Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-105607/16/Fra/Ka

Linz, 11.03.1999

VwSen-105607/16/Fra/Ka Linz, am 11. März 1999 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Johann Fragner über die Berufung des Herrn Ing. D gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz vom 20. Jänner 1998, Zl. III/S 32.384/97-1, wegen Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960 nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 2. Februar 1999 und Einholung eines Gutachtens, zu Recht erkannt:

Der Berufung wird stattgegeben. Das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt; der Berufungswerber hat keine Verfahrenskostenbeiträge zu zahlen.

Rechtsgrundlage: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24 und 45 Abs.1 Z1 VStG; § 66 Abs.1 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bundespolizeidirektion Linz hat mit dem in der Präambel angeführten Straferkenntnis über den Berufungswerber (Bw) 1) wegen Übertretung des § 5 Abs.1 StVO 1960 eine Geldstrafe von 6.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe 6 Tage), 2) wegen Übertretung des § 8 Abs.4 StVO 1960 eine Geldstrafe von 100 S (Ersatzfreiheitsstrafe 12 Stunden) und 3) wegen Übertretung des § 60 Abs.3 StVO 1960 eine Geldstrafe von 100 S (Ersatzfreiheitsstrafe 12 Stunden) verhängt, weil er am 26.9.1997 um 23.45 Uhr in Linz, auf der Theatergasse gegenüber dem Hause Nr.1 ein Fahrrad 1) in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand, 2) vorschriftswidrig auf dem Gehsteig, 3) trotz Dunkelheit ohne Beleuchtung gelenkt hat. Ferner wurde gemäß § 64 VStG ein Kostenbeitrag in Höhe von je 10 % der verhängten Geldstrafen vorgeschrieben.

2. Dagegen richtet sich die rechtzeitig bei der Erstbehörde eingebrachte Berufung. Die Bundespolizeidirektion Linz - als nunmehr belangte Behörde - legte das Rechtsmittel samt bezughabenden Verwaltungsstrafakt dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vor, der, weil jeweils 10.000 S nicht übersteigende Geldstrafen verhängt wurden, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied entscheidet (§ 51c VStG). 3. Der Bw bringt im wesentlichen vor: Er trage seit 1969 eine Unterschenkelprothese. Langes Gehen kann unter Umständen zu Problemen führen. Um Überlastungen hintanzuhalten und um die sich daraus ergebende Beschränkungen seiner Mobilität etwas auszugleichen, benutze er in der Innenstadt nachstehend beschriebenes "Klappfahrrad": a) Der Sattel ist möglichst tief gestellt, sodaß er auf dem Sattel sitzend selbst mit angewinkelten Knien beide Beine gleichzeitig auf den Boden aufsetzen kann. Beim Stehenbleiben können also beide Beine gleichzeitig eingesetzt werden. b) Das "Klappfahrrad" sei mit zwei voneinander unabhängigen, sicher wirkenden Felgenbremsen ausgerüstet, so daß auch die Hände beim Stehenbleiben mitwirken (können). c) Die Tretpedaleinrichtung, welche gemäß § 2 Abs.1 Z22 StVO das wesentliche Merkmal eines Fahrrades ist, sei außer Funktion gesetzt und das rechte Bein (Prothese) ruhe unbewegt und unbelastet auf dem rechten Pedal, während das linke Bein anschiebt. Auch ließe seine am Stumpf festgesaugte Prothese eine bei dieser Satteleinstellung zum Rundumtreten erforderliche Anwinkelung des Kniegelenkes nicht zu, ohne daß der Stumpf ein Stück aus der Prothese gehebelt werden würde.

Dieses "Klappfahrrad" sei also zum Fahrradfahren denkbar ungeeignet. Es sei eigentlich ein Mittelding zwischen Tretroller und Rollstuhl, welche beide nicht als Fahrzeug nach der StVO gelten, welches ihm allerdings einen erheblichen Wiedergewinn an Lebensqualität ermöglicht. Zudem liege das von der Benützung seines "Tretrollerstuhls" ausgehende Gefährdungs- und Behinderungspotential sowohl in bezug auf Manövrierfähigkeit (wegen symmetrischer Massenverteilung) als auch in bezug auf Anhaltemöglichkeiten (Hände und Beine wirken mit) auch für andere Gehsteigbenützer seines Erachtens weit unter dem, das beim seitlichen Schieben eines herkömmlichen Fahrrades (eventuell mit Rücktrittbremse) gegeben ist. Auf diesem "Tretrollerstuhl" habe er sich am 26.9.1997 um 23.45 Uhr auf dem beleuchteten und menschenleeren Gehsteig gegenüber dem Haus Theatergasse Nr.1 bergauf durch Anschieben mit 3-4 km/h bewegt. Da er zu dieser Zeit weder mit einem Fahrzeug gemäß § 2 Abs.1 Z19 StVO 1960 noch mit einem Fahrrad gemäß § 2 Abs.1 Z22 StVO 1960 unterwegs gewesen sei, könne er auch die ihm angelastete Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt haben.

In der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses führt die belangte Behörde aus, daß es sich bei dem gegenständlichen "Fortbewegungsmittel" sehr wohl um ein Fahrrad iSd StVO handelt, da zumindest eine Seite der Tretvorrichtung zum beweglichen Drehen bzw Bewegen durch ein Bein vorgesehen ist und es daher von zweitrangiger Bedeutung sei, ob nun der Bw auf dem Fahrrad sitzend, dieses lediglich durch Anschieben oder durch Treten mit dem Pedal, fortbewegt hat. Nach Auffassung der belangten Behörde wurde dieses "Fortbewegungsmittel" vom Bw gelenkt, weil es mit einer Vorrichtung für die Übertragung der menschlichen Kraft auf die Antriebsräder ausgestattet war.

Dem hält nun der Bw entgegen, daß die von der belangten Behörde irrtümlich unterstellte Fixierung der rechten Tretkurbel bei gleichzeitigem Erhalt der Drehbarkeit des vorderen Zahnkranzes mittels linker Tretkurbel einen nicht unerheblichen Umbauaufwand erfordern würde, da bei Fahrrädern der vordere Zahnkranz nicht auf der Welle sitzt, sondern mit der rechten Tretkurbel (meist unlösbar) verbunden ist. Dh, alle Räder stehen still, wenn es die rechte Kurbel will. Richtig sei vielmehr, daß er dieses "20-Zoll-Klapprad" um sehr wenig Geld auf einem Flohmarkt trotz seiner funktionsuntüchtigen Hinterachsinnengangnabe - das hintere Kettenrad drehte sich ratternd auf der Nabe in beide Richtungen durch, ohne das hintere Antriebsrad zu bewegen - erstanden habe, weil er ohnedies nur ein handliches "Radl" mit zwei voneinander unabhängig sicher wirkenden Handbremsen suchte, dessen Sattel so tief gestellt werden konnte, daß er auf dem Sattel sitzend, selbst mit angewinkelten Knien beide Fußsohlen gleichzeitig satt und bequem am Boden aufsetzen konnte (Sesselfunktion) und es wegen seiner Gehbehinderung (Unterschenkelamputation rechts prothetisch versorgt) zur Zurückgewinnung von Lebensqualität als "Gehilfe" zur Hintanhaltung eventueller Überbelastung des rechten Beines durch langes Gehen beim Flanieren im Innenstadtbereich zu verwenden. An die Verwendung als Fahrrad zum Fahrradfahren (wozu dieses "Radl" für ihn wegen der tiefen Sattelstellung und der funktionsuntüchtigen Nabe ungeeignet wäre) habe er dabei nicht gedacht. Zum Fahrradfahren verwende er ein ganz normales Mountainbike (ohne Umbau). Als Verfahrensmangel möchte er geltend machen, daß dieses "Radl" von der Behörde nicht begutachtet wurde, denn eine Begutachtung hätte zweifelsfrei ergeben, daß bei diesem "Radl" aufgrund einer funktionsuntüchtigen Hinterachsinnengangnabe weder durch Treten der rechten noch durch Treten der linken Tretkurbel menschliche Kraft auf das Antriebsrad übertragen werden kann und es deshalb nicht als Fahrrad iSd § 2 Abs.1 Z22 StVO 1960 bewertet werden kann. Es handle sich um ein Mittelding zwischen Tretroller (Vortrieb erfolgt durch das linke Bein) und Rollstuhl (Sesselfunktion).

Der Bw ersucht daher um Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses, weil er die ihm zur Last gelegten Tatbestände nicht erfüllt hat und fügt hinzu, daß, selbst wenn diese Tatbestände als erfüllt anzusehen wären, jegliche Bestrafung entfallen müßte, da § 21 VStG auf ihn anzuwenden sei, weil die Folgen gänzlich unbedeutend seien und sein Verschulden und allfällige Übertretungen derartig gering sind, daß man es bei einer bloßen Ermahnung belassen hätte können.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 2. Februar 1999 erwogen und Einholung eines Gutachtens für Kraftfahrzeugtechnik erwogen: Gegenständlich gilt es die Frage zu klären, ob das vom Bw verwendete Fortbewegungsmittel als Fahrrad im Sinne der StVO 1960 zu qualifizieren ist. Verneinendenfalls hat der Bw nicht tatbildlich gehandelt. Als Maßstab für die Beurteilung dieser Frage kommt § 2 Abs.1 Z22 StVO - im Hinblick auf die Tatzeit - in der Fassung der 19. Novelle in Betracht. Danach ist ein Fahrrad ein Fahrzeug, das mit einer Vorrichtung zur Übertragung der menschlichen Kraft auf die Antriebsräder ausgestattet ist. Die Begutachtung dieses Fahrzeuges durch einen Amtssachverständigen für Kraftfahrzeugtechnik hat ergeben, daß die Hinterradnabe defekt ist und keine Kraft auf das Hinterrad übertragen werden kann. Aus diesem Grund kann mit diesem Fahrzeug maximal Schrittgeschwindigkeit erreicht werden (Ebene, Abstoßen mit einem Fuß). Diese Geschwindigkeit ist auch zu gering, um eine ausreichende Drehzal für den Dynamo zu erwirken und die Beleuchtungsanlage zu aktivieren.

Der Bw hat bei der Verhandlung am 2. Februar 1999 glaubhaft dargetan, daß er bei der Kraftübertragung seit dem Tatzeitpunkt keine Veränderungen vorgenommen hat. Auch der Sachverständige hat in seinem Gutachten ausgeführt, daß aufgrund des technischen Zustandes des "Fahrzeuges" mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gesagt werden kann, daß bereits zum Tatzeitpunkt der Tat keine Kraftübertragung möglich war. Der Oö. Verwaltungssenat kann daher dieses vom Bw zur Tatzeit benützte technische Gerät nicht unter dem Begriff "Fahrrad" im Sinne des § 2 Abs.1 Z22 StVO 1960, sondern lediglich unter den Begriff "Fahrzeug" im Sinne des § 2 Abs.1 Z19 leg.cit. subsumieren. Der Bw hat somit nicht tatbildmäßig im Sinne des strafbehördlichen Vorwurfes gehandelt. Aus den genannten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden. 5. Die Kostenentscheidung ist gesetzlich begründet. Rechtsmittelbelehrung: Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis: Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500 S zu entrichten. Dr. F r a g n e r Beschlagwortung: Begriff: "Farrad" nach der 19. StVO-Novelle

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