Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-101879/10/Bi/Fb

Linz, 14.06.1994

VwSen-101879/10/Bi/Fb Linz, am 14. Juni 1994 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Bissenberger über die Berufung der Frau I, vom 15. März 1994 gegen die Punkte 1) und 2) des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 1. März 1994, VerkR96/18348/1993, wegen Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, aufgrund des Ergebnisses der am 31. Mai 1994 durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird hinsichtlich Punkt 1) Folge gegeben und diesbezüglich das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

In Punkt 2) wird der Berufung hinsichtlich des Schuldspruches keine Folge gegeben und dieser bestätigt, die Geldstrafe jedoch auf 250 S und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 12 Stunden herabgesetzt.

II. Hinsichtlich Punkt 1) entfällt die Leistung jeglicher Verfahrenskostenbeiträge. In Punkt 2) ermäßigt sich der Kostenbeitrag für das erstinstanzliche Verfahren auf 25 S; im Berufungsverfahren ist kein Kostenbeitrag zu leisten.

Rechtsgrundlage:

zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1, 45 Abs.1 Z2 2.

Alternative und 20 VStG, §§ 7 Abs.1 iVm 99 Abs.3a und 4 Abs.1a iVm 99 Abs.2a StVO 1960.

zu II.: §§ 64, 65 und 66 VStG.

Entscheidungsgründe:

zu I.:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck hat in den Punkten 1) und 2) des oben angeführten Straferkenntnisses über die Rechtsmittelwerberin wegen der Verwaltungsübertretungen gemäß 1) §§ 7 Abs.1 iVm 99 Abs.3a StVO 1960 und 2) §§ 4 Abs.1a iVm 99 Abs.2a StVO 1960 Geldstrafen von 1) 1.000 S und 2) 2.000 S und für den Fall der Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafen von 1) 48 und 2) 72 Stunden verhängt, weil sie am 9. Oktober 1993 gegen 21.40 Uhr den PKW in vermutlich alkoholbeeinträchtigtem Zustand auf der Wankhamer Gemeindestraße von Regau in Richtung Wankham bis auf Höhe des Hauses Dornet 1 gelenkt habe, wobei sie es unterlassen habe, 1) auf Höhe des Hauses Preising Nr. 2, Gemeinde Regau, das Fahrzeug so weit rechts zu lenken, wie ihr dies unter Bedachtnahme auf die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs zumutbar und ohne Gefährdung, Behinderung oder Belästigung anderer Straßenbenützer und ohne Beschädigung von Sachen möglich gewesen wäre (sie sei auf die linke Fahrbahnseite geraten und habe die Leitschiene gestreift) und 2) an der Unfallstelle sofort anzuhalten, nachdem sie durch ihr Fahrverhalten an der unter Punkt 1) angeführten Stelle einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verursacht habe.

Gleichzeitig wurde ihr ein anteiliger Verfahrenskostenersatz von 300 S auferlegt.

2. Dagegen hat die Rechtsmittelwerberin fristgerecht Berufung erhoben, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da keine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 51c VStG). Am 31. Mai 1994 wurde eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung in Anwesenheit der Rechtsmittelwerberin, ihres ausgewiesenen Vertreters, sowie der Zeugen RI A durchgeführt.

3. Die Rechtsmittelwerberin macht im wesentlichen geltend, es sei zwar richtig, daß sie auf die linke Straßenseite geraten sei, jedoch sei an der Leitschiene nur geringer Sachschaden entstanden, der mittlerweile liquidiert worden sei. Offenbar sei ein kleines Tier über die Straße gelaufen, sodaß sie das Fahrzeug verreißen mußte. Sie sei nach dem Unfall aus der Kurve herausgefahren, um den Nachfolgeverkehr nicht zu behindern und habe den PKW bereits zum Stillstand gebracht, als das Gendarmeriefahrzeug hinter ihr aufgetaucht sei. Es sei unrichtig, daß sie erst auf Höhe des Hauses Dornet 1 angehalten habe, und es sei ebenso unrichtig, daß dies in einer Entfernung von 700 bis 1.000 m nach der Unfallstelle gewesen sei. Sie bestreite daher die ihr vorgeworfene Fahrerflucht ausdrücklich und ersuche, den angefochtenen Bescheid zu beheben, in eventu Zurückverweisung an die Erstinstanz, in eventu schuldangemessene Herabsetzung der Strafe.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz, sowie Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung, bei der die Rechtsmittelwerberin gehört und die angeführten Zeugen einvernommen wurden.

4.1. Der unabhängige Verwaltungssenat nimmt folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Die Rechtsmittelwerberin ist am 9. Oktober 1993 gegen 21.40 Uhr - Hinweise auf eine unrichtige Feststellung der Unfallzeit ergaben sich aus der mündlichen Verhandlung nicht - als Lenkerin des PKW auf der Wankhamer Gemeindestraße von Regau in Richtung Wankham gefahren, wobei auf Höhe des Hauses Preising 2 laut ihrer Verantwortung und der Aussage des Zeugen ein kleines Tier über die Straße lief, sodaß die Rechtsmittelwerberin das Fahrzeug nach links verriß und mit der dort befindlichen Leitschiene kollidierte. Bei der Streifung wurde die Leitschiene leicht, der PKW der Rechtsmittelwerberin schwer beschädigt.

Die Rechtsmittelwerberin fuhr nach der Kollision mit der Leitschiene laut eigenen Angaben aus der Kurve heraus, wobei diese Fahrtstrecke laut ihren Angaben 10 m, laut den des Zeugen Olbert im Rahmen der mündlichen Verhandlung 200 m, betrug. Die beiden Gendarmeriebeamten gaben an, sie hätten im Zuge der Streifenfahrt bemerkt, daß jemand mit der Leitschiene kollidiert hätte und hätten schließlich auf den extrem langsam fahrenden PKW der Rechtsmittelwerberin aufgeschlossen, und zwar auf Höhe des Hauses Dornet 1. Der Meldungsleger RI L hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung angegeben, er habe die Strecke nochmals ausgemessen und es seien von der Unfallstelle ca 680 bis 690 m gewesen. Daß ein Anhalten an der Unfallstelle erfolgt wäre, wurde auch von der Rechtsmittelwerberin nie behauptet.

Ihre bzw die Aussagen der Gendarmeriebeamten divergieren auch dahingehend, als die Rechtsmittelwerberin angegeben hat, sie habe ohnehin beabsichtigt, stehenzubleiben und die Warnblinkanlage eingeschaltet gehabt, während die beiden Gendarmeriebeamten angegeben haben, das Fahrzeug sei zwar sehr langsam gefahren, habe aber nicht die Alarmblinkanlage eingeschaltet gehabt und sei von ihnen mittels Zeichen mit der Lichthupe angehalten worden.

4.2. In rechtlicher Hinsicht ist auszuführen:

Zu Punkt 1) des Straferkenntnisses:

Beide Meldungsleger haben im Rahmen ihrer zeugenschaftlichen Befragung angegeben, die Rechtsmittelwerberin habe sofort bei der Anhaltung erklärt, die Ursache des Unfalls sei ein kleines Tier, möglicherweise ein Hase gewesen, der im Kurvenbereich überraschend über die Straße gelaufen sei, sodaß sie gezwungen gewesen sei, ihr Fahrzeug nach links auszulenken und schließlich mit der Leitschiene kollidiert habe.

Seitens des unabhängigen Verwaltungssenates besteht kein Anhaltspunkt für Zweifel irgendwelcher Art an der Verantwortung der Rechtsmittelwerberin. Wenn diese aber den PKW "verrissen" hat, um das Tier nicht zu überfahren, ist davon auszugehen, daß ihre Handlung nicht im Sinne des § 7 Abs.1 StVO als Mißachtung der Rechtsfahrordnung anzusehen ist, weil das Auslenken nach links somit nicht vom Willen getragen war und daher auch keine fahrlässige Mißachtung dieser Gesetzesbestimmung anzunehmen ist.

Punkt 1) des Straferkenntnisses war daher unter diesem Gesichtspunkt zu beheben und das Verfahren einzustellen.

Zu Punkt 2) des Straferkenntnisses:

Gemäß § 4 Abs.1 lit.a StVO 1960 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang stehen, wenn sie ein Fahrzeug lenken, sofort anzuhalten.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat die Anordnung, das Fahrzeug sofort anzuhalten, den Zweck, daß der Lenker, nachdem er sich vom Ausmaß des Verkehrsunfalles überzeugt hat, die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen trifft. Der mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang stehende Lenker eines Kraftfahrzeuges kommt der Anhaltepflicht nicht schon dadurch nach, daß er das Fahrzeug kurzfristig an der Unfallstelle zum Stillstand bringt, im übrigen aber, ohne sich um die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen zu kümmern, mit dem Fahrzeug die Unfallstelle wieder verläßt (vgl. Erkenntnis vom 25. Februar 1987, 85/03/0025).

Der Lenker eines an einem Unfall beteiligten Kraftfahrzeuges hat sein Kraftfahrzeug sofort am Unfallort und nicht erst in einiger Entfernung anzuhalten (vgl. VwGH vom 19. Februar 1982, 81/02/0267).

Das Beweisverfahren hat im gegenständlichen Fall zweifellos ergeben, daß die Rechtsmittelwerberin in einer Entfernung von jedenfalls ca 700 m von der Unfallstelle von den Gendarmeriebeamten angehalten wurde, wobei sie selbst nie bestritten hat, an der Unfallstelle direkt nicht angehalten zu haben. In diesem Zusammenhang ist unerheblich, ob die Rechtsmittelwerberin, wie sie selbst behauptet, nur aus der Kurve herausgefahren ist, um auf die rechte Fahrbahnseite zurückzugelangen, zumal selbst dieser Umstand nicht mehr als sofortiges Anhalten iSd § 4 Abs.1 lit.a StVO 1960 zu qualifizieren wäre. Da zum maßgeblichen Zeitpunkt laut übereinstimmenden Aussagen kein Verkehr geherrscht hat, ist auch nicht davon auszugehen, daß durch das Anhalten der Rechtsmittelwerberin an der Unfallstelle eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer bestanden hätte.

Da ein an einem Verkehrsunfall ursächlich beteiligter Fahrzeuglenker entsprechend der Situation an der Unfallstelle auch verpflichtet wäre, diese, um Schäden für den nachfolgenden Verkehr zu verhindern, entsprechend abzusichern, hätte die Rechtsmittelwerberin sich auch davon überzeugen müssen, ob ein Absichern der Unfallstelle im gegenständlichen Fall erforderlich gewesen wäre. Daß sich im Nachhinein herausstellt, daß durch die leichte Beschädigung der Leitschiene eine Absicherung der Unfallstelle nicht erforderlich gewesen wäre, vermag die Rechtsmittelwerberin nicht zu entschuldigen.

Im übrigen handelt es sich bei der Bestimmung des § 4 Abs.1a StVO 1960 um ein Ungehorsamsdelikt iSd § 5 Abs.1 VStG, bei dem Fahrlässigkeit dann ohne weiteres anzunehmen ist, wenn zum Tatbestand der Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.

Dadurch, daß die Rechtsmittelwerberin ihre Fahrt fortgesetzt hat, ist zwar weder ein Schaden noch eine Gefahr eingetreten, jedoch hat diese keinen Umstand geltend gemacht, der ein Verschulden ihrerseits an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift ausschließen würde. Die Rechtsmittelwerberin konnte für ihr Verhalten keinen plausiblen Grund nennen.

Der unabhängige Verwaltungssenat geht daher davon aus, daß die Rechtsmittelwerberin den ihr zur Last gelegten Tatbestand erfüllt und ihr Verhalten als Verwaltungsübertretung zu verantworten hat.

Zur Strafbemessung ist auszuführen, daß die von der Erstinstanz verhängte Strafe insofern überhöht war, als der Rechtsmittelwerberin aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation, verbunden mit der Einnahme starker Medikamente, eine gewisse subjektive Fehleinschätzung der Situation zuzubilligen ist, wobei die einzige und nicht einschlägige Vormerkung in Kürze getilgt ist. Maßgebend war außerdem die finanzielle Situation (die Rechtsmittelwerberin verdient ca 10.000 S netto monatlich und bestreitet davon nicht nur ihren eigenen, sondern auch den Lebensunterhalt ihrer Tochter und ihres Enkelkindes, wobei außerdem Schulden zurückzuzahlen sind).

Gemäß § 20 VStG kann, wenn die Milderungsgründe die Erschwerungsgründe beträchtlich überwiegen, die Mindeststrafe bis zur Hälfte unterschritten werden. Der Strafrahmen des § 99 Abs.2 StVO 1960 reicht von 500 S bis 30.000 S bzw 24 Stunden bis sechs Wochen Ersatzfreiheitsstrafe, sodaß in Anwendung des § 20 VStG von einer Mindeststrafe von 250 S bzw 12 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe auszugehen ist.

Unter Berücksichtigung aller oben angeführten Umstände gelangt der unabhängige Verwaltungssenat zu der Auffassung, daß im gegenständlichen Fall eine außerordentliche Strafmilderung in der Weise, daß die Mindeststrafe tatsächlich bis zur Hälfte unterschritten wird, durchaus gerechtfertigt ist. Erschwerungsgründe liegen nicht vor, sodaß die oben angeführten Umstände, die als Milderungsgründe zu betrachten sind, erheblich überwiegen.

Die nunmehr verhängte Strafe ist auch unter Berücksichtigung general- sowie vor allem spezialpräventiver Überlegungen gerechtfertigt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

zu II.:

Die Verfahrenskostenentscheidung ist gesetzlich begründet.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Mag. Bissenberger