Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-109806/2/Bi/Gam

Linz, 14.06.2004

 VwSen-109806/2/Bi/Gam Linz, am 14. Juni 2004

DVR.0690392

 
 

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Karin Bissenberger über die Berufung des Herrn J R, vom 4. Juni 2004 (Datum des Poststempels) gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Perg vom 28. Mai 2004, VerkR96-121-2004, wegen Übertretungen der StVO 1960, zu Recht erkannt:

Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis in beiden Punkten behoben und das Verwaltungsstrafverfahren jeweils ohne Vorschreibung von Verfahrenskostenbeiträgen eingestellt.

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1, 45 Abs1 Z1 und 3 und 66 VStG.

 

 

Entscheidungsgründe:

1. Mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis wurde über den Beschuldigten wegen Verwaltungsübertretungen gemäß 1) §§ 4 Abs.5 iVm 99 Abs.3 lit.b StVO 1960 und
2) §§ 4 Abs.1 lit.a iVm 99 Abs.2 lit.a StVO 1960 Geldstrafen von 1) 190 Euro
(72 Stunden EFS) und 2) 220 Euro (96 Stunden EFS) verhängt, weil er am
7. November 2003 um 8.40 Uhr das Sattelkraftfahrzeug, Kz., auf der B3 Donaustraße bei Strkm 214.000, Gemeindegebiet Naarn, Fahrtrichtung Perg, gelenkt habe, wobei er

1) mit einem Verkehrsunfall mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei und nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle verständigt habe, obwohl er auch dem Geschädigten seinen Namen und seine Anschrift nicht nachgewiesen habe, und

2) dabei mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei und sein Fahrzeug nicht sofort angehalten habe.

Gleichzeitig wurden ihm Verfahrenskostenbeiträge von insgesamt 41 Euro auferlegt.

2. Dagegen hat der Berufungswerber (Bw) fristgerecht Berufung eingebracht, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 51c VStG). Die Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung erübrigte sich (§ 51e Abs.2 Z1 VStG).

3. Der Bw macht im Wesentlichen geltend, er habe keinen Verkehrsunfall verursacht und nicht die Unfallstelle ohne Bekanntgabe seiner Daten verlassen. Hier gehe es um einen versuchten Versicherungsbetrug, auf den er sich nicht einlasse.

Der Zeuge habe einige Autos hinter ihm trotz Gegenverkehr überholt, vor ihm den Pkw nach rechts verrissen und eine Vollbremsung durchgeführt, sodass er, der Bw, einen katastrophalen Unfall nur dadurch verhindern habe können, dass er den beladenen Lkw nach links verrissen habe, obwohl ihm ein Lkw entgegengekommen sei, aber durch sein Fahren am Bankett seien beide ohne Berührung aneinander vorbeigekommen. Er habe den Fahrer des Pkw zur Rede gestellt, worauf ihn dieser sofort beschimpft habe. Dieser habe auch versucht, den nächsten Pkw-Lenker, der auch angehalten hatte, dazu zu bringen, zu bestätigen, dass sich von der Ladung des Lkw Steine gelöst hätten; dieser habe aber gesagt, er habe nichts gesehen und sei weitergefahren. Irgendein Lkw-Fahrer sollte ihm die Windschutzscheibe bezahlen - das habe sich der Lenker wahrscheinlich leichter vorgestellt, deshalb auch das ganze Theater. Er sei sich keiner Schuld bewusst, eine strafbare Handlung gesetzt zu haben.

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz.

Daraus geht hervor, dass der Bw am 7. November 2003 das angeführte Sattelkraftfahrzeug auf der B3 lenkte, wobei laut vom Zeugen erstatteter Anzeige ein Stein, der angeblich von der Ladefläche des Sattelzuges gefallen sei, die Windschutzscheibe des dahinter fahrenden Pkw des Zeugen Mag. Dr. S,
Kz, beschädigt habe. Der Zeuge hat beim GP Perg ausgeführt, er habe mehrmals versucht, den Sattelzug zum Anhalten zu bewegen, was ihm erst nach mehreren Versuchen gelungen sei. Dann sei es mit dem Lenker, dem Bw, zu einer verbalen Auseinandersetzung gekommen - dieser habe ihn beschimpft und sogar an der Kleidung gefasst. Ein Datenaustausch sei daher nicht möglich gewesen. Er habe sich nur das Kennzeichen des Anhängers gemerkt. Die Kontaktaufnahme mit dem Lenker sei um 9.05 Uhr erfolgt. Laut Anzeige hat sich der Bw damit verantwortet, er habe nichts davon bemerkt, dass ein Stein von der Ladefläche gefallen sein solle. Der Mercedes-Lenker habe ihn so gefährlich überholt, dass er zu einem starken Abbremsen genötigt worden sei.

Der Bw hat gegen die Strafverfügung der Erstinstanz fristgerecht Einspruch erhoben und den Vorfall aus seiner Sicht geschildert. Demnach sei nach der waghalsigen "Anhaltung" durch den Zeugen von beiden die Windschutzscheibe des Mercedes besichtigt und festgestellt worden, dass sich auf der Fahrerseite an der oberen Hälfte der verschmutzten Scheibe ein Steinschlag befunden habe, der nach Ansicht des Bw jedoch nicht frisch gewesen sei. Bei der Besichtigung der Ladung habe der Bw keine losen Steine an den Bordwänden und auch sonst nirgends vorgefunden. Daraufhin sei der Zeuge in Rage geraten und habe den Bw beschimpft, er solle den Schaden melden, weil er sowieso keinen Malus bekomme. Ihn, den Zeugen, hingegen koste eine neue Scheibe mindestens 700 Euro und mit einer Anzeige werde er schon zu einer neuen Scheibe kommen, die der Bw dann selbst zu bezahlen habe. Der Bw habe ihm daraufhin seine Visitenkarte gegeben und gesagt, er solle machen, was er wolle.

Auf das Ersuchen der Erstinstanz an das Stadtamt Traun, der Wohnsitzbehörde des Zeugen Mag. Dr. M S, um dessen zeugenschaftliche Einvernahme wurde mitgeteilt, die Behörde möge sich an die Anwälte des Zeugen wenden. Diesen, RA Dr. K und RA Dr. K L, wurde bei der BPD Linz über Rechtshilfeersuchen der Erstinstanz daraufhin am 25. März 2004 Akteneinsichtnahme gewährt und eine Frist zur Stellungnahme von drei Wochen eingeräumt.

Mit Schriftsatz vom 8. April 2004, eingebracht von den Rechtsanwälten des Zeugen, wurde schließlich ausgeführt, der Bw habe von seinem unsachgemäß beladenen Sattelzug Steine verloren, die auf die Windschutzscheibe des Pkw des Zeugen gefallen seien. Es seien mehrere Versuche notwendig gewesen, den Bw auf den Verkehrsunfall aufmerksam zu machen und zum Anhalten zu bewegen. Dieser habe entgegen seiner gesetzlichen Verpflichtung an der Aufnahme des Verkehrsunfalls nicht mitgewirkt, sondern den Zeugen beschimpft und sogar angefasst. Im Übrigen habe der Beschuldigte die Fahrerflucht gestanden. Aufgrund seiner aggressiven Ausdrucksweise laufe der Bw überdies Gefahr, "des Verbrechens der Verleumdung verdächtigt werden zu können." Von einer Nötigung zum abrupten Bremsen könne hingegen keine Rede sein. Die Strafverfügung sei zu Recht ergangen.

Daraufhin erging nach (erfolgloser) Wahrung des Parteiengehörs das angefochtene Straferkenntnis.

In rechtlicher Hinsicht hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

Gemäß § 4 Abs.1 lit.a StVO 1960 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, wenn sie ein Fahrzeug lenken, sofort anzuhalten.

Dem Bw wurde im Spruch zur Last gelegt, er habe ein Kraftfahrzeug bei km 214.000 der B3 gelenkt, sei mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden und habe sein Fahrzeug nicht sofort angehalten.

Voraussetzung für die Anhalteverpflichtung des § 4 Abs.1 lit.a StVO ist (ebenso wie für die Meldepflicht des § 4 Abs.5 StVO) als objektives Tatbildmerkmal der Eintritt eines Sachschadens und in subjektiver Hinsicht das Wissen vom Eintritt eines derartigen Sachschadens, wobei der Tatbestand schon dann gegeben ist, wenn dem Täter objektive Umstände zu Bewusstsein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewusstsein kommen hätten können, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls mit Sachschaden zu erkennen vermochte (VwGH 23.5.2002, 2001/03/0417, uva).

Abgesehen davon, dass dem Bw innerhalb der sechsmonatigen Verjährungsfrist des § 31 Abs.2 VStG nie zur Last gelegt wurde, dass "sein Verhalten am Unfallsort" mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei, und sich dieser Umstand nicht nachholen lässt, bezieht sich der Tatvorwurf auf 8.40 Uhr des 7. November 2003, dh auf die Zeit des Steinschlages, nicht auf die Zeit der "Anhaltung" durch den Zeugen um 9.05 Uhr dieses Tages. Zu dieser Zeit hat der Bw nämlich sofort angehalten, weil ihm aufgrund des Verhaltens des Zeugen offenbar nichts anderes übrig blieb.

Wenn sich der Bw damit verantwortet, er habe nicht bemerkt, dass ein Stein von seinem Kfz gegen die Windschutzscheibe eines dahinter fahrenden Pkw gefallen sei, so ist dies nach der allgemeinen Lebenserfahrung durchaus nachvollziehbar. Es wurde auch nie behauptet, dass die Windschutzscheibe ganz zu Bruch gegangen wäre, sondern es war lediglich ein Steinschlag, also ein kleines Loch im oberen Teil der Scheibe auf der Fahrerseite zu sehen. Da zum einen das Wegspringen eines Steines, sei dies von der Ladefläche oder aufgewirbelt von einem Reifen, nicht im Sichtbereich des Lenkers eines Sattelkraftfahrzeuges liegt und zum anderen ein kleines Loch in der Windschutzscheibe eines (üblicherweise mit Sicherheitsabstand) hinter dem Sattelkraftfahrzeug fahrenden Pkw nicht auffällig ist, ist dem Bw Glauben zu schenken, wenn er betont, dass er vom Vorfall tatsächlich nichts bemerkt hat. Welche objektiven Umstände am Unfallsort - darauf bezieht sich nämlich § 4 Abs.1 lit.a StVO - dem Bw bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewusstsein kommen hätten können, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls mit Sachschaden zu erkennen vermocht hätte, hat nicht einmal die Erstinstanz in der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses darzulegen vermocht. Eine visuelle Wahrnehmung scheidet dabei für den Lenker des Sattelkraftfahrzeuges ebenso aus wie die Wahrnehmung eines Knalls in einer derart großen Entfernung hinter dem Lkw-Lenker.

Die Kenntnis von einem Verkehrsunfall mit Sachschaden um 9.05 Uhr - offenbar haben die mehrmaligen Versuche des Zeugen, den Bw anzuhalten, 25 Minuten gedauert - durch die Mitteilung des geschädigten Lenkers bezieht sich nicht auf den Unfallsort, weshalb das Anhalten des Bw und des Zeugen an der im Übrigen nicht näher bezeichneten Stelle keine Grundlage für den Tatvorwurf bildet.

Am tatsächlichen Unfallsort um 8.40 Uhr musste der Bw hingegen den Steinschlag auch bei gehöriger Aufmerksamkeit nicht bemerken, sodass das Verfahren nicht nur wegen bereits eingetretener Verjährung sondern auch aus inhaltlichen Überlegungen einzustellen war.

Gemäß § 4 Abs.5 StVO 1960 haben die im Abs.1 genannten Personen, das sind alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang stehen, wenn bei einem Verkehrsunfall nur Sachschaden entstanden ist, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Eine solche Verständigung darf jedoch unterbleiben, wenn die im Abs.1 genannten Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben.

Abgesehen davon, dass die Übergabe einer Visitenkarte keinen Nachweis des Namens und der Anschrift darstellt - diesbezüglich wäre die gegenseitige Einsichtnahme in den Führerschein zur Prüfung, ob der Name mit dem Foto übereinstimmt, und in den Zulassungsschein für die Anschrift, die im Führerschein nicht eingetragen ist, erforderlich (VwGH 4.12.1979, 1772/79, ua) - hat die Erstinstanz den Tatvorwurf auf 8.40 Uhr des 4. November 2003 bezogen, also auf den Zeitpunkt des Steinschlages, den der Bw aber, wie oben ausgeführt, tatsächlich nicht bemerken musste.

Der Bw erfuhr glaubhaft vom Verkehrsunfall mit Sachschaden erst durch Mitteilung des Zeugen am nicht näher bezeichneten Ort der "Anhaltung" um 9.05 Uhr, also
25 Minuten nach dem Verkehrsunfall. Diese 25 Minuten sind offenbar während der mehrmaligen Versuche des Zeugen, den Bw anzuhalten, vergangen. Erst ab diesem Zeitpunkt wäre der Bw verpflichtet gewesen, zumal kein Identitätsnachweis stattgefunden hat - dazu besteht aber keine Verpflichtung und wies auch der Zeuge dem Bw seinen Namen und seine Anschrift nicht nach - ohne unnötigen Aufschub Meldung bei der nächstgelegenen Gendarmeriedienststelle, dem GP Perg, zu erstatten.

Der Tatvorwurf hätte sich daher auf 9.05 Uhr beziehen müssen, nicht auf 8.40 Uhr. Auch diesbezüglich ist eine Änderung des Tatvorwurfs wegen eingetretener Verfolgungsverjährung nicht mehr möglich.

Am Rande zu bemerken ist, dass die Vorgangsweise der Erstinstanz, den Zeugen über seine Anwälte zu einer Stellungnahme zu veranlassen, geradezu grotesk anmutet und überdies gegen die Verfahrensbestimmungen des AVG bzw. des VStG verstößt.

Ein Zeuge ist zunächst, wenn keine Entschlagungsgründe vorliegen, über die Wahrheitspflicht, der er bei seiner Aussage gemäß § 289 StGB untersteht, zu belehren und ist über eigene, persönliche Wahrnehmungen, die zur Feststellung des relevanten Sachverhalts beitragen, zu befragen. Dass eine solche Befragung nur höchstpersönlich erfolgen darf und logischerweise nicht Rechtsanwälte persönliche Wahrnehmungen eines Zeugen übernehmen können, liegt dabei auf der Hand. Den Anwälten überdies "den gesamten Akteninhalt zur Kenntnis zu bringen", wie aus der Niederschrift vom 25. März 2004 vor der BPD Linz zu entnehmen ist, ist ebenso haarsträubend wie deren Stellungnahme vom 8. April 2004, in der nicht nur das Verhalten des Bw pauschal, nämlich so wie aus dem Akteninhalt herauslesbar, wiedergegeben wird, sondern dieses auch gleich einer rechtlichen Würdigung unterzogen, ein neuer Tatvorwurf im Sinne des § 4 Abs.1 lit.c StVO angeregt und auch gleich der Bw gewarnt wird, er könnte "des Verbrechens der Verleumdung verdächtig werden". Diese Stellungnahme auch noch in der Begründung des Straferkenntnisses insofern zu "verarbeiten", als der Sachverhalt ua auf dieser Grundlage als erwiesen scheine, widerspricht allen Überlegungen zu den Grundsätzen eines fairen Verfahrens im Sinne des Art.6 MRK.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden, wobei bei der Einstellung des Verfahrens in beiden Punkten Verfahrenskostenbeiträge naturgemäß nicht anfallen.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

 

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

Mag. Bissenberger
Beschlagwortung:
Konkretisierung des Tatvorwurfes mangelhaft - Verjährung

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