Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-106789/12/BI/FB

Linz, 13.03.2000

VwSen-106789/12/BI/FB Linz, am 13. März 2000

DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Karin Bissenberger über die Berufung des Herrn C S, D, N, Deutschland, vom 11. Dezember 1999, vertreten durch RAe Dr. S, H, H, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 23. November 1999, VerkR96-15855-1999, wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird insofern Folge gegeben, als das angefochtene Straferkenntnis im Schuldspruch bestätigt, die Geldstrafe jedoch auf 500 S (entspricht 36,33 €) und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 24 Stunden herabgesetzt wird.

II. Der Beitrag zu den Verfahrenskosten der Erstinstanz ermäßigt sich auf 50 S (entspricht 3,63 €); ein Kostenbeitrag zum Rechtsmittelverfahren entfällt.

Rechtsgrundlage:

zu I.: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz - AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1 und 19 Verwaltungsstrafgesetz - VStG, §§ 20 Abs.2 iVm 99 Abs.3 lit.a Straßenverkehrsordnung 1960 - StVO 1960

zu II.: §§ 64 und 65 VStG

Entscheidungsgründe:

zu I.:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck hat mit dem genannten Straferkenntnis über den Beschuldigten wegen der Verwaltungsübertretung gemäß §§ 20 Abs.2 iVm 99 Abs.3 lit.a StVO 1960 eine Geldstrafe von 1.000 S (48 Stunden EFS) verhängt, weil er am 28. August 1999 um 9.26 Uhr den PKW (D) auf der A in Richtung W gelenkt und bei km 254,420 im Gemeindegebiet von O die auf Autobahnen erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h um 26 km/h überschritten habe. Gleichzeitig wurde ihm ein Verfahrenskostenbeitrag von 100 S auferlegt.

2. Dagegen hat der Rechtsmittelwerber (Bw) fristgerecht Berufung eingebracht, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da keine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 51c VStG). Die Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung erübrigte sich (§ 51e Abs.3 Z3 VStG).

3. Der Bw macht unter Vorlage neurochirurgischer Bestätigungen geltend, seiner Gattin sei im August 1999 ein Hirntumor entfernt worden und ihre Widerstandskräfte seien so gering, dass ein Infekt schon lebensbedrohlich sei. Es hätten sich Komplikationen ergeben, sodass er mit seiner Gattin nach V zu Herrn Dr. V gefahren sei, der einen lebensnotwendigen Eingriff vorgenommen habe. Dr. V sei nicht nur "Hausarzt", sondern habe auch noch andere Qualifikationen. Auch er wisse, dass die Überlebenschancen bei einem solchen Tumor bei 18 Monaten lägen.

Er beantragt die Zurücknahme des Straferkenntnisses, weil Notstand im Sinne des § 6 VStG vorgelegen habe. Sollten daran Zweifel bestehen, bestreite er vorsorglich die Geschwindigkeitsüberschreitung und ersuche um Übersendung der Fotos an seinen Rechtsanwalt.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz sowie weitere Erhebungen.

Der Anzeige ist zu entnehmen, dass der auf den Bw zugelassene PKW, Kz. , am 28. August 1999 um 9.26 Uhr auf der A W bei km 254.420, Gemeindegebiet O, in Fahrtrichtung W mittels Radar-Gerät MUVR 6F, Nr. 691, trotz der erlaubten 130 km/h mit 164 km/h gemessen wurde. Nach Abzug der vorgeschriebenen Toleranzen von 5% wurde ein Wert von 156 km/h der Anzeige und auch dem von der Erstinstanz eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahren zugrundegelegt. Aus dem Eichschein ergibt sich, dass das Gerät zuletzt vorher am 1. März 1999 vom Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen mit Nacheichfrist 31. Dezember 2002 geeicht wurde. Auch die zweifelsfrei das Kennzeichen erkennen lassenden Fotos liegen vor.

Auf Grund der bereits im Einspruch gegen die Strafverfügung vom 9. November 1999 enthaltenen Ausführungen des Bw wurde seitens des unabhängigen Verwaltungssenates mit Dr. M V, praktischer Arzt in V, Kontakt aufgenommen. Dr. V bestätigte, dass die Gattin des Bw am 28. und 30. August 1999 in seiner Ordination gewesen sei. Sie habe sich in einem Zustand nach Operation eines Hirntumors befunden und sei deswegen auch in großer Sorge und Angst gewesen; ihr Zustand sei aber nach seiner Ansicht nicht lebensbedrohlich gewesen. Die benötigte neurologische Hilfe (Einklemmungssymptomatik) hätte sie auch in Deutschland bekommen.

Auf Grund des Berufungsvorbringens wurden die Erhebungsergebnisse den Rechtsvertretern des Bw zur Kenntnis gebracht. Diese stellen mit Schreiben vom 7. März 2000 richtig, der Bw sei mit seiner Gattin nicht von N nach V gefahren, sondern sie hätten bei den Eltern in S eine Woche Urlaub gemacht. Auf Grund von Beschwerden, die seiner Gattin unheimlich gewesen seien - sie habe sich in dem Gefühl einer tatsächlichen Lebensgefahr befunden -, seien sie nach Vöcklabruck gefahren, da sie Dr. V aus seiner Zeit in H kenne. Es liege insofern zumindest Putativnotstand vor, als sich der Bw verständlicherweise von den Ängsten seiner Gattin anstecken lassen habe - er habe als Laie auch nicht wissen können, dass sich diese Situation aus ärztlicher Sicht nicht so dargestellt habe - und deshalb die Geschwindigkeit überschritten habe, allerdings ohne jemanden dabei zu gefährden.

In rechtlicher Hinsicht hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

Gemäß § 20 Abs.2 StVO 1960 darf der Lenker eines Fahrzeuges ua auf Autobahnen nicht schneller als 130 km/h fahren.

Der durch Messung mit einem ordnungsgemäß geeichten Radargerät ermittelte und um die vorgeschriebenen Toleranzen verminderte Geschwindigkeitswert von 156 km/h wurde weder bestritten noch liegen Anhaltspunkte für Zweifel an seiner Richtigkeit und Heranziehbarkeit als Grundlage für das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren vor. Auch ist unbestritten, dass der Bw Lenker des genannten PKW zum Vorfallszeitpunkt war.

Gemäß § 6 Abs.1 VStG ist eine Tat nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt oder, obgleich sie dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt war.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann unter Notstand iSd § 6 VStG nur ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten verstanden werden, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, dass er eine im allgemeinen strafbare Handlung begeht; es muss sich um eine unmittelbar drohende Gefahr für das Leben, die Freiheit oder das Vermögen handeln (vgl VwGH v 17. Februar 1992, 91/19/0328, uva).

Zum Wesen des Notstandes gehört auch, dass die Gefahr zumutbarerweise nicht in anderer Art als durch die Begehung der objektiv strafbaren Handlung zu beheben ist (vgl VwGH v 3. März 1994, 93/18/0090, ua).

Der gegenständliche Fall stellt sich für den unabhängigen Verwaltungssenat so dar, dass der Bw und seine kurz zuvor wegen eines Hirntumors operierte Gattin in S auf Urlaub waren und bei ihr plötzlich ein Zustand auftrat, der ihr lebensbedrohlich erschien, sodass sie beschlossen, einen vorher in Hamburg und nun in V tätigen genannten Arzt aufzusuchen.

Tatsache ist, dass die Fahrt von der Stadt S bis V, ds ca 70 km, an einem Samstagmorgen etwa eine Stunde dauert, wobei der Messort im Gemeindegebiet O, das in der Mitte zwischen M und S liegt, in etwas mehr als einer halben Stunde von S aus zu erreichen sein dürfte.

Nach Auffassung des unabhängigen Verwaltungssenates hätte der Bw, wäre ihm der Zustand seiner Gattin wirklich so lebensbedrohlich erschienen, wie von ihm geschildert, mit Sicherheit nicht eine so lange Fahrt angetreten, sondern hätte nach logischen Überlegungen in Verbindung mit der erst kürzlich überstandenen Operation sofort mit ihr ein Krankenhaus in S aufgesucht, wobei auch Rettungsfahrzeuge zur Verfügung gestanden wären. Dr. Veits hat nach eigenen Angaben am 28. August 1999 einen neurologischen Eingriff vorgenommen, den ein anderer Arzt ebenso vornehmen hätte können. Wäre der Zustand der Gattin des Bw tatsächlich lebensbedrohlich gewesen, wäre nicht so lange zugewartet worden, wie die Fahrt von S nach V üblicherweise und vorhersehbar dauert. Gerade wenn sich jemand seinem Gefühl nach in Lebensgefahr befindet, ist nicht anzunehmen, dass in dieser Situation noch eine Auswahlmöglichkeit hinsichtlich einer ärztlichen Versorgung besteht. Das Vorliegen einer Notstandssituation im Sinne des § 6 Abs.1 VStG ist daher zweifelsfrei auszuschließen.

Zum behaupteten Vorliegen eines Putativnotstandes ist zu sagen, dass dem Bw natürlich nichts anderes übrig blieb, als seine Gattin nach ihrem Empfinden zu fragen, ob sie die Fahrt aushalten werde oder sofort ins nächste Krankenhaus gebracht werden wolle. Da nicht anzunehmen ist, dass er seine Gattin gegen ihren Willen nach V gebracht hat, und auch nicht behauptet wurde, dass auf einer normalen Fahrt plötzlich eine solche Situation eingetreten ist, geht auch dieses Vorbringen ins Leere. Hat nämlich seine Gattin den Wunsch geäußert, Dr. V aufsuchen zu wollen, und diese lange Fahrt in Kauf genommen, so scheidet schon begrifflich "Putativnotstand" aus, weil der Bw sich gar nicht im Glauben einer Notstandssituation befinden konnte, selbst wenn seine Gattin sich - verständlicherweise - in großer Sorge wegen ihres Zustandes befunden haben mag.

Aus diesen Überlegungen gelangt der unabhängige Verwaltungssenat zu der Auffassung, dass der Bw den ihm zur Last gelegten Tatbestand erfüllt und sein Verhalten als Verwaltungsübertretung zu verantworten hat, wobei jedenfalls von Fahrlässigkeit auszugehen ist.

Zur Strafbemessung ist zu sagen, dass der Strafrahmen des § 99 Abs.3 StVO 1960 bis zu 10.000 S Geld- bzw im Nichteinbringungsfall bis zu 2 Wochen Ersatzfreiheitsstrafe reicht.

Die Erstinstanz hat laut Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses die bisherige verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit als strafmildernd gewertet, das Einkommen des Bw mit zumindest 2300 DM geschätzt und die Sorgepflicht für die Gattin angenommen.

Dieser Schätzung wurde nicht widersprochen, weshalb auch im Berufungsverfahren von diesem Betrag auszugehen ist. Außer dem genannten sind auch die Milderungsgründe gemäß § 34 Abs.1 Z3, 8 und 13 StGB zu berücksichtigen, während erschwerend kein Umstand war.

Insgesamt ist aus diesen Überlegungen eine Herabsetzung der verhängten Strafe als gerechtfertigt anzusehen, wobei die nunmehr verhängte den Kriterien des § 19 VStG ebenso entspricht wie general- und spezialpräventiven Erwägungen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

zu II.:

Der Ausspruch über den Verfahrenskostenersatz ist gesetzlich begründet.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500 S (entspricht 181,68 €) zu entrichten.

Mag. Bissenberger

Beschlagwortung:

Notstand liegt nicht vor, wenn Gattin des Bw zur ärztlichen Versorgung 70 km entfernt befindlichen Arzt wählt; auch kein Putativnotstand, wenn Gattin sich zur langen Fahrt bereiterklärt.

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