Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-108073/11/SR/Ri

Linz, 15.03.2002

VwSen-108073/11/SR/Ri Linz, am 15. März 2002

DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Stierschneider über die Berufung des Herrn K L, L Straße, O, gegen die Spruchpunkte 2 und 3 des Straferkenntnisses des Bezirkshauptmannes von Urfahr-Umgebung vom 14. Januar 2002, Zl. VerkR96-3407-2001-BB/KB, wegen Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960 (im Folgenden: StVO) nach der am 13. März 2002 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:

  1. Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis (Spruchpunkte 2 und 3) aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.
  2. Der Berufungswerber hat keinen Kostenbeitrag zu leisten.

Rechtsgrundlagen:

Zu I.: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz BGBl.Nr. 51/1991 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 137/2001 - AVG iVm § 24, § 51c und § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 137/2001- VStG.

zu II.: § 66 Abs.1 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Mit oben bezeichnetem Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Urfahr-Umgebung wurde der Berufungswerber (Bw) wie folgt schuldig erkannt und bestraft:

"Sie haben am 04.07.2001 um 14.45 Uhr den VW-Kastenwagen, Kennzeichen U, in O, Zufahrt Haus Lstraße, gelenkt und dabei

1) beim Vorbeifahren an einem Fahrzeug einen der Verkehrssicherheit und/oder der Fahrgeschwindigkeit nicht entsprechenden seitlichen Abstand vom Fahrzeug an dem Sie vorbeigefahren sind, eingehalten, da Sie einen geparkten PKW streiften und beschädigten und es nach diesem auf dieser Zufahrt verursachten Verkehrsunfall mit Sachschaden, mit dem Ihr Verhalten am Unfallsort in ursächlichem Zusammenhang stand, unterlassen,

2) das von Ihnen gelenkte Fahrzeug sofort anzuhalten und

3) die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle ohne unnötigen Aufschub zu verständigen, obwohl auch ein gegenseitiger Nachweis von Name und Anschrift der Unfallbeteiligten bzw. der Personen in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, unterblieben ist.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

  1. § 99 Abs.3 lit.a iVm. § 17 Abs.1 2. Satz iVm § 15 Abs.4 StVO 1960, BGBl.Nr. 159, idgF.
  2. § 99 Abs.2 lit.a iVm. § 4 Abs.1 lit.a StVO 1960, BGBl.Nr. 159 idgF.
  3. § 99 Abs.3 lit.b iVm. § 4 Abs.5 1. Satz StVO 1960, BGBl.Nr. 159 idgF.

Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird über Sie folgende Strafe verhängt:

Geldstrafe von Falls diese uneinbringlich gemäß §

ist, Ersatzfreiheitsstrafe

von

72,00 Euro 24 Stunden 99 Abs.3 lit.a StVO 1960

109,00 Euro 36 Stunden 99 Abs.2 lit.a StVO 1960

72,00 Euro 24 Stunden 99 Abs.3 lit.b StVO 1960

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen:

25,30 Euro als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, d.s. 10% der Strafe (je ein Tag Freiheitsstrafe wird gleich 14,53 EUR bzw. 200 ATS angerechnet);

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher 278,30 Euro (3.829,49 ATS)."

2. Gegen dieses dem Bw am 16. Januar 2002 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 24. Januar 2002 - und damit rechtzeitig - bei der Behörde erster Instanz eingebrachte Berufung.

2.1. Im angeführten Straferkenntnis führt die Behörde erster Instanz in der Begründung aus, dass der Geschädigte den Bw durch die geöffnete Bürotür aus der Zufahrt fahren gesehen und plötzlich Kratz- und Quietschgeräusche wahrgenommen hätte. Bei der folgenden Nachschau habe der Geschädigte einen Kratzer an der Stoßstange festgestellt. Entgegen der Ansicht des Bw komme es nicht darauf an, ob der Bw den Schadenseintritt bemerkt hat, sondern ob er für ihn bei gehöriger Aufmerksamkeit wahrnehmbar gewesen ist. Von einer Wahrnehmbarkeit wäre auszugehen, da der Zeuge (Geschädigte) in seinem Büro "Kratz- und Quietschgeräusche wahrgenommen" habe.

2.2. Dagegen bringt der Bw u.a. vor, dass er bei seiner vorsichtigen und äußerst konzentrierten Fahrweise ein eventuelles Geräusch hören hätte müssen. Für die Durchfahrt der Engstelle habe er einige Minuten benötigt und nichts gehört.

3. Die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung hat den bezughabenden Verwaltungsstrafakt vorgelegt.

3.1. Der unabhängige Verwaltungssenat hat für den 13. März 2002 die mündliche Verhandlung anberaumt, dazu die Verfahrensparteien und die Zeugen RA G, G L und S F geladen. Die Behörde erster Instanz hat sich bereits bei der Aktenvorlage für eine eventuell anberaumte mündliche Verhandlung entschuldigt und dementsprechend daran auch nicht teilgenommen.

3.2. Der Bw hat nach der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung die Berufung gegen Spruchpunkt 1 zurückgezogen. Dieser Teil des angefochtenen Straferkenntnisses ist somit am 13. März 2002 in Rechtskraft erwachsen.

3.3. Aufgrund der mündlichen Verhandlung und des durchgeführten Beweisverfahrens steht folgender relevanter Sachverhalt fest:

Der Verkehrsunfall fand auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr statt.

Der Geschädigte hat seinen Pkw vor dem Unfallzeitpunkt in der gegenständlichen Durchfahrt schräg zum Straßenrand abgestellt gehabt. Der Bw ist mit seinem Fahrzeug (VW-Kastenwagen Diesel) von seiner Liegenschaft kommend im rechten Winkel in die angeführte Zufahrt eingebogen. Durch das (vorschriftswidrig) abgestellte Fahrzeug des Zeugen L war dem Bw mit seinem Kastenwagen ein Vorbeifahren kaum möglich. Trotz dieser Verkehrssituation hat der Bw die Ausfahrt vorgenommen. Um keine Beschädigung zu verursachen ist der Bw in langsamer und umsichtiger Fahrweise am Fahrzeug des Zeugen L vorbeigefahren. Trotzdem hat er dabei mit der Stoßstange des Kastenwagens die lackierte Kunststoffstoßstange des Fahrzeuges des Zeugen L gestreift. Die Berührung war kurzfristig und äußerst minimal. Auf der Stoßstange des Geschädigten wurde die Lackierung in einer Länge von 2,5 cm oberflächig aufgeraut und teilweise - im Zehntelmillimeterbereich - abgeschürft. Leichte Lackspuren sind auf der Stoßstange des Kastenwagens des Bw haften geblieben. Keine der beiden Stoßstangen wurden verformt bzw. eingedellt und sie wurden auch nicht in ihrer Lage (Verankerung) verändert. Der Bw hat bei der Berührung der Fahrzeuge weder einen Anstoß verspürt noch eine Bewegung des anderen Fahrzeuges wahrgenommen.

Der Zeuge L hat zuerst einen Fahrzeuglärm (von der Liegenschaft des Bw kommend) und anschließend ein kurzes "schabendes" Geräusch wahrgenommen. Den Bw hat er erst in der Folge durch die geöffnete Bürotür im vorbeifahrenden Kastenwagen als Lenker gesehen. Der Unfallort ist ca. 5 bis 7 Meter vom Schreibtisch des Zeugen L entfernt. Zum Unfallzeitpunkt war es ruhig. Ein üblicher Straßenlärm oder Betriebslärm der angrenzenden Firma war nicht zu vernehmen. Die Zeugin F hat ein unübliches Geräusch vernommen, das nur kurz und kaum wahrnehmbar war. Beschrieben hat sie das Geräusch folgendermaßen: "Ein Geräusch, das entsteht, wenn sich zwei Körper/Gegenstände kurzfristig leicht aneinander reiben oder streifen".

3.4. Nach Durchführung des Beweisverfahrens steht unstrittig fest, dass der Verkehrsunfall auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr stattgefunden hat.

Sowohl der Bw als auch die Zeugen haben in der mündlichen Verhandlung einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Der von der Behörde erster Instanz erhobene Sachverhalt hat sich nach der ausführlichen und erschöpfenden Zeugenbefragung/Beschuldigtenvernehmung geändert dargestellt. Da die Wahrnehmungen der Zeugen und des Bw übereinstimmten und sich diese Aussagen nicht im Widerspruch zu den sonst festgestellten Sachverhaltselementen (u.a. durch Einsichtnahme in die Lichtbildbeilage - erkennbare Schäden) standen, konnte mangels weiterreichender Beweisanträge von der Einholung eines Sachverständigengutachtens Abstand genommen werden.

Der Behörde erster Instanz muss zugestanden werden, dass sie aufgrund der ihr vorliegenden Akten (Anzeige des GP, Zeugenaussage L) richtigerweise die in der Begründung des angefochtenen Bescheides dargelegten Schlüsse gezogen hat.

Bei der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung hat aber die Zeugin F der Protokollierung ihrer Aussage in der Anzeige des GP O widersprochen. Bei der Befragung hat sie angegeben, dass sie sich genau an den Vorfall erinnern könne. Das unübliche Geräusch habe sie gegenüber dem Beamten nie als "laut" bezeichnet. Ob sie es als "Quietschen" beschrieben habe, könne sie nicht mehr angeben. Die Ausführungen des Zeugen L bei der niederschriftlichen Befragung vor der Erstbehörde dürften in der Unschärfe dadurch zustande gekommen sein, dass dieser Zeuge das Geräusch nicht klar beschreiben konnte. Diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung befragt, gab der Zeuge eindeutig an, dass es sich nur um ein Geräusch gehandelt habe und dass dies trotz des geringen Abstandes zur Geräuschquelle nur wegen dem fehlenden - üblicherweise vorherrschenden Betriebs- und Verkehrslärm - wahrgenommen werden konnte.

Die vom Bw beschriebene Fahrweise wurde von beiden Zeugen nicht in Zweifel gezogen.

Der Bw konnte weder aufgrund der äußeren Umstände (eigener Motorenlärm) das durch die minimale Berührung entstandene Geräusch wahrnehmen noch mangels Bewegung des anderen Fahrzeuges einen Anstoß vermuten. Selbst ein nachfolgender Blick in den Seitenspiegel hätte die geringe Beschädigung nicht erkennen lassen.

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

4.1. Nach § 1 Abs.1 letzter Satz StVO gelten als Straßen mit öffentlichem Verkehr solche, die "von jedermann unter den gleichen Bedingungen benützt werden können".

Für die Qualifikation als Straße mit öffentlichem Verkehr kommt es nicht auf die Eigentums- oder Besitzverhältnisse an der Straße an, sondern nur auf die Benützung der Straße. Dabei ist nach aktueller Judikatur tatsächlich nur die Art und der Umfang der faktischen Benützung entscheidend, völlig unabhängig von der Widmung, also davon, ob die Straße dem allgemeinen Gebrauch gewidmet wurde oder nicht.


Gemäß § 2 Abs.1 Z1 StVO versteht man unter Straße: eine für den Fußgänger- oder Fahrzeugverkehr bestimmte Landfläche samt den in ihrem Zuge befindlichen und diesem Verkehr dienenden baulichen Anlagen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die Erkenntnisse vom 8. April 1987, Zl. 85/03/0173, und vom 9. Mai 1990, Zl. 89/03/0197) kommt es hierbei auf die tatsächliche Benützbarkeit und Benützung der betreffenden Fläche an; steht diese nach dem äußeren Anschein zur allgemeinen Benützung für den Fußgänger- bzw. Fahrzeugverkehr frei, dann ist sie eine Straße mit öffentlichem Verkehr. Selbst Willenserklärungen des über die Fläche Verfügungsberechtigten, die auf eine Einschränkung der Benützung abzielen, jedoch nur gegenüber Einzelpersonen abgegeben wurden und nicht durch allgemein erkennbare schriftliche oder durch Zeichen erfolgte Erklärungen am Parkplatz selbst erfolgten, vermögen an dieser Qualifikation nichts zu ändern (vgl. das hg. Erkenntnis vom11. September 1987, Zl. 87/18/0059).

Der Unfallort war als Straße mit öffentlichem Verkehr zu qualifizieren.

4.2. Der Bw hat in schlüssiger Weise dargelegt, dass er den Berührungslärm nicht wahrgenommen hat. Aus den Schilderungen der Zeugen ist zu schließen, dass sie das leise Berührungsgeräusch nur deshalb gehört haben, weil es in der Umgebung keinen sonstigen Lärm (Betriebs- bzw. Verkehrslärm) gegeben hat und sie sich außerhalb der Lärmquelle (Fahrzeuglärm - dieselbetriebener VW-Kastenwagen) befunden haben.

Die Behörde erster Instanz ist bei vorliegender Verkehrssituation zu Recht vom Erfordernis einer besonderen Aufmerksamkeit ausgegangen. Der Bw ist, wie oben dargelegt, diesem Erfordernis nachgekommen und hat bewusst eine ganz geringe Fahrgeschwindigkeit gewählt und das Fahrmanöver mit besonderer Aufmerksamkeit vorgenommen. Neben der Nichtwahrnehmbarkeit des Berührungsgeräusches konnte der Bw aber mangels Veränderung der Stellung des Geschädigtenfahrzeuges auch keine unmittelbare optische Wahrnehmung machen, aufgrund der er zum Aussteigen und zur Nachschau verpflichtet gewesen wäre. Auch ein Lenker von gehöriger Aufmerksamkeit hätte bei diesem Ausmaß der Beschädigung (geringer Lackschaden durch Lackabrieb, minimale Tiefe der beschädigten Lackschicht, keine Deformierung, keine Stauchung), fehlender Erschütterung, mangelnde sichtbarer Bewegung des Geschädigtenfahrzeuges und des Schallpegels innerhalb des Fahrzeuges nicht auf eine Fahrzeugkollision geschlossen.

Voraussetzung für die Anhaltepflicht nach § 4 Abs.1 lit.a StVO ist nicht nur das objektive Tatbestandsmerkmal des Eintrittes eines Sachschadens, sondern in subjektiver Hinsicht das Wissen oder fahrlässige Nichtwissen von dem Eintritt eines derartigen Schadens. Der Tatbestand wäre daher schon dann gegeben, wenn dem Bw objektive Umstände (Anstoßgeräusch, ruckartige Anstoßerschütterung) zu Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit wenigstens einer Sachbeschädigung zu erkennen vermocht hätte (vergleiche: Messiner, Straßenverkehrsordnung in der Fassung der 20. StVO Novelle, Manz, Wien 1999, § 4, E. 55).

Da dem Bw in subjektiver Hinsicht das Wissen oder fahrlässige Nichtwissen von dem Eintritt eines derartigen Schadens nicht vorgeworfen werden kann, bestand für den Bw weder eine Anhalte- noch Meldepflicht.

Die angefochtenen Spruchpunkte waren daher zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

5. Gemäß § 66 Abs.1 VStG entfällt damit auch die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

Mag. Stierschneider

Beschlagwortung: subjektives Wissen, fahrlässiges Nichtwissen