungsverbotes von einer Partei neu vorgebrachte Tatsachen und Beweise von der Berufungsbehörde zu prüfen sind, reiche aber allein die hypothetische Möglichkeit der Erstattung eines neuen Vorbringens ebensowenig dafür aus, eine Behebung des erstinstanzlichen Bescheides zu begründen, wie Einräumung einer (neuerlichen) Möglichkeit zur Erhebung eines Widerspruchs gemäß § 67h Abs. 1 AVG.

 

1.7. An diese ausschließlich die einfachgesetzliche Rechtslage in ihren Blick nehmende Interpretation ist der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich gemäß § 63 Abs. 1 VwGG gebunden.

 

2. Davon ausgehend hat der Oö. Verwaltungssenat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der Landespolizeidirektion Oberösterreich vorgelegten Akt zu Zl. 10/FRB sowie im Wege der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung am 12. November 2013, zu der als Parteien der Beschwerdeführer und dessen Rechtsvertreter sowie Mag. B als Vertreter der belangten Behörde und die Zeugin M (Lebensgefährtin des Rechtsmittelwerbers) erschienen sind.

 

2.1. Im Zuge dieser Beweisaufnahme wurde folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt:

 

Der Beschwerdeführer, ein deutscher Staatsangehöriger, lebt seit August 2006 unter Inanspruchnahme seiner unionsrechtlichen Freizügigkeit in Österreich.

 

Mit Urteil des LG Wels vom 3. Dezember 2010, Zl. 15 Hv, wurde er für schuldig befunden, "von Ende April 2010 bis um den 07.08.2010" eine in Berlin aufhältige Person damit beauftragt zu haben, "insgesamt etwa 1.400 g Kokain mit einem Reinheitsgehalt von etwa 40% durch bislang unbekannte Kuriere von Deutschland aus- und nach Österreich einzuführen, wobei die Tat hinsichtlich der Aus- und Einfuhr von 600 g Kokain beim Versuch geblieben ist", und "vorschriftswidrig Suchtgift anderen überlassen bzw. zu überlassen versucht" zu haben, und zwar "in einer das 15-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge (großen Menge), indem er in der Zeit von etwa Ende April 2010 bis zuletzt am 09.08.2010 insgesamt etwa 800 g Kokain mit einem Reinheitsgehalt von etwa 40% ..... verkaufte sowie „in der Zeit von etwa April/Mai 2010 bis um den 11.08.2010 vorschriftswidrig Suchtgift in wiederholten Angriffen erworben und besessen" zu haben, wobei er letztere Straftat "ausschließlich zum persönlichen Gebrauch" begangen habe. Hierfür wurde der Rechtsmittelwerber zu einer "Freiheitsstrafe von 2 Jahren" verurteilt, wobei "im Hinblick auf die bisherige Unbescholtenheit und das umfassende Geständnis ..... ein Teil der Freiheitsstrafe von 16 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachzusehen" war.

 

In der Folge befand er sich vom 11. August 2010 bis zum 21. Jänner 2011 in gerichtlicher Haft; die restliche Strafe wurde ihm bedingt nachgesehen.

 

Nach seiner Haftentlassung arbeitete er zunächst ab 14. Februar 2011 bei einer Baufirma, und zwar als Elektroplaner, d.h., er hatte als ausgelernter Elektroinstallateur für diverse Bauwerke die Pläne für deren Elektroinstallation zu erstellen; dabei kam er auf einen monatlichen Nettoverdienst von ca. 1.200 Euro. Um sich auf die Studienberechtigungsprüfung vorzubereiten, beendete er dieses Dienstverhältnis im Mai 2011. Nach Abschluss der Studienberechtigungsprüfung im Jänner 2012 an der X wurde er zu Beginn des Sommersemesters 2012 zum Bachelor-Studium „Informationselektronik“ zugelassen. Um sich dieses Studium finanzieren zu können, arbeitete er ab Ende Mai 2012 (mit Unterbrechungen) bis August 2013 bei der GmbH, wobei er ca. 1.700 Euro netto monatlich verdiente. Seit Beginn des Wintersemesters 2013/14 studiert der Beschwerdeführer im Wege der Fernuniversität Hagen „Informatik“ (Bacherlor-Studium) und seit dem 4. November 2011 ist er gleichzeitig bei der GmbH für ein Bruttogehalt von ca. 2.800 Euro tätig.

 

Der Rechtsmittelwerber wohnt seit dem Jahr 2007 ständig in Österreich. Zunächst lebte er allein in einer Wohnung in X; 2009 ist er nach X umgezogen und seither wohnt er zusammen mit der Zeugin als seiner Lebensgefährtin, und zwar gegenwärtig in einer ca. 85 m2 großen Mietwohnung in der Straße. Diese Partnerschaft besteht seit 2008, wobei seine Lebensgefährtin ebenso wie deren Mutter eine österreichische Staatsbürgerin ist.

In dieser Wohnung leben auch ihr gemeinsamer, mittlerweile vierjähriger Sohn, der in den Kindergarten X geht, und der Sohn seiner Lebensgefährtin, der 11 Jahre alt ist und eine Integrationsschule in X bei X besucht. Zu seinem Stiefsohn, dessen leiblicher Vater sich in der Schweiz niedergelassen hat, pflegt der Beschwerdeführer ein ganz normales Vater-Sohn-Verhältnis.

 

Soweit dem Beschwerdeführer neben seinem Beruf, seinem Studium und seiner Familie noch Zeit bleibt, betätigt er sich hauptsächlich in seinem ca. 5 bis 10 Personen umfassenden, – von seinen Brüdern, die ebenfalls deutsche Staatsangehörige sind, abgesehen – ausschließlich aus österreichischen Staatsbürgern bestehenden Verwandtschafts- und Freundeskreis, wobei er meist von seiner Lebensgefährtin begleitet wird. Neben hobbymäßigem Fußballspielen ist er auch Mitglied in sozial engagierten Vereinen („X“, „X“), in denen er  auch anfallende Aushilfstätigkeiten – wie z.B. Dachdecken – durchführt. Er ist dort allerdings kein Funktionär, sondern nur ein einfaches Vereinsmitglied; einer Freiwilligen Feuerwehr, einer Rettung oder einer ähnlichen Organisation gehört er nicht an.

 

Die Mutter seiner Partnerin wohnt zusammen mit ihrem Lebensgefährten in einer eignen Mietwohnung in der Nähe des Kindergartens X. Sowohl die Mutter als auch deren Lebensgefährte sind infolge einer Querschnittslähmung an den Rollstuhl gefesselt, allerdings soweit als möglich aktiv und mobil; insbesondere betätigen sich beide in Vereinen und beide können auch ein KFZ lenken. Weil die Mutter selbst kochen kann und beide dies auch konsequent ablehnen, werden sie nicht von einem professionellen Hilfsdienst betreut. Dessen ungeachtet ist es jedoch erforderlich, dass entweder der Beschwerdeführer selbst oder seine Lebensgefährtin kontinuierlich mehrmals in der Woche in dieser Wohnung nach dem Rechten sehen oder auch spontan zur Verfügung stehen, um solche Angelegenheiten zu erledigen, die von der Mutter oder deren Lebensgefährten nicht mehr aus eigenem besorgt werden können (z.B. Körperpflege, Verfrachten der Rollstühle in den Kofferraum der KFZ).

 

2.2. Diese Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf den Akteninhalt sowie die jeweils glaubwürdigen, schlüssigen und sowohl in sich als auch wechselseitig widerspruchsfreien Aussagen des Beschwerdeführers und seiner Lebensgefährtin in der öffentlichen Verhandlung, in deren Zuge diese auch vom Vertreter der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogen wurden.  

 

 

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1. Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist u.a. auch gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Ein derartiges persönliches Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, wobei strafrechtliche Verurteilungen allein diese Maßnahmen nicht ohne Weiteres begründen können und vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen nicht zulässig sind.

 

3.2. Als in diesem Sinne einziges die öffentliche Sicherheit gefährdendes persönliches Verhalten des Beschwerdeführers kommt im gegenständlichen Fall die Annahme zum Tragen, dass bei Suchtgiftdelikten, wie diese vom Rechtsmittelwerber begangen wurden, „erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist“ (vgl. VwGH vom 19. März 2013, Zl. 2011/21/0152): Denn der Beschwerdeführer hat Kokainlieferungen von Deutschland nach Österreich organisiert, hier Suchtgifthandel betrieben und auch selbst Kokain konsumiert; dies ist geeignet, eine große Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen herbeizuführen und verstößt gravierend gegen das öffentliche Interesse an der Verhinderung von Suchtgiftkriminalität. Dem gegenüber lässt sich weder aus einer (teil-)bedingten Strafnachsicht noch aus einer bedingten Entlassung aus der Strafhaft etwas gewinnen; vielmehr kann bei gravierender Suchtgiftdelinquenz erst nach einer entsprechend langen Zeit des Wohlverhaltens nach der Haftentlassung auf einen allfälligen Gesinnungswandel geschlossen werden.

 

3.2.1. In diesem Zusammenhang hat zum einen der Rechtsmittelwerber selbst in der öffentlichen Verhandlung überzeugend dargetan, dass er sein Fehlverhalten eingesehen und bereut hat.

 

Von diesem unmittelbaren persönlichen Eindruck abgesehen wird dieser Gesinnungswandel aber auch durch das derzeitige Umfeld, in dem der Beschwerdeführer verankert ist, noch kontinuierlich verstärkt. Dies betrifft zunächst die Sorge für seinen leiblichen Sohn, wobei durchaus nachvollziehbar ist, dass unter der damaligen, durch die gerichtliche Haft bedingten Trennung beide unmittelbar Beteiligten, aber auch die beiden anderen Mitglieder der Kernfamilie  stark gelitten haben; davon ausgehend sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich der damals Zweijährige nunmehr dem Vorschulalter nähert, liegt es auf der Hand, dass ihm der Beschwerdeführer – wie es seine Lebensgefährtin in der öffentlichen Verhandlung ausgedrückt hat – „so etwas nicht wieder antun will“. Dazu kommt, dass der Rechtsmittelwerber nach seiner Verurteilung jeglichen Kontakt zur Suchtgiftszene selbst, aber auch zu einem entsprechend gefahrengeneigten Umfeld konsequent abgebrochen hat: Insbesondere meidet er Discotheken oder sonstige einschlägige Veranstaltungsorte; vielmehr widmet er sich nahezu ausschließlich seiner Familie, seinem Beruf und seinem Studium; in seiner knappen Freizeit betreibt er vorwiegend Sport oder er engagiert sich in sozialen Vereinen; schließlich geht er überhaupt nur mehr gelegentlich aus und befindet sich dabei in aller Regel in Begleitung seiner Lebensgefährtin.

 

3.2.2. Diese Sichtweise wird auch durch die Feststellungen seiner Lebensgefährtin bestätigt, die mehrmals überzeugend darauf hingewiesen hat, dass die Zeit der Haft für ihren Partner emotional sehr belastend war, sodass es schlechthin nicht vorstellbar erscheint, dass dieser in einer ähnlichen Situation – d.h., wenn noch einmal jemand aus der Drogenszene versuchen würde, ihn mit einem lukrativen Angebot zu verleiten  – all das, was er zuvor nicht hatte, sondern sich seit seiner Entlassung mühsam neu aufgebaut hat, aufs Spiel setzen würde; denn die Familie leidet nicht unter Geldsorgen, was sich auch daran zeigt, dass an sich zustehende staatliche Unterstützungsleistungen (für den behinderten Stiefsohn) gar nicht bzw. jedenfalls nicht in vollem Ausmaß in Anspruch genommen werden.

 

3.2.3. Zu betonen ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Vertreter der belangten Behörde dieser Darstellung in der öffentlichen Verhandlung nicht entgegengetreten ist sowie – davon abgesehen – objektiv betrachtet insbesondere auch keine gegenteiligen Ermittlungsergebnisse vorliegen.

 

3.2.4. Davon ausgehend, dass das persönliche Verhalten des Beschwerdeführers aus derzeitiger Sicht sohin nicht geeignet erscheint, in Hinkunft die öffentliche Sicherheit zu gefährden, spricht für das Überwiegen seiner privaten über die öffentlichen Interessen schließlich auch, dass die Trennung des Beschwerdeführers von seiner Familie einen unverhältnismäßigen Eingriff i.S.d. Art. 8 EMRK bewirken würde.

 

Denn nicht nur er selbst und seine Lebensgefährtin, sondern auch die beiden Kinder sind in Österreich sehr gut sozial integriert: Da der ältere Sohn an einer neurologischen Erkrankung mit Wahrnehmungsdefiziten leidet, besucht er als Integrationskind eine Neue Mittelschule in L, in der er speziell gefördert wird, und auch der jüngere Sohn fühlt sich im Kindergarten sehr wohl. Wenn daher der Rechtsmittelwerber das Bundesgebiet verlassen müsste, hätte das – abgesehen von seiner physischen und emotionalen Absenz in einer prägenden Phase der Kindererziehung – für die gesamte Familie einschneidende Konsequenzen; denn seine Lebensgefährtin müsste dann wieder in den Arbeitsprozess einsteigen, was in weiterer dazu führen würde, dass ihr keine Zeit mehr bliebe, sich um die Kinder und ihre Mutter zu kümmern. Würde hingegen die gesamte Familie nach Deutschland übersiedeln, wäre es insbesondere sehr schwierig, für den Stiefsohn eine vergleichbar ideale Bildungseinrichtung zu finden, ganz abgesehen davon, dass ihre Mutter dann vollständig auf fremde Hilfe angewiesen wäre.

 

3.2.5. Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner bereits absolvierten, insbesondere aber auch auf Grund der derzeit intendierten Ausbildung zweifelsfrei sämtliche Qualitäten einer am Arbeitsmarkt stark nachgefragten Fachkraft aufweist.

 

Zusätzlich zum – wie dargetan – ohnehin überwiegenden Interesse des Rechtsmittelwerbers an der weiteren Aufrechterhaltung seines Privat- und Familienlebens kann es daher auch kaum im öffentlichen Interesse gelegen sein, ihn als alleinigen Familienerhalter trotz Nichtbestehens einer aktuellen oder künftigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit zum Verlassen des Bundesgebietes zu verhalten und dadurch die Restfamilie dazu nötigen zu, bisher nicht bezogene Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen.

 

3.1. Da der bisherige Aufenthalt des Beschwerdeführers i.S.d. § 61 Abs. 2 FPG zu keinem Zeitpunkt rechtswidrig war und tatsächlich ein intensives und schutzwürdiges Familien- und Privatleben – das hier zudem nicht zu einem Zeitpunkt, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, sondern bereits vor der strafgerichtlichen Verurteilung des Rechtsmittelwerbers entstanden ist – sowie ein hoher Grad an Integration vorliegt, während andererseits eine solche Maßnahme zur Erreichung keines der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist, erweist sich die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unter den konkreten Umständen des hier vorliegenden Falles sohin gemäß § 61 Abs. 1 FPG als unzulässig.

 

3.2. Der gegenständlichen Berufung war daher gemäß § 66 Abs. 4 AVG stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

 

 

 

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung

 

Gegen diesen Bescheid ist ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig.

 

 

 

 

Hinweis

 

Gegen diesen Bescheid kann jedoch innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Sie muss  – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Die dafür zu entrichtende Eingabegebühr beträgt jeweils 240 Euro.

 

Läuft die Beschwerdefrist mit Ende des 31. Dezember 2013 noch und wurde bis dahin noch keine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben, so kann vom 1. Jänner 2014 bis zum Ablauf des 12. Februar 2014 eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (am 1. Jänner 2014: Landesverwaltungsgericht Oberösterreich) einzubringen.

 

Läuft die Beschwerdefrist mit Ende des 31. Dezember 2013 noch und wurde bis dahin bereits eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben, gilt die Beschwerde als rechtzeitig erhobene Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof bzw. als rechtzeitig erhobene Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

 

Würde dieser Bescheid nach den Bestimmungen des Zustellgesetzes erst nach Ablauf des 31. Dezember 2013 als zugestellt gelten, kann innerhalb von sechs Wochen ab dessen Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.

 

Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und die Revision an den Verwaltungsgerichtshof müssen – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt abgefasst und eingebracht werden. Die dafür zu entrichtende Eingabegebühr beträgt jeweils 240 Euro.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in einer Höhe von 14,30 Euro entstanden; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

Dr.  G r ó f



VwSen-720299/25/Gf/Rt vom 22. November 2013

 

Art.6 EMRK;

Art.8 EMRK;

Art.129 B-VG;

§ 61 FPG;

§ 67 FPG;

§ 63 Abs.1 VwGG;

§ 66 Abs.2 AVG

 

Erkenntnis

 

Im Vorbescheid (vom 17. März 2013, Zl. VwSen-720299/14/Gf/Rt) ist der Oö. Verwaltungssenat unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 EMRK, auf Art. 129 B-VG, auf das Urteil des EGMR vom 4. April 2013, 21565/07, RN 28, und auf das Erkenntnis des VfGH vom 26. Juni 1997, G 270/96, davon ausgegangen, dass eine verfassungskonforme Interpretation des § 66 Abs. 2 AVG ergibt, dass der Kern der inhaltlichen Rechtsgestaltung – und zwar insbesondere dort, wo der Gesetzgeber eine Ermessens-, Prognose- oder Verhältnismäßigkeitsentscheidung vorsieht – bei der Behörde verbleiben müsse; dem ist der VwGH jedoch in seinem auf Grund einer Amtsbeschwerde ergangenen Erkenntnis vom 12. September 2013, Zl. 2013/21/0118, nicht gefolgt; an diese ausschließlich die einfachgesetzliche Rechtslage in ihren Blick nehmende Interpretation ist der Oö. Verwaltungssenat allerdings gemäß § 63 Abs. 1 VwGG dennoch gebunden;

Zusätzlich zum ohnehin überwiegenden Interesse des Rechtsmittelwerbers an der weiteren Aufrechterhaltung seines Privat- und Familienlebens kann es angesichts dessen, dass er auf Grund seiner bereits absolvierten, insbesondere aber auch auf Grund der derzeit intendierten Ausbildung zweifelsfrei sämtliche Qualitäten einer am Arbeitsmarkt stark nachgefragten Fachkraft aufweist, auch kaum im öffentlichen Interesse gelegen sein, ihn als alleinigen Familienerhalter trotz Nichtbestehens einer aktuellen oder künftigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit zum Verlassen des Bundesgebietes zu verhalten und dadurch die Restfamilie dazu nötigen zu, bisher nicht bezogene Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen.

 

Beschlagwortung:

 

Aufenthaltsverbot; Alleinerhalter; Arbeitsmarkt; soziale Integration