Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-104049/20/BI/FB

Linz, 06.11.1997

VwSen-104049/20/BI/FB Linz, am 6. November 1997 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch seine 4. Kammer (Vorsitz: Dr. Wegschaider, Berichterin: Mag. Bissenberger, Beisitz: Dr. Weiß) über die Berufung des Herrn F S, H, S, vom 4. Oktober 1996 gegen Punkt 1) des Straferkenntnisses der Bundespolizeidirektion Steyr vom 26. August 1996, S 6004/ST/96, wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, auf Grund des Ergebnisses der am 2. Oktober 1997 durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:

Der Berufung wird insofern Folge gegeben, als das angefochtene Straferkenntnis im Punkt 1) hinsichtlich des Schuldspruchs bestätigt, die primäre Freiheitsstrafe jedoch auf eine Geldstrafe von 8.000 S und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 10 Tagen herabgesetzt wird. Der Verfahrenskostenbeitrag erster Instanz beträgt 10 % der Geldstrafe, ds 800 S; ein Verfahrenskostenbeitrag im Rechtsmittelverfahren entfällt.

Rechtsgrundlage: zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1, 51i und 19 VStG, §§ 5 Abs.1 iVm 99 Abs.1 lit.a StVO 1960. zu II.: §§ 64 und 65 VStG.

Entscheidungsgründe: zu I.: 1. Die Bundespolizeidirektion Steyr hat im Punkt 1) des angefochtenen Straferkenntnisses über den Beschuldigten wegen der Verwaltungsübertretung gemäß §§ 5 Abs.1 iVm 99 Abs.1 lit.a StVO 1960 eine Primärfreiheitsstrafe von 10 Tagen verhängt, weil er am 16. August 1996 um 22.40 Uhr in S, D, Höhe Haus Nr. 6, das Herrenfahrrad, Marke Taifun, in einem durch Alkohol beeinträchtigten (0,23 mg/l) und laut amtsärztlicher Untersuchung dadurch fahruntauglichen Zustand gelenkt habe. Gleichzeitig wurde ihm ein Verfahrenskostenbeitrag von 200 S auferlegt.

2. Dagegen hat der Rechtsmittelwerber fristgerecht Berufung erhoben, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da eine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch die nach der Geschäftsverteilung zuständige 4. Kammer zu entscheiden (§ 51c VStG). Am 2. Oktober 1997 wurde eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung in Anwesenheit des Rechtsmittelwerbers, des Vertreters der Erstinstanz Mag. T und des Zeugen Dr. B durchgeführt. Auf die mündliche Verkündung der Berufungsentscheidung wurde von beiden Parteien verzichtet.

3. Der Rechtsmittelwerber macht im wesentlichen geltend, er habe an diesem Abend zwei Halbe Bier konsumiert und sei sich sicher, fahrtauglich gewesen zu sein. Es seien auch nur 0,23 mg/l AAG festgestellt worden. Er ersuche, das Straferkenntnis noch einmal zu prüfen.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz sowie Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung, bei der beide Parteien gehört und der Polizeiarzt als sachverständiger Zeuge einvernommen wurden.

Folgender Sachverhalt ist wesentlich: Feststeht, daß der Rechtsmittelwerber am 16. August 1996 um ca. 22.40 Uhr als Lenker eines Fahrrades in S beim Haus D vom Meldungsleger BI T wegen der diesem unsicher scheinenden Fahrweise angehalten wurde. Der Rechtsmittelwerber hatte in der letzten Stunde zuvor im Lokal "I" zwei Halbe Bier getrunken, nachdem er über den Tag verteilt Medikamente, insbesondere 3 Stück Anxiolit forte und 5 Stück Distraneurin, eingenommen hatte. Die um 23.05 und 23.06 Uhr vorgenommene Atemluftalkoholuntersuchung mittels Alkomat ergab jeweils einen Wert von 0,23 mg/l AAG. Bei der um 23.25 Uhr vom Polizeiarzt Dr. B durchgeführten klinischen Untersuchung stellte dieser laut dem im Akt befindlichen Alkoholerhebungsbogen beim Rechtsmittelwerber zwar keine Alkoholbeeinträchtigung, wohl aber Fahruntauglichkeit auf Grund von Medikamenten und Übermüdung in Verbindung mit dem konsumierten Alkohol fest. Dr. B schilderte im Rahmen der mündlichen Verhandlung seinen Eindruck vom Rechtsmittelwerber bei der klinischen Untersuchung so, daß dieser eine sehr verminderte Reaktions- und Wahrnehmungsfähigkeit aufgewiesen habe, sodaß er ernsthaft befürchtet habe, er könnte im Fall der Weiterfahrt mit dem Fahrrad zB das Rotlicht einer VLSA gar nicht wahrnehmen und dadurch zu Schaden kommen. Der Zeuge gab außerdem an, ihm sei der Rechtsmittelwerber von vorherigen Amtshandlungen gut bekannt, aber er sei noch nie so langsam gewesen wie bei dieser Untersuchung. Er könne sich an das Gutachten deshalb noch genau erinnern, weil es selten vorkomme, daß er einen Probanden trotz eines Alkoholwertes von unter 0,8 %o fahruntüchtig schreibe. Im gegenständlichen Fall sei die Fahruntauglichkeit unzweifelhaft gewesen, wobei der Anteil des Medikamenteneinflusses ca 50 %, der der Müdigkeit ca. 25 % und der des Alkohols ebenfalls ca 25 % betragen habe. Der Rechtsmittelwerber habe ihm gesagt, daß er in der letzten Nacht gar nicht und dann nur kurz geschlafen habe. Zu den speziell bei Alkoholentzug und gegen Angstzustände eingenommenen Medikamenten, insbesondere Distraneurin, hätte auf keinen Fall Alkohol getrunken werden dürfen, weil die Wirkung verstärkt werde, worauf auch im Beipacktext besonders hingewiesen werde. Die konkreten Auswirkungen seien aber bei jedem Menschen anders. Das Bestehen einer Fahruntüchtigkeit bei bloßer Medikamenteneinnahme und Übermüdung ohne Alkoholkonsum konnte der Zeuge beim Berufungswerber nicht bestätigen. Der Rechtsmittelwerber hat sich bei der Verhandlung dahingehend verantwortet, er habe schon aus den Beipacktexten gewußt, daß er zu den Medikamenten keinen Alkohol trinken dürfe, er habe das jedoch schon einmal zuhause mit einer geringeren Menge Alkohol gemacht und keine Beeinträchtigung gespürt. An diesem Abend habe er in kurzer Zeit zwei Halbe Bier getrunken, wobei es durchaus möglich sei, daß der Alkohol an seiner Fahruntüchtigkeit schuld gewesen sei, weil er vorher nie Alkohol getrunken gehabt habe. Er habe sich aber trotz seiner Müdigkeit nicht so beeinträchtigt gefühlt, daß er nicht mehr mit dem Fahrrad fahren hätte können.

Aus der Sicht des unabhängigen Verwaltungssenates besteht kein Zweifel, daß Dr. B, der im klinischen Gutachten die Alkoholbeeinträchtigung ausdrücklich verneint, jedoch eine Fahruntüchtigkeit aufgrund von Übermüdung, Medikamenten und Alkohol bestätigt hatte, den zu beurteilenden Zustand des Rechtsmittelwerbers so eingestuft hat, daß dieser zwar nicht (allein) wegen des getrunkenen Alkohols, jedoch auf Grund des Zusammenspiels von Medikamenten, Übermüdung und Alkohol fahruntüchtig war, wobei er schlüssig auch die Anteile der genannten Komponenten an der Fahruntüchtigkeit dargelegt hat. In der Verhandlung wurde auch erörtert, daß sich der Rechtsmittelwerber in einer Alkoholentzugsphase befindet und darauf die massiven Schlafstörungen, die im gegenständlichen Fall zur Übermüdung geführt haben, und seine innere Unruhe, gegen die er die Medikamente nimmt, zurückzuführen sind. In rechtlicher Hinsicht hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen: Unbestritten ist, daß der Rechtsmittelwerber bei der Anhaltung ein Fahrrad gelenkt hat und dem Meldungsleger wegen unsicherer Fahrweise fahruntüchtig erschien, sodaß er ihn zur Vornahme einer Atemluftuntersuchung gemäß § 5 Abs.2 StVO 1960 aufforderte. Diese ergab 25 Minuten nach dem Lenken einen Wert von 0,23 mg/l AAG. Die Vermutung des Meldungslegers, der Rechtsmittelwerber könnte sich in einem durch Alkohol- oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand befinden, rechtfertigte gemäß § 5 Abs.1 Z1 StVO 1960 die Vorführung zum Polizeiarzt Dr. B, der im Rahmen der klinischen Untersuchung eine Fahruntüchtigkeit auf Grund des Zusammenwirkens von Alkoholkonsum, Medikamenteneinnahme und Übermüdung beim Rechtsmittelwerber feststellte.

Auch wenn der Rechtsmittelwerber sich darauf berufen hat, er habe ohnehin einen Atemalkoholwert von unter 0,4 mg/l aufgewiesen, so ist ihm entgegenzuhalten, daß gemäß § 58 Abs.1 StVO 1960 ein Fahrzeug, also auch ein Fahrrad, nur lenken darf, wer sich in einer solchen körperlichen und geistigen Verfassung befindet, in der er dieses zu beherrschen und die beim Lenken eines Fahrzeuges zur beachtenden Rechtsvorschriften zu befolgen vermag. Eine Fahruntüchtigkeit, die (nur) auf Medikamente oder Übermüdung zurückzuführen ist, würde eine Verwaltungsübertretung gemäß § 99 Abs.3 StVO 1960 bedingen, der einen Strafrahmen bis zu 10.000 S bzw bis zu 2 Wochen Ersatzfreiheitsstrafe vorsieht. Zur Abgrenzung zu § 5 Abs.1 StVO 1960 ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine Fahruntüchtigkeit, soweit sie auf Einwirkung von Alkohol zurückzuführen ist, ohne daß ein Blutalkoholgehalt von 0,8 %o festgestellt zu werden braucht, unter die Vorschrift des § 5 Abs.1 fällt, wogegen jede andere Fahruntüchtigkeit (die nicht auf Alkohol zurückgeführt wird) der Vorschrift des § 58 Abs.1 StVO zu unterstellen ist (vgl ua Erkenntnis v 22. November 1973, 154/73). Bei gegebenem Anteil des Alkoholkonsums an der Fahruntüchtigkeit kann es dahingestellt bleiben, welcher ziffernmäßige Teil des (Blut)Alkoholgehalts auf andere Ursachen zurückzuführen ist (VwGH v 29. April 1983, 81/02/0143).

Damit ist für den gegenständlichen Fall bedeutungslos, daß der Alkotest ein unter 0,4 mg/l AAG liegendes Ergebnis erbracht hat, da das Ergebnis der klinischen Untersuchung als eindeutig im Hinblick auf die beim Rechtsmittelwerber bestehende Fahruntüchtigkeit anzusehen war. Der Polizeiarzt hat bei seiner Einvernahme schlüssig und auch vom Rechtsmittelwerber unbestritten bestätigt, daß für diesen bereits aus den Beipacktexten der von ihm regelmäßig eingenommenen Medikamente ersichtlich sein mußte, daß bei deren Einnahme kein Alkohol getrunken werden darf, da in diesem Fall nachteilige Auswirkungen durch die Potenzierung der Wirkungsweise der Medikamente bestehen. Daraus ergibt sich, daß der Rechtsmittelwerber, dem die Beipacktexte uneingeschränkt zur Verfügung standen und der im Zweifelsfall auch seinen behandelnden Arzt fragen hätte können, zumindest fahrlässig das Verbot des Alkoholkonsums bei gleichzeitiger Medikamenteneinnahme mißachtet hat. Er hat daher in objektiver wie in subjektiver Weise den ihm zur Last gelegten Tatbestand erfüllt und sein Verhalten als Verwaltungsübertretung zu verantworten.

Zur Strafbemessung ist auszuführen: Der Strafrahmen des § 99 Abs.1 StVO 1960 reicht von 8.000 S bis 50.000 S Geld- bzw von 1 bis 6 Wochen Ersatzfreiheitsstrafe. Gemäß § 100 Abs.1 StVO 1960 kann, wenn der Betreffende bereits einmal wegen einer Übertretung nach § 99 bestraft worden ist, an Stelle der Geldstrafe eine Arreststrafe im Ausmaß der für die betreffende Tat angedrohten Ersatzfreiheitsstrafe verhängt werden.

Der Rechtsmittelwerber besucht im Rahmen einer Umschulung einen Kurs des Arbeitsamtes und erhält nunmehr ca 7.700 S Notstand. Er hat 1.500 S an Alimenten zu bezahlen und ist sorgepflichtig für weitere zwei Kinder. Die zur Zeit der Fällung des angefochtenen Straferkenntnisses bestehenden Vormerkungen sind durch mittlerweile eingetretene Tilgung teilweise reduziert; es liegen aber immer noch zwei einschlägige Vormerkungen wegen Übertretung der Alkoholbestimmungen vor, die im gegenständlichen Fall als straferschwerend zu werten sind. Milderungsgründe wurden nicht behauptet und waren auch nicht zu finden. In Anbetracht des Wegfalls von immerhin drei einschlägigen Vormerkungen und der eher günstigen Zukunftsprognose - der Rechtsmittelwerber hat glaubhaft dargetan, daß er nach Abschluß des genannten Kurses die Chance auf eine Berufstätigkeit hat und daß er nun schon leichtere Medikamente nimmt, wobei auch keine neuerlichen Vorfälle ähnlicher Art behauptet wurden - vertritt der unabhängige Verwaltungssenat die Auffassung, daß die Umwandlung der Freiheits- in eine Geld- und für den Nichteinbringungsfall Ersatzfreiheitsstrafe doch gerechtfertigt ist. Die nunmehr verhängte Strafe entspricht wegen der ungünstigen finanziellen Verhältnisse des Rechtsmittelwerbers der gesetzlichen Mindeststrafe, wobei die außerordentliche Strafmilderung - § 100 Abs.5 StVO 1960 wurde hinsichtlich § 20 VStG vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 9. Oktober 1997, G216/96, als verfassungswidrig aufgehoben - wegen des Überwiegens der einschlägigen Vormerkungen nicht zum Tragen kommt. Die Strafe hält auch general- und vor allem spezialpräventiven Überlegungen stand. Es steht dem Rechtsmittelwerber frei, mit der Erstinstanz eine Ratenvereinbarung zu treffen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

zu II.: Der Ausspruch über den Verfahrenskostenersatz ist gesetzlich begründet.

Rechtsmittelbelehrung: Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis: Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500 S zu entrichten.

Dr. Wegschaider

Beschlagwortung: Aufgrund des Wegfalls von 3 von 5 einschlägigen Vormerkungen, der eher günstigen Zukunftsprognose und der ungünstigen finanziellen Verhältnisse ist die Verwandlung der Primärfreiheitsstrafe in die gesetzliche Mindeststrafe gerechtfertigt.

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