Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-107222/8/Ki/Ri

Linz, 28.11.2000

VwSen-107222/8/Ki/Ri Linz, am 28. November 2000 DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch seine 9. Kammer, Vorsitzender Dr. Bleier, Beisitzer Dr. Leitgeb, Berichter Mag. Alfred Kisch über die Berufung des W, vom 17. August 2000 gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Perg vom 31. Juli 2000, VerkR96-905-2000, wegen einer Übertretung der StVO 1960 zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verfahren eingestellt.

II. Es entfällt die Verpflichtung zur Leistung jeglicher Verfahrenskosten-beiträge.

Rechtsgrundlage:

zu  I: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 45 Abs.1 Z1 und 51 VStG

zu II: § 66 Abs.1 VStG

Entscheidungsgründe:

I.1. Die Bezirkshauptmannschaft Perg hat mit Straferkenntnis vom 31. Juli 2000, VerkR96-905-2000, den Berufungswerber (Bw) für schuldig befunden, er habe am 27.2.2000 um 22.30 Uhr den PKW, Kennzeichen im Ortschaftsbereich W, Gemeinde S, auf der Sberg Straße gelenkt. Obgleich vermutet werden konnte, dass er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befand, weigerte er sich am 28.2.2000 bis 00.18 Uhr im Krankenhaus E gegenüber einem besonders geschulten und von der Behörde ermächtigten Organ der Straßenaufsicht, seine Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen, obwohl er von diesem Organ dazu aufgefordert wurde.

Gemäß § 99 Abs.1 lit.b StVO 1960 wurde über ihn eine Geldstrafe in Höhe von 16.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe 16 Tage) verhängt.

Außerdem wurde er gemäß § 64 VStG zur Leistung eines Beitrages zu den Kosten des Strafverfahrens in Höhe von 1.600 S (10% der verhängten Geldstrafe) verpflichtet.

1.2. Der Rechtsmittelwerber erhob gegen dieses Straferkenntnis mit Schriftsatz vom 17. August 2000 Berufung mit dem Antrag, das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft P ersatzlos zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren zur Einstellung zu bringen.

Im Wesentlichen verweist er in der Begründung darauf, dass ihm die Verweigerung des Alkomattestes auf Grund erlittener Verletzungen und damit verbundener Einschränkung der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit nicht zur Last gelegt werden könne.

I.3. Die Bezirkshauptmannschaft P hat die Berufung samt Verfahrensakt dem Oö. Verwaltungssenat zur Entscheidung vorgelegt und damit dessen Zuständigkeit ausgelöst. Dieser hatte, da eine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch die laut Geschäftsordnung zuständige 9. Kammer zu entscheiden.

I.4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt. In diesem Verfahrensakt befindet sich ua ein Ambulanzbericht vom 24. März 2000 der Oö. Landesnervenklinik Wagner-Jauregg (Neurochirurgie), in welchem die Situation des Berufungswerbers, welcher vom 3.3.2000 bis 6.3.2000 in diesem Krankenhaus in stationärer Behandlung war, wie folgt zusammengefasst ist:

"Herr W erlitt am 27.2.2000 um 23.00 Uhr in der Nähe von Schwertberg einen Verkehrsunfall, wobei es zu einer schweren Verletzung im Bereich der HWS kam. Der Patient wurde anschließend ins KH Enns auf die Unfallabteilung gebracht, wo bei dem Pat. einerseits eine Platzwunde am Kopf versorgt wurde, andererseits wegen seiner Schmerzen im HWS-Bereich ein HWS-Röntgen durchgeführt wurde. Es wurde dann eine knöcherne Verletzung, laut Angaben des Patienten, durch die dort tätige Ärztin verneint, die Beschwerden im Sinne einer Distorsic cervicis beurteilt. Nach der Versorgung wurde der Patient durch eine Gendarmeriestreife des Postens K im Krankenhaus begutachtet, der Patient wurde aufgefordert in den Alkomat zu blasen. Auf Grund heftiger Schmerzen im HWS-Bereich hat der Patient gesagt, er kann dieser Aufforderung jetzt nicht Folge leisten. Er wurde ein zweites Mal diesbezüglich gefragt. Er wollte dieser Aufforderung wiederum nicht Folge leisten. Daraufhin wurde vom Gendarmeriebeamten die Verweigerung des Alkomattestes und dem Patienten der Führerschein entzogen. Mittlerweile wurde dem Patienten ein Schreiben der BH P zugeschickt, dass der Führerschein für 9 Monate entzogen ist.

Am nächsten Tag wurde der Patient vom KH E angerufen, dass er wieder ins Krankenhaus kommen soll, da bei dem HWS-Röntgen doch eine Verletzung aufgefallen sei. Man stellte fest, dass der Pat. eine Fraktur im Bereich des 2. Halswirbelkörpers hatte. Er wurde daraufhin stationär aufgenommen, mit einem Halofixateur extern regelrecht versorgt. Einige Tage später kam der Patient dann am 3.3.2000 zu uns in unsere Neurochirurgische Abteilung zur weiteren Beurteilung seiner gesundheitlichen Situation.

Retrospektiv ist unsererseits zweifellos nachvollziehbar, dass bei dem Pat eine schwere Halswirbelsäulenverletzung vorgelegen hat, die ihn sicher in der Situation nach dem Unfall, nach der Restversorgung im KH E, auf Grund seiner Beschwerden gehindert hat, das Alkomatgerät zu bedienen. Man muß sich vorstellen, bei einer solchen Verletzung besteht im Grunde höchste Lebensgefahr (es handelt sich um sogenannte Hangmans Fracture). In einer solchen Situation, nach Bruch eines Halswirbels besteht sicher auch eine psychische Ausnahmesituation, in der sicher auch die Folgen aller jetzt getätigten Aussagen im Nachhinein ev. nicht richtig beurteilt werden können (der Pat. hat von sich aus keine Blutabnahme beantragt, er wurde aber auf diese Möglichkeit zur Verifizierung, ob er alkoholisiert war oder nicht, auch von den beteiligten Personen nicht hingewiesen).

Es stellt sich somit an sich eine wirklich sehr unangenehme Situation für den Pat. dar:

Er hat einen Unfall erlitten, wo er körperlich wirklich schwer zu Schaden gekommen ist, er hat dabei keinen anderen Verkehrsteilnehmer beeinträchtigt oder geschädigt, er hat dadurch jetzt seinen Führerschein für 9 Monate verloren, wobei er Berufskraftfahrer ist, es besteht damit die Gefahr, dass er natürlich auch seinen Job verlieren kann - ich denke angesichts dieser Situation und der retrospektiv doch deutlich nachvollziehbaren Ausnahmesituation müsste man die Abnahme des Führerscheines sicher noch einmal neu beurteilen.

Ein entsprechendes Schreiben bzw. eine entsprechende Sachverhaltsdarstellung sollte natürlich auch vom KH Enns bzw der diensthabenden Ärzte bei dieser Unfallversorgung erfolgen.

Ich weise den Pat. darauf hin, dass er auf der Unfallabteilung vorstellig werden soll."

Gezeichnet wurde dieser Ambulanzbericht von Assistenzarzt Dr. H und Facharzt Dr. T.

Seitens der Berufungsbehörde wurde ein amtsärztliches Gutachten hinsichtlich Beurteilung der Fähigkeit zur Durchführung eines Alkotests unter Zugrundelegung der gegenständlichen erlittenen Verletzung eingeholt.

Die Amtssachverständige hat in diesem Gutachten vom 4. Oktober 2000, San-231848/1-2000-Has/Kir, festgestellt, dass ausgehend vom neurochirurgischen Befundbericht retrospektiv gesagt werden müsse, dass W bei dem gegenständlichen Verkehrsunfall eine schwere Halswirbelsäulenverletzung (Fraktur des 2. Halswirbelkörpers) erlitten hat. Laut fachärztlichen Ausführungen sind bei einer derartigen Verletzung sowohl Beeinträchtigungen im körperlichen Bereich (Schmerzen) als auch im psychischen Bereich (psychische Ausnahmesituation im Zusammenhang mit der schweren Verletzung) wahrscheinlich. Aus Sicht der Sachverständigen sei somit retrospektiv möglich, dass W - sowohl körperlich als auch psychisch - möglicherweise nicht fähig war, die Aufforderung zur Alkomatuntersuchung entsprechend wahrzunehmen und zu verstehen bzw nicht in der Lage war, den Blasvorgang am Alkomaten ordnungsgemäß durchzuführen.

In Anbetracht, dass auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist, entfällt eine mündliche Verhandlung (§ 51e Abs.2 Ziff1 VStG).

I.5. In freier Beweiswürdigung gelangt die erkennende Berufungsbehörde zur Auffassung, dass der im Akt aufliegende Ambulanzbericht der Landesnervenklinik Wagner Jauregg sowie das eingeholte amtsärztliche Gutachten vom 4. Oktober 2000 schlüssig sind und nicht im Widerspruch zu den Erfahrungen des Lebens und den Denkgesetzen stehen. Es bestehen sohin keine Bedenken, diese Beweise der Entscheidung zugrunde zu legen.

I.6. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes hat rechtlich wie folgt erwogen:

Gemäß § 99 Abs.1 lit.b StVO 1960 begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 16.000 S bis 80.000 S, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von zwei bis sechs Wochen, zu bestrafen, wer sich bei Vorliegen der in § 5 bezeichneten Voraussetzungen weigert, seine Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen oder sich vorführen zu lassen oder sich bei Vorliegen der bezeichneten Voraussetzungen nicht der ärztlichen Untersuchung unterzieht.

Dem Berufungswerber wird vorgeworfen, er habe sich geweigert, seine Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen.

Zunächst wird festgestellt, dass auch im Verwaltungsstrafverfahren der Grundsatz "in dubio pro reo" anzuwenden ist. Dies bedeutet, dass, wenn der Sachverhalt nicht mit einer zur Bestrafung führenden Sicherheit geklärt werden kann, ein Freispruch zu erfolgen hat.

Wie aus dem amtsärztlichen Gutachten bzw dem Ambulanzbericht der Oö. Landesnervenklinik Wagner Jauregg hervorgeht, hat der Berufungswerber, bei dem das Verfahren auslösenden Verkehrsunfall eine schwere Halswirbelsäulenverletzung (Fraktur des 2. Halswirbelkörpers) erlitten. Bei derartigen Verletzungen sind, wie die Sachverständige ausgeführt hat, sowohl Beeinträchtigungen in körperlichem Bereich (Schmerzen) als auch im psychischen Bereich (psychische Ausnahmesituation im Zusammenhang mit der schweren Verletzung) wahrscheinlich. Die Sachverständige erachtete es durchaus als möglich, dass der Beschuldigte im Hinblick auf seine Verletzungen sowohl körperlich als auch psychisch möglicherweise nicht fähig war, die Aufforderung zur Alkomatuntersuchung entsprechend wahrzunehmen und zu verstehen bzw er auch nicht in der Lage war, den Blasvorgang am Alkomaten ordnungsgemäß durchzuführen, weshalb der ihm zur Last gelegte Tatvorwurf in Anwendung des oben erwähnten Grundsatzes "in dubio pro reo" nicht als erwiesen angesehen werden kann.

Aus diesem Grunde war der Berufung Folge zu geben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

II. Der Kostenausspruch stützt sich auf die im Spruch angeführte gesetzliche Bestimmung.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500,00 Schilling (entspricht  181,68 Euro) zu entrichten.

Dr. B l e i e r

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