Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-107560/2/BI/KM

Linz, 02.07.2001

 
 
VwSen-107560/2/BI/KM Linz, am 2. Juli 2001
DVR.0690392
 
E R K E N N T N I S
 
 
 
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Karin Bissenberger über die Berufung des Herrn R S, vertreten durch RA Dr. H R, vom 21. März 2001 gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 6. März 2001, VerkR96-13394-1998-Hu, wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
 
 
I. Der Berufung wird keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis vollinhaltlich bestätigt.
 
II. Der Rechtsmittelwerber hat zusätzlich zu den Verfahrenskosten der Erstinstanz den Betrag von 100 S (entspricht 7,26 Euro), ds 20 % der verhängten Geldstrafe, als Kostenbeitrag zum Rechtsmittelverfahren zu leisten.
 
Rechtsgrundlage:
zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1 und 19 VStG,
zu II.: § 64 Abs.1 und 2 VStG
 
 
Entscheidungsgründe:
 
zu I.:
1. Die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land hat mit dem oben genannten Straferkenntnis über den Beschuldigten wegen der Verwaltungsübertretung gemäß §§ 76 Abs.1 1.Satz 2.Halbsatz iVm 99 Abs.3 lit.a StVO 1960 eine Geldstrafe von 500 S (24 Stunden EFS) verhängt, weil er am 17. August 1998 um 17.00 Uhr im Ortsgebiet von P, auf Höhe der Fa. T als Fußgänger überraschend die Fahrbahn betreten habe.
Gleichzeitig wurde ihm ein Verfahrenskostenbeitrag von 50 S auferlegt.
 
2. Dagegen hat der Rechtsmittelwerber (Bw) fristgerecht Berufung eingebracht, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da keine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 51c VStG). Die Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung erübrigte sich (§ 51e Abs.3 Z3 VStG).
 
3. Der Bw macht im Wesentlichen geltend, seine Bestrafung sei unzutreffend: Wenn man von dem Sachverhalt ausgehe, den die Behörde festgestellt habe, sei er aus dem Lkw, in dem er sich als Beifahrer befunden habe, ausgestiegen und habe vor diesem Lkw die Fahrbahn überquert. In Messiner, StVO, 10. Auflage, Anm 2 zu § 76 werde ausgeführt: "Wer zwischen parkenden Fahrzeugen steht und dann weitergeht, betritt nicht mehr überraschend die Fahrbahn." Der VwGH habe im Erkenntnis vom 12.7.1963, 392/62, ausgesprochen, dass nicht § 76 Abs.1 eine Regelung darüber enthalte, wie sich ein Fußgänger beim Überqueren der Fahrbahn zu verhalten habe, sondern § 76 Abs.3 bis 8 StVO 1960. Daraus entnehme er, dass er beim zugrundegelegten Sachverhalt nicht gegen § 76 Abs.1 StVO 1960 verstoßen habe, sondern möglicherweise gegen die Absätze 3 bis 8 dieser Bestimmung. Er beantragt daher Verfahrenseinstellung unter Verzicht auf die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.
 
4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz.
 
Folgender Sachverhalt ist entscheidungswesentlich:
Der Bw stieg am 17. August 1998 um 17.00 Uhr in P, auf Höhe der Fa. T als Beifahrer des dort am rechten Fahrbahnrand in Richtung K haltenden Sattelkraftfahrzeuges (Kz des Sattelzugfahrzeuges T, Kz des Sattelanhängers R - L) rechts aus und wollte vor dem Fahrzeug die P überqueren. Dabei übersah er den von der Zeugin R E in Richtung K gelenkten Pkw und lief in das Fahrzeug.
 
Bei seiner Einvernahme beim GP P im Rahmen der Unfallsaufnahme gab der Bw an, er sei bei der Fa. T beschäftigt und habe seinen Reisepass vergessen, weshalb der Lenker des Sattelkraftfahrzeuges nochmals gehalten habe, damit der den Pass aus seinem auf dem Parkplatz an der anderen Straßenseite abgestellten Pkw holen könnte. Er habe sich sehr wohl davon überzeugt, dass kein Fahrzeug daherkomme, und habe sich nicht mehr im nicht asphaltierten Bereich sondern auf dem Parkplatz befunden, als er plötzlich aus Richtung P-C kommend einen Pkw gesehen habe. Er habe nicht mehr reagieren können und sei gegen die Windschutzscheibe geschleudert worden. Er habe beim Unfall Prellungen und Hautabschürfungen im Bereich der Schultern, des rechten Unterarms und des rechten Knies erlitten - diesbezüglich ist eine Verletzungsanzeige im Akt.
 
Der Lenker des Sattelkraftfahrzeuges F B bestätigte sowohl bei der Unfallsaufnahme als auch bei seiner zeugenschaftlichen Einvernahme am 28.7.2000, der Bw als Beifahrer und er als Lenker hätten direkt vom Firmengelände aus eine Fahrt antreten wollen, als der Bw bemerkt habe, dass er in seinem in der Nähe geparkten Pkw etwas vergessen habe. Er sei aus dem Lkw ausgestiegen und direkt vor diesem auf die Straße gelaufen, ohne zu schauen, worauf er vom Pkw E mit der linken Frontseite erfasst und zu Boden gestoßen worden sei. Er sei sich sicher, dass sich der Bw nicht vergewissert habe, ob er die Straße gefahrlos überqueren könne.
 
R E gab bei ihrer zeugenschaftlichen Einvernahme am 15.10.1999 inhaltlich übereinstimmend mit ihren Aussagen bei der Unfallsaufnahme an, der Sattelzug sei aus dem Firmengelände gekommen, habe dann aber rechts geblinkt und die Warnblinkanlage sei eingeschaltet worden. Er sei auf der rechten Fahrspur stehen geblieben und sie habe, nachdem sie einen Gegenverkehr ausschließen habe können, links geblinkt und am Sattelzug vorbeifahren wollen. Als sie sich auf Höhe des Zugfahrzeuges befunden habe, sei der Bw plötzlich auf ihre Fahrspur gelaufen. Sie habe das Fahrzeug nicht mehr zum Stillstand bringen können und ihn angefahren. Sie habe wenige Meter nach dem Zusammenstoß den Pkw angehalten und nach dem Bw gesehen. Auf ihre Veranlassung hin seien trotz heftiger Gegenwehr aller Beteiligten Polizei und Rettung verständigt worden.
 
Mag. B H, die Lenkerin des hinter dem Pkw E fahrenden Pkw, hat bei der Unfallsaufnahme ausgeführt, am Schwerfahrzeug sei die Warnblinkanlage eingeschaltet gewesen und der im Abstand von ca 80 bis 100 m vor ihr am Sattelkraftfahrzeug mit gleichbleibender Geschwindigkeit vorbeifahrende Pkw habe plötzlich einen Haken nach links geschlagen. Sie habe die Geschwindigkeit reduziert und gesehen, dass plötzlich vor diesem Pkw ein Mann über die Straße laufen wollte, wobei die Lenkerin keine Chance gehabt habe, dem Fußgänger auszuweichen oder anzuhalten. Dieser sei in die Höhe und nach links auf den Parkplatz geschleudert worden. Die Lenkerin des Pkw habe später zu ihr gesagt, sie habe gesehen, dass die rechte Tür der Fahrerkabine aufgegangen sei, habe aber nicht mit dem Fußgänger gerechnet.
 
Der Unfallsort ist durch Lichtbilder, die sich in Kopie im Verfahrensakt befinden, dokumentiert. Daraus geht hervor, dass die P dort 6,45 m breit ist und sich links in Fahrtrichtung K gesehen gegenüber dem Firmengelände quer zur Fahrbahn ein Parkplatz befindet. Dorthin wollte der Bw offenbar, um von seinem dort abgestellten Pkw den vergessenen Reisepass zu holen.
 
Die Staatsanwaltschaft L hat mit 11.11.1998 der Erstinstanz auf Anfrage mitgeteilt, dass am 17.9.1998 die Anzeige gegen den Bw gemäß § 90 StPO zurückgelegt wurde. Daraufhin erging an den Bw die Strafverfügung vom 24.11.1998, die fristgerecht beeinsprucht wurde. Im Rechtsmittel wird geltend gemacht, der Bw habe sich geraume Zeit beim abgestellten Lkw auf der Fahrbahn befunden, sodass von einem überraschenden Betreten der Fahrbahn nicht die Rede sein könne. Der Lkw sei vielmehr von der Zeugin E mit unangepasster Geschwindigkeit und unachtsam überholt worden, wie auch die Zeugin Mag. H angegeben habe. Diese hat bei ihrer neuerlichen Zeugeneinvernahme am 1.9.1999 unter Verweis auf ihre frühere Aussage bestätigt, der Bw sei auf der Beifahrerseite ausgestiegen, sei für sie nicht einsehbar nach vorne gegangen und habe völlig überraschend die Fahrbahn betreten.
 
Seiten der Erstinstanz wurde mit Schreiben vom 1.2.2001 Parteiengehör gewahrt; der damalige rechtsfreundliche Vertreter hat darauf aber nicht reagiert, worauf das nunmehr angefochtene Straferkenntnis erging.
 
In rechtlicher Hinsicht hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:
Gemäß § 76 Abs.1 StVO 1960 in der Fassung der 20. StVO-Novelle BGBl.Nr. 92/98 (in Kraft getreten am 22.7.1998: VwGH v 28.1.2000, 2000/02/0004) haben Fußgänger, auch wenn sie Kinderwagen oder Rollstühle schieben oder ziehen, auf Gehsteigen oder Gehwegen zu gehen; sie dürfen nicht überraschend die Fahrbahn betreten.
 
Im dortigen Bereich der Pluskaufstraße befindet sich kein (durch Licht- oder Armzeichen geregelter) Fußgängerübergang, keine Über- oder Unterführung, keine Haltestelleninsel und keine Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels - das ergibt sich aus den Fotos und dem Akteninhalt eindeutig und zweifelsfrei. Das Argument des Bw, es sei nicht § 76 Abs.1 StVO anzuwenden, sondern vielmehr die Absätze 3 bis 8 dieser Bestimmung, entbehrt daher jeder Grundlage. Dies auch deshalb, weil die (im Übrigen unvollständig zitierte) Judikatur des VwGH von einem anderen Sachverhalt als dem im gegenständlichen Fall zugrundegelegten ausgeht: "Ein Fußgänger, der in der Absicht, die Fahrbahn zu überqueren, auf ihr (eine Minute lang) verweilt, handelt nicht gegen die Vorschrift des § 76 Abs.1 StVO...."
 
Die vom Bw zitierte Anmerkung in Messiner, StVO, 10. Auflage, ist insofern willkürlich herausgegriffen, als dort auch angeführt ist: "Ein Fußgänger tritt dann überraschend auf die Fahrbahn, wenn andere Straßenbenützer den Umständen nach nicht damit rechnen konnten und nicht mehr in der Lage sind, ihr eigenes Verhalten danach einzurichten.", was auch der Judikatur des OGH vom 24.6.1976, 2 Ob 108/76, entspricht.
 
Im gegenständlichen Fall war sowohl nach der örtlichen wie auch der verkehrsbedingten Situation für die nachfolgende Lenkerin E nicht damit zu rechnen, dass der Bw plötzlich und gänzlich unvorhersehbar über die Fahrbahn läuft, zumal er sich offenbar auch nicht die Zeit genommen hat, die nachfolgenden Lenker auf seine Anwesenheit aufmerksam zu machen. Dies wäre dadurch möglich gewesen, dass er vor dem Lkw stehen bleibt und für die nachfolgenden Lenker sichtbar seine Überquerungsabsicht kundtut, indem er mit entsprechender Vorsicht "um die Ecke" sieht. Der Bw ist nach den übereinstimmenden Zeugenaussagen jedoch in einem und ohne sich zu vergewissern über die Fahrbahn gelaufen. Von einem "Verweilen" auf der Fahrbahn kann daher nicht die Rede sein.
Die vom Bw angeführte Anmerkung ist offensichtlich auf parkende Pkw bezogen, zwischen denen zumindest der Oberkörper bzw der Kopf eines im Überqueren begriffenen Fußgängers zu sehen ist, dem überdies andere Möglichkeiten, sich entsprechenden Überblick zu verschaffen, offen stehen als bei einem hohen Sattelkraftfahrzeug, bei dem auch kein "Durchblick" durch Fensterscheiben besteht.
 
Zusammenfassend vertritt auch der Unabhängige Verwaltungssenat die Auffassung, dass der Bw mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 99 Abs.6 lit.a StVO 1960 den ihm zur Last gelegten Tatbestand erfüllt und sein Verhalten als Verwaltungsübertretung zu verantworten hat, zumal ihm nicht gelungen ist, glaubhaft zu machen, dass ihn an der Begehung der Verwaltungsübertretung iSd § 5 Abs.1 VStG kein Verschulden trifft.
 
Zur Strafbemessung ist zu sagen, dass der Strafrahmen des § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960 bis zu 10.000 S Geld- bzw bis zu zwei Wochen Ersatzfreiheitsstrafe reicht.
 
Die Erstinstanz hat laut Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses weder mildernde noch erschwerende Umstände gewertet und die finanziellen Verhältnisse des Bw mangels jeglicher Angaben geschätzt. Diese Schätzung (20.000 S netto monatlich, kein Vermögen, Sorgepflichten für Gattin und ein Kind) wurde nicht bestritten und wird daher auch der Berufungsentscheidung zugrundegelegt.
Der Bw weist eine nicht einschlägige Vormerkung aus dem Jahr 1997 auf, die noch nicht getilgt ist.
Der Unabhängige Verwaltungssenat kann nicht finden, dass die Erstinstanz den ihr bei der Strafbemessung zustehenden Ermessensspielraum in irgendeiner Weise überschritten hätte. Es besteht auch kein Anhaltspunkt für eine Herabsetzung der verhängten Strafe, die im Übrigen den Kriterien des § 19 VStG entspricht, im untersten Bereich des gesetzlichen Strafrahmens liegt und general- sowie vor allem spezialpräventiven Überlegungen standhält.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
 
zu II.:
Der Ausspruch über den Verfahrenskostenersatz ist gesetzlich begründet.
 
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
 
Hinweis:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500 S (entspricht 181,68 €) zu entrichten.
 
Mag. Bissenberger
 
 
Beschlagwortung:
Beifahrer eines Sattelkraftfahrzeuges steigt rechts aus und läuft für nachkommenden Verkehr unvorhersehbar nach links vor dem Sattelkraftfahrzeug über die Fahrbahn à § 76 Abs.1 StVO erfüllt à Bestätigung.
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