Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-102104/2/Ki/Shn

Linz, 18.07.1994

VwSen-102104/2/Ki/Shn Linz, am 18. Juli 1994 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Alfred Kisch über die Berufung der A vom 21. Juni 1994 gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau/Inn vom 6. Juni 1994, Zl.VerkR96/19043/1993/Li, zu Recht erkannt:

I: Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verfahren eingestellt.

II: Es entfällt die Verpflichtung zur Leistung jeglicher Verfahrenskostenbeiträge.

Rechtsgrundlage:

zu I: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 und 45 Abs.1 Z1 VStG zu II: § 66 Abs.1 VStG Entscheidungsgründe:

1.1. Die Bezirkshauptmannschaft Braunau/Inn hat mit dem nunmehr angefochtenen Straferkenntnis vom 6. Juni 1994, VerkR96/19043/1993/Li, über die Berufungswerberin wegen einer Verwaltungsübertretung nach § 20 Abs.1 StVO gemäß § 99 Abs.3 lit.a StVO eine Geldstrafe von 1.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe 48 Stunden) verhängt, weil sie am 15.10.1993 um 08.50 Uhr den PKW , auf der Grillhamer Bezirksstraße in Richtung Uttendorf gelenkt und bei Strkm 4,322 im Ortsgebiet Heitzing, Gemeinde Helpfau-Uttendorf, die Fahrgeschwindigkeit von ca 50 km/h nicht den Straßen- und Sichtverhältnissen angepaßt hat, zumal sie nicht auf halbe Sicht fuhr und in der unübersichtlichen Rechtskurve bei Ansichtigwerden des entgegenkommenden LKW's auf der nassen Fahrbahn ins Rutschen geriet und vor dem LKW nicht mehr anhalten konnte. Außerdem wurde sie gemäß § 64 VStG zur Leistung eines Beitrages zu den Kosten des Strafverfahrens in Höhe von 10 % der Strafe (100 S) verpflichtet.

1.2. Dagegen hat die Berufungswerberin durch ihre ausgewiesenen Vertreter fristgerecht bei der Erstbehörde berufen und Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtige Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung sowie unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht.

Im wesentlichen führt sie aus, daß nach den Beweisergebnissen des Strafverfahrens eine höhere Geschwindigkeit als 46 km/h nicht erweislich sei. Nach den Ausführungen des Sachverständigen würde eine angenommene Geschwindigkeit von 50 km/h jedoch dem Gebot des Fahrens auf halbe Sicht entsprechen.

Der unabhängige Verwaltungssenat für das Land Oberösterreich möge daher der Berufung Folge geben, das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau ersatzlos beheben und das Verfahren einstellen.

1.3. Die Erstbehörde hat, ohne von der Möglichkeit einer Berufungsvorentscheidung Gebrauch zu machen, die Berufung samt Verfahrensakt dem O.ö. Verwaltungssenat zur Entscheidung vorgelegt und damit dessen Zuständigkeit ausgelöst. Dieser hat, weil weder eine primäre Freiheitsstrafe noch eine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch ein Einzelmitglied zu entscheiden.

Eine öffentliche mündliche Verhandlung war nicht anzuberaumen, da sich bereits aus der Aktenlage eindeutige Anhaltspunkte für die spruchgemäße Entscheidung ergeben und überdies seitens der Berufungswerberin auf die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung ausdrücklich verzichtet wurde (§ 51e Abs.1 VStG).

1.4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

Gemäß § 20 Abs.1 StVO 1960 hat der Lenker eines Fahrzeuges die Fahrgeschwindigkeit den gegebenen oder durch Straßenverkehrszeichen angekündigten Umständen, insbesondere den Straßen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen, sowie den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen. Er darf auch nicht so schnell fahren, daß er andere Straßenbenützer oder an der Straße gelegene Gegenstände beschmutzt oder Vieh verletzt, wenn dies vermeidbar ist. Er darf auch nicht ohne zwingenden Grund so langsam fahren, daß er den übrigen Verkehr behindert.

Unbestritten ist zunächst davon auszugehen, daß die Berufungswerberin zur Tatzeit in einen Verkehrsunfall verwickelt wurde, indem sie auf einer ca 3,5 m breiten Fahrbahn mit einem entgegenkommenden Kraftwagenzug kollidierte. Auf Grund der geringen Fahrbahnbreite hatte die Beschuldigte im Sinne des zitierten § 20 Abs.1 StVO 1960 ihre Fahrgeschwindigkeit derart einzuschränken, daß sie innerhalb der halben Sichtweite (Fahren auf halbe Sicht) ihr Fahrzeug zum Stillstand bringen konnte.

Die belangte Behörde hat ihrer Entscheidung ein Gutachten des allgemein gerichtlich beeideten Sachverständigen Dipl.Ing. Dr. H, welches dieser anläßlich einer wegen des Unfalles durchgeführten strafrechtlichen Hauptverhandlung am 1. März 1994 erstellt hat, zugrundegelegt. Der Sachverständige führt in seinem Gutachten aus, daß die Kollisionsgeschwindigkeit des von der Berufungswerberin gelenkten PKW's bis 35 km/h betragen habe.

Es sei von ihrem PKW kurz vor der Unfallstelle noch eine Bremsspur abgezeichnet worden und ergebe sich damit eine rekonstruierbare Bremsausgangsgeschwindigkeit von 46 km/h.

Nehme man die Annäherungsgeschwindigkeit, wie sie auf Grund der Spur rückermittelbar ist von 46 km/h, so ergebe sich ein theoretischer Reaktionspunkt von 1,4 sec bzw 10 m vor der späteren Unfallstelle und unter Berücksichtigung der Zeitgleichheit einerseits und der im Unfallbereich gegebenen Sichtverhältnisse von insgesamt 58 m, daß hier eine verspätete Reaktion bei ihr im Bereiche von 1,1 bis 1,0 sec vorgelegen habe. Rechne man, nachdem in ihrem Bereiche die Fahrbahn naß war, daß sie unmittelbar mit einer Vollbremsung auf das Auftauchen des LKW-Zuges reagiert habe, so komme man auf eine Geschwindigkeit in einem Bereich von knapp unter 60 km/h, wenn keine verspätete Reaktion vorgelegen habe. Es würden sich also zwei Möglichkeiten ergeben. Entweder sei die Annäherungsgeschwindigkeit im Bereich knapp unter 60 km/h gewesen, dann läge keine verspätete Reaktion vor, oder die Annäherungsgeschwindigkeit sei bei 46 km/h gelegen, dann liege die genannte verspätete Reaktion vor. Natürlich sei auch dazwischen liegend eine geringe verspätete Reaktion und eine Geschwindigkeit von 46 bis 60 km/h technisch möglich.

Im Unfallsbereich bestehe auf Grund der Fahrbahnbreite aus technischer Sicht das Gebot "Fahren auf halbe Sicht". Es sei ein Passieren der beiden Fahrzeuge an der Unfallstelle technisch nicht möglich, wenn nicht eines der Fahrzeuge vorerst die Fahrbahn verlasse. Die Grenzgeschwindigkeit wäre in Fahrtrichtung der Berufungswerberin 50 km/h.

Abschließend führt der Sachverständige aus, daß die Annäherungsgeschwindigkeit der Berufungswerberin entweder über der Grenzgeschwindigkeit entsprechend dem Gebot "Fahren auf halbe Sicht" gelegen sei oder die Ursache des gegenständlichen Unfallgeschehens in einer verspäteten Reaktion ihrerseits liege.

Diese gutächtlichen Feststellungen sind nach Auffassung des unabhängigen Verwaltungssenates schlüssig und stehen nicht mit den Erfahrungen des Lebens und den Denkgesetzen in Widerspruch, weshalb keine Bedenken bestehen, das Gutachten der Entscheidung zugrundezulegen.

Zunächst ist festzustellen, daß nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" auch im Verwaltungsstrafverfahren das für die Beschuldigte günstigste Verfahrensergebnis der Entscheidung zugrundezulegen ist. Verbleiben nach Durchführung aller Beweise trotz eingehender Beweiswürdigung Zweifel an der Täterschaft der Beschuldigten, hat nach dem genannten Grundsatz ein Freispruch zu erfolgen.

Nach dem vorliegenden Sachverständigengutachten ist im gegenständlichen Fall eine Bremsausgangsgeschwindigkeit zwischen 46 km/h und 60 km/h möglich. Eine genauere Festlegung ist aus dem Gutachten nicht abzuleiten. Nachdem, wie der Gutachter ebenfalls dargelegt hat, im vorliegenden Falle vor der Unfallstelle die Grenzgeschwindigkeit im Hinblick auf das Gebot ("Fahren auf halbe Sicht") 50 km/h beträgt, wäre die Beschuldigte bei einer laut Gutachten möglichen Geschwindigkeit von 46 km/h diesem Gebote nachgekommen. Da somit nicht erwiesen werden kann, daß die Berufungswerberin beim Ansichtigwerden des entgegenkommenden Kraftwagenzuges schneller als 50 km/h gefahren ist, ist von der für sie günstigsten Annahme von 46 km/h auszugehen.

Demnach kann der unabhängige Verwaltungssenat nicht mit Sicherheit von der Richtigkeit des Tatvorwurfes überzeugt werden.

Zur Argumentation der belangten Behörde, wonach bei der Teilnahme im Straßenverkehr Aufmerksamkeit, Geschwindigkeit und Sichtverhältnisse in einem derart unzertrennlichen Zusammenhang stehen, daß nur das richtige Verhältnis dieser drei Komponenten der Vorschrift des § 20 gerecht wird, bzw ein Minus eines dieser Faktoren durch ein Plus eines anderen ausgeglichen werden muß, ist festzustellen, daß diese Aussage auf den vorliegenden Fall nicht angewendet werden kann. Es ist zwar richtig, daß ein Fahrzeuglenker bei der Wahl der iSd § 20 Abs.1 StVO 1960 angepaßten Fahrgeschwindigkeit auch auf seine persönliche Verfassung Bedacht zu nehmen hat. Aus dem vorliegenden Verfahrensakt ergeben sich aber keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die Beschuldigte aus irgendeinem Grunde zum Unfallszeitpunkt nicht entsprechend leistungsfähig gewesen wäre.

Das Gebot, die Fahrgeschwindigkeit den gegebenen Umständen anzupassen, kann jedoch nicht dazu führen, allfällige nicht vorhersehbare Fahrfehler bereits zu berücksichtigen. Unter diesem Aspekt kann sohin eine allfällige verzögerte Reaktion nicht zu einer Bestrafung nach § 20 Abs.1 StVO 1960 führen.

Nachdem auf Grund der dargelegten Erwägungen der Beschuldigten die vorgeworfene Verwaltungsübertretung nicht nachgewiesen werden kann, war der Berufung Folge zu geben und das Strafverfahren gegen sie einzustellen.

II: Der Kostenausspruch stützt sich auf die im Spruch angeführte gesetzliche Bestimmung.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Mag. K i s c h

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