Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-104825/3/Le/Ha

Linz, 17.12.1997

VwSen-104825/3/Le/Ha Linz, am 17. Dezember 1997 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Leitgeb über die Berufung der Katharina F, N, D R, vertreten durch Rechtsanwalt Eugen S, S, D Z, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf vom 15.7.1997, VerkR96-8064-1996/Sö, wegen Übertretung des Kraftfahr-gesetzes 1967 zu Recht erkannt:

Der Berufung wird keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis vollinhaltlich bestätigt.

Die Berufungswerberin hat einen Beitrag zu den Kosten des Berufungs-verfahrens in Höhe von 120 S zu entrichten.

III. Der Antrag, "die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Beschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen", wird als unzulässig zurück-gewiesen.

Rechtsgrundlage: Zu I.: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl.Nr. 51/1991 idgF iVm §§ 24, 19, 51 Abs.1, 51c und 51e Abs.1 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG, BGBl.Nr. 52/1991 idgF. Zu II.und III.: § 64 Abs.1 und Abs.2 VStG.

Entscheidungsgründe:

Zu I.:

1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf vom 15.7.1997 wurde über die nunmehrige Berufungswerberin (im folgenden kurz: Bw) wegen Übertretung des § 103 Abs.2 Kraftfahrgesetz 1967 (im folgenden kurz: KFG) eine Geldstrafe in Höhe von 600 S (Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 24 Stunden) verhängt; gleichzeitig wurde sie zum Ersatz der Verfahrenskosten in Höhe von 10 % der verhängten Strafe verpflichtet.

Im einzelnen wurde ihr vorgeworfen, sie habe als Zulassungsbesitzerin des PKW mit dem Kennzeichen R der Behörde auf ihr schriftliches Verlangen vom 25.11.1996 nicht binnen zwei Wochen darüber Auskunft erteilt, wer dieses Kraftfahrzeug am 24.8.1996 um 20.03 Uhr in R, Abfahrt A , Kilometer 47,600 in Fahrtrichtung L gelenkt habe.

In der Begründung dazu wurde im wesentlichen ausgeführt, daß die im Spruch zur Last gelegte Verwaltungsübertretung als erwiesen anzusehen sei. Nach einer Wiedergabe der maßgeblichen Rechtslage führte die Erstbehörde zum Vorbringen der Beschuldigten, daß die ausgesprochene Strafe einen Verstoß gegen die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie gegen den ordre public darstelle, aus, daß durch die Einbringung des tatgegenständlichen Kraftfahrzeuges in das Gebiet der Republik Österreich sich die Beschuldigte der österreichischen Rechtsordnung unterworfen habe. Nach der Verfassungsbestimmung des § 103 Abs.2 KFG treten gegenüber der Befugnis der Behörde, derartige Auskünfte zu verlangen, Rechte auf Auskunftsverweigerung zurück. Sodann wurden die Gründe der Strafbemessung dargelegt.

2. Dagegen richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Berufung vom 1.8.1997, mit der beantragt wird, das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Beschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen. Zur Begründung führte die Bw an, daß das vorliegende Straferkenntnis sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht gegen die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, insbesonders gegen Artikel 6 und 8 im MRK verstoße. Nach einem Hinweis auf das angefochtene Straferkenntnis bzw. dessen Begründung führte die Bw aus, daß die Republik Österreich zwar unmittelbar vertraglich der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten niemals beigetreten sei, daß diese jedoch seit dem Beitritt zur EU auch in Österreich gelte. Von daher handle es sich bei der MRK um unmittelbar geltendes innerstaatliches Recht.

Die Bestrafung der Beschuldigten verstoße gegen den Grundsatz des "fair trail" (gemeint wohl: "fair trial"), wonach von niemandem verlangt werden könne, sich selbst oder einen nahen Angehörigen zu belasten. Konsequenz hieraus sei das Recht zur Auskunfts- bzw. Zeugnisverweigerung, falls die Möglichkeit bestehe, daß die Beschuldigte durch eine wahrheitsgemäße Aussage sich selbst oder einen nahen Angehörigen belasten könnte. Grund hiefür sei die Zwangslage des zur Auskunft Verpflichteten, der einerseits der Wahrheitspflicht unterworfen sei, jedoch andererseits befürchten müsse, dadurch sich oder seinen Angehörigen zu schaden. Hieraus resultiere ein allgemeines Zeugnisverweigerungsrecht unabhängig davon, ob tatsächlich eine belastende Aussage gemacht werden solle und auch unabhängig davon, ob der Verpflichtete selbst die Konfliktlage empfinde. Im vorliegenden Fall bestünde auch die Möglichkeit, daß der Ehemann der Beschuldigten, Herr Herbert F, zum Tatzeitpunkt das KFZ gelenkt habe. Unter jeder denkbaren Fallkonstellation bestand daher für die Beschuldigte ein Auskunftsverweigerungsrecht. Eine wie auch immer geartete Verpflichtung, aus einer derartigen Konfliktslage heraus eine Aussage treffen zu müssen, verstoße daher jedenfalls gegen die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und hier insbesonders gegen die Artikel 6 und 8.

3. Die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf hat die Berufung und den zugrundeliegenden Verwaltungsakt dem unabhängigen Verwaltungssenat zur Entscheidung vorgelegt; eine Berufungsvorentscheidung wurde nicht erlassen.

Da in der Berufung nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wurde und auch die Partei die Durchführung einer Verhandlung nicht ausdrücklich verlangt hat, konnte eine solche gemäß § 51e Abs.2 VStG unterbleiben.

Aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ist der verfahrensrelevante Sachverhalt ausreichend ermittelt.

4. Der O.ö. Verwaltungssenat hat erwogen:

4.1. Im Verwaltungsstrafverfahren steht den Parteien gemäß § 51 Abs.1 VStG das Recht der Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat jenes Landes zu, in dem die Behörde, die den Bescheid erlassen hat, ihren Sitz hat. Daraus ergibt sich die Zuständigkeit des O.ö. Verwaltungssenates.

4.2. Die in Österreich - durch die Einbringung des tatgegenständlichen Kraftfahrzeuges in das Bundesgebiet auch für die Bw - geltende Rechtslage zum gegenständlichen Problemkreis stellt sich wie folgt dar:

Gemäß § 103 Abs.2 KFG kann die Behörde Auskünfte darüber verlangen, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt ein nach dem Kennzeichen bestimmtes Kraftfahrzeug gelenkt ... hat ... Diese Auskünfte, welche den Namen und die Anschrift der betreffenden Person enthalten müssen, hat der Zulassungsbesitzer ... zu erteilen; kann er diese Auskunft nicht erteilen, so hat er die Person zu benennen, die die Auskunft erteilen kann. Diese trifft dann die Auskunftspflicht; die Angaben des Auskunftspflichtigen entbinden die Behörde nicht, diese Angaben zu überprüfen, wenn dies nach den Umständen des Falles geboten erscheint. Die Auskunft ist unverzüglich, im Falle einer schriftlichen Aufforderung binnen zwei Wochen nach Zustellung zu erteilen; wenn eine solche Auskunft ohne entsprechende Aufzeichnungen nicht gegeben werden könnte, sind diese Aufzeichnungen zu führen (Verfassungsbestimmung). Gegenüber der Befugnis der Behörde, derartige Auskünfte zu verlangen, treten Rechte auf Auskunftsver-weigerung zurück. (Hervorhebung durch den unabhängigen Verwaltungssenat).

Die Gestaltung des letzten Satzes als Verfassungsbestimmung hat der Verfassungsgerichtshof als im Einklang mit den Baugesetzen der Bundesverfassung und nicht im Widerspruch zu Art. 6 MRK stehend erachtet. Der Verfassungsgerichtshof hebt das in dieser Bestimmung enthaltene rechtspolitische Anliegen des Gesetzgebers, welchem dieser nur durch das Institut der Lenkerauskunft in dieser Form nachkommen zu können glaubt, besonders hervor, bemerkt jedoch kritisch die Problematik der Durchbrechung des Anklageprinzips gemäß Art. 90 Abs.2 B-VG und den durch eine Strafsanktion ausgeübten Zwang zur Ablegung eines Geständnisses (siehe etwa VwGH vom 29.9.1988, G72/88 u.a.). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (siehe etwa VwGH vom 29.9.1993, 93/02/0191) liegt der Bestimmung des § 103 Abs.2 KFG die Absicht des Gesetzgebers zugrunde, sicherzustellen, daß der verantwortliche Lenker eines Kraftfahrzeuges jederzeit festgestellt werden kann. Dieser Intention schließt sich auch der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich an, weil aus der Sicht der Praxis eine effektive Verkehrsüberwachung ohne dieser Bestimmung nicht ausreichend gewährleistet erscheint. In dieses Konzept müssen alle die österreichischen Straßen benützenden Kraftfahrzeuglenker, somit auch Ausländer, einbezogen werden.

Daraus folgt, daß die Bw die ihr angelastete Verwaltungsübertretung zu vertreten hat.

4.3. Den Berufungsausführungen ist folgendes zu entgegnen:

4.3.1. Die Rechtsansicht der Bw, daß die Republik Österreich unmittelbar vertraglich der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten niemals beigetreten sei, ist rechtsirrig: Tatsächlich ist die Republik Österreich der Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 im Jahre 1958 und in der Folge den Zusatzprotokollen beigetreten. Die Konvention wurde durch das Bundesverfassungsgesetz, BGBl.Nr. 59/1964, zur Gänze in Verfassungsrang erhoben.

4.3.2. Die Bestrafung der Bw verstößt nicht gegen den Grundsatz des "fair trial" im Sinne des Art. 6 der Menschenrechtskonvention (im folgenden kurz: MRK): Demnach hat ein Angeklagter grundsätzlich ein Recht darauf, daß über die Anklage ein Gericht entscheidet, und zwar in einem fairen und zügigen Verfahren. Dieses Recht ist auch bei Bußgeld- und Strafbefehlsverfahren gewahrt, wenn die Möglichkeit des Einspruchs und damit des Zugangs zum Gericht gegeben ist, und es allein vom Willen des Betroffenen abhängt, ob er von dieser Möglichkeit Gebrauch machen will (Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskon-vention, EMRK-Kommentar, zweite Auflage, Seite 209).

Der Anspruch auf Anhörung in billiger Weise auf ein " fair trial", wie es prägnant im englischen heißt, wird von der Konvention nicht im einzelnen definiert. Er wird in den nationalen Verfahrensrechten durch die Gewährleistung verschiedener Verfahrensgarantien konkretisiert. Art. 6 Abs.3 zählt, unter Beschränkung auf das Strafverfahren, einige solcher Garantien auf ... Ob in einem Verfahren die Rechte der jeweils Beteiligten aus Art. 6 gewahrt wurden, beurteilt sich nach der Spruchpraxis von GH und KOM in der Regel erst nach Abschluß desselben unter Berücksichtigung der Verfahrensgesamtheit einschließlich der Rechtsmittel-instanzen, wobei auch den aus der inneren Sachgerechtigkeit des jeweiligen Verfahrens sich ergebenden Grundsätzen Rechnung zu tragen ist. (Frowein/Peukert aaO, Seite 213).

Diese Rechte sind für die Bw im vorliegenden Fall gewahrt; ihr Rechtsmittel wird MRK-konform vom unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich als Tribunal im Sinne der Menschenrechtskonvention behandelt.

Die Bw verkennt vielmehr im Anlaßfall die Rechtslage insofern, als sie das Ermittlungsverfahren zur Ausforschung einer Person, die zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort ein Kraftfahrzeug gelenkt hat, mit dem Strafverfahren gegen einen KFZ-Lenker, der im Verdacht steht, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort eine Verwaltungsübertretung begangen zu haben, vermischt. Dieses Ermittlungsverfahren gemäß § 103 Abs.2 KFG zur Ausforschung des Lenkers dient (MRK-konform) dem Zweck, den Verdächtigen zu eruieren, um Strafverfahren gegen Unschuldige auszuschließen, sondern ausschließlich gegen die verdächtige Person ein Strafverfahren einleiten zu können. Diese Person hat dann im eigentlichen Strafverfahren wiederum die ihr von der MRK, aber auch vom innerstaatlichen Recht zuerkannten Rechte.

Um das oben erwähnte Ermittlungsverfahren nach § 103 Abs.2 KFG nicht seiner Sinnhaftigkeit zu berauben, war es vom Gesetzgeber mit einer Auskunftspflicht zu versehen, die auch mit einer entsprechenden Strafdrohung sanktioniert werden mußte. Eine solche Auskunft bedeutet aber nicht, jemand anderen einer Verwaltungsübertretung zu beschuldigen, weshalb sie nicht als in Widerspruch zur MRK stehend angesehen werden kann.

4.4. Hinsichtlich des Verschuldens bestimmt § 5 Abs.1 VStG, daß dann, wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nicht anderes bestimmt, zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten genügt. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandlung gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.

Diese gesetzliche Schuldvermutung trifft sohin bei den sogenannten "Ungehorsamsdelikten" zu. Bei den Ungehorsamsdelikten - die die meisten Verwaltungsdelikte darstellen - besteht das Tatbild in einem bloßen Verhalten ohne Merkmal eines Erfolges. Bereits die Nichtbefolgung eines gesetzlichen Gebotes oder Verbotes genügt zur Strafbarkeit; ein (schädlicher) Erfolg muß dabei nicht eingetreten sein. Die Nichterteilung einer Lenkerauskunft stellt ein solches Ungehorsamsdelikt dar, weshalb die gesetzliche Schuldvermutung eingreift. Die Bw hat nicht glaubhaft gemacht, daß sie an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft. 4.5. Die Überprüfung der Strafbemessung ergab, daß diese entsprechend den Grundsätzen des § 19 VStG vorgenommen wurde.

Die Voraussetzungen des § 21 VStG (Absehen von der Strafe bzw. Ausspruch einer Ermahnung) sind nicht erfüllt, weil weder das Verschulden des Bw geringfügig ist noch die Folgen der Übertretung unbedeutend sind.

Zu II.: Gemäß § 64 Abs.1 und 2 VStG ist in jeder Entscheidung eines unabhängigen Verwaltungssenates, mit der ein Straferkenntnis bestätigt wird, auszusprechen, daß der Bestrafte einen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten hat, der mit weiteren 20 % der verhängten Strafe zu bemessen ist. Da eine Geldstrafe in Höhe von 600 S verhängt wurde, beträgt der Verfahrenskosten-beitrag für das Berufungsverfahren 120 S.

Zu III.:

Weder im KFG noch im VStG finden sich Bestimmungen über eine Ersatzpflicht der "Staatskasse" gegenüber dem Beschuldigten hinsichtlich der ihm erwachsenen Kosten. Es sind daher die Verwaltungsbehörden auch nicht berufen, über derartige Ansprüche zu entscheiden (siehe VwGH vom 2.7.1985, 85/05/0071; VwGH vom 25.2.11988 Slg 12661A). Der dennoch gestellte Antrag war daher als unzulässig zurückzuweisen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500 S zu entrichten.

Ergeht an: Beilage Dr. Leitgeb Beschlagwortung: Lenkerauskunft; fair trial