Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-105534/38/BI/FB

Linz, 30.11.1998

VwSen-105534/38/BI/FB Linz, am 30. November 1998 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Karin Bissenberger über die Berufung des Herrn O S, K, B, M, vom 5. Mai 1998 gegen Punkt 1) des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 6. April 1998, VerkR96-12792-1997, wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, aufgrund des Ergebnisses der am 25. November 1998 durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung samt mündlicher Verkündung der Berufungsentscheidung zu Recht erkannt:

Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis im Punkt 1) behoben und das Verwaltungsstrafverfahren diesbezüglich ohne Verpflichtung zur Leistung von Verfahrenskostenbeiträgen eingestellt.

Rechtsgrundlage: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1, 51i, 45 Abs.1 Z1 1. Alt. und 66 VStG, §§ 4 Abs.1 lit.a iVm 99 Abs.2a StVO 1960.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck hat mit dem oben angeführten Straferkenntnis über den Beschuldigten ua wegen der Verwaltungsübertretung gemäß 1) §§ 4 Abs.1 lit.a iVm 99 Abs.2 lit.a StVO 1960 eine Geldstrafe von 2.000 S (72 Stunden EFS) verhängt, weil er am 2. August 1997 gegen 20.00 Uhr den PKW auf der D-Straße in M aus Richtung Marktplatz kommend in Richtung Bundesstraße gelenkt habe, bei der Kreuzung der D mit der B nach links in die B einbiegen habe wollen und dabei übersehen habe, daß L L von der Gehsteigkante abgerutscht und mit den Füßen auf die Fahrbahn gekommen sei, und mit dem linken Vorderrad seines PKW über den rechten Fuß der L L gefahren sei, die dadurch verletzt worden sei. Obwohl sein Verhalten am Unfallort mit dem Verkehrsunfall mit Personenschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei, habe er nicht sofort angehalten. Gleichzeitig wurde ihm ein anteiliger Verfahrenskostenbeitrag von 200 S auferlegt.

2. Der Rechtsmittelwerber hat gegen beide Punkte des Straferkenntnisses fristgerecht Berufung eingebracht, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da keine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 51c VStG). Am 25. November 1998 wurde eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung in Anwesenheit des Rechtsmittelwerbers sowie der Zeugen E und M L, K H, T K und RI A durchgeführt. Ein Vertreter der Erstinstanz ist nicht erschienen. Die Berufung gegen Punkt 2) des Straferkenntnisses wurde zurückgezogen. Die Berufungsentscheidung hinsichtlich Punkt 1) wurde im Anschluß an die Verhandlung mündlich verkündet. 3. Der Rechtsmittelwerber macht im wesentlichen geltend, er sei auf der D-Straße in M gefahren und habe links in die B einbiegen wollen. Er habe eine Menschenmenge bemerkt, an der ihm ein Vorbeifahren nicht möglich gewesen sei und daher das Auto gestoppt. Er habe gehupt, worauf ihm die Fahrbahn langsam freigemacht worden sei, und die Fahrt im Schrittempo fortgesetzt. Er habe den Fuß der L L nicht mit dem linken Vorderreifen sondern mit dem linken Hinterreifen, der sich außerhalb seines Blickfeldes befunden habe, überrollt und es sei ihm unmöglich gewesen, das Abrutschen der L L von der Gehsteigkante zu sehen. Er habe den Vorfall nicht bemerkt sondern erst durch die Reaktion der Leute realisiert, daß etwas passiert sein könnte, worauf er nochmals das Auto gestoppt und sich um das Mädchen gekümmert habe. Rein äußerlich habe er keine Verletzungen feststellen können, aber die Eltern aufgefordert, das Kind von einem Arzt untersuchen zu lassen. Er habe seine Daten den Eltern zur Verfügung gestellt. Sein Beifahrer T K und der Spaziergänger G P hätten den Vorfall beobachtet. Der Rechtsmittelwerber beantragt die Aufhebung des Straferkenntnisses, in eventu unter Hinweis auf sein Einkommen von nur 3.470 S netto Strafmilderung. 4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz, Vornahme eines Ortsaugenscheins beim in Rede stehenden Eisgeschäft an der Kreuzung D-Straße - B in M sowie Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung, bei der der Rechtsmittelwerber gehört und die genannten Zeugen einvernommen wurden.

Folgender Sachverhalt ist entscheidungswesentlich: Der Rechtsmittelwerber lenkte am 2. August 1997 gegen 20.00 Uhr den PKW mit dem Beifahrer T K in M aus Richtung Marktplatz kommend Richtung Allee, um bei der Kreuzung mit der B nach links in diese einzubiegen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich beim unmittelbar nach dem Kreuzungsbereich linksseitig gelegenen Eisgeschäft eine größere Anzahl von Personen, die sich zum Eiskaufen angestellt hatten, wobei diese Personen sowohl auf dem Gehsteig als auch auf der Fahrbahn der B standen. Die B weist in diesem Bereich eine Breite auf, die gerade für die Durchfahrt eines PKW reicht, wobei beidseitig Gehsteige vorhanden sind. Die Kante des vor dem Eisgeschäft gelegenen Gehsteiges ist etwa 15 cm hoch. Die Einhaltung eines Sicherheitsabstandes zur Gehsteigkante ist aufgrund der geringen Fahrbahnbreite der B nicht möglich. Beim Eisgeschäft handelt es sich um eine Konditorei, die zur B hin ein Auslagenfenster und daneben eine schmale Glastür aufweist, wobei beim Auslagenfenster hinaus Eis verkauft wurde. Die Breite dieser Auslagen-Glastür-Kombination beträgt etwa 2 m.

Das Beweisverfahren hat ergeben, daß die Ehegatten L zusammen mit der damals siebenjährigen Tochter L aus Richtung Marktplatz kommend auf dem Gehsteig zum Eisgeschäft gingen, um dort Eis zu kaufen. Beide Zeugen hatten das Kind an der Hand genommen, wobei die Zeugin L beim Aussuchen der Eissorte die Hand des Kindes losließ. Nach ihrer Aussage hörte sie zu diesem Zeitpunkt hinter sich das Geräusch eines fahrenden Kraftfahrzeuges und auch ein Hupen. Das Kind stand zu diesem Zeitpunkt an der Kante des dort etwa 1 m breiten Gehsteiges und rutschte offenbar mit dem rechten Fuß parallel zur Gehsteigkante hinunter auf die Fahrbahn der Badgasse. Beide Zeugen Lettner haben im Rahmen der mündlichen Verhandlung inhaltlich übereinstimmend und glaubwürdig ausgesagt, daß plötzlich ein Auto gekommen sei, das mit dem linken Vorderreifen über den rechten Fuß des Kindes gefahren sei, und zwar an der Außenseite zwischen dem rechten Knöchel und den Zehen. Das Kind sei dabei niedergefallen, aber sofort vom Vater hochgezogen worden, wobei dieser dem Lenker zugerufen habe, er möge stehenbleiben, um ein weiteres Überrollen des Fußes des Kindes mit dem linken Hinterreifen zu verhindern.

Das Beweisverfahren hat ergeben, daß der Rechtsmittelwerber sein Fahrzeug letztendlich in einer solchen Position zum Stillstand gebracht hat, daß es mit dem Heck kurz nach dem Ende der Glastür stand, wobei nach den inhaltlich übereinstimmenden Aussagen der Zeugen eine Weiterfahrt auch wegen der auf der Fahrbahn befindlichen Personen unmöglich war. Nachdem er von den Eltern des Kindes auf dessen Verletzung hingewiesen wurde und nach eigenen Angaben auch selbst die Rötung gesehen hatte, stieg der Rechtsmittelwerber aus und tauschte mit dem Zeugen L die Daten aus, während die Mutter mit dem verletzten Kind zu einer in der Nähe stehenden Bank ging. Eine Passantin verständigte einen Arzt, der an Ort und Stelle den Fuß untersuchte und den Eltern empfahl, das Krankenhaus in S aufzusuchen. Dort wurde eine Quetschung bzw Prellung des rechten Fußes festgestellt und ein Spaltgips angelegt. Zwischen den Zeugen L und dem Rechtsmittelwerber war vereinbart, daß dieser sich telefonisch nach dem Ergebnis der Untersuchung erkundigt. Er hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung auch glaubwürdig versichert, er hätte in dieser Nacht noch mehrmals angerufen, die Eltern aber nicht erreicht. Diese haben bestätigt, daß sie auf Anraten des Arztes nach S ins Krankenhaus fuhren und erst spät zurückkamen. Am nächsten Tag, am Sonntag, dem 3. August 1997, fuhren die Zeugen L mit dem Kind um 14.40 Uhr zum Gendarmerieposten M und erstatteten Unfallmeldung. Der Zeuge RI A verständigte den Rechtsmittelwerber, der zum Gendarmerieposten kam, wo nachträglich eine Unfallaufnahme durchgeführt wurde.

Der Rechtsmittelwerber hat ausgesagt, von einer Meldung an die Gendarmerie sei an der Unfallstelle überhaupt nicht die Rede gewesen und auch sein Beifahrer, der Zeuge K, der im übrigen von dem Vorfall laut eigenen Angaben nichts mitbekommen hat, habe ihn nicht auf eine solche aufmerksam gemacht. Er sei der Meinung gewesen, daß der Austausch der Daten zwischen ihm und den Eltern des verletzten Kindes genügt hätte.

Der Zeuge H bestätigte, er sei zum Zeitpunkt des Vorfalls zu Fuß aus Richtung Marktplatz Richtung B gegangen und habe aus einiger Entfernung wahrgenommen, daß ein Kind zwischen einem Auto und der Gehsteigkante eingeklemmt war, aber sofort von jemandem hochgezogen wurde. Auch dieser hat letztlich die Endposition des PKW so beschrieben, daß dieser mit dem Heck kurz nach der Glastür des Eisgeschäftes stand. Dieselbe Position hat der Zeuge K bestätigt. In rechtlicher Hinsicht ist auszuführen:

Gemäß § 4 Abs.1 lit.a StVO 1960 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, wenn sie ein Fahrzeug lenken, sofort anzuhalten. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dient die Anhalteverpflichtung des § 4 Abs.1 lit.a StVO 1960 dazu, den in einen Verkehrsunfall verwickelten Lenker in die Lage zu versetzen, sich davon zu vergewissern, ob und welche weiteren Verpflichtungen nach der StVO, insbesondere nach der im § 4, ihn treffen bzw ob solche Verpflichtungen für ihn nicht bestehen (vgl Erk v 11. November 1992, 92/02/0161 ua).

Im gegenständlichen Fall ist davon auszugehen, daß der Rechtsmittelwerber eine geringe Geschwindigkeit eingehalten hat, wobei die Zeugin L auch das Hupen bestätigt hat. Der Zeuge L hat ausgesagt, der Rechtsmittelwerber habe sein Fahrzeug auf seinen Zuruf, stehenzubleiben, hin sofort zum Stillstand gebracht. Sämtliche Zeugen haben bestätigt, daß der Rechtsmittelwerber aufgrund der vielen vor dem Eisgeschäft, auch auf der Fahrbahn, wartenden Personen seine Fahrt gar nicht fortsetzen hätte können. Die Endposition des Fahrzeuges wurde von den Zeugen übereinstimmend so beschrieben, daß dieses mit dem Heck am Ende des Eisgeschäftes, dh am Ende der Glastür, stand, wobei sich der Vorfall mit dem Kind auf Höhe der Auslage ereignet hat. Daraus folgt, daß der Rechtsmittelwerber nach dem Überrollen des Fußes eine weitere Fahrtstrecke von etwa 1,5 m zurückgelegt hat. Glaubwürdig ist seine Schilderung, er habe sich beim Einfahren in die B auf die vor dem Fahrzeug befindlichen und diese langsam verlassenden Personen konzentriert, sodaß ihm möglicherweise tatsächlich das Abrutschen des Kindes über die Gehsteigkante nicht sofort aufgefallen ist. Das Zum-Stillstand-Bringen des rollenden Fahrzeuges unter Beachtung einer Reaktionszeit nach dem Zuruf des Zeugen L, er solle anhalten, ist dem Rechtsmittelwerber jedenfalls zuzubilligen, sodaß die Fahrtstrecke von 1,5 m durchaus im Einklang mit den Zeugenaussagen und der Beschuldigtenverantwortung steht. Von einem verspäteten Anhalten iSd § 4 Abs.1 lit.a StVO 1960 kann nach Auffassung des unabhängigen Verwaltungssenates daher nicht die Rede sein, auch wenn der Zeuge L glaubhaft ausgeführt hat, es sei ihm hauptsächlich darum gegangen, ein weiteres Überrollen des Fußes seines Kindes mit dem linken Hinterreifen des PKW zu verhindern. Der am Unfall beteiligte Fahrzeuglenker ist schon vom Wortlaut der oben zitierten Gesetzesbestimmung her verpflichtet, sein Fahrzeug sofort an der Unfallstelle anzuhalten, was aber unter Bedachtnahme auf technische Möglichkeiten und die Reaktionszeit des Lenkers nicht so restriktiv verstanden werden darf, daß ein zentimetergenaues Zum-Stillstand-Bringen des Fahrzeuges verlangt würde.

Im gegenständlichen Fall ist auf der Grundlage der obigen Überlegungen davon auszugehen, daß der Rechtsmittelwerber "sofort" angehalten hat, wobei er dann auch an der Unfallstelle verblieb und mit den Eltern Kontakt aufnahm. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden, wobei naturgemäß auch keinerlei Verfahrenskostenbeiträge anfallen.

Rechtsmittelbelehrung: Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis: Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500 S zu entrichten.

Mag. Bissenberger Beschlagwortung: Beweisverfahren ergab, daß PKW etwa nach 1,5 m zum Stillstand gebracht wurde -> Tatvorwurf nicht erweisbar.

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