Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-109741/3/Fra/He

Linz, 30.06.2004

 

 

 VwSen-109741/3/Fra/He Linz, am 30. Juni 2004

DVR.0690392
 

 

 

E R K E N N T N I S
 
 
 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Johann Fragner über die Berufung des Herrn M B, R, L, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz vom 16.3.2004, Zl. S-5740/04-1, betreffend Übertretung der StVO 1960, zu Recht erkannt:

 

  1. Der Berufung wird insofern Folge gegeben, als das angefochtene Straferkenntnis - ohne Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens - behoben wird.

 

II. Der Berufungswerber hat keine Verfahrenskostenbeiträge zu entrichten.

 

 

Rechtsgrundlagen:

zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm § 24 VStG.

zu II.: §§ 66 Abs.1 VStG.
 
 

Entscheidungsgründe:
 

I.1. Die Bundespolizeidirektion Linz hat mit dem in der Präambel angeführten Straferkenntnis über den Berufungswerber (Bw) wegen Übertretung des § 5 Abs.2 StVO 1960 gemäß § 99 Abs.1 lit.b leg.cit eine Geldstrafe von 1.162 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 14 Tage) verhängt, weil er am 15.2.2004 um 03.05 Uhr in Linz, Rudolfstraße 64, den Pkw, Kennzeichen , gelenkt und sich um 05.06 Uhr in Linz, Nietzschestraße 33, amtsärztlicher Dienst, geweigert hat, sich der Untersuchung der Atemluft (Alkomat) auf Alkoholgehalt zu unterziehen, obwohl er von einem besonders geschulten und hiezu von der Behörde ermächtigten Organ der Straßenaufsicht dazu aufgefordert wurde, weil er verdächtig war, das Fahrzeug zum vorgenannten Zeitpunkt in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (Alkoholisierungssymptome: starker Alkoholgeruch aus dem Mund, gerötete Augenbindehäute) gelenkt zu haben. Ferner wurde gemäß § 64 VStG ein Kostenbeitrag in Höhe von 10 % der verhängten Geldstrafe vorgeschrieben.

 

I.2. Dagegen richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Berufung. Die Bundespolizeidirektion Linz - als nunmehr belangte Behörde - sah sich zu einer Berufungsvorentscheidung nicht veranlasst und legte das Rechtsmittel samt bezughabendem Verwaltungsstrafakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vor, der, weil eine 2.000  Euro nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied entscheidet (§ 51c erster Satz VStG).

 

I.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

I.3.1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wird dem Bw vorgeworfen ein nach dem Kennzeichen bestimmtes Kraftfahrzeug ..... gelenkt zu haben. Dieser Vorwurf ist durch die Aktenlage nicht gedeckt. Aus der Anzeige der Bundespolizeidirektion Linz vom 15.2.2004 geht lediglich hervor, dass der Bw einen Pkw in Betrieb genommen hat. Der spruchgemäße Vorwurf ist daher verfehlt. Da die Verfolgungsverjährungsfrist erst am 15.8.2004 abläuft und seitens des Oö. Verwaltungssenates das Verfahren nicht eingestellt wurde, hat die belangte Behörde noch genügend Zeit, einen allfälligen Tatvorwurf neu zu fassen.

 

I.3.2. Aus der oa Anzeige geht hervor, dass der Bw weder der deutschen noch der englischen Sprache mächtig ist. Der Bw ist moldawischer Staatsbürger und hat einen Asylantrag beim Bundesasylamt, Außenstelle Linz, gestellt. Der Bw rügt daher unter Hinweis auf § 39a AVG zu Recht, dass die belangte Behörde keinen Dolmetscher beigezogen hat. Der Bw bringt vor, er habe mangels Übersetzung nicht verstanden, was er unterschrieben habe. Erst bei einer nachträglichen Übersetzung durch seine Rechtsberaterin zusammen mit einem Dolmetscher habe er erfahren, dass es sich dabei um ein volles Geständnis handelte. Weiters habe er aufgrund der Sprachschwierigkeiten keine Erklärung zum angefochtenen Straferkenntnis abgeben können. Bei Kenntnis des Inhaltes hätte er die Niederschrift nicht unterschrieben, da sie nicht den Tatsachen entspreche. Es treffe nicht zu, dass er den Atemalkoholtest verweigert habe. Aus dem Teststreifen ist ersichtlich, dass seine Blaszeit zu kurz gewesen sei. Man habe ihm verständlich machen können, dass er in das Röhrchen des Alkomaten blasen müsste, jedoch nicht auf welche Art und Weise und auch nicht wie lange. Hätte man ihm erklärt, wie der Blasvorgang richtigerweise auszusehen hätte, hätte er versuchen können, ihn richtig auszuführen. Auf Seite 2 der oa Anzeige sei auch festgehalten, dass man aufgrund von Sprachproblemen auf eine Belehrung hinsichtlich der Folgen der Verweigerung des Alkotestes verzichtet hätte. Ihm sei also nicht bewusst gewesen, welche Konsequenzen die angebliche Verweigerung haben könnte, da er nicht in ausreichender Art und Weise belehrt worden sei.

 

Abgesehen davon, dass sich aus dem Akt keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Bw ein Kraftfahrzeug gelenkt hat, stellt sich die Frage, ob er aufgrund des Umstandes, dass er weder englisch noch deutsch spricht, ausreichend verständlich zur Vornahme der Atemluftuntersuchung aufgefordert wurde. Aus dem im Akt einliegenden Teststreifen geht hervor, dass man dem Bw lediglich zwei Blasversuche gestattete. Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner Judikatur (vgl Erkenntnis vom 11. Oktober 2002, Zl. 2001/02/0220) davon aus, dass der die Atemluftuntersuchung durchführende Beamte nicht verhalten gewesen war, mehr als vier Versuche zuzulassen, wenn diese zu ungültigen Messergebnissen geführt haben. Im Erkenntnis vom 15.12.1993, Zl. 93/03/0042, geht der VwGH davon aus, dass auch bei drei Fehlversuchen eine Verweigerung der Atemluftuntersuchung vorliegen könne.

 

Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass im gegenständlichen Verfahren rechtswidrig kein Dolmetscher beigezogen wurde, dass nicht geklärt wurde, ob der Bw ausreichend verständlich zum Alkotest aufgefordert wurde und dass nicht geklärt wurde, ob überhaupt von einer Verweigerung der Atemluftuntersuchung ausgegangen werden kann. Weiters ist nicht erwiesen, dass der Bw ein Kraftfahrzeug gelenkt hat, wie ihm dies im Einleitungssatz des angefochtenen Schuldspruches vorgeworfen wird.

 

I.3.3. Der Oö. Verwaltungssenat hat in ständiger Rechtsprechung bereits mehrfach betont, dass es ihm schon von verfassungswegen verwehrt ist, substantielle Versäumnisse des erstbehördlichen Ermittlungsverfahrens aus eigenem zu substituieren und so die Rolle des unparteiischen Richters zu verlassen und statt dessen (auch) in die Position des Anklägers zu schlüpfen. Der Art.6 Abs.1 MRK garantiert bei strafrechtlichen Anklagen ein "faires Verfahren", das den Anklageprozess (vgl Art.90 Abs.2 BVG) und damit eine strikte Trennung der richterlichen von der anklagenden Funktion voraussetzt. Diese Rechtsansicht des Oö. Verwaltungssenates ist so zu verstehen, dass das Beweisverfahren nicht erst im Berufungsverfahren begonnen werden kann. Ein vom Unabhängigen Verwaltungssenat durchgeführtes Beweisverfahren kann von vornherein nur ergänzender bzw. korrigierender Art sein.

 

§ 24 VStG iVm § 66 Abs.4 AVG in diesem Lichte verfassungskonform interpretiert kann daher nur bedeuten, dass der Unabhängige Verwaltungssenat in Fällen, wo einerseits das erstinstanzliche Ermittlungsverfahren mit gravierenden Mängeln behaftet war, zwar nicht zu einer Zurückverweisung des Verfahrens gemäß § 66 Abs.2 AVG (die eine Fortführungspflicht für die Erstinstanz begründet), wohl aber zu einer Aufhebung des Bescheides (die für die Erstinstanz lediglich eine Fortführungsmöglichkeit bedeutet) berechtigt ist, ohne dass damit gleichzeitig auch die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens verbunden ist. Daraus ergibt sich auch kein Widerspruch zur Rechtsprechung des VwGH, die - wie etwa im Erkenntnis vom 4.9.1992, 92/18/0353, deutlich wird - ja davon auszugehen scheint, dass mit der Aufhebung eines Straferkenntnisses lediglich dann zugleich auch die Einstellung des Strafverfahrens untrennbar verbunden ist, wenn sich im Spruch des Erkenntnisses des Unabhängigen Verwaltungssenates hinsichtlich der Frage der Verfahrenseinstellung keine gesonderte Aussage findet, während demgegenüber - abgesehen von der expliciten Aufnahme des Ausschlusses der Verfahrenseinstellung in den Spruch des Berufungsbescheides - eben durchaus Fallkonstellationen denkbar sind, in denen die Aufhebung des Straferkenntnisses durch den Unabhängigen Verwaltungssenat nicht auch zugleich die notwendige Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens zur Folge hat (vgl zB VwGH vom 8.10.1992, 92/18/0391, 0392). Hinzuzufügen ist, dass, auch wenn der Unabhängige Verwaltungssenat als Tatsacheninstanz konzipiert ist, diesem nicht das gesamte Beweisverfahren aufgebürdet werden kann. Im Übrigen hat ein Beschuldigter einen Anspruch zwei Instanzen. Dieser Rechtsanspruch darf durch das Unterlassen eine erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens nicht verkürzt werden.

 

Ob und in wie weit das Verfahren von der Erstinstanz weitergeführt wird, ist von dieser beurteilen.

 

 
II. Die Kostenentscheidung ist gesetzlich begründet.
 
 

Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.
 

 

Dr. F r a g n e r