Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-107048/15/SR/Ri

Linz, 18.12.2000

VwSen-107048/15/SR/Ri Linz, am 18. Dezember 2000

DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Stierschneider über die Berufung des M K, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. B A, Mstraße , L, gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von E vom 24. Mai 2000, Zl. VerkR96-1048-1999, wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960 (im Folgenden StVO), nach Durchführung der mündlichen Verhandlung am 13. November 2000, zu Recht erkannt:

I. Der Berufung gegen das Straferkenntnis wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Ziffer 2 VStG eingestellt.

II. Kosten waren keine vorzuschreiben.

Rechtsgrundlagen:

Zu I.: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz BGBl.Nr. 51/1991 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 29/2000 - AVG iVm § 24, § 45 Abs.1 Ziffer 2, § 51c und § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 26/2000 - VStG.

zu II.: § 66 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Mit oben bezeichnetem Straferkenntnis wurde der Berufungswerber (Bw) wie folgt schuldig erkannt und bestraft:

"1. Sie haben es am 21. Juni 1999 gegen 04.00 Uhr als Lenker des Kraftfahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen in den Gemeindegebieten von St. A, Bezirk G, sowie H ob der D, Bezirk E, auf der Nibelungen Bundesstraße B zwischen Strkm und Strkm unterlassen, nach einem Verkehrsunfall mit dem Ihr Verhalten am Unfallort in ursächlichem Zusammenhang stand, an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken, weil Sie die Unfallstelle verlassen haben, sodass Ihr körperlicher und geistiger Zustand zur Tatzeit nicht mehr festgestellt werden konnte.

2. Sie haben am 21.06.1999 gegen 04.00 Uhr den PKW mit dem amtlichen Kennzeichen auf der N Bundesstraße B von S kommend in Fahrtrichtung H o.d.D. gelenkt, kamen dabei bei Strkm rechts von der Fahrbahn ab, beschädigten eine Einrichtung zur Regelung und Sicherung des Verkehrs (Brückengeländer) und unterließen es als an dem Verkehrsunfall beteiligter Lenker, die nächste Gendarmeriedienststelle oder den Straßenerhalter, in dessen Vermögen der Schaden eingetreten ist, von der Beschädigung unter Bekanntgabe ihrer Identität ohne unnötigen Aufschub zu verständigen.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift verletzt:

  1. § 4 Abs.1 lit.c in Verbindung mit § 99 Abs.2 lit.a der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl.Nr. 159/1960 i.d.g.F.
  2. § 31 Abs.1 StVO in Verbindung mit § 99 Abs.2 lit.e StVO 1960

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt:

Geldstrafe von

  1. S 3.000,--
  2. S 2.500,--

falls diese uneinbringlich ist,

Ersatzfreiheitsstrafen von

  1. 117 Stunden
  2. 117 Stunden

gemäß

  1. § 99 Abs.2 lit.a StVO 1960
  2. § 99 Abs.2 lit.e StVO 1960

Ferner haben Sie gemäß § 64 Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl.Nr. 52/1991 i.d.g.F. (VStG) zu zahlen:

S 550,--

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten) beträgt daher

6.050,-- Schilling (=439,67 Euro). Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen (§ 54 d VStG)."

2. Gegen dieses am 26. Mai 2000 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 8. Juni 2000 - und damit rechtzeitig - bei der Behörde erster Instanz eingebrachte Berufung.

2.1. Im angeführten Straferkenntnis führt die Behörde erster Instanz aus, dass zum Zeitpunkt der Verwaltungsübertretung weder eine starke Bewusstseinseinschränkung noch eine Unzurechnungsfähigkeit im Sinne des § 3 VStG vorgelegen sei und daher habe der Bw tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt.

2.2. Dagegen bringt der Bw u.a. vor, dass das amtsärztliche Gutachten keinesfallls schlüssig sei, dieses nicht von einem Facharzt für Neurologie erstellt worden wäre und die Behörde nach Einholung eines entsprechenden Fachgutachtens zum Ergebnis gekommen wäre, dass sich der Bw zum Zeitpunkt der Tat in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand befunden habe. Neben der Einholung eines entsprechenden Gutachtens beantragte der Bw schlussendlich die Aufhebung des Straferkenntnisses.

3. Die Bezirkshauptmannschaft E hat die Berufung samt den bezughabenden Verwaltungsstrafakt vorgelegt.

3.1. Da nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen die Einholung eines fachärztlichen Gutachtens nicht erforderlich erschien, wurde dem Bw die Beibringung eines solchen auf eigene Kosten freigestellt.

Der Bw hat nach Terminerstreckung am 5. Oktober 2000 ein entsprechendes Fachgutachten übermittelt. Im Zuge der Wahrung des Parteiengehörs wurde dieses der weiteren Verfahrenspartei vor der mündlichen Verhandlung zur Kenntnis gebracht.

3.2. Am 13. November 2000 wurde die mündliche Verhandlung durchgeführt. Daran haben die Verfahrensparteien und die Zeugen M K, A K und M K teilgenommen.

3.3. Auf Grund der mündlichen Verhandlung steht folgender relevanter Sachverhalt fest:

Der Bw hat das unter Punkt 1 dargestellte Verhalten gesetzt. Unfallauslösend war ein Reh, dass knapp vor dem Bw auf die Fahrbahn gesprungen ist. Nach dem Unfall hat der Bw keinerlei Sicherungsmaßnahmen gesetzt. Der aus der Gegenrichtung zur Unfallstelle kommende Zeuge M K hat den Bw neben dem Auto an einem Geländer lehnend wahrgenommen. Auf der Fahrbahn befanden sich Teile des verunfallten Fahrzeuges und dem Zeugen bot sich ein Bild, das seit dem Unfall keine Veränderung erfahren haben dürfte. Trotz des kurzen Gespräches ging der Zeuge K davon aus, dass sich der Bw nicht im Normalzustand befunden hat. Da der Bw sichtbar verletzt war - Blutspuren im Gesicht - jede Hilfe abgelehnt und keine Maßnahmen zur Absicherung der Unfallstelle gesetzt hatte, wurde vom Zeugen K die Gendarmerie verständigt.

Vor dem Eintreffen der Gendarmerie hat sich der Bw entfernt und ist stundenlang orientierungslos herumgeirrt, obwohl das Elternhaus zu Fuß leicht zu erreichen gewesen wäre (3 km von der Unfallstelle entfernt). Eine telefonische Kontaktaufnahme hat mit den Eltern nicht stattgefunden. Beim Eintreffen im Elternhaus haben die Eltern bereits geschlafen. Die Schlafräumlichkeiten sind räumlich derart getrennt, dass die Heimkehr von den Eltern nicht bemerkt wurde. Erst nach den morgendlichen Stallarbeiten fand ein Kontakt zwischen M Ke und dem Bw statt. Dabei wurde diesem von dem Unfall und der Suche durch Rettung und Gendarmerie mitgeteilt. Weitere Gespräche fanden nicht statt.

Im psychiatrisch-neurologischen Gutachten wird eine Teilamnesie in Bezug auf das Unfallereignis bzw. die "Fluchtreaktion" und ein unterdurchschnittliches Intelligenztestergebnis festgestellt, eine kurzzeitige Bewusstseinsstörung für denkbar erachtet und ein Dämmerzustand, in dem auch sinnvolle Handlungsketten gesetzt werden können, mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen.

Aus den Ermittlungsergebnissen der Behörde erster Instanz und der Beweisaufnahme des unabhängigen Verwaltungssenates hat sich kein Hinweis auf eine etwaige Alkoholisierung zum Tatzeitpunkt ergeben.

Die Behörde erster Instanz hat zwar Bedenken gegen die Sachverhaltsannahme im Gutachten gehegt, jedoch keine Gründe angeführt, die die Schlüssigkeit des Fachgutachtens erschüttert hätten, noch in der Folge nach Verlesung des Fachgutachtens weitere Beweisangebote gestellt bzw. die Einholung eines weiteren Fachgutachtens gefordert.

3.4. Unstrittig ist das objektiv tatbestandsmäßige Handeln des Bw. Aus der Zeugenaussage des M K ist erschließbar, dass sich der Bw nicht wie ein "normal" verunfallter Lenker verhalten hat. Der Bw hat gegenüber diesem Zeugen zwar logisch erscheinende Antworten gegeben, aber aus seinem Verhalten und der Untätigkeit am Unfallort ist erkennbar, dass er zur Setzung andauernder sinnvoller Handlungsketten nicht in der Lage war. Bestätigt wird dies durch das Verhalten des Bw nach dem kurzen, ca 2 Minuten dauernden Gespräch dadurch, dass der Bw wieder die zuvor eingenommene passive Haltung - Anlehnen an das Geländer - eingenommen hat. Die angeblich gesetzte Absicherungsmaßnahme der Unfallstelle durch den Bw konnte im Verfahren vor dem unabhängigen Verwaltungssenat keine Bestätigung finden. Somit reduzieren sich die scheinbar sinnvollen Handlungen des Bw auf die Beantwortung von ein oder zwei Fragen bei dem zweiminütigen Gespräch mit dem Zeugen K. Auch wenn generell den Erstaussagen mehr Beweiswert beizumessen ist, kann diesem Grundsatz hier nicht entsprochen werden. Die Aussage des Zeugen K bei der mündlichen Verhandlung ist in sich schlüssiger und nachvollziehbarer. Die Angaben des Zeugen K wurden später wiedergegeben und der pauschale Verweis bei der niederschriftlichen Befragung auf die Anzeige stehen der nunmehrigen Würdigung nicht entgegen. Das klar zum Ausdruck gebrachte Empfinden des Zeugen, dass er selbst nach einem derartigen Unfall unter Bedachtnahme auf den Unfallschock zielstrebiger reagiert hätte zeigt mit der nachfolgend gesetzten Primitivreaktion des fluchtartigen Davonlaufens deutlich, in welchem Zustand sich der Bw befunden hat.

Da das Beweisverfahren keinen Hinweis auf eine allfällige Alkoholisierung des Bw ergeben hat, lag auch keine nachvollziehbare Motivation des Bw vor, die Verständigung der Gendarmerie zu unterlassen und an der Sachverhaltsfeststellung nicht mitzuwirken.

Aussagen im erstbehördlichen Verfahren, die auf eine frühere Kontaktaufnahme mit den Eltern des Bw hingewiesen haben, konnten in der mündlichen Verhandlung keine Bestätigung finden. Im gegenständlichen Verfahren hat die Bewertung des Beziehungsgeflechtes zwischen den Zeugen M und A Ke und dem Bw zu unterbleiben. Der Stellenwert des Bw und die Bedeutung des Unfalles im täglichen Arbeitsablauf dieser Zeugen mag einem Außenstehenden unverständlich und nicht nachvollziehbar erscheinen, dennoch ist daraus ein Rückschluss auf ein unglaubwürdiges Vorbringen des Bw nicht vertretbar.

Im Hinblick auf die Ergebnisse des Beweisverfahrens bei der mündlichen Verhandlung und der Sachverhaltsannahme im Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie ist zum Tatzeitpunkt auf das Vorliegen einer Bewusstseinsstörung bzw. eines Dämmerzustandes zu schließen. Dem Gutachten d. ROSR Dr. B konnte nicht gefolgt werden, da diesem ein teilweise anderslautender Sachverhalt zugrunde gelegen ist.

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

4.1. Gemäß § 3 Abs.1 VStG ist nicht strafbar, wer zur Zeit der Tat wegen Bewusstseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig war, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln.

Bei den angelasteten Verwaltungsübertretungen handelte es sich um Ungehorsamsdelikte im Sinne des § 5 Abs.1 2. Satz des VStG, bei welchem schon das bloße Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder die Nichtbefolgung eines Gebotes Strafe nach sich zieht, falls der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.

4.2. Unbestrittenermaßen hat der Bw tatbestandsmäßig und rechtswidrig gehandelt. Voraussetzung für das Verschulden ist die Zurechnungsfähigkeit. § 3 VStG ist zu entnehmen, dass Personen unter bestimmten Voraussetzungen als unzurechnungsfähig gelten. Sie sind dann nicht in der Lage, die subjektive Tatseite zu erfüllen und können auch nicht schuldhaft handeln.

Aus § 3 VStG ist weiter zu erschließen, dass es unzulässig ist, gegen denjenigen, der den objektiven Tatbestand gesetzt hat, eine Strafe bei Vorliegen des § 3 VStG auszusprechen.

Die Zurechnungsfähigkeit bildet eine unbedingte Voraussetzung der Strafbarkeit (VwGH 12.9.1969, 795/67; 29.1.1992, 91/03/0303).

Wie der VwGH in seiner bisherigen Rechtsprechung klargestellt hat, sind die Bestimmungen des § 3 VStG von Amts wegen wahrzunehmen und bildet die Zurechnungsfähigkeit eine unbedingte Voraussetzung der Strafbarkeit. § 3 VStG gilt uneingeschränkt für alle Verwaltungsübertretungen, demnach auch für die sogenannten Ungehorsamsdelikte iSd § 5 Abs.1 2. Satz VStG.

Es kommt nicht schlechthin auf die Unfähigkeit eines Täters an, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln, sondern darauf, dass diese als Bewusstseinsstörung erfolgt.

Ob von einer mangelnden Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit ausgegangen werden kann, kann - wenn Indizien in dieser Richtung vorliegen - nur durch ein medizinisches Sachverständigengutachten hinreichend geklärt werden (VwGH 20.11.1996, 86/02/0110; 23.1.1991, 91/02/0065; 29.1.1992, 91/03/0303).

Die Frage, ob der Täter zur Zeit der Tat zurechnungsfähig iSd § 3 Abs.1 VStG war oder seine Zurechnungsfähigkeit in hohem Grad vermindert war ist zwar eine Rechtsfrage. Sie ist allerdings von der Behörde mit Hilfe eines ärztlichen Sachverständigen zu lösen, wobei nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes in der Regel die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie erforderlich sein wird.

Entgegen der Ansicht der Behörde erster Instanz ist der fachärztliche Sachverständige nicht von einem einseitig dargestellten Sachverhalt ausgegangen sondern legte grundsätzlich dem Befund und Gutachten jenen Sachverhalt zugrunde, der sich auch im Verfahren vor dem unabhängigen Verwaltungssenat ergeben hat.

4.3. Die festgestellte und glaubwürdig dargelegte Unzurechnungsfähigkeit des Bw zum angeführten Zeitraum stellt einen Schuldausschließungsgrund dar. Der Bw hat im Sinne des § 5 Abs.1 VStG glaubhaft gemacht, dass ihn an den angelasteten Verwaltungsübertretungen kein Verschulden trifft.

Da Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit ausschließen, war das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Ziffer 2 VStG einzustellen.

5. Gemäß § 66 Abs.1 VStG entfällt damit auch die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500 S (entspricht 181,68 €) zu entrichten.

Mag. Stierschneider

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum