Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-109506/16/Bi/Be

Linz, 06.04.2004

 

 

 VwSen-109506/16/Bi/Be Linz, am 6. April 2004

DVR.0690392
 

 

 

 

E R K E N N T N I S
 
 
 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Karin Bissenberger über die Berufung der P O vertreten durch RA Dr. A U, vom 13. Jänner 2004 gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Braunau/Inn vom 18. Dezember 2003, VerkR96-4846-2003-Ms, wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, aufgrund des Ergebnisses der am 25. März 2004 durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung gemäß der mündlichen Verkündung der Berufungsentscheidung, zu Recht erkannt:
 
 

I. Der Berufung wird insofern Folge gegeben, als im Spruch die Qualifikation des § 99 Abs.2 lit.c StVO 1960 sowohl hinsichtlich der besonderen Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern als auch hinsichtlich der besonders gefährlichen Verhältnisse wegfällt. Es liegt daher eine Verwaltungsübertretung gemäß §§ 18 Abs.1 iVm 99 Abs.3 lit.a StVO 1960 vor, wobei von einer Geschwindigkeit von 90 km/h und einem geringsten zeitlichen Nachfahrabstand von 0,17 Sekunden, das sind 4,3m, auszugehen ist. Die Geldstrafe wird auf 200 Euro, die Ersatzfreiheitsstrafe auf 4 Tage herabgesetzt.

II. Der Verfahrenskostenbeitrag erster Instanz ermäßigt sich auf 20 Euro; ein Kostenbeitrag zum Rechtsmittelverfahren entfällt.

 

 

Rechtsgrundlage:

zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1, 51i, 44a Z1 und 3 und 19 VStG,

zu II.: §§ 65 und 66 VStG

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

zu I.:

1. Mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis wurde über die Beschuldigte wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß §§ 18 Abs.1 iVm 99 Abs.2 lit.c StVO 1960 eine Geldstrafe von 290 Euro (5 Tage EFS) verhängt, weil sie am 21. Juni 2003 um 11.53 Uhr den Pkw, Kz., im Gemeindegebiet Vorchdorf auf der A1 in Fahrtrichtung Wien bei Strkm 208.500 gelenkt und dabei als Lenkerin des genannten Fahrzeuges beim Fahren hinter dem nächsten, vor ihr fahrenden Fahrzeug keinen solchen Abstand eingehalten habe, dass ihr jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich gewesen wäre, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst worden wäre. Die Nachfahrgeschwindigkeit, die mit einem geeichten Geschwindigkeitsmessgerät (Multa-Vision), eingebaut in den Zivilstreifenwagen, festgestellt worden sei, sei auf einer Streckenlänge von ca 2 km, von Strkm 210,000 bis Strkm 208.000, aufgezeichnet worden und zwischen 86 km/h bis 97 km/h (angezeigter Wert laut Display) geschwankt. Abzüglich der vorgeschriebenen Messtoleranz von 3 km/h ergebe sich ein vorwerfbarer Geschwindigkeitsbereich von mindestens 83 km/h bis maximal 94 km/h. Der aufgrund des Videos kleinste ermittelte (gemessene) Abstand habe 3,70 m, der größte Abstand 5,50 m betragen. Unter Zugrundelegung des größten gemessenen Abstandes (5,5 m) und der kleinsten Nachfahrgeschwindigkeit (83 km/h) ergebe sich ein Sekundenabstand von 0,238 Sekunden.

Sie habe somit bei der gegenständlichen Fahrt durch ihr Verhalten mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung verstoßen und damit besonders gefährliche Verhältnisse herbeigeführt.

Gleichzeitig wurde ihr ein Verfahrenskostenbeitrag von 29 Euro auferlegt.

2. Dagegen hat die Berufungswerberin (Bw) fristgerecht Berufung eingebracht, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 51c VStG). Am 25. März 2004 wurde eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung in Anwesenheit der Bw, ihres rechtsfreundlichen Vertreters RA Dr. A U, der Behördenvertreter Frau E M und Herrn J D, des Zeugen Oberst G H sowie des technischen Amtssachverständigen Ing. R H durchgeführt. Die Berufungsentscheidung wurde mündlich verkündete.

3. Die Bw macht im Wesentlichen geltend, die Videoaufzeichnung des Zivilstreifenfahrzeuges sei nicht geeignet, den Zeitpunkt der angeblichen Übertretung mit der nötigen Sicherheit festzustellen, da das Datum 1.1.2000 und die Zeit 00.00 Uhr ersichtlich seien. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass sämtliche im Straferkenntnis angeführte Daten falsch seien, da offenbar eine Fehlfunktion oder Fehlbedienung des Aufzeichnungsgerätes vorgelegen habe. Die Behörde habe die

Videoaufzeichnung auch nicht einer ausreichenden Prüfung durch einen SV unterzogen. Der AmtsSV habe selbst ausgesagt, es sei zur Gewinnung genauerer Werte erforderlich, eine aufwändige sektorenmäßige Auswertung durchzuführen. Die Behörde habe aber ohne Auswertung unter angeblicher Zugrundelegung günstigster Werte einen zeitlichen Abstand von 0,238 Sekunden angenommen. Der Rechtsvertreter habe Bedenken geäußert, dass hier ein Pkw einem Lkw-Zug nachfahre, demnach auch auf fahrdynamische Eigenheiten dieser Fahrzeuge, insbesondere unterschiedliche Bremsschwellzeiten, Bedacht zu nehmen sei, deren Differenz zum ermittelten Sekundenabstand zu addieren sei, sodass bei einer Differenzbremsschwellzeit von 0,4 Sekunden diese als zusätzliche Abwehrzeit zur Verfügung stehe, woraus sich zumindest 0,638 Sekunden ergäben, dh von besonders gefährlichen Verhältnissen nicht die Rede sein könne und auch ein Verstoß gegen § 18 Abs.1 StVO nicht vorliege, zumal kein Auffahrunfall geschehen sei. Die Behörde habe eine zusätzliche Erörterung mit dem Sachverständigen in Aussicht gestellt, jedoch sei trotz Terminvereinbarung mit dem SV kein solcher zustandegekommen, wenn doch, so liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor.

Zur Güte der Videoaufzeichnungen sei ebenfalls keine ausreichende Erörterung durch den SV erfolgt. Die Aufzeichnung bestehe aus 25 Halbbildern pro Sekunde, dh es gebe keine kontinuierliche Aufzeichnung sondern eine Aneinanderreihung von Einzelbildern. Daher seien je nach Geschwindigkeit auch keine scharfen Konturen erkennbar, sondern nur verschwommene, unscharfe Darstellungen. Bei 83 km/h würden während des Wechsels zwischen zwei Halbbildern 0,92 m zurückgelegt, woraus sich ein nicht vernachlässigbarer Messfehler von 17 % ergebe. Im Übrigen hätte es auch einer SV-Darlegung dazu bedurft, dass Bremsschwellwerte von mehr als 0,2 Sekunden bei Pkw schon seit Jahrzehnten nicht mehr dem Stand der Technik entsprächen.

Der Lkw-Zug sei außerdem nicht mit der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit gefahren, sondern mit 97 km/h, sodass ein Überholen auch mit Rücksicht auf den ankommenden Verkehr nicht möglich gewesen sei. Zum Überholen gehöre auch ein Aufschließen zum überholten Fahrzeug, damit komme es auch zu geringen Abständen, die aber keinen Verstoß gegen § 18 StVO darstellten und auch nicht geeignet seien, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen. Solche Verhältnisse könnten nur gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern entstehen. Ein Lkw-Zug mit 38 t werde durch das Auffahren mit einem Pkw mit 700 kg Gewicht in keinerlei besonders gefährliche Verhältnisse gestürzt; vielmehr werde dessen Lenker ein solches Auffahren aufgrund der Massenverhältnisse gar nicht bemerken. Nachteilige Folgen hätten bei einem solchen Auffahren nur für den Pkw und die Bw bestanden; dazu sei es aber nicht gekommen.

Außerdem wird die Geldstrafe als überhöht gerügt und ausgeführt, dass angesichts des zu erwartenden eigenen Schadens mit einer Ermahnung das Auslagen zu finden gewesen wäre. Beantragt wird daher die Aufhebung des Straferkenntnisses und Verfahrenseinstellung, in eventu der Ausspruch einer Ermahnung.

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz sowie Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung, bei der beide Parteien gehört, der genannte Gendarmeriebeamte zeugenschaftlich einvernommen, die Videoaufzeichnung angesehen und ausführlich erörtert und auf dieser Grundlage ein technisches Gutachten durch den Amtssachverständigen erstellt wurde. Die Berufungsentscheidung wurde mündlich verkündet.

Folgender Sachverhalt ist entscheidungswesentlich:

Die Bw lenkte am 21. Juni 2003 gegen 11.50 Uhr, einem Samstag Vormittag, den Pkw, einen Citroen AY-CD, Handelsbezeichnung Acadiane, Baujahr 1981 mit 32 PS, auf der Westautobahn im Bereich der Gemeinde Vorchdorf in Richtung Wien, wobei sie kurz vor km 208.000 hinter einem Lkw-Zug, der mit etwa 90 km/h auf dem rechten Fahrstreifen fuhr, nachfuhr, weil sie nach eigenen Angaben wegen der sich mit höherer Geschwindigkeit von hinten nähernden Fahrzeugen ein Überholen für zu gefährlich hielt. Die Straßen-, Fahrbahn-, Wetter- und Sichtverhältnisse waren einwandfrei. Auch Verkehrsbehinderungen wurden nicht behauptet.

Zur gleichen Zeit lenkte der Meldungsleger BI Martin Stadler das Zivilstreifenfahrzeug BG-4157, einen mit Deckkennzeichen versehenen Peugeot, in den eine geeichte Providaanlage mit dem Geschwindigkeitsmesser Multavision, Id.Nr. 223316, zuletzt vom Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen geeicht am 18. September 20002 mit Nacheichfrist bis 31. Dezember 2005, eingebaut war, mit dem Beifahrer Oberst Gerhard Haag, beide Beamte des LGK für Oö, Verkehrsabteilung, ebenfalls in Richtung Wien, wobei ihnen der hinter dem Lkw-Zug mit auffallend geringem Abstand nachfahrende Pkw der Bw auffiel. Sie fuhren unter Betätigung der Videoaufzeichnung über eine Strecke von ca 2 km dem Pkw nach, wobei sie nicht nur hinter dem Pkw, zu dessen Beobachtung die gesamte Breite des rechten Fahrstreifens ausnutzend fuhren, ohne zu überholen.

Die Videoaufzeichnung lässt ersehen, dass die Bw, die nach den Ergebnissen der mittlerweile unter Nachkalibierung der Kamera durchgeführten Auswertung durch den Sachverständigen, der insgesamt 13 Bilder aus dem 93 Sekunden dauernden Video analysierte, Abstände von 0,17 Sekunden (4,3 m bei einer Geschwindigkeit von nach den vorgeschriebenen Toleranzabzügen 90 km/h) bis 0,32 Sekunden (auch bei Geschwindigkeiten von nach Abzug 95 km/h) einhielt. Dabei wurde vernachlässigt, dass die Nachfahrgeschwindigkeit der Bw insofern nicht gleichbleibend war, als zB beim 4,3 m-Abstand die Bw ca 4 km/h schneller war als der Lkw-Zug und dieser zur selben Zeit seine Geschwindigkeit um 1 km/h verlangsamte.

Vom Sachverständigen erklärt wurden auch die verschiedenen Datums- und Zeitangaben auf der Videoaufzeichnung; insbesondere wurde das Datum 1.1.2000 und die aus Nullen bestehende Uhrzeit als Systemzeit des Videorekorders als für die


Auswertung irrelevant belegt und die sonstigen Aufzeichnungen, insbesondere die rechts oben auf den Bildern ersichtlichen Multavisionsaufzeichnungen (Datum, Uhrzeit, Frame=Einzelbildzahl, Zoom-Einstellung), dargelegt. Außerdem wurde geklärt, dass bei diesem System pro 25stel Sekunde ein Einzelbild (Frame) aufgenommen wird, sodass der Bildsprung für die Bildauswertung hinsichtlich eines inzwischen zurückgelegten Weges zu vernachlässigen ist.

Der bei der Aufzeichnung als Beifahrer fungierende Zeuge Oberst Haag, der in der Anzeige nicht aufschien, dessen Zeugenaussage jedoch insofern erforderlich wurde, weil der Meldungsleger urlaubsbedingt der Ladung nicht Folge leisten konnte, gab unter Hinweis auf die von den Parteien eingesehene Dienstvorschreibung vom 21. Juni 2003, die ihn für die Vorfallszeit als Beifahrer auswies, und den vorgelegten Eichschein an, sie hätten, um den von der Bw eingehaltenen Abstand ausreichend und technisch nachvollziehbar dokumentieren zu können, diesen Pkw von hinten und von links seitlich beobachtet, jedoch nicht überholt. Der Abstand habe sich dabei nicht wesentlich geändert. Eine sofortige Anhaltung der Bw hätte bedeutet, dass kein ausreichendes Beweismaterial für den geringen Abstand vorhanden gewesen wäre, sodass eine solche erst nach einer Beobachtung von etwa 2 km erfolgt sei. Eine Anhaltung auf dem Pannenstreifen werde wegen der Gefahr nicht durchgeführt, sondern ein Parkplatz oä abgewartet und dort der Lenker mittels Handzeichen, Anhaltestab und der Anzeige "Nachfahren" angehalten. Die Bw bestätigte, der ihr nachfahrende Pkw habe sie wegen seiner Fahrweise hinter bzw links hinter ihrem Pkw, jedoch ohne zu überholen, vorerst irritiert; allerdings habe sie dann die Uniformen der Insassen gesehen.

Der Zeuge hat Fehlfunktionen der Providaanlage bzw Anhaltspunkte für Ungenauigkeiten auch für die seither verstrichene Zeit ausgeschlossen und ausgeführt, die Reifen - der Geschwindigkeitsmesser wird in Verbindung mit dem bestimmten Fahrzeug mit einer bestimmten Reifendimension zusammen geeicht, wobei die genauen Daten auf dem Eichschein ersichtlich sind - würden vor der Inbetriebnahme neben dem Profil auch auf Entsprechung der Dimension kontrolliert und hätten den Voraussetzungen laut Eichschein entsprochen .

Bei der den Zeitraum von 11.52.08 Uhr bis 11.53.41 Uhr umfassenden, bei der Verhandlung zur Verfügung stehenden Videoaufzeichnung war auffällig, dass die Bw dem Lkw-Zug auf dem rechten Fahrstreifen immer genau nachfuhr, dh sie blieb auch bei Spurschwankungen immer genau hinter dem Anhänger, sozusagen in dessen "Windschatten", setzte während des Beobachtungszeitraumes nie zum Überholen an, versuchte aber offensichtlich, rechts und links vom Anhänger nach vor zu sehen.

Der sich vom Sachverständigen bei der Auswertung ergebende geringste Nachfahrabstand von 0,17 Sekunden bei 90 km/h wurde für die Überlegungen zum Vorliegen der von der Erstinstanz angenommenen besonders gefährlichen Verhält

nisse bzw der besonderen Rücksichtslosigkeit im Sinne des § 99 Abs.2 lit.c StVO herangezogen. Im Rahmen des SV-Gutachtens wurde erörtert, dass für den von der Bw gelenkten Pkw aufgrund der konstruktiven Auslegung der Bremsanlage eine Bremsschwellzeit von 0,25 bis 0,3 Sekunden, für den Lkw-Zug eine solche von 0,5 Sekunden anzunehmen ist. Für den Fall einer Notbremsung wurde insofern gedanklich ein "Worst-Case-Szenario" entwickelt, als der Sachverständige schlüssig und angesichts der Videoaufzeichnungen nachvollziehbar davon ausgegangen ist, dass die Reaktionszeit der Bw erst beim Aufleuchten der Bremslichter des Lkw-Zuges beginnt, sodass die Bremsschwellzeit des Lkw-Zuges mit der Reaktionszeit der Bw weitgehend zusammenfällt und die Bremsphase des Pkw erst beginnt, wenn die Schwellphase des Lkw beendet ist und der Lkw in den unterstellten Vollbremsbereich gelangt. Ca 0,25 Sekunden später nach Abbau der Schwellzeit beim Pkw erfolgt dann dessen Vollbremsphase, wobei sich der Lkw zu dieser Zeit bereits 0,25 Sekunden in der Vollbremsphase befindet.

Der Bw bleibt dann nur mehr eine Vollbremsung - normalerweise würde der Anhalteweg des Lkw-Zuges ca 80 m, der des Pkw der Bw ca 77 m lang sein - ein eingeleitetes Ausweich- oder Ablenkmanöver der Bw bliebe ohne Wirkung, weil sie den geringen Abstand bereits in der Weise "eingeholt" hätte, dass es zu einem geraden Auffahren auf den Lkw-Anhänger mit einer Kollisionsgeschwindigkeit von ca 7 bis 10 km/h gekommen wäre. Der Sachverständige hat eindrucksvoll dargelegt, dass in diesem Fall aufgrund der Massenunterschiede der beiden Fahrzeuge der Lkw-Zug jedenfalls in der Spur bleibt - ob der Lenker des Lkw das Auffahren des Pkw der Bw überhaupt bemerken würde, wäre fraglich - der Pkw in der Vollbremsphase mit blockierenden Rädern in gerader Linie weiterbewegt wird und aufgrund der großen Kurvenradien auf der A1 im dortigen Bereich eine geradlinige Fahrzeitverzögerung zu erwarten ist, bei der der Pkw der Bw wahrscheinlich spurstabil bleibt. Eine Schleuderbewegung wäre beim Lkw-Zug jedenfalls, beim Pkw der Bw weitestgehend auszuschließen. Den Ausführungen des Beschuldigtenvertreters, wonach der Pkw höchstwahrscheinlich mit der beschädigten Vorderseite im Anhänger hängenbleiben und mit diesem zusammen abgebremst würde, hat der Sachverständige im Wesentlichen nicht widersprochen.

In rechtlicher Hinsicht hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

Gemäß § 18 Abs.1 StVO 1960 hat der Lenker eines Fahrzeuges stets einen solchen Abstand vom nächsten vor ihm fahrenden Fahrzeug einzuhalten, dass ihm jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich ist, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst wird.

Gemäß § 99 Abs.2lit.c StVO 1960 begeht eine Verwaltungsübertretung und ist - gegenüber dem "allgemeinen" Strafrahmen des § 99 Abs.3 lit.a leg.cit. in einem höheren Rahmen - zu bestrafen, wer als Lenker eines Fahrzeuges, zB beim Überholen, als Wartepflichtiger oder im Hinblick auf eine allgemeine oder durch Straßenverkehrszeichen kundgemachte Geschwindigkeitsbeschränkung, unter

besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern gegen die Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstößt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl 9. März 2001, 2000/02/0128; 21. Oktober 1992, 92/02/0183; 31. Juli 1998, 96/02/0566; ua) hat der Spruch betreffend eine in Verbindung mit § 99 Abs.2 lit.c StVO begangene Übertretung jene zum Tatbild dieser Übertretung zählenden konkreten Umstände zu enthalten, die die besondere Gefährlichkeit der Verhältnisse bzw die besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern ausmachen.

Dieser konkrete strafsatzändernde Umstand als Tatbestandsmerkmal muss dem Beschuldigten innerhalb der sechsmonatigen Verfolgungsverjährungsfrist gemäß § 44a Z1 VStG zur Last gelegt werden. Im gegenständlichen Fall begann die Frist des § 31 Abs.2 mit dem Vorfall am 21. Juni 2003 zu laufen und endete demnach am 21. Dezember 2003.

Dem Verfahrensakt ist zu entnehmen, dass die an die Tatortbehörde, die BH Gmunden, erstattete Anzeige gemäß § 29a VStG an die Erstinstanz abgetreten wurde. In der Strafverfügung vom 16. Juli 2003 wurde der Bw eine Verwaltungsübertretung gemäß §§ 18 Abs.1 iVm 99 Abs.2 lit.c StVO 1960 zur Last gelegt, jedoch enthielt die wörtliche Umschreibung des Tatvorwurfs keinerlei Anlastung im Hinblick auf § 99 Abs.2 lit.c StVO. Die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 18. November 2003 bezog sich auf gutachtliche Ausführungen des Amtssachverständigen und enthielt unter erneuter Bezugnahme auf §§ 18 Abs.1 iVm 99 Abs.2 lit.c StVO genauere Abstands- und Geschwindigkeitsangaben, aber wiederum keine Anlastung im Hinblick auf den erhöhten Strafrahmen, insbesondere nichts darüber, dass die konkrete Nichteinhaltung eines ausreichenden Abstandes als "unter besonders gefährlichen Verhältnissen" oder "mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern" begangen anzusehen wären. Der Bw wurde eine zweiwöchige Frist zur Stellungnahme gewährt, die (nach Zustellung am 21. November 2003) mit 5. Dezember 2003 ablief.

Mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2003 wurde der Bw seitens der Erstinstanz eine beabsichtigte Spruchänderung insoweit angekündigt, als der wörtlichen Umschreibung vom 18. November 2003 der Satz angefügt wurde: "Sie haben somit bei der gegenständlichen Fahrt durch Ihr Verhalten mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung verstoßen und damit besonders gefährliche Verhältnisse herbeigeführt." Dazu wurde Parteiengehör gewahrt, wobei die 14tägige Frist (nach Zustellung am 5. Dezember 2003) mit 19. Dezember 2003 ablief.

 

Der Beschuldigtenvertreter erstattete am 5. Dezember 2003 die Stellungnahme zum SV-Gutachten, wobei er neuerlich vom Sachverständigen zu behandelnde Fragen aufwarf, und fristgerecht am 19. Dezember 2003 die - ablehnende - Stellungnahme zur Spruchänderung, die aufgrund des dazwischen liegenden Wochenendes am 22. Dezember 2003 bei der Erstinstanz eintraf und dort den Vermerk "laut Gespräch mit Mag. G keine Berücksichtigung, weil erst am 22. 12.2003 eingelangt" bekam.

Das mit 18. Dezember 2003 datierte Straferkenntnis wurde mit 29. Dezember 2003 zur Post gegeben und laut Rückschein am 30. Dezember 2003 zugestellt. Darin war der Spruch ausgeführt wie im Schreiben vom 4. Dezember 2003; in der Begründung wurde unter Zugrundelegung eine Geschwindigkeit von mindestens 83 km/h über eine längere Strecke und einem Abstand von 0,283 Sekunden ausgeführt, die Bw habe somit mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken von Kraftfahrzeugen maßgebenden Vorschriften verstoßen. Da aus derartigen Situationen auf Autobahnen immer wieder schwerste Auffahrunfälle mit katastrophalen Folgen entstünden, sei das Verhalten der Bw geeignet gewesen, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen.

In der Berufungsverhandlung wurde seitens der Erstinstanz geltend gemacht, die Spruchumschreibung gründe sich allein auf den extrem geringen Nachfahrabstand, wobei darauf verwiesen wurde, dass bei einer Besprechung der Verkehrsreferenten der Erstbehörden vereinbart worden sei, bei Nachfahrabständen unter 0,3 Sekunden generell besonders gefährliche Verhältnisse anzunehmen. Dass im gegenständlichen Fall günstigste Straßen-, Verkehrs- und Sichtverhältnisse geherrscht hätten, das konkrete Verkehrsaufkommen vom Zeugen wegen der inzwischen verstrichenen Zeit mangels Aufzeichnungen nicht mehr geklärt werden konnte, die Bw allein im Fahrzeug war und von diesem keinerlei Mängel behauptet wurden, wurde nicht in Abrede gestellt.

Aus der Sicht des Unabhängigen Verwaltungssenates ist auf der Grundlage der eindeutigen und technisch einwandfreien Ergebnisse des Beweisverfahrens ohne jede Bestreitung durch die Parteien als erwiesen anzunehmen, dass der von der Bw eingehaltene Abstand beim Nachfahren hinter dem Lkw-Zug von mindestens 0,17 Sekunden bei einer Geschwindigkeit von 90 km/h den Tatbestand des § 18 Abs.1 StVO zweifellos verwirklicht.

Zur Frage der Anwendbarkeit des § 99 Abs.2 lit.c StVO als Strafnorm wollte die Erstinstanz zum einen eine besondere Rücksichtslosigkeit der Bw zugrundelegen, hat aber diesen strafsatzändernden Umstand innerhalb der Verjährungsfrist nicht ausreichend konkretisiert. Insbesondere wurde der Bw keine "besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern" angelastet, sondern eine solche "gegenüber den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung", für die aber § 99 Abs.2 lit.c StVO keine Grundlage bildet. Eine Spruchänderung diesbezüglich ist im gegen

ständlichen Fall wegen am 21. Dezember 2003 eingetretener Verjährung nicht mehr möglich, obwohl inhaltlich der Verwaltungsgerichtshof zB im Erkenntnis vom 25. September 1986, 86/02/0058, ein Auffahren auf das Vorderfahrzeug mit 85 km/h auf 3 m als mit besonderer Rücksichtslosigkeit begangen angesehen hat.

Zur Frage der besonders gefährlichen Verhältnisse hat sich die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher im Wesentlichen auf Geschwindigkeitsüberschreitungen bezogen; allerdings wurden hier insbesondere konkrete beeinträchtigte Sichtverhältnisse, ungünstige Fahrbahnbeschaffenheit und starkes Verkehrsaufkommen, Straßenbreite und -verlauf, die geistige und körperliche Verfassung des Lenkers und abgefahrene Reifen angeführt, jedoch betont, eine abstrakte Gefährdung reiche für die Annahme besonders gefährlicher Verhältnisse nicht aus (vgl 9. März 2001, 2000/02/0128; 22. Februar 1990, 89/18/0173; 6. April 1978, 2318/76; uva).

Im gegenständlichen Fall bestanden keine solchen Umstände - einzig die Stärke des Verkehrsaufkommens konnte nicht geklärt werden. Allerdings wäre im Fall einer tatsächlich bestehenden erhöhten Verkehrsfrequenz dieser Umstand der Bw rechtzeitig anzulasten gewesen.

Der von der Erstinstanz vertretenen Rechtsansicht, allein der eingehaltene Abstand von 0,17 Sekunden genüge für die Annahme besonders gefährlicher Verhältnisse, vermag sich der Unabhängige Verwaltungssenat aufgrund der nachvollziehbaren Ergebnisse des Beweisverfahrens nicht anzuschließen.

In der Verhandlung, insbesondere in den schlüssigen Ausführungen des Amtssachverständigen, kam zum Ausdruck, dass im schlechtesten Fall die Bw aufgrund eines vom Lenker des Lkw-Zuges plötzliche eingeleiteten Bremsmanövers zu einer Vollbremsung gezwungen gewesen wäre, wobei jedenfalls feststand, dass ein Auffahrunfall bei einem Abstand von 4,3 m unvermeidbar gewesen wäre. Da die Bw nie seitlich versetzt hinter dem Lkw-Zug herfuhr, sondern stets hinter diesem blieb, war davon auszugehen, dass sie geradewegs auf den Anhänger auffahren würde, wobei der Sachverständige die Kollisionsgeschwindigkeit mit ca 7 bis höchstens 10 km/h errechnet hat. Er hat auch ausdrücklich ausgeschlossen, dass, falls sich die Bw noch zu einem Ausweichen, Auslenken oä entschließen sollte, dies bei dem geringen Abstand überhaupt noch zum Tragen käme. Da die Entscheidung, ein Ausweichmanöver einzuleiten, eine zusätzliche zu der, eine Vollbremsung durchzuführen, wäre, hätte dies in der Fahrlinie des Pkw eben aufgrund des geringen Abstandes keinerlei Konsequenz mehr. Betrachtet man nun die Massenverhältnisse zwischen dem Pkw der Bw und dem Lkw-Zug, so ist offensichtlich, dass ein Anstoß des Pkw mit maximal 10 km/h den Lkw-Zug sicher nicht zu einem Schleudern veranlassen und diesen schon gar nicht "anschieben" und auf diese Weise aus der Spur bringen könnte. Der Lkw würde vielmehr den aufgefahrenen Pkw, notfalls bis

zum Stillstand, "mitbremsen". In der mündlichen Verhandlung wurde auch ein "Ping-Pong-Effekt" gedanklich ausgeschlossen, dh der Pkw würde auch nicht vom Lkw-Anhänger zurückgeworfen werden, sondern vermutlich dort stecken bleiben. Daher wäre aus all diesen Überlegungen auch nicht mit einer Schleuderbewegung des Pkw zu rechnen, die eine konkrete Gefährdung dahinter fahrender, auf dem linken Fahrstreifen aufschließender oder von rechts auf die Autobahn (zB bei einer Auffahrt oder von einem Parkplatz kommend) beschleunigender Fahrzeuge bedeuten könnte.

Der Sachverständige hat in der Verhandlung die möglichen Ursachen für ein eventuelles Abweichen auch nur eines der beiden Fahrzeuge von ihrer Fahrlinie durchdacht und erörtert, wobei kein Anhaltspunkt für einen möglichen Schleudervorgang zu finden war, sodass aus all diesen Überlegungen besonders gefährliche Verhältnisse auszuschließen waren. Auch wenn die Bw bestätigt hat, sie sei durch das hinter ihr fahrende Zivilstreifenfahrzeug irritiert worden, hätte dies keine Auswirkungen, weil sich bei einem erst erforderlichen Blicksprung vom Rückspiegel des Pkw auf den bremsenden Lkw-Zug die Reaktionszeit der Bw entsprechend verlängert hätte, was jedoch am Ergebnis, einem geraden Auffahrunfall, nichts geändert hätte.

Die zweifellos bestanden habende, von der Bw selbst herbeigeführte Eigengefährdung ist nicht als Grundlage für die Annahme konkreter besonders gefährlicher Verhältnisse zu sehen.

Die Anwendung des § 99 Abs.2 lit.c StVO verlangt konkrete besonders gefährliche Verhältnisse; ein Verhalten, das an sich "geeignet ist", besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, wie in der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses angeführt, reicht im Gegensatz zur Bestimmung des § 7 Abs.3 Z3 FSG nicht aus.

Die Voraussetzungen des § 99 Abs.2 lit.c StVO lagen daher nicht vor, sodass der Tatbestand der allgemeinen Strafnorm des § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960 zu unterstellen und der Spruch diesbezüglich zu ändern bzw einzuschränken war. Da der Bw die Glaubhaftmachung mangelnden Verschuldens im Sinne des § 5 Abs.1 VStG nicht gelungen ist, war zumindest von - aufgrund des auffallend geringen Abstandes - grob fahrlässiger Begehung auszugehen. Von geringfügigem Verschulden kann jedoch keine Rede sein, sodass § 21 VStG nicht anzuwenden war.

Bei der Strafbemessung war daher der Strafrahmen des § 99 Abs.3 lit.a StVO zugrundezulegen, der bis 726 Euro Geldstrafe bzw für den Fall der Uneinbringlichkeit bis zu 2 Wochen Ersatzfreiheitsstrafe reicht.

Die Erstinstanz hat - zutreffend - die bisherige verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit der Bw als mildernd gewertet und ihre finanziellen Verhältnisse - unwidersprochen - geschätzt (ca 1.000 Euro netto monatlich, kein Vermögen, Sorgepflichten).

 

Auf der Grundlage der geänderten Strafnorm war die Strafe neu zu bemessen, wobei nach den Bestimmungen des § 19 VStG der nicht unerhebliche Unrechts- und Schuldgehalt zu berücksichtigen war. Die nunmehr verhängte Strafe liegt noch im unteren Drittel des gesetzlichen Strafrahmens, hält generalpräventiven Überlegungen stand und soll die Bw (auch im eigenen Interesse) dazu veranlassen, in Zukunft einen ausreichenden Sicherheitsabstand einzuhalten. Die Ersatzfreiheitsstrafe ist im Verhältnis zur Geldstrafe ohne Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse angemessen. Es steht der Bw frei, bei der Erstinstanz um Bezahlung der Geldstrafe in nach dem zu belegenden Einkommen bemessenen Teilbeträgen anzusuchen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Am Rande zu bemerken ist, dass diese Entscheidung ausschließlich auf die besondere Konstellation im konkreten Fall gegründet ist und keinesfalls verallgemeinert werden darf. Die Warnungen und Bemühungen des Kuratoriums für Verkehrssicherheit und der Autofahrerclubs, Fahrzeuglenkern die Gefahren vor Augen zu führen, die zu geringe Sicherheitsabstände, vor allem auf Autobahnen, auslösen können, sind wohlüberlegt, haben allein schon wegen der hohen Zahl der Auffahrunfälle - dabei ist von Verletzungen, bleibenden Gesundheitsschädigungen uä noch gar nicht die Rede - einen sehr ernst zu nehmenden Hintergrund und sind an der Berufungswerberin im gegenständlichen Fall wohl vorbeigegangen. Dass bei einem Auffahrunfall wie dem in der Verhandlung als "worst case" dargelegten auch sie Verletzungen oder bleibende Gesundheitsschäden davontragen hätte können, dürfte ihr mittlerweile bewusst geworden sein. Wenn dadurch ihr Fahrverhalten in der Zukunft positiv beeinflusst wird, ist ein konkreter Beitrag zur Verkehrssicherheit geleistet worden.

zu II.:

Der Ausspruch über den Verfahrenskostenersatz ist gesetzlich begründet.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

 

Mag. Bissenberger

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