Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-104794/19/BI/FB

Linz, 02.10.1997

VwSen-104794/19/BI/FB Linz, am 2. Oktober 1997 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Bissenberger über die Berufung des Herrn C S, A, L, vom 16. Juni 1997 gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 7. Mai 1997, VerkR96-16623-1996, wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, aufgrund des Ergebnisses der am 24. September 1997 durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung samt mündlicher Verkündung der Berufungsentscheidung zu Recht erkannt:

Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt. Rechtsgrundlage: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1, 51i, 45 Abs.1 Z1 und 66 VStG, §§ 20 Abs.2 iVm 99 Abs.3a StVO 1960.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck hat mit dem oben angeführten Straferkenntnis über den Beschuldigten wegen der Verwaltungsübertretung gemäß §§ 20 Abs.2 iVm 99 Abs.3a StVO 1960 eine Geldstrafe von 3.000 S (96 Stunden EFS) verhängt, weil er am 15. Oktober 1996 um 18.50 Uhr den PKW auf der L Straße in W in Richtung Osten gelenkt und dabei unmittelbar nach der Kreuzung mit der G bis L Straße 92 die in Ortsgebieten erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 17 km/h überschritten, dann beschleunigt und die in Ortsgebieten erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 37 km/h überschritten habe (es sei bei beiden Geschwindigkeitsangaben jeweils eine Toleranz von 3 % zu seinen Gunsten berücksichtigt worden). Gleichzeitig wurde ihm ein Verfahrenskostenbeitrag von 300 S auferlegt.

2. Dagegen hat der Rechtsmittelwerber fristgerecht Berufung erhoben, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da keine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 51c VStG). Am 24. September 1997 fand eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung in Anwesenheit des Rechtsmittelwerbers, der Zeugen RI E und RI S sowie des technischen Amtssachverständigen Ing. K statt. Von der Erstinstanz ist kein Vertreter entsandt worden. Im Anschluß an die mündliche Verhandlung wurde die Berufungsentscheidung öffentlich mündlich verkündet.

3. Der Rechtsmittelwerber macht im wesentlichen geltend, er habe die ihm vorgeworfene Verwaltungsübertretung nicht begangen. Er habe beim Haus L Straße 92 angehalten, da er das nachfolgende Einsatzfahrzeug bemerkt habe und an diesem Standort sei die Amtshandlung durchgeführt und abgeschlossen worden. Er beantrage eine Konkretisierung der Tatzeit im Zusammenhang mit dem Tatort und der angeblichen Verwaltungsübertretung und eine Anfertigung einer Handskizze mit den Entfernungsangaben zu den Tatorten. Bei der Anhaltung sei ihm angeboten worden, die angebliche Verwaltungsübertretung mit 500 S zu begleichen. Eine Strafverfügung habe er nicht erhalten, sondern es sei sogleich das ordentliche Verfahren durchgeführt worden. Im Straferkenntnis bzw der Aufforderung zur Rechtfertigung seien ihm plötzlich zwei Verwaltungsübertretungen zur Last gelegt worden, obwohl bei der Amtshandlung davon nie die Rede gewesen sei. Auch die Erhöhung des ursprünglichen Strafbetrages von 500 S auf 3.300 S könnte bei einem kritischen Bürger den Eindruck von Behördenwillkür erwecken. Ein Nachfahren in gleichbleibendem Abstand sei aufgrund der Situation kurz vor der Kreuzung mit der O bis zum Haus Nr. 92 nicht möglich gewesen. Diesbezüglich verweise er auf seine erstinstanzlichen Ausführungen. Unter Berücksichtigung der angeblich gefahrenen Geschwindigkeit im Zusammenhang mit dem Nachfahrabstand hätten die Beamten die Kreuzung bei Rotlicht überfahren müssen, wobei die StVO normiere, daß Einsatzfahrzeuge bei Rotlicht vor der Kreuzung anzuhalten hätten. Auch wenn diese Vorschrift von den Beamten negiert worden wäre, sei er sicher, daß diese die nicht ungefährliche Kreuzung mit der nötigen Vorsicht überquert hätten und daher der Abstand nicht gleich bleiben hätte können. Bezüglich der Vergleichsmessung des Tachometers mit einem Lasergerät beantrage er die Prüfung, wann, wo und durch wen eine solche Überprüfung durchgeführt und wie sie den Beamten zur Kenntnis gebracht worden sei. 4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz sowie Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung bei der der Beschuldigte gehört, die Zeugen einvernommen, ein Ortsaugenschein bei der Kreuzung L Straße - G in W durchgeführt und auf dieser Grundlage ein technisches Gutachten durch den Amtssachverständigen Ing. K erstellt wurde. Folgender Sachverhalt ist wesentlich: Unbestritten ist, daß der Rechtsmittelwerber am 15. Oktober 1996 gegen 18.50 Uhr den Firmen-PKW, Kz. , in W auf der L Straße stadtauswärts lenkte. Ab der Kreuzung mit der K fuhr zufällig der vom Zeugen RI S gelenkte Funkwagen hinter ihm, wobei beide Beamten angaben, sie hätten festgestellt, daß der PKW vor ihnen etwas beschleunigt habe und sie hätten etwa auf Höhe der Einmündung der G in die L Straße das Blaulicht des Funkwagens eingeschaltet. Hier habe eine Nachfahrt in annähernd gleichbleibendem Abstand von etwa 30 m begonnen. Der Lenker habe laut Tacho des Funkwagens ca von der Einmündung der G bis zum die L Straße querenden Bahngleis eine Geschwindigkeit von etwa 70 km/h eingehalten, habe, als er gesehen habe, daß das Grünlicht der Verkehrslichtsignalanlage bei der Kreuzung mit der O zu blinken begonnen habe, beschleunigt, wobei sie bei der Nachfahrt mit gleichbleibendem Abstand laut Tacho eine Geschwindigkeit von 90 km/h eingehalten hätten. Der Beschuldigte habe die Kreuzung noch bei grün blinkendem Licht in gerader Richtung überquert, beim Passieren des Funkwagens habe bereits das gelbe Licht geleuchtet. Etwa 100 m nach der Kreuzung mit der O habe der Lenker von selbst sein Fahrzeug abgebremst und sei dann bei der Firma Zeilberger, Linzer Straße 92, von sich aus an den rechten Fahrbahnrand gefahren. Dort sei von RI E die Amtshandlung durchgeführt worden, wobei ihm beide Überschreitungen zur Kenntnis gebracht worden seien. Diese habe er bestritten und deshalb sei ihm laut Aussage von RI E kein Organmandat angeboten worden. Beide Zeugen haben angegeben, daß ihnen vor dieser Fahrt aufgrund vorheriger Geschwindigkeitsmessungen mit dem Funkwagen mittels Laser bzw Radar die Differenz zwischen Tachoanzeige und tatsächlich eingehaltener Geschwindigkeit bekannt gewesen sei, und zwar habe die tatsächliche Geschwindigkeit bei 70 km/h Tachoanzeige 67 km/h betragen, bei 90 km/h Tachoanzeige etwa 86 km/h. Wann konkret vor dem Vorfall zuletzt eine solche Überprüfung stattgefunden hat, konnten die Zeugen nicht sagen. Der Ortsaugenschein hat ergeben, daß die L Straße in Fahrtrichtung Osten als zweispurige Einbahnstraße mit einer durchschnittlichen Fahrbahnbreite von 7 m verläuft, wobei etwa 160 m nach der Kreuzung mit der G eine Gleisanlage die dort in Form einer leichten Rechtskurve verlaufende Fahrbahn kreuzt. Dort besteht auch für den ankommenden Verkehr erstmals Sicht auf die Verkehrslichtsignalanlage. 350 m nach der Kreuzung mit der G befindet sich die Kreuzung mit der O, 100 m weiter liegt rechts die Zufahrt, 60 m weiter die Ausfahrt des Firmengeländes L Straße 92.

Der technische Sachverständige hat unter Hinweis auf einschlägige Untersuchungen und Fachliteratur ausgeführt, daß die Nachfahrtstrecke bei Geschwindigkeiten unter 70 km/h mindestens 300 m und bei Geschwindigkeiten zwischen 70 und 100 km/h mindestens 500 m betragen sollte, damit etwaige Fehler bzw Unsicherheiten im Zuge der Nachfahrt ausgeschlossen werden können. Das menschliche Auge müsse sich im Zuge der Nachfahrt erst auf den konstanten Abstand zum vorderen Fahrzeug einstellen bzw sind etwaige Schwankungen der Tachonadel im Zuge von Beschleunigungs- bzw Abbremsmanövern durch Nachfahren in konstantem Abstand bzw mit konstanter Geschwindigkeit auszugleichen. Durch Beschleunigungs- und Abbremsmanöver sei nie gewährleistet, daß der Abstand nicht verkleinert oder vergrößert werde. Diese seien daher im Zuge der konstanten Nachfahrt nicht zu berücksichtigen. Außerdem seien von den abgelesenen Tachowerten des Nachfahrfahrzeuges gewisse Toleranzen abzuziehen, die von der Tachometerabweichung des serienmäßigen Tachometers, dem Geschwindigkeitsunterschied durch ungenügenden Reifendruck, der Geschwindigkeitsdifferenz durch nicht mehr neuwertiges Reifenprofil, dem Geschwindigkeitsunterschied durch Massentoleranzen des Reifenabrollumfanges und dem Geschwindigkeitsunterschied aus Ungenauigkeiten durch Reifenwechsel und durch Ablesfehler der Analogtachoanzeigen herrührten. Vom abgelesenen Tachowert des Verfolgerfahrzeuges solle laut Fachliteratur ein Prozentsatz von etwa 10 % des kahlen Endwertes von der abgelesenen Geschwindigkeit des nachfolgenden Fahrzeuges abgezogen werden. Für den gegenständlichen Fall hat der Sachverständige aufgrund den von den Meldungslegern dargelegten Verfolgungsstrecken eine Nachfahrstrecke von etwa 160 m für den Tachowert 70 km/h und etwa 150 bis 200 m für den Tachowert 90 km/h errechnet, wobei der Beschleunigungsvorgang von 70 auf 90 km/h zusätzlich erfolgte. Diese Nachfahrtstrecken wurden aber als keinesfalls ausreichend befunden, verläßlich eine Geschwindigkeitsüberschreitung des Beschuldigtenfahrzeuges festzustellen. Der Sachverständige hat weiters betont, daß das Feststellen von Geschwindigkeitsüberschreitungen durch Ablesen von Tachometern des nachfahrenden Fahrzeuges zwar grundsätzlich ein geeignetes Mittel zur Feststellung von Geschwindigkeitsüberschreitungen darstelle, jedoch eines der ungenauesten Verfahren sei. Er hat ausgeführt, daß solche Verfahren primär im Überlandbereich stattfinden sollten, wo mit konstanteren Geschwindigkeiten gefahren werde. Innerhalb von Ortsgebieten fänden laufend Beschleunigungs- bzw Abbremsvorgänge statt, die aber unberücksichtigt zu bleiben hätten.

Aus der Sicht des unabhängigen Verwaltungssenates bleibt auf der Grundlage der schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen festzustellen, daß die Aussagen der beiden Zeugen zwar im Hinblick auf die Nachfahrt in annähernd gleichbleibendem Abstand von etwa 30 m zumindest im Bereich der Kreuzung L Straße - G nachzuvollziehen sind, jedoch nicht für den weiteren Fahrstreckenverlauf, insbesondere nicht für den Kreuzungsbereich mit der O. Abgesehen davon, daß es hier nicht genügt, den Nachfahrabstand grob einzuschätzen und einmal auf den Tacho zu blicken, ist es für eine Feststellung einer Geschwindigkeitsüberschreitung, die als Grundlage für den Tatvorwurf im Verwaltungsstrafverfahren herangezogen werden soll, unumgänglich, den Nachfahrabstand ebenso wie die Tachoanzeige, zumindest einmal nachzukontrollieren, um Abweichungen feststellen zu können. Für eine nochmalige Kontrolle des Nachfahrabstandes und der Nachfahrgeschwindigkeit reichte im gegenständlichen Fall jedoch die Fahrtstrecke nicht aus, insbesondere auch deswegen, weil es hier nicht zu einer Nachfahrt mit konstanter Geschwindigkeit kam, sondern nach übereinstimmenden Aussagen das Beschuldigtenfahrzeug ab dem Queren der Bahngleise bzw dem Ansichtigwerden des bereits blinkenden Grünlichtes der VLSA bei der Kreuzung mit der O jedenfalls beschleunigt wurde, sodaß für diesen Beschleunigungsvorgang eine unbestimmt lange Fahrtstrecke benötigt wurde, die aber nichts mit der Strecke zu tun hat, die für eine Nachfahrt in gleichbleibendem Abstand mit gleichbleibender Geschwindigkeit heranzuziehen ist. Widersprüche ergaben sich außerdem in den beiden Zeugenaussagen bezüglich der Position nach der Kreuzung mit der O, ab der der Rechtsmittelwerber von sich aus seine Geschwindigkeit verlangsamte, um zum Haus L Straße 92 zuzufahren. Der Zeuge RI S hat angegeben, die Geschwindigkeit sei etwa 100 m nach der Kreuzung reduziert worden, während laut RI E die Geschwindigkeitsverminderung bereits ab der Kreuzung erfolgt sei. Auch diesbezüglich steht daher eine genaue Nachfahrtstrecke im Hinblick auf die behaupteten 90 km/h nicht fest. Auch die angeführten Tachowerte von 70 bzw 90 km/h sind nicht als solche zu nehmen, zumal hier die behaupteten Abweichungen von 3 bis 4 km/h zu berücksichtigen sind, die laut Aussagen beider Zeugen bei zeitlich nicht konkretisierbaren Laser- oder Radarmessungen festgestellt wurden. Bedenkt man aber, daß auch bei Laser- und Radargeräten ein Toleranzabzug im Ausmaß von 3 bzw 5 km/h durchzuführen ist, kann im gegenständlichen Fall bei einer Tachoanzeige von 70 km/h maximal von einer Geschwindigkeit von 64 km/h und bei einer Tachoanzeige von 90 km/h von einer tatsächlichen von maximal 83 km/h ausgegangen werden. Allerdings konnten beide Zeugen im Hinblick auf die behaupteten Überprüfungen der Tachoanzeige keine konkreten Angaben machen, sodaß auch diese Werte mit Vorsicht zu behandeln sind. In rechtlicher Hinsicht ist auszuführen, daß gemäß § 20 Abs.2 StVO 1960 der Lenker eines Fahrzeuges im Ortsgebiet, sofern die Behörde nicht gemäß § 43 eine geringere Höchstgeschwindigkeit erläßt oder eine höhere Geschwindigkeit erlaubt - beides traf im vorliegenden Fall nicht zu -, im Ortsgebiet nicht schneller als 50 km/h fahren darf. Zur konkreten Geschwindigkeit des Rechtsmittelwerbers konnte auf der Grundlage des Beweisverfahrens keine konkrete Aussage getroffen werden. Aus diesem Grund war wegen Nichterweisbarkeit der zur Last gelegten Verwaltungsübertretung spruchgemäß zu entscheiden, wobei naturgemäß Verfahrenskostenbeiträge nicht anfallen. Rechtsmittelbelehrung: Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis: Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500 S zu entrichten.

Mag. Bissenberger

Beschlagwortung: Beweisverfahren (Ortsaugenschein) ergab eine zu kurze Nachfahrtstrecke - Geschwindigkeits- feststellung nicht nachvollziehbar -> Einstellung

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