Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-108193/7/Br/Rd

Linz, 06.05.2002

VwSen -108193/7/Br/Rd Linz, am 6. Mai 2002

DVR.0690392

ERKENNTNIS

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn N, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck, AZ. VerkR96-29010-2001, vom 19. März 2002, wegen Übertretung nach § 4 Abs.1 lit. a StVO 1960 und § 4 Abs.5 StVO 1960, nach der am 6. Mai 2002 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung und Verkündung zu Recht erkannt:

  1. Der Berufung wird Folge gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird in dessen Punkten 2. u. 3. behoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.
  2. Rechtsgrundlage:

    § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl.Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl.I Nr. 65/2002 - AVG, iVm § 19, § 24, § 45 Abs.1 Z1, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl.I Nr. BGBl.I Nr. 65/2002 - VStG;

  3. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.1 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck hat mit dem o.a. Straferkenntnis über den Berufungswerber insgesamt drei Geldstrafen (50 Euro, 290 Euro und 218 Euro) und im Falle der Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafen (36, 108 und 96 Stunden) verhängt und ihm zur Last gelegt:

"Sie haben am 22.12.2001 um 10.15 Uhr den Pkw in Mondsee aus der Prielhofsiedlung kommend zur Kreuzung mit der B 154 gelenkt, wo Sie unmittelbar vor dem auf der B 154 von links kommenden Pkw

1. trotz deutlich sichtbar aufgestelltem Vorschriftszeichen "vorgeschriebene Fahrtrichtung" in Richtung Autobahnauffahrt in die B 154 einbogen. Auf Grund Ihres Fahrverhaltes wich der auf der schneeglatten Fahrbahn auf der B 154 von links' kommende Lenker des Pkws, um einen Frontalzusammenstoß zu vermeiden, nach rechts aus und schlitterte dadurch gegen das im Kreuzungsbereich für die aus der Prielhofsiedlung kommenden Fahrzeuglenker aufgestellte Vorschriftszeichen "Halt" und "vorgeschriebene Fahrtrichtung", wobei der Pkw erheblich beschädigt wurde;

2. obwohl sein Verhalten am Unfallort mit dem Verkehrsunfall mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang stand, habe er nicht sofort angehalten (er habe nur ganz kurz angehalten, ohne auszusteigen) und habe

3. nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Gendarmeriedienststelle verständigt, obwohl er dem Geschädigten seinen Namen und seine Anschrift nicht nachgewiesen habe.

Dadurch habe er die Rechtsvorschrift(en) 1. § 52b Ziffer 15 StV0 1960, 2. § 4 Abs.1 lit.a StV0 1960 und 3. § 4 Abs.5 StV0 1960 verletzt."

1.1. Die Behörde erster Instanz erachtete den Tatvorwurf gemäß der Anzeige des Zweitbeteiligten L und die daraufhin von der Gendarmerie durchgeführten Erhebungen als erwiesen. Bei der Strafzumessung ging die Behörde erster Instanz mangels Angaben des Berufungswerbers von einem geschätzten Monatseinkommen in der Höhe von 1.240 Euro aus.

2. In der dagegen vom Berufungswerber durch protokollarisches Anbringen bei der Behörde erster Instanz (nur) gegen die Punkte 2. und 3. fristgerecht erhobenen Berufung bestreitet er im Ergebnis die Tatvorwürfe. Er habe vom Verkehrsunfall durch den Zweitbeteiligten weder eine akustische Wahrnehmung gemacht noch habe er gesehen oder gehört, einen Unfall verursacht zu haben. Sein nachfolgendes kurzzeitiges Anhalten sei verkehrsbedingt und nicht wegen des von ihm nicht wahrgenommenen Anstoßes des Zweitbeteiligten an ein Verkehrszeichen erfolgt.

Im Punkt 1. ist das angefochtene Straferkenntnis in Rechtskraft erwachsen.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch die Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck. Ferner wurde Beweis erhoben durch Beischaffung eines Luftbildes über den Straßenverlauf und die Kilometrierung vom Vorfallsort, sowie die zeugenschaftliche Vernehmung des Anzeigers L im Rahmen der öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung. Beweis erhoben wurde ebenfalls durch die Vernehmung des Berufungswerbers als Beschuldigten.

4. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

4.1. Der Berufungswerber lenkte zum oben angeführten Zeitpunkt seinen Pkw im Bereich der Autobahnauffahrt Mondsee, von der Prielhofsiedlung kommend in die B 154 in Richtung Zell am Moos. Zum Vorfallszeitpunkt herrschten widrige Witterungsverhältnisse. Die Fahrbahn war schneebedeckt und die Bodenmarkierungen waren wegen der Schneelage nicht erkennbar. Durch eine Fehlinterpretation verkannte der Berufungswerber das vor dem Kreuzungsbereich angebrachte Verkehrszeichen "Einbiegen nach links verboten". Im Zuge des Abbiegens nach links musste er sein Fahrzeug wegen eines auf der B154 von rechts kommenden - ebenfalls in Richtung Zell am Moos fahrenden - Fahrzeuges auf dem in Richtung Mondsee führenden Fahrstreifen anhalten. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Zeuge L mit seinem Fahrzeug mit einer Fahrgeschwindigkeit von vielleicht 30 km/h auf der glatten Fahrbahn bereits 20 bis 30 m an den Kreuzungspunkt angenähert, wobei dessen Fahrbahn durch den Berufungswerber blockiert war. Eine vorerst eingeleitete Bremsung zeigte wegen der Fahrbahnglätte keine Wirkung, sodass L sich entschloss bzw. zur Vermeidung einer seitlichen Kollision mit dem Fahrzeug des Berufungswerbers gezwungen war, nach rechts auszuweichen und hinter dessen Fahrzeug durch Befahren der rechts gelegenen Bucht vorbeizufahren. Dies gelang - wenn auch äußerst knapp - kollisionsfrei. L stieß jedoch in der Folge durch dieses vom Berufungswerber erzwungene Ausweichmanöver gegen ein im dortigen Kreuzungsbereich angebrachtes Verkehrszeichen (Stopptafel). Er kam dabei in einem dahinter befindlichen Schneehaufen zum Stillstand. Sein Fahrzeug wurde an der Frontseite beschädigt. Nachdem er mit seinem Beifahrer aus dem Fahrzeug ausgestiegen war, entfernte sich der Berufungswerber auf der B154 in Richtung Zell am Moos bzw. nördlicher Richtung. Er bemerkte den von ihm verursachten Verkehrsunfall nicht.

Der Schaden wurde ihm zwischenzeitig von der Haftpflicht-Versicherung des Berufungswerbers ersetzt. Dies wohl aufgrund der hier dem Berufungswerber zweifelsfrei begangenen Verstoßes gegen die Vorrangregel und das Linksabbiegeverbot.

4.2. Anlässlich der Berufungsverhandlung beteuerte der nach einem schweren Arbeitsunfall vor zwölf Jahren frühpensionierte Berufungswerber vom Vorfall nichts bemerkt zu haben. Seiner Verantwortung konnte gefolgt werden. Glaubhaft und den Denkgesetzen entsprechend nachvollziehbar legte der Berufungswerber dar, dass er sich voll auf seinen Linksabbiegevorgang konzentrierte, wobei er insbesondere dem von rechts kommenden Fahrzeug seine volle Aufmerksamkeit zuwandte. Im Verlaufe des nachfolgenden Abbiegevorganges nach links (in Richtung Zell am Moos) ist eine Wahrnehmung von allfälligen Vorgängen hinter dem eigenen Fahrzeug kaum gewährleistet. Vor allem bedingt die hohe Winkelgeschwindigkeit in Verbindung mit dem durch den Rückspiegel gewährleisteten schmalen Blickwinkel - wenn überhaupt - eher nur eine theoretische Wahrnehmbarkeit des hier stattgefundenen Ereignisses. Da dem Berufungswerber offenkundig weder ein akustisches noch sonst ein auf einen von ihm herbeigeführten Unfall hindeutender Umstand evident wurde - seine volle Aufmerksamkeit war ja nach vorne gerichtet - war seiner Verantwortung, vom Vorfall nichts bemerkt zu haben, auch aus praktischen Überlegungen zu folgen.

Auch die Darstellungen des Zeugen L ließen durchaus zur Schlussfolgerung gelangen, dass der Berufungswerber dem von ihm wohl schuldhaft herbeigeführten Vorfall nicht bemerkt haben musste und ihn auch tatsächlich nicht bemerkte.

5. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

5.1. Nach § 4 Abs.1 StVO 1960 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang stehen,

a) wenn sie ein Fahrzeug lenken, sofort anzuhalten,

b) wenn als Folge des Verkehrsunfalls Schäden für Personen oder

Sachen zu befürchten sind, die zur Vermeidung solcher Schäden notwendigen Maßnahmen zu treffen,

c) an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken.

Voraussetzung für die Erfüllung der Tatbestände iSd § 4 Abs.1 lit.a und § 4 Abs.5 StVO ist der tatsächliche Eintritt eines Verkehrsunfalls mit Sachschaden sowie die Kenntnis des Täters hievon. Hinsichtlich des letzteren Umstandes genügt es, wenn ihm objektive Umstände zu Bewusstsein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls mit Sachschaden zu erkennen vermocht hätte. Es reicht also die Schuldform der Fahrlässigkeit aus - VwGH 11.9.1979, ZfVB 1980/4/1233.

Der Tatbestand ist daher schon (umgekehrt: erst) dann gegeben, wenn dem Täter objektive Umstände zum Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermocht hätte (ARBÖ, CD-Rom-Ausgabe der StVO idF der 20. Novelle).

Davon kann hier aber nicht ausgegangen werden. Falls er überhaupt das hinter ihm vorbeifahrende Fahrzeug bemerkte, musste er diese Vorbeifahrt nicht mit einem nachfolgenden Anstoß an einem Verkehrszeichen in Verbindung bringen. Sehen konnte er diesen Vorgang, welcher sich in einem spitzen Winkel hinter seinem Fahrzeug zutrug, in der konkreten Situation keinesfalls. Der jeweilige Sorgfaltsmaßstab ist an einer sogenannten objektivierten Maßfigur zu messen. Daraus folgt, dass auch jedem durchaus wertverbundenen Fahrzeuglenker in dieser Situation die spezifische Unfallswahrnehmung verborgen geblieben sein könnte oder mit hoher Wahrscheinlichkeit verborgen bleiben würde.

Somit trifft hier dem Berufungswerber kein Verschulden, wenn hier die nach einem Verkehrsunfall erforderlichen Maßnahmen unterblieben sind.

Der VwGH führt in seiner ständigen Rechtsprechung hierzu wohl grundsätzlich aus, dass der Lenker eines Fahrzeuges den Geschehnissen um sein Fahrzeug seine volle Aufmerksamkeit zuzuwenden hat und gegebenenfalls ein Blick in den Rückspiegel in entsprechenden Verkehrssituationen geboten ist (vgl. auch u.a. das Erk. 18.10.1989, 89/02/0086, und die dort angeführte weitere Judikatur). Dass es jedoch - wie oben schon ausgeführt - aus der Sicht des Berufungswerbers hierfür keine objektive Veranlassung gab, liegt ein Sorgfaltsverstoß nicht vor. Das Ausmaß der einforderbaren Sorgfaltspflicht hat sich innerhalb des Grundsatzes "nulla poene sine culpa" (keine Strafe ohne Schuld) iSd Art. 7 EMRK zu bewegen. Mit einer bloß formelhaften Umschreibung und Einforderung eines Sorgfaltsmaßstabes, der mit den Erfahrungssätzen der realen Lebenswelt nicht mehr in Einklang gebracht werden könnte, würde grundrechtliche Grenzen überschritten.

Aus diesen Überlegungen war hier der Schuldspruch aufzuheben und die Verfahrenseinstellung zu verfügen (VwGH 12.3.1986, 84/03/0251; Hinweis auf ZfVB 1991/3/1122).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

Dr. B l e i e r

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