Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-230901/2/WEI/An

Linz, 31.10.2005

 

 

 

VwSen-230901/2/WEI/An Linz, am 31. Oktober 2005

DVR.0690392

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Berufung der G U, geb., türkische Staatsangehörige, Istraße, S, vertreten durch Dr. M B, Rechtsanwalt in W, Pgasse gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Steyr vom 16. November 2004, Zl. S 7515/ST/03, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem § 107 Abs 1 Z 4 iVm § 31 Abs 1 Fremdengesetz 1997 - FrG 1997 (BGBl I Nr. 75/1997, zuletzt geändert mit BGBl I Nr. 134/2002 [Strafrechtsänderungsgesetz]) zu Recht erkannt:

 

 

I. Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe bestätigt, dass §§ 31 iVm 107 Abs 1 Z 4 FrG 1997 als verletzte Rechtsvorschriften anzusehen sind.

II. Die Berufungswerberin hat im Berufungsverfahren einen weiteren Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens in Höhe von 28,80 Euro zu leisten.

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG iVm § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG; § 64 Abs 1 und 2 VStG.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde die Berufungswerberin (Bwin) wie folgt schuldig erkannt und bestraft:

"Sie halten sich laut Anzeige des fremdenpolizeilichen Referates vom 30.09.2003 seit 26.04.2003 insofern nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf, als Ihr Einreisetitel (Visum C) am 25.04.2003 abgelaufen ist und Sie seit diesem Zeitpunkt weder im Besitz eines gültigen Einreise- od. Aufenthaltstitels, eines vorübergehenden Aufenthaltsrechtes aufgrund einer Verordnung für Vertriebene, einer Aufenthaltsbewilligung nach dem Asylgesetz und auch nicht Inhaber eines von einem anderen Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind, obwohl Sie für Ihren rechtmäßigen Aufenthalt einen der angeführten nachweise benötigen.

 

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

 

§ 107 Abs. 1 Ziff. 4 Fremdengesetz 1997 i.V.m. § 31 Abs. 1 FrG 1997"

 

Wegen dieser Verwaltungsübertretung verhängte die belangte Behörde "Gemäß § 107 Abs. 1 Ziff. 4 FrG 1997" eine Geldstrafe in Höhe von 144 Euro und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 48 Stunden. Als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens wurden 14,40 Euro vorgeschrieben.

 

1.2. Gegen dieses Straferkenntnis, das der Bwin zu Händen ihres Rechtsvertreters am 22. November 2004 zugestellt wurde, richtet sich die rechtsfreundlich verfasste Berufung vom 6. Dezember 2004, die am gleichen Tag noch rechtzeitig zur Post gegeben wurde und am 7. Dezember 2004 bei der belangten Behörde einlangte. Die Berufung strebt die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und Einstellung des Strafverfahrens an.

 

2.1. In der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses stellt die belangte Behörde abermals fest, dass sich die Bwin als Fremde iSd § 1 Abs 1 FrG 1997 seit dem 26. April 2003 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, weil ihr Einreisetitel - ein Visum C - am 25. April 2003 abgelaufen war und sie weder einen gültigen Einreise- oder Aufenthaltstitel, noch ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht auf Grund einer Verordnung für Vertriebene oder nach dem Asylgesetz, noch Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sei, obwohl sie für den rechtmäßigen Aufenthalt einen der angeführten Nachweise benötige.

 

Gegen die inhaltsgleiche Strafverfügung vom 15. Oktober 2003 erhob die Bwin durch ihren Rechtsvertreter rechtzeitig den Einspruch vom 4. November 2003, in dem sie sich auf ihre Rechtsstellung nach dem Gemeinschaftsrecht (insbesondere ARB 1/80) als Ehegattin eines türkischen Gastarbeiters berief, das die entgegenstehenden nationalen Bestimmungen verdrängte.

 

Dieser Argumentation trat die belangte Behörde entgegen, weil ein Reisevisum (Visum C) keine Genehmigung darstelle als Familienangehörige eines türkischen Staatsangehörigen nach Österreich zu ziehen.

 

2.2. Die Berufung bekämpft den von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt nicht. Sie verweist abermals auf das direkt anzuwendende Gemeinschaftsrecht und bringt vor, dass die Bwin für sich und ihre Kinder einen "Antrag auf Niederlassungsbewilligung bzw. Verlängerung der bisherigen Aufenthaltsberechtigung" gestellt habe, über welchen noch nicht rechtskräftig entschieden worden wäre. Für ihr Aufenthaltsrecht beruft sie sich auf die Richtlinie des Rates 64/221/EWG und auf den Beschluss des Assoziationsrats Nr. 1/80 zum Assoziationsvertrag mit der Türkei sowie auf den Vorlagebeschluss des VwGH, Zl. Zlen. EU 99/21/0018, 2002/21/67. Der Berufungsbehörde bleibe es vorbehalten, den Ausgang des präjudiziellen Verfahrens vor dem EuGH in der Sache RS C 136/03 abzuwarten, es sei denn, sie finde den Fall reif für eine ersatzlose Aufhebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Verfahrens.

 

3. Der unabhängige Verwaltungssenat hat nach Durchsicht der vorgelegten Verwaltungsakten unter Berücksichtigung der Berufung einen unstrittigen Sachverhalt vorgefunden, weshalb nur Rechtsfragen zu lösen waren.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen.

 

4.1. Gemäß § 107 Abs 1 FrG 1997 begeht eine Verwaltungsübertretung und ist in den Fällen der Z 1 und Z 2 mit Geldstrafe bis 726 Euro oder Freiheitsstrafe bis zu 14 Tagen, sonst mit Geldstrafe bis zu 726 Euro zu bestrafen, wer

 

nach Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung nicht rechtzeitig ausreist oder

einem Aufenthaltsverbot zuwider unerlaubt in das Bundesgebiet zurückkehrt oder

sich als passpflichtiger Fremder, ohne im Besitz eines gültigen Reisedokuments zu sein, im Bundesgebiet aufhält, oder

sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (§ 31).

Nach § 31 Abs 1 FrG 1997 halten sich Fremde in Österreich rechtmäßig auf,

  1. wenn sie unter Einhaltung der Bestimmungen des 2. Hauptstückes und ohne die Grenzkontrolle zu umgehen eingereist sind oder
  2. wenn sie auf Grund eines Aufenthaltstitels oder einer Verordnung für Vertriebene (§ 29) zum Aufenthalt berechtigt sind oder
  3. wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind oder
  4. solange ihnen eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1997 zukommt.

Gemäß § 31 Abs 3 FrG 1997 richtet sich die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts eines Fremden im Bundesgebiet nach

  1. der durch zwischenstaatliche Vereinbarung, Bundesgesetz oder Verordnung getroffenen Regelung oder
  2. der Befristung des Einreise- oder Aufenthaltstitels.

 

4.2. Zum einschlägigen Gemeinschaftsrecht:

 

4.2.1. Auszug aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (ARB 1/80):

 

Artikel 6 Abs 1 ARB 1/80 :

 

Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaats angehört, in diesem Mitgliedsstaat

 

 

Art 7 ARB 1/80:

 

Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,

 

 

Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war.

 

4.2.2. Das in der Berufung angesprochene Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofs wurde mit Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 2. Juni 2005, Rs. C-136/03, entschieden (veröffentlicht im vollen Wortlaut in EuGRZ 2005, 319 ff), wobei der EuGH die Frage, ob die Rechtsschutzgarantien des Artikel 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG auch für türkische Staatsangehörige gelten, denen die Rechtsstellung nach Artikel 6 oder 7 des ARB 1/80 zukommt, bejaht hat.

 

Nach Art 8 RL 64/221 muss ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats gegen die Entscheidung, durch welche die Einreise, die Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis verweigert wird, oder gegen die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet die Rechtsbehelfe einlegen können, die Inländern gegenüber Verwaltungsakten zustehen.

 

Art 9 Abs 1 RL 64/221 gewährleistet nach Darstellung des EuGH (vgl Urteil Rz 42) den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, denen eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis verweigert wird oder gegen die eine Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet ergeht, eine verfahrensrechtliche Mindestgarantie in drei Fällen, und zwar:

 

 

In diesen Fällen ist das Einschreiten einer zuständigen Stelle vorgesehen, die eine andere sein muss als diejenige, die für die Entscheidung zuständig ist. Mit Ausnahme von dringenden Fällen darf die Verwaltungsbehörde ihre Entscheidung erst nach Erhalt der Stellungnahme dieser zuständigen Stelle treffen. Der Betroffene muss sich vor dieser Stelle entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen und unterstützen oder vertreten lassen können.

 

Im Ergebnis erachtete der EuGH das mit der Richtlinie 64/221 garantierte Rechtsbehelfsrecht durch das österreichische System der Verwaltungsgerichtsbarkeit mangels ausreichender Prüfungskompetenz des Verwaltungsgerichtshofs (bloße Gesetzmäßigkeit) und mangels einer automatisch eintretenden aufschiebenden Wirkung als nicht gegeben, weshalb eine zuständige Stelle iSd Art 9 Abs 1 Rl 64/221 eingerichtet werden müsste.

 

4.3. Mit dem dargestellten Gemeinschaftsrecht ist für die Situation der Bwin entgegen den pauschalen Behauptungen in der Berufung nichts gewonnen. Im vorliegenden Fall steht unbestritten fest, dass die Bwin nur einen Einreisetitel nach dem § 6 Abs 1 Z 3 FrG 1997 (Visum C oder Reisevisum für den kurzfristigen Aufenthalt) und keinen Aufenthaltstitel nach § 7 FrG 1997 hatte. Gemäß § 7 Abs 2 FrG 1997 berechtigen Aufenthaltstitel zum Aufenthalt für einen bestimmten Zweck oder zum dauernden Aufenthalt sowie zu den mit diesen Aufenthalten verbundenen Einreisen. Da die Bwin nicht unter die Fälle des § 7 Abs 4 FrG 1997 fällt, benötigt sie gemäß § 7 Abs 3 leg.cit. eine Niederlassungsbewilligung.

 

Ihr Antrag auf Niederlassungsbewilligung zielt offenbar erstmals auf die Einräumung eines Aufenthaltsrechts mit dem Zweck Familiennachzug ab. Allerdings sind Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 14 Abs 2 FrG 1997 grundsätzlich vor der Einreise vom Ausland aus zu stellen. Deshalb liegt wohl bei der Bwin der Versagungsgrund nach § 10 Abs 1 Z 2 FrG 1997 vor, zumal der Aufenthaltstitel zeitlich an den durch ein bloßes Reisevisum ermöglichten Aufenthalt anschließen und nach der Einreise erteilt werden soll.

Die Rechtsstellung nach Art 7 ARB 1/80 für Angehörige von ordnungsgemäß beschäftigten türkischen Arbeitnehmern setzt voraus, dass diese Angehörigen die fremdenbehördliche Genehmigung zum Familiennachzug erhalten haben. Der ARB 1/80 regelt die beschäftigungsrechtliche Stellung der ordnungsgemäß zugezogenen Familienangehörigen. Türkischen Staatsangehörigen, denen die Rechtsstellung nach Artikel 6 oder 7 des ARB 1/80 zukommt, genießen nach dem Urteil des EuGH vom 2. Juni 2005, Rs.C-136/03, auch die Rechtsschutzgarantien der Artikel 8 und 9 der RL 64/221, die nach ihrem Wortlaut an sich nur für die aufenthaltsrechtliche Stellung von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten gilt.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist ein Reisevisum keine Grundlage für eine Genehmigung des Zuzuges im Sinne des ARB 1/80 (vgl VwGH 18.05.2004, Zl. 2001/21/0110 unter Hinweis auf VwGH 27.101.2004, Zlen. 2002/18/0138 bis 0140 und VwGH 24.04.2002, Zl. 2002/18/0038). Demnach kommt der Bwin die Rechtsstellung nach Art 6 und 7 ARB 1/80 nicht zu, weshalb für sie auch nach dem zitierten Urteil des EuGH die Rechtsschutzgarantien der RL 64/221 nicht gelten.

Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die belangte Behörde beim gegebenen Sachverhalt die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts der Bwin seit Ablauf ihres Reisevisums im Sinne des § 31 Abs 3 FrG 1997 zu Recht verneint und die Bwin schuldig gesprochen hat.

4.4. Bei der Strafbemessung ging die belangte Behörde davon aus, dass die Bwin kein Einkommen, keine ins Gewicht fallenden Sorgepflichten und kein relevantes Vermögen hat. Mildernde oder erschwerende Umstände wurden nicht festgestellt.

Die Berufung hat zwar formal auch die Strafbemessung bekämpft, dazu in der Sache aber nichts vorgebracht. Der unabhängige Verwaltungssenat hält den Unrechtsgehalt für erheblich und das Verschulden der Bwin zumindest für grob fahrlässig. Sie wäre verpflichtet gewesen, sich über Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen von kompetenter Stelle zu informieren und hätte nicht eigenmächtig die Fremdenbehörden vor vollendete Tatsachen stellen dürfen.

Die verhängte Geldstrafe von 144 Euro erscheint beim Strafrahmen bis 726 Euro dem Unrechts- und Schuldgehalt der Tat und den angenommenen persönlichen Verhältnissen der Bwin angemessen und war auch aus general- und spezialpräventiven Grund erforderlich, um künftiges Wohlverhalten zu erzielen. Gegen die Ersatzfreiheitsstrafe von 48 Stunden, die gemäß § 16 Abs 1 und 2 VStG innerhalb von 2 Wochen zu bemessen war, bestehen ebenfalls keine Bedenken. Es war daher die Berufung als unbegründet abzuweisen und das angefochtene Straferkenntnis zu bestätigen.

5. Bei diesem Ergebnis hat die Bwin nach § 64 Abs 1 und 2 VStG im Berufungsverfahren einen weiteren Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens in Höhe von 20% der verhängten Geldstrafe zu leisten.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

 

 

 

Dr. W e i ß

Beachte: Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgelehnt. VwGH vom 18.05.2006, Zl.: 2006/21/0086-3

 

 

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