Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-102045/2/Bi/Fb

Linz, 11.10.1994

VwSen-102045/2/Bi/Fb Linz, am 11. Oktober 1994 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Bissenberger über die Berufung des M, vom 7. Juni 1994 gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf/Krems vom 19. Mai 1994, VerkR96/6609/1993/Bi/Hu, wegen Übertretung des Eisenbahngesetzes 1957, aufgrund des Ergebnisses der am 27. September 1994 durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird insofern Folge gegeben, als der Spruch wie folgt geändert wird: "Sie haben .... Eisenbahnanlagen der Pyhrnbahn .... ohne im Besitz einer Erlaubniskarte zu sein betreten, obwohl das Betreten der Eisenbahnanlage an dieser Stelle nur mit einer von Eisenbahnunternehmen ausgestellten Erlaubniskarte gestattet ist ....", jedoch von der Verhängung einer Strafe abgesehen und eine Ermahnung erteilt wird.

II. Verfahrenskostenbeiträge sind nicht zu entrichten.

Rechtsgrundlage:

zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1, 51i und 21 Abs.1 VStG, §§ 43 Abs.1 iVm 54 Abs.1 EisenbahnG 1957 idgF.

zu II.: §§ 64 und 65 VStG.

Entscheidungsgründe:

zu I.:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf/Krems hat mit dem oben angeführten Straferkenntnis über den Beschuldigten wegen der Verwaltungsübertretung gemäß §§ 43 Abs.1 iVm 54 Abs.1 EisenbahnG 1957 eine Geldstrafe von 1.000 S und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 24 Stunden verhängt, weil er am 29. Oktober 1993 um 9.15 Uhr Eisenbahnanlagen der Pyhrnbahn, Bahnkm 65,618, im Gemeindegebiet von St. Pankraz betreten habe, obwohl das Betreten von Eisenbahnanlagen mit Ausnahme der hiefür bestimmten Stellen nur mit einer von Eisenbahnunternehmen ausgestellten Erlaubniskarte gestattet sei. Gleichzeitig wurde ihm ein Verfahrenskostenbeitrag von 100 S auferlegt.

2. Dagegen hat der Rechtsmittelwerber fristgerecht Berufung erhoben, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da keine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 51c VStG).

Am 27. September 1994 wurde an Ort und Stelle eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung in Anwesenheit des Parteienvertreters Mag. R sowie der Zeugen Obstlt. G, BI S und des Bahnhofsvorstandes des Bahnhofes Steyrling, R durchgeführt. Ein Vertreter der Erstinstanz ist nicht erschienen.

3. Der Rechtsmittelwerber führt in der Berufung im wesentlichen aus, im gegenständlichen Fall sei eine Erlaubniskarte nicht erforderlich gewesen, weil die Eisenbahnbrücke gleichzeitig als Weg diene und so konstruiert sei, daß ein Nebeneinander von Personen und Zugverkehr ohne Behinderung möglich sei.

Er legt weiters den Zweck der in Rede stehenden Demonstration dar und macht geltend, er habe mit seiner Handlung jedenfalls in öffentlichem Interesse gehandelt und sei durch das Bundesverfassungsgesetz über den umfassenden Umweltschutz, BGBl.Nr. 491/1984, gerechtfertigt. Beantragt wird die Einholung eines Klimagutachtens über die CO 2 -Zunahme bedingt durch den Bau von neuen Autobahnstrecken, die Durchführung eines Ortsaugenscheines an der Eisenbahnbrücke sowie seine und die zeugenschaftliche Einvernahme des Anzeigers.

Weiters wendet er ein, daß die Strafe nicht mit den Bestimmungen des § 19 VStG vereinbar sei, weil seine finanziellen Verhältnisse nicht berücksichtigt worden seien.

Der Rechtsmittelwerber ist Angestellter mit einem monatlichen Brottoeinkommen von unter 15.000 S. Beantragt wird die Aufhebung des Erkenntnisses und Einstellung des Verfahrens, in eventu der Ausspruch einer Ermahnung, in eventu die Verhängung der gesetzlichen Mindeststrafe.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz sowie Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung mit Ortsaugenschein am 27. September 1994.

4.1. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Am 29. Oktober 1993 gegen 9.15 Uhr hat im Rahmen einer von Herrn W S organisierten Demonstration der Umweltschutzorganisation Greenpeace der Rechtsmittelwerber gemeinsam mit 20 weiteren Aktivisten die Eisenbahnbrücke der Pyhrnbahn im Gemeindegebiet von St. Pankraz bei Bahnkm 65,618 betreten. Eine Bewilligung der Österreichischen Bundesbahnen zum Betreten der Eisenbahnbrücke bzw der Bahnanlage lag nicht vor. Die Medien waren von der Demonstration informiert; der ORF hat darüber berichtet.

Wie der Ortsaugenschein zweifelsfrei ergeben hat, weist der Bereich der Eisenbahnbrücke keine erkennbare bauliche Beschaffenheit im Sinne einer Einbindung in den Verkehrsraum einer öffentlichen Straße auf, wobei überhaupt nur Fußgänger in Betracht kommen könnten. Eventuell auf der Brücke befindliche Personen sind beim Vorbeifahren eines Zuges gezwungen, sich an das Brückengeländer zu drücken, um dabei nicht gefährdet zu werden, da zwischen einem vorbeifahrenden Zug und dem Geländer nur ca 1 m Freiraum verbleibt. Auch der Bahndamm läßt einen Fußweg nicht erkennen.

Im Rahmen der Demonstration wurde ein etwa 25 x 15 m großes Transparent mit der Aufschrift "Stop Klimakiller Pyhrn" auf der der Pyhrnpaßbundesstraße zugewandten Seite der Brücke angebracht und an dieser mit Seilen fixiert. Um 10.12 Uhr traf der bereits gegen 9.15 Uhr von der Verkehrsaußenstelle des Landesgendarmeriekommandos für Oberösterreich von der beabsichtigten Demonstration informierte Bezirksgendarmeriekommandant Obstlt. G gemeinsam mit anderen Gendarmeriebeamten bei der Eisenbahnbrücke ein und stellte fest, daß sich insgesamt 21 mit gelber Schutzkleidung bekleidete Demonstranten auf der Eisenbahnbrücke nahe dem Brückengeländer aufhielten. Einige Personen hatten sich vom Brückengeländer abgeseilt, um das Transparent, das durch den Wind stark aufgebläht wurde, an den Brückenpfeilern zu befestigen und damit ein Hochwirbeln zur Oberleitung zu verhindern. Zwei Demonstranten führten vom Bahndamm beiderseits der Brücke her einen Sicherungsdienst durch, um eine Gefährdung der auf der Brücke befindlichen Personen durch den Zugsverkehr auszuschließen. Diese Vorgangsweise war derart professionell, daß eine Gefährdung der Demonstranten oder des Eisenbahnverkehrs ausgeschlossen war.

In der Zeit von 9.15 Uhr bis 10.30 Uhr passierten laut Zugmeldebuch des Bahnhofes Steyrling sechs Züge die Strecke.

Eine Beeinträchtigung des Eisenbahnverkehrs war deshalb nicht gegeben, weil der Bereich zwischen den Bahnhöfen Hinterstoder und Steyrling mit einer Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h passiert wird. Eine Reduzierung der Fahrgeschwindigkeit mußte seitens der ÖBB nicht angeordnet werden.

Der Aufforderung des Zeugen Obstlt. G, die Demonstration zu beenden, wurde seitens des Verantwortlichen, Herrn S, unverzüglich Folge geleistet und das Transparent von den Demonstranten eingeholt, sodaß Zwangsmaßnahmen nicht erforderlich waren. Die Einhebung der Personaldaten der auf der Brücke anwesenden Personen erfolgte durch mehrere Gendarmeriebeamte, im gegenständlichen Fall durch den Zeugen BI Z, der erst um 10.30 Uhr dort eintraf.

Der Veranstaltungszweck diente dem Hinweis auf die globale Problematik der CO 2 -Emissionen, wobei dies in entsprechend medienwirksamer Weise zum Ausdruck kommen sollte. Dem Berufungsvorbringen war somit dahingehend zu folgen, daß diese Veranstaltung von grundrechtlich geschützten Motiven getragen war. Die Eisenbahnbrücke wurde sohin lediglich als Transparentträger zur mediengerechten visuellen Übermittlung einer politischen Botschaft verwendet.

Das entscheidungsrelevante Beweisergebnis stützt sich auf die Aussagen des Zeugen Obstlt. G im Rahmen der an Ort und Stelle durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung sowie die Angaben der Zeugen R und BI Z. Die Aussagen der Zeugen waren in jeder Richtung hin ausgewogen, an deren objektiver Richtigkeit war nicht zu zweifeln. Für das Berufungsvorbringen, es sei ein Irrtum in der Anzeigelegung betreffend die namentliche Erfassung der Beteiligten unterlaufen, ließen sich keinerlei schlüssige Anhaltspunkte finden. Aufgrund der Besichtigung der Eisenbahnbrücke steht für den unabhängigen Verwaltungssenat fest, daß entgegen der Berufungsverantwortung von einem Weg über die Eisenbahnbrücke keine Rede sein kann - auch wenn laut Angaben des Zeugen Radlingmayr schon Personen die Brücke widerrechtlich passiert haben -, andererseits ist aber auch davon auszugehen, daß mit dem hier zur Anzeige gelangten Vorfall keinerlei Gefährdung für Personen und keine Behinderung des Eisenbahnverkehrs gegeben war.

4.2. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

Gemäß § 43 Abs.1 EisenbahnG 1957 ist das Betreten von Eisenbahnanlagen, mit Ausnahme der hiefür bestimmten Stellen, nur mit einer von Eisenbahnunternehmen ausgestellten Erlaubniskarte gestattet. Eine Zuwiderhandlung gegen diese Bestimmung ist gemäß § 54 Abs.1 leg.cit. mit einer Geldstrafe bis zu 10.000 S bzw bis zu zwei Wochen Ersatzfreiheitsstrafe zu bestrafen.

Gemäß § 5 Abs.1 VStG genügt, wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nicht anderes bestimmt, zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.

Im gegenständlichen Fall kann schon aufgrund der äußeren Umstände von einer bloß fahrlässigen Begehung nicht ausgegangen werden, sodaß sich gemäß § 5 Abs.2 VStG noch die Frage der entschuldigenden Unkenntnis der Verwaltungsvorschrift stellt. Abgesehen davon, daß ein derartiges Vorbringen nicht erhoben wurde, entschuldigt Unkenntnis einer Verwaltungsvorschrift nur dann, wenn sie erwiesenermaßen unverschuldet ist, und der Täter das Unerlaubte seines Verhaltens ohne Kenntnis der Verwaltungsvorschrift nicht einsehen konnte.

Angesichts der großangelegten und professionell durchgeführten Demonstration war aber davon auszugehen, daß die Übertretung des Eisenbahngesetzes durch sämtliche Teilnehmer - somit auch durch den Rechtsmittelwerber - zumindest in Kauf genommen wurde. Jedermann muß naheliegend erscheinen, daß man sich angesichts einer derartigen Verantstaltung zumindest mit dem Eisenbahnunternehmen in Verbindung setzt und sich damit auch über allfällig zu beachtende rechtliche Vorschriften informiert. Dies ist hier offensichtlich nicht geschehen.

Der unabhängige Verwaltungssenat gelangt daher zu der Auffassung, daß der Rechtsmittelwerber den ihm zur Last gelegten Tatvorwurf erfüllt und sein Verhalten als Verwaltungsübertretung zu verantworten hat.

Die abgeänderte Formulierung des Spruches war zur Erfassung sämtlicher Tatbestandselemente notwendig, zumal der Spruch des Straferkenntnisses nicht ersehen ließ, daß der Rechtsmittelwerber nicht im Besitz einer Erlaubniskarte war.

Die dieses Tatbestandselement enthaltende Anzeige wurde als Teil des Verfahrensaktes dem Rechtshilfeersuchen vom 17.

Dezember 1993 angeschlossen und gelangte im Rahmen des Parteiengehörs dem rechtsfreundlichen Vertreter des Rechtsmittelwerbers am 19. Jänner 1994, also innerhalb der sechsmonatigen Verfolgungsverjährungsfrist, zu Kenntnis. Die nunmehr vorgenommene Spruchkorrektur war daher zulässig.

Zur Strafbemessung ist zunächst auszuführen, daß nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes eine Bestrafung nach dem EisenbahnG keine unzulässige Einschränkung des Grundrechtes der Versammlungsfreiheit bzw des Rechts auf freie Meinungsäußerung darstellt (vgl Entscheidung vom 1.

März 1993, B 57/80).

Gemäß § 21 Abs.1 VStG kann die Behörde, wenn das Verschulden geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind, von der Verhängung einer Strafe absehen. Sie kann jedoch den Beschuldigten unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid ermahnen, sofern dies erforderlich ist, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen gleicher Art abzuhalten.

Nach Auffassung des unabhängigen Verwaltungssenates liegen im gegenständlichen Fall beide Voraussetzungen insofern vor, als zum einen die Übertretung keinerlei Folgen hatte, und zum anderen das Verschulden insbesondere deshalb als geringfügig erachtet wird, weil das tatbestandsmäßige Verhalten in der Ausübung eines Grundrechtes (in Betracht kommen hiebei die Art. 10 und 11 der Menschenrechtskonvention) geschehen ist. Die Durchführung einer Demonstration rechtfertigt sicher nicht die Verletzung anderer Rechtsvorschriften, erfordert aber, dies im Rahmen der Verschuldensprüfung zu berücksichtigen. Der Ausspruch einer Ermahnung erschien angesichts des hier zu beurteilenden Sachverhalts - die Begehung der Verwaltungsübertretung erfolgte aus achtenswerten Gründen - als das angemessenste Mittel. Einerseits soll damit nicht übersehen werden, daß Kundgebungen zu einem globalen Anliegen insbesondere der Einbindung des Mediums Fernsehen bedürfen, damit diese überhaupt ihre Wirkung erzielen, sohin einer entsprechenden "Aufmachung" bedürfen. Andererseits dürfen dadurch gesetzliche Vorschriften nicht mißachtet werden. Dem in diesem Zusammenhang deutlich werdenden Interessenswiderstreit soll in dieser Entscheidung ausgewogen Rechnung getragen werden.

Der Ausspruch einer Ermahnung scheint dem unabhängigen Verwaltungssenat geeignet, den Rechtsmittelwerber in geeigneter Weise auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens aufmerksam zu machen und ihn von weiteren derartigen Übertretungen abzuhalten.

zu II.:

Der Kostenausspruch ist gesetzlich begründet.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Mag. Bissenberger

 

 

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