Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-104041/2/Bi/Fb

Linz, 21.10.1996

VwSen-104041/2/Bi/Fb Linz, am 21. Oktober 1996 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Bissenberger über die Berufung des Herrn J S, S, S, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. J P, S, M, vom 2. Oktober 1996, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau/Inn vom 12. September 1996, VerkR96-14405-1996-Kb, wegen Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis in beiden Punkten vollinhaltlich mit der Maßgabe bestätigt, daß der Rechtsmittelwerber die Zufahrtsstraße zum Haus S Nr. 6 in Richtung S Bezirksstraße befahren hat.

II. Der Rechtsmittelwerber hat zusätzlich zu den Verfahrenskosten der Erstinstanz den Betrag von 320 S, ds jeweils 20 % der verhängten Geldstrafen, als Kostenbeitrag zum Rechtsmittelverfahren zu leisten.

Rechtsgrundlage:

zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1, 44a Z1 und 19 VStG, §§ 4 Abs.1 lit.a und 4 Abs.2 2.Satz jeweils iVm 99 Abs.2 lit.a StVO 1960.

zu II.: § 64 Abs.1 und 2 VStG.

Entscheidungsgründe:

zu I.:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Braunau/Inn hat mit dem oben angeführten Straferkenntnis über den Beschuldigten wegen der Verwaltungsübertretungen gemäß 1) §§ 4 Abs.1 lit.a iVm 99 Abs.2 lit.a StVO 1960 und 2) §§ 4 Abs.2 iVm 99 Abs.2 lit.a StVO 1960 Geldstrafen von 1) und 2) jeweils 800 S und für den Fall der Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafen von 1) und 2) jeweils 36 Stunden verhängt, weil er am 21.

Dezember 1995 um ca 18.30 Uhr den PKW, Kennzeichen , auf der Zufahrtsstraße zum Haus S in die Kreuzung mit der S Bezirksstraße, Gemeinde S, gelenkt habe und 1) nach einem Verkehrsunfall, mit dem sein Verhalten am Unfallort in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei, das von ihm gelenkte Fahrzeug nicht sofort angehalten habe und 2) habe er es unterlassen, nach einem Verkehrsunfall mit Personenschaden, mit dem sein Verhalten am Unfallort in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle sofort zu verständigen.

Gleichzeitig wurde ihm ein Verfahrenskostenbeitrag von insgesamt 160 S auferlegt.

2. Dagegen hat der Rechtsmittelwerber fristgerecht Berufung erhoben, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da keine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 51c VStG). Die Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung erübrigte sich, weil beide Parteien ausdrücklich auf eine solche verzichtet haben (§ 51e Abs.3 VStG).

3. Der Rechtsmittelwerber bezieht sich auf das Strafurteil des Bezirksgerichtes M vom 16. April 1996, U 49/96, und führt aus, daß eine Feststellung, daß er den Unfall der Zeugin tatsächlich bemerkt und aufgrund dieses Unfalls etwa 80 bis 100 m nach der Unfallstelle gebremst hätte, im Zweifel nicht getroffen habe werden können. Dieser Maßstab sei auch im Verwaltungsstrafverfahren anzulegen, zumal der strafgerichtliche Freispruch bedeute, daß ihm mit der erforderlichen Sicherheit nicht nachzuweisen sei, daß er vom Vorliegen des Verkehrsunfalls überhaupt Kenntnis erlangt habe, was nach § 94 StGB ebenso Voraussetzung für die darin enthaltene Verpflichtung sei, wie für die Verpflichtungen nach § 4 StVO 1960.

Die Erstinstanz habe ihre Ansicht nicht begründet, warum er den Verkehrsunfall mitbekommen habe oder bemerken hätte müssen. Er habe diesen tatsächlich weder bemerkt noch be merken müssen und erst durch die Exekutive vom Sachverhalt überhaupt erfahren. Es sei nicht auszuschließen, daß die Zeugin Knauseder durch ein fahrtechnisches Fehlverhalten ihr Fahrzeug nicht auf der Straße halten habe können, was wiederum dafür spreche, daß er zu Recht sein Einfahren in die Vorrangstraße für unbedenklich gehalten habe.

Außerdem liege ein Fall vor, der mit der Bestimmung des § 99 Abs.6 lit.c StVO 1960 gelöst werden könne, wobei im Fall einer Bestätigung des Straferkenntnisses eine Doppelbestrafung vorliege, die analog dem Fall G zu beurteilen sei.

Das Strafverfahren sei aber schon deshalb einzustellen, weil § 99 Abs.6 lit.c idF der 19. StVO-Novelle dem Wortlaut nach so abgeändert worden sei, daß die Absicht des Gesetzgebers, vom Kumulations- zum Absorptionsprinzip überzugehen, zum Ausdruck komme.

Überdies sei zu bedenken, daß er im Alter von 62 Jahren völlig unbescholten sei, sich seit mehr als 4 Jahrzehnten im Straßenverkehr bewährt habe und auch seine positive Einstellung zu den rechtlich geschützten Werten unter Beweis gestellt habe, sodaß ein schwerwiegender Milderungsgrund vorliege, der unter Außerachtlassung des gleichheitswidrigen § 100 Abs.5 StVO die Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung gerechtfertigt hätte.

Er beantragt daher die Einstellung des Verfahrens.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz, dem auch das Urteil des Bezirksgerichtes M vom 16. April 1996, U 49/96, und die diesem zugrundeliegende Verhandlungsschrift vom 16. April 1996 angeschlossen wurde. Da auf dieser Grund lage der zu beurteilende Sachverhalt im wesentlichen feststeht und eine weitere mündliche Verhandlung eine Klärung der bereits im Gerichtsverfahren letztlich nicht zu lösenden Fragen nicht erwarten ließ, wird auch seitens des unabhängigen Verwaltungssenates im Einklang mit den Erklärungen des Rechtsmittelwerbers und der Erstinstanz auf eine solche verzichtet.

Folgender Sachverhalt ist entscheidungswesentlich:

Der Rechtsmittelwerber lenkte am 21. Dezember 1995 um 18.30 Uhr seinen PKW, , von seinem Wohnhaus S 6 zur Kreuzung mit der S Bezirksstraße und beabsichtigte, dort nach links, Richtung M, einzubiegen. Bereits anläßlich der Unfallerhebungen hat er ausgeführt, daß ihm bewußt war, daß aus Richtung S ein PKW mit eingeschaltetem Scheinwerfer Richtung M fuhr, jedoch habe er gedacht, dieser sei noch so weit entfernt, daß er gefahrlos auf die bevorrangte Straße einfahren würde können.

Den übereinstimmenden Aussagen des Rechtsmittelwerbers als auch der Zeugin K, die den aus Richtung S ankommenden PKW lenkte, ist zu entnehmen, daß der Rechtsmittelwerber seinen PKW vor der Kreuzung zum Stillstand bringen mußte, weil aus Richtung M kommend ein weiterer PKW die Kreuzung passierte.

Nachdem er den von links kommenden PKW passieren hatte lassen, setzte der Rechtsmittelwerber seine Fahrt fort und bog nach links in die bevorrangte Straße ein, ohne sich um den PKW K zu kümmern. Die Zeugin leitete, um einen Zusammenstoß zu verhindern, eine Vollbremsung ein und geriet infolge eines Schleudervorganges auf die rechts von der Fahrbahn gelegene Böschung, wo sich der PKW überschlug und auf dem Dach liegenblieb. Nachdem sie den PKW verlassen hatte, konnte sie feststellen, daß beim PKW des Rechtsmittelwerbers in einer Entfernung von etwa 100 m das Aufleuchten der Bremslichter erkennbar war, jedoch setzte dieser seine Fahrt fort. Die Zeugin konnte nur wahrnehmen, daß es sich um einen roten PKW gehandelt hat und im Zuge der Unfallerhebungen wurde in Erfahrung gebracht, daß der Rechtsmittelwerber mit seinem roten PKW zur in Rede stehenden Zeit die Fahrt Richtung M angetreten hatte.

Aufgrund der übereinstimmenden Schilderungen von der Verkehrssituation im gegenständlichen Kreuzungsbereich und dem roten PKW des Rechtsmittelwerbers gelangte das Bezirksgericht M zu der Auffassung, daß der Rechtsmittelwerber den von der Zeugin wahrgenommenen roten PKW gelenkt hat, obwohl der Rechtsmittelwerber während des gesamten Verfahrens bestritten hat, an einem Verkehrsunfall ursächlich beteiligt gewesen zu sein und diesen auch bemerkt zu haben.

Im gerichtlichen Beweisverfahren konnte nicht dezidiert geklärt werden, wie weit der PKW der Zeugin noch vom Kreuzungsbereich der Zufahrtsstraße mit der S Bezirksstraße entfernt war, als der Rechtsmittelwerber seinen Einbiegevorgang begann, zumal die Angaben der Zeugin, sie sei etwa 10 bis 20 m entfernt gewesen, vom kraftfahrtechnischen Sachverständigen Prof. A P nicht nachvollzogen werden konnten.

Dieser hat ausgeführt, daß die Fahrbahnbreite an der Unfallörtlichkeit 5,70 m beträgt und ein von der Zufahrtsstraße kommender PKW-Lenker auf der S Bezirksstraße in Richtung S eine Sicht von mindestens 200 bis 250 m hat. Aufgrund der Tatsache, daß eine Fahrzeugberührung nicht stattgefunden hat und auch keinerlei Spuren festgestellt werden konnten, war dem Sachverständigen eine Berechnung der Distanz der beiden PKW unmöglich.

Die Zeugin hat angegeben, sie hätte ohne Vollbremsung den Beschuldigten-PKW hinten seitlich touchiert, wobei dieser, als sie von der Fahrbahn abgekommen sei, bereits zu zwei Drittel auf der Fahrbahn gewesen sei, nämlich knapp über der Mitte.

Sie habe bei einer Geschwindigkeit von 70 km/h eine Vollbremsung eingeleitet und sei aufgrund der Straßenglätte ins Schleudern und von der Fahrbahn abgekommen. Die Zeugin hat im Rahmen des vom Gericht durchgeführten Ortsaugenscheins laut Verhandlungsschrift in der Natur den Abstand gezeigt, wobei eine Entfernung von ca 20 m ermittelt wurde.

Der Sachverständige hat jedoch ausgeführt, die Einfahrlinie des Beschuldigten-PKW sei nicht objektivierbar und die von der Zeugin angegebene Entfernung von 20 m sei schon deshalb technisch nicht möglich, weil ein Fahrzeug mit 70 bis 75 km/h die 20 m in 1 sec zurückgelegt hätte und das Beschuldigtenfahrzeug in dieser Zeit die rechte Fahrbahnhälfte nicht erreichen hätte können.

Der Rechtsmittelwerber wurde mit dem oben angeführten Urteil wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs.1 StGB zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt, vom Vorwurf des Vergehens des Im-Stich-Lassens eines Verletzten nach § 94 Abs.1 StGB jedoch freigesprochen, wobei dies damit begründet wurde, daß nicht mit Sicherheit festgestellt werden habe können, daß die Bremsung, die der Rechtsmittelwerber etwa 80 bis 100 m nach der Einfahrstelle auf geradliniger Fahrbahn vorgenommen hat, tatsächlich aufgrund des zuvor erfolgten Unfalls der Zeugin getätigt worden sei.

Es sei somit im Zweifel nicht festzustellen gewesen, daß der Beschuldigte den Unfall der Zeugin tatsächlich auch bemerkt hat.

In rechtlicher Hinsicht hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

Gemäß § 4 Abs.1 lit.a StVO 1960 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, wenn sie ein Fahrzeug lenken, sofort anzuhalten.

Gemäß § 4 Abs.2 zweiter Satz haben die im Abs.1 genannten Personen, wenn bei einem Verkehrsunfall Personen verletzt worden sind, ferner die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle sofort zu verständigen.

Für den unabhängigen Verwaltungssenat steht unzweifelhaft und auch vom Rechtsmittelwerber unbestritten fest, daß er den PKW zum damaligen Zeitpunkt gelenkt und das in der Sachverhaltsdarstellung (siehe oben) angeführte Fahrverhalten gesetzt hat. Gleichzeitig besteht für den unabhängigen Verwaltungssenat kein Zweifel daran, daß die Zeugin das oben geschilderte Bremsmanöver aufgrund des Einbiegevorgangs des Rechtsmittelwerbers eingeleitet hat, sodaß, denkt man sich dieses Einbiegemanöver weg, damit auch die Einleitung der Vollbremsung, der Schleudervorgang und der Verkehrsunfall wegfallen würde. Das Verhalten des Rechtsmittelwerbers ist also als unfallkausal im Hinblick auf den Verkehrsunfall mit Sach- und Personenschaden anzusehen, zumal die Zeugin bei dem Verkehrsunfall eine Prellung, einen Bluterguß und eine Verletzung des Schleimbeutels am linken Knie erlitten hat.

Ebenso unbestritten ist, daß der Rechtsmittelwerber in objektiver Hinsicht seine Fahrt nach Setzung eines dem Grunde nach nicht näher zu qualifizierenden Bremsvorganges in einiger Entfernung von der Kreuzung in einem fortgesetzt hat, ohne sich in irgendeiner Weise um die Zeugin zu kümmern. Er hat zweifellos auch die nächste Gendarmeriedienststelle vom Unfall nicht verständigt, sondern wurde laut Akteninhalt die Unfallmeldung durch die Zeugin selbst durchgeführt.

Nicht im Rahmen des Verwaltungsstrafverfahrens vorgeworfen wurde dem Rechtsmittelwerber, daß er der verletzten Zeugin nach dem Verkehrsunfall nicht Hilfe geleistet habe. Der diesbezügliche Tatbestand des § 4 Abs.2 erster Satz ist iSd § 99 Abs.6 lit.c leg.cit. vom strafgerichtlichen Vorwurf des Im-Stich-Lassens des Verletzten konsumiert, auch wenn der Rechtsmittelwerber hinsichtlich dieses Anklagepunktes mit dem oben angeführten Urteil des Bezirksgerichtes M freigesprochen wurde.

Der in Rede stehende Tatvorwurf des § 4 Abs.2 zweiter Satz StVO 1960 betrifft die Unterlassung der sofortigen Meldung des Verkehrsunfalls mit Personenschaden an die nächstgelegene Gendarmeriedienststelle und unterscheidet sich daher wesentlich vom strafgerichtlichen Tatvorwurf, sodaß nicht davon ausgegangen werden kann, daß die dem Rechtsmittelwerber im Verwaltungsstrafverfahren vorgeworfene Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklichen könnte. Eine Konsumation des Verwaltungsstraftatbestandes durch den strafgerichtlichen Tatbestand ist daher nicht eingetreten und die vom Rechtsmittelwerber befürchtete Doppelbestrafung schon aus diesem Grund auszuschließen.

Bei der Bestimmung des § 94 Abs.1 StGB handelt es sich zweifellos um ein Vorsatzdelikt, dh dem Verletzer muß bekannt sein, daß er eine Körperverletzung verursacht hat, sein Opfer hilfsbedürftig und Hilfe tatsächlich möglich ist, wobei bereits dolus eventualis ausreicht, dh der Täter hält die Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbildes ernstlich für möglich und findet sich mit ihr ab (siehe Kienapfel:

Grundriß des österreichischen Strafrechts, Besonderer Teil I, S.222, RN 48, iVm § 5 Abs.1 StGB).

Aus diesem Grund hatte das Gericht "lediglich" zu prüfen, ob objektive Hinweise dafür zu finden waren, die beim Rechtsmittelwerber zumindest die Schuldform des dolus eventualis zu begründen vermochten. Diese objektiven Hinweise wurden aus für den unabhängigen Verwaltungssenat im Ergebnis nicht nachvollziehbaren Gründen (ein derartiger Unfallhergang verursacht charakteristische Geräusche bei Vollbremsung und dem Überschlagen des Fahrzeuges, die sogar im Entfernen im PKW wahrzunehmen sein müssen) letztlich verneint und der Rechtsmittelwerber freigesprochen.

Im Gegensatz dazu genügt gemäß § 5 Abs.1 VStG, wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nicht anderes bestimmt, zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten. Bei der Bestimmung des § 4 Abs.1 lit.a StVO 1960 handelt es sich überdies um ein Ungehorsamsdelikt, bei dem zum Tatbestand dieser Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und Fahrlässigkeit dann ohne weiteres anzunehmen ist, wenn der Täter nicht glaubhaft macht, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft (vgl ua VwGH vom 27. Februar 1981, 3407/80).

Die Definition der Fahrlässigkeit findet sich im § 6 Abs.1 StGB. Diese Bestimmung besagt, daß fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht läßt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist und deshalb nicht erkennt, daß er einen gesetzlichen Sachverhalt verwirklichen könnte, der einem gesetzlichen Tatbild ent spricht. Maßstab für das Ausmaß der objektiven Sorgfaltspflicht ist der einsichtige und besonnene Mensch, den man sich in die Lage des Täters versetzt zu denken hat. Objektiv sorgfaltswidrig hat der Täter folglich nur dann gehandelt, wenn sich ein einsichtiger und besonnener Mensch des Verkehrskreises, dem der Handelnde angehört, an seiner Stelle anders verhalten hätte. Nicht aber schon die Versäumung bloßer Sorgfaltsmöglichkeiten, sondern die Verletzung solcher Sorgfaltspflichten, die die Rechtsordnung nach den gesamten Umständen des Falles vernünftigerweise auferlegen darf, machen das Wesen der objektiven Sorgfaltswidrigkeit aus (vgl VwGH vom 12. Juni 1989, 88/10/0169).

Die Außerachtlassung der objektiv gebotenen und subjektiv möglichen Sorgfalt kann dem Täter iSd § 6 Abs.1 StGB nur dann vorgeworfen werden, wenn es ihm unter den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles auch zuzumuten war, sie tatsächlich aufzuwenden (vgl ua VwGH vom 6. März 1981, 235/80).

Der Tatbestand des § 4 Abs.1 lit.a StVO 1960 ist schon dann gegeben, wenn dem Täter objektive Umstände zu Bewußtsein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewußtsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls mit Personen- oder Sachschaden zu erkennen vermocht hätte. Der Lenker muß den Geschehnissen um sein Fahrzeug volle Aufmerksamkeit zuwenden (vgl VwGH vom 14.

Dezember 1988, 88/03/0084). Den Lenker eines Fahrzeuges trifft in bestimmten - etwa in riskanten - Verkehrssituationen die Verpflichtung, erhöhtes Augenmerk darauf zu richten, ob sein Fahrmanöver zu einem Verkehrsunfall geführt hat oder ohne Folgen geblieben ist, weshalb er gegebenenfalls das Geschehen hinter ihm im Rückspiegel seines Kraftfahrzeuges zu beobachten und sich zu vergewissern hat, ob sein Fahrverhalten nicht für einen Verkehrsunfall ursächlich gewesen ist (VwGH vom 28. Juni 1991, 91/18/0102). Eine Beobachtung des Nachfolgeverkehrs ist nicht nur durch einen Blick in den Rückspiegel, sondern auch durch einen Blick über die Schulter möglich (vgl VwGH vom 17. April 1991, 90/02/0209).

Auf den gegenständlichen Fall bezogen geht der unabhängige Verwaltungssenat davon aus, daß der Rechtsmittelwerber vor Beginn seines Linkseinbiegemanövers wahrgenommen hat, daß nicht nur von links Querverkehr zu erwarten war, sondern daß sich auch aus Richtung S kommend ein Fahrzeug mit eingeschaltetem Abblendlicht näherte. Er hat nach Passieren des von links kommenden Fahrzeuges den Einbiegevorgang begonnen, laut eigenen Angaben in der Meinung, das von rechts kommende Fahrzeug sei noch so weit entfernt, daß dieser Einbiegevorgang gefahrlos möglich sein würde.

Tatsächlich durfte aber die Zeugin K aufgrund des Vertrauensgrundsatzes davon ausgehen, daß der wartepflichtige Rechtsmittelwerber den ihr zukommenden Vorrang auch beachten würde, sodaß sie deshalb nicht schon verpflichtet war, vorsorglich ihre Geschwindigkeit zu vermindern. Auch wenn konkret nicht mehr geklärt werden kann, in welcher genauen Entfernung voneinander sich die beiden Fahrzeuge befunden haben, als die Zeugin die Vollbremsung einleitete, so vermag der unabhängige Verwaltungssenat keinerlei Anhaltspunkt für Zweifel irgendwelcher Art am Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen im Rahmen der Gerichtsverhandlung, sie habe das zum Verkehrsunfall führende Fahrverhalten gesetzt, um eine Kollision mit dem Beschuldigtenfahrzeug zu verhindern und sei lediglich aufgrund der wetterbedingt schlechten Straßenverhältnisse ins Schleudern geraten und von der Fahrbahn abgekommen, zu finden. Es ist nämlich nicht davon auszugehen, daß die Zeugin bei den als erwiesen anzunehmenden schlechten Straßenverhältnissen ohne jeden Grund eine Vollbremsung einleitet, und zum anderen ist das gänzliche Fehlen von im nachhinein rekonstruierbaren Bremsspuren bei Straßenglätte nicht verwunderlich. Die vom Rechtsmittelwerber unpassenderweise daran geknüpfte Äußerung, die Zeugin hätte auch allein durch ein fahrtechnisches Fehlverhalten ihr Fahrzeug nicht auf der Fahrbahn halten können, entbehrt jeder Grundlage.

Der Rechtsmittelwerber hätte sich bereits während des Einbiegevorganges, wenn ihm die Annäherung eines aus Richtung S kommenden Fahrzeuges bekannt war, jedenfalls aber zumindest nach dem Einbiegevorgang durch einen Blick in den Rückspiegel oder nötigenfalls auch über die rechte Schulter vergewissern müssen, daß sein Einbiegevorgang für diesen nachfolgenden PKW ohne Folgen geblieben ist, zumal ihm schon aufgrund der tagsüber herrschenden Straßenverhältnisse und der auf der allgemeinen Lebenserfahrung beruhenden Tatsache, daß tiefere Temperaturen am Abend oder in der Nacht bei nicht auszuschließender Feuchtigkeit auf der Fahrbahn zu Eisglätte führen können, die das Bremsverhalten eines Fahrzeuges negativ beeinflussen kann. Aufgrund der vom Kreuzungsbereich aus in Richtung S bestehenden Sicht, die der Gerichtssachverständige mit mindestens 200 m angegeben hat, und dem auf den Fotos ersichtlichen geraden Straßenverlauf bestand diese Möglichkeit der Nachschau jedenfalls, wobei auch noch zu berücksichtigen ist, daß am PKW der Zeugin das Abblendlicht eingeschaltet war, das zu diesem Zeitpunkt die einzige und daher auch beim Entfernen gut erkennbare Lichtquelle bildete. Der Rechtsmittelwerber konnte daher nach Auffassung des unabhängigen Verwaltungssenates nicht mit Sicher heit davon ausgehen, daß durch seinen Einbiegevorgang keinerlei Gefahr für den nachkommenden PKW-Lenker entstanden sein konnte, zumal ihm objektive Umstände zu Bewußtsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls zu erkennen vermocht hätte. Seine Verantwortung, er habe nach dem Einbiegevorgang auf der Sonnleitner Bezirksstraße eine Bremsprobe durchgeführt, spricht dafür, daß er selbst Bedenken im Hinblick auf die Straßenverhältnisse hatte, weil den sonstigen Verhältnissen nach kein Anlaß für eine solche Bremsprobe bestanden hätte.

Hätte sich der Rechtsmittelwerber, was ihm mit Sicherheit möglich und auch zumutbar gewesen wäre, entsprechend vergewissert, hätte ihm auffallen müssen, daß der PKW der Zeugin von der Fahrbahn abgekommen war, wobei schon aufgrund des eingeschalteten Abblendlichts hinsichtlich der Erkennbarkeit eines solchen Vorfalls keinerlei Zweifel bestehen. Abgesehen davon mußte bei entsprechender Aufmerksamkeit, die von einem verantwortungsvollen Fahrzeuglenker mit dem Alter und der Lebenserfahrung des Rechtsmittelwerbers bei Setzung eines riskanten Fahrmanövers zu erwarten ist, auch das schleifende Geräusch einer Vollbremsung auf Eis samt dem Überschlagen des PKW hörbar sein, zumal der Rechtsmittelwerber nie besondere Eile behauptet hat und sogar die Zeit für eine "Bremsprobe" hatte. Dem Rechtsmittelwerber wäre demnach ein sofortiges Anhalten im Sinne des § 4 Abs.1 lit.a StVO und nach Kenntnis der Verletzungen der Zeugin auch eine sofortige Verständigung des nächstgelegenen Gendarmeriepostens möglich und zumutbar gewesen.

Er hat somit nicht nur in objektiver Hinsicht die ihm zur Last gelegten Tatbestände erfüllt, sondern sein Verhalten ist ihm in subjektiver Hinsicht auch vorwerfbar, zumal er auch iSd § 5 Abs.1 VStG hinsichtlich des Vorwurfs gemäß § 4 Abs.1 lit.a StVO nicht glaubhaft gemacht hat, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.

Die Berufung gegen den Schuldspruch war daher in beiden Punkten abzuweisen, wobei sich die Spruchabänderung auf die zitierte Gesetzesstelle gründet - Akteneinsicht erfolgte durch den Beschuldigtenvertreter innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist.

Zur Strafbemessung ist auszuführen:

Gemäß § 19 Abs.1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.

Gemäß § 19 Abs.2 leg.cit. sind überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen und auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 des StGB sinngemäß anzuwenden.

Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

Der Strafrahmen des § 99 Abs.2 StVO 1960 reicht von 500 S bis 30.000 S Geldstrafe bzw 24 Stunden bis sechs Wochen Ersatzfreiheitsstrafe.

Die Erstinstanz hat die bisherige Unbescholtenheit des Rechtsmittelwerbers als strafmildernd gewertet. Sein Argu ment, es müsse berücksichtigt werden, daß er trotz des Alters von 62 Jahren unbescholten sei und sich schon mehr als vier Jahrzehnte im Straßenverkehr bewährt habe, vermag hingegen eine Strafminderung nicht zu rechtfertigen, zumal, wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 29.

März 1994, 93/04/0086, ausgeführt hat, ein Zusammenhang zwischen dem Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit und dem Lebensalter schon deshalb nicht besteht, da sowohl gerichtliche Vorstrafen als auch Verwaltungsstrafvormerkungen der Tilgung unterliegen und damit die Unbescholtenheit lediglich aussagen kann, daß ein Täter innerhalb eines bestimmten Zeitraumes vor der Tat nicht straffällig geworden ist.

Im übrigen entsprechen die von der Erstinstanz verhängten Strafen sowohl dem jeweiligen Unrechts- und Schuldgehalt der Übertretungen, als auch sind sie den finanziellen Verhältnissen angemessen, wobei der Rechtsmittelwerber im Rahmen des gerichtlichen Strafverfahrens sein Einkommen mit insgesamt 14.000 S netto und sein Vermögen mit dem Hälfteeigentum an einem Einfamilienhaus angegeben hat, sodaß für den unabhängigen Verwaltungssenat kein Anlaß besteht, der Berufungsentscheidung anderes zugrundezulegen.

Im Hinblick auf general- und spezialpräventive Überlegungen erachtet der unabhängige Verwaltungssenat die in beiden Punkten festgesetzten Strafen für jedenfalls angemessen und geeignet, den Rechtsmittelwerber in Hinkunft zur genauesten Beachtung der straßenpolizeilichen Bestimmungen anzuhalten.

Soweit der Rechtsmittelwerber die Nichtanwendung des § 20 VStG gerügt und ein beträchtliches Überwiegen des Milderungsgrundes der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit aufgrund des Nichtbestehens von erschwerenden Umständen aufzuzeigen versucht hat, ist dem entgegenzuhalten, daß mit Inkrafttreten der 19. StVO-Novelle am 1. Oktober 1994 die Bestimmung des § 100 Abs.5 StVO 1960 insofern abgeändert wurde, als auch die Anwendung des § 20 bei Verwaltungsübertretungen nach § 99 Abs.2 ausgeschlossen wurde.

Überdies vermag der unabhängige Verwaltungssenat ein derartiges beträchtliches Überwiegen des vorliegenden Milderungsgrundes von der Gewichtung her nicht zu erkennen, zumal von einem mit den rechtlichen Werten verbundenen Menschen mit dem Alter und der sich daraus ergebenden Lebenserfahrung des Rechtsmittelwerbers die Beachtung der von ihm einzuhaltenden Bestimmungen erwartet werden darf.

Es steht dem Rechtsmittelwerber überdies frei, mit der Erstinstanz eine Ratenvereinbarung zu treffen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

zu II.:

Der Ausspruch über den Verfahrenskostenbeitrag gründet sich auf die angeführte Gesetzesbestimmung.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Mag. Bissenberger

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