Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-109821/15/Bi/Be

Linz, 01.12.2004

VwSen-109821/15/Bi/Be Linz, am . Dezember 2004

DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Karin Bissenberger über die Berufung der Frau S P, vertreten durch RA Dr. Johann Postlmayr, Stadtplatz 5, 5230 Mattighofen, vom 1. Juni 2004 gegen Punkt 3) des Straferkenntnisses des Polizeidirektors von Linz vom 25. Mai 2004, S-9738/04 VS1, wegen Übertretung der StVO 1960, aufgrund der Ergebnisse der am 4. Oktober 2004 durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung und weiterer Erhebungen zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis im Punkt 3) vollinhaltlich bestätigt.

II. Die Rechtsmittelwerberin hat zusätzlich zu den Verfahrenskosten der Erstinstanz den Betrag von 200 Euro, ds 20 % der verhängten Geldstrafe, als Kostenbeitrag zum Rechtsmittelverfahren zu leisten.

Rechtsgrundlage:

zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1, 51i und 19 VStG

zu II.: § 64 Abs.1 und 2 VStG

Entscheidungsgründe:

Zu I.:

1. Mit Punkt 3) des oben bezeichneten Straferkenntnisses wurde über die Beschuldigte wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß §§ 5 Abs.1 iVm 99 Abs.1a StVO 1960 eine Geldstrafe von 1.000 Euro (14 Tagen EFS) verhängt, weil sie am 28. Februar 2004 um 5.35 Uhr den Pkw in Linz, Untere Donaulände in Fahrtrichtung Nibelungenbrücke im Bereich der Kreuzung Untere Donaulände - Rechte Donaustraße in einem durch Alkohol beeinträchtigten und fahruntüchtigen Zustand gelenkt habe, da bei einer Messung mittels Atemalkoholmessgerät ein Alkoholgehalt der Atemluft von 0,64 mg/l festgestellt werden habe können.




Gleichzeitig wurde ihr ein anteiliger Verfahrenskostenbeitrag von 100 Euro auferlegt.

2. Dagegen hat die Berufungswerberin (Bw) fristgerecht Berufung eingebracht, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 51c VStG). Am 4. Oktober 2004 wurde eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung in Anwesenheit des rechtsfreundlichen Vertreters der Bw durchgeführt, sonst ist trotz ordnungsgemäß zugestellter Ladungen (Bw 16.9.2004, BPD Linz 10.9.2004) niemand erschienen.

3. Die Bw macht im Wesentlichen geltend, die Bestrafung nach § 99 Abs.1a StVO verletze sie in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art.4 Z1 des 7. ZP zur EMRK sowie im einfach gesetzlich gewährleisteten Recht, wegen dieser Verwaltungsübertretung nicht bestraft zu werden. Nach § 99 Abs.6 litc StVO liege keine Verwaltungsübertretung vor, zumal der Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht sei.

Die BPD Linz habe beim Bezirksgericht Linz Strafanzeige wegen des Verdachts des Vergehens nach § 89 StGB erstattet. Danach mache sich schuldig, wer, wenn auch nur fahrlässig, in den im § 81 Abs.1 Z1 bis 3 StGB bezeichneten Fällen eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit des anderen herbeiführe. Da im ggst Fall die strafgerichtliche Zuständigkeit für die Ahndung dieses Deliktes gegeben sei, sei die Bestrafung unrechtmäßig.

Nach der Verfassungsbestimmung des Art.4 Z1 des 7.ZP zur EMRK dürfe niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden sei, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden. Führe das Gericht gegen sie ein Strafverfahren nach § 89 StGB durch, sei - ohne dass es auf den Ausgang dieses Strafverfahrens ankomme - eine Bestrafung nach § 99 Abs.1a StVO unzulässig, weshalb sie Verfahrenseinstellung beantragt.

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz sowie Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung, bei der der Beschuldigtenvertreter gehört und die Ausführungen in der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses berücksichtigt wurden. Das weitere Verfahren wurde insofern schriftlich geführt, als in den Akt17 U 210/04d des Bezirksgerichtes Linz samt dem darin enthaltenen Kraftfahrtechnischen Sachverständigengutachten Einsicht genommen und Parteiengehör gewahrt wurde.



Unbestritten ist, dass die Bw als Lenkerin eines Pkw am 28. Februar 2004 um 5.35 Uhr in Linz auf der Unteren Donaulände vom A kommend in Richtung Nibelungenbrücke fuhr und bei der Kreuzung mit der Rechten Donaustraße nach links in diese einbog, wobei sie den Vorrang der entgegenkommenden, in gerader Richtung die Kreuzung überquerenden Zeugin Doris Höller nicht beachtete. Es kam zum Zusammenstoß der beiden Pkw, wobei die Anstoßstelle beim Pkw der Bw im Bereich der rechten hinteren Stoßstangenecke, beim Pkw H. im Bereich der rechten vorderen Stoßstangenecke lag. Bei dem Unfall wurde niemand verletzt. Die Bw erreichte beim Alkotest mittels geeichtem Atemalkoholmessgerät Siemens, Nr.A05-182, um 6.16 Uhr einen günstigsten AAG von 0,64 mg/l.

Seitens der Erstinstanz wurde Strafanzeige gegen die Bw an den Bezirksanwalt beim Bezirksgericht Linz wegen § 89 StGB erstattet und dem rechtsfreundlichen Vertreter der Bw der Akt zur Kenntnis gebracht, der keine Stellungnahme dazu abgab.

Mit Benachrichtigung der Erstinstanz durch die Staatsanwaltschaft Linz vom 14. Mai 2004, 43BAZ 260/04 k-4(AZ), wurde gemäß Art.IV des Verkehrsrecht-Anpassungsgesetzes 1971 mitgeteilt, dass die gegen die Bw erstattete Anzeige gemäß § 90 Abs.1 StPO zurückgelegt wurde - "Einstellung aufgrund des KFZ-SV GA - konkrete Gefährdung der D.H. aufgrund der tatsächlichen Anstoßkonstellation nicht gegeben".

Sodann erging das nur hinsichtlich Punkt 3) angefochtene Straferkenntnis - die Strafen gemäß 1) §§ 4 Abs.1 lit.a iVm 99 Abs.2 lit.a StVO 1960 und 2) §§ 4 Abs.5 iVm 9 Abs.3 lit.b StVO 1960 sind in Rechtskraft erwachsen.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung beantragte der rechtsfreundliche Vertreter die Einholung des Aktes der Staatsanwaltschaft Linz, um die Grundlagen der Zurücklegung der Strafanzeige gemäß § 90 StPO zu erhellen und Einsichtnahme in das bezughabende SV-Gutachten zu nehmen.

Aus dem Akt der 17 U 210/04d des BG Linz (StA Linz, 43 BAZ 260/04k) geht hervor, dass die Bezirksanwältin an das BG Linz den Antrag auf Vornahme von Vorerhebungen hinsichtlich der Bw wegen § 89 (81 Abs.1 Z2) StGB durch Einholung eines Kfz-SV Gutachtens zum Unfallsablauf und zur Frage gestellt hat, ob aufgrund des Verkehrsunfalles eine konkrete Gefährdung der Zeugin Höller aus technischer Sicht gegeben gewesen sei.

Das kraftfahrtechnische Gutachten des Sachverständigen Ing. Mag. R B, Linz, vom 6. Mai 2004 geht auf der Grundlage der Verkehrsunfallanzeige, der niederschriftlichen Einvernahmen, der Originalfarbfotos von der Unfallstelle und den Unfallfahrzeugen sowie eines Orthofotos des Unfallbereichs davon aus, dass der Unfall im Sinne einer Kreuzungskollision zwischen einem richtungsbeibehaltend fahrenden und einem entgegenkommend links einbiegenden Fahrzeug stattfand, wobei die Anstoßstellen mit dieser Kollisionskonstellation im Einklang steht. Die Kollisions


geschwindigkeiten beider Fahrzeuge sind nicht genau objektivierbar. Die Geschwindigkeit der Zeugin H von nach ihren Angaben ca 50 km/h ist technisch möglich und nicht widerlegbar, wobei davon auszugehen ist, dass weniger als 50 km/h gefahren wurden, weil die Geschwindigkeit vor der Kollision verringert wurde. Einen Fahrfehler im Sinne überhöhter Geschwindigkeit ist bei beiden Lenkerinnen nicht nachzuweisen. Nach den Schilderungen der Zeugin H ergibt sich ein Fahrfehler der Bw, der darin bestand, dass diese trotz bevorrangt herannahendem Gegenverkehr unmittelbar vor diesem ihren Linkseinbiegevorgang durchführte. Die Bw hätte den Verkehrsunfall durch Passieren lassen des von ihr wahrgenommenen Gegenverkehrs bereits örtlich verhindern können. Ausgehend von einem objektiv auffällig zurückgelegten Einbiegebogen von ca 7 m bis zur Kollisionsstelle ergibt sich unter Zugrundelegung des Einfahrens in einem Zug (ohne vorheriges Anhalten), dass eine Auffälligkeitszeit für die Zeugin H von mehr als einer Sekunde technisch unwahrscheinlich ist. Dass die Zeugin H noch eine Reaktion gesetzt hat, wie sie sagt, ist technisch nicht widerlegbar; sogar ein Ausschöpfen der ihr zuzugestehenden Reaktionszeit von einer Sekunde ist möglich. Ein Fahrfehler bei der Zeugin H im Sinne einer Reaktionsverspätung ist technisch nicht feststellbar.

Der Sachverständige führt weiter aus, dass die Kollision bei äußerst geringer Überdeckung erfolgte, sodass es gerade noch zu einer Berührung zwischen der rechten vorderen Fahrzeugecke des von der Zeugin H gelenkten Kombi und dem rechten Seitenbereich des hinteren Stoßfängers des Pkw der Bw kam. Dabei traten laut den Schadensbildern nur eine äußerst geringe Energieübertragung und dem gemäß auch nur eine geringe kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung (< 5 km/h Delta-v) bzw mittlere Fahrgastzellenbeschleunigung (< 1,5g) für die Zeugin H ein. Die Verletzungsgrenzwerte für die Zeugin H wären aufgrund der für sie frontalen Anstoßkonstellation bei 20 km/h Delta-v und 5g mittlerer Fahrgastzellenbeschleunigung gelegen. Aus technischer Sicht waren aufgrund der deutlichen Grenzwertunterschreitung für die Zeugin H Belastungswerte gegeben, für die ein Verletzungseintritt auszuschließen war. Sohin war der Umstand, dass bei der Zeugin H tatsächlich keine Verletzungen eingetreten sind, aus technischer Sicht auch nicht als Zufall zu bezeichnen, sondern geradezu zu erwarten. Insofern war aufgrund der tatsächlich gegebenen Kollisionskonstellation eine konkrete Gefährdung der Zeugin H nicht gegeben. Erläuternd hat der Sachverständige darauf verwiesen, dass sich diese Aussage aufgrund der tatsächlichen Anstoßsituation ergibt, nämlich der abgleitenden Kollision des von der Zeugin H gelenkten Kombis am hinteren Stoßfänger des Pkw der Bw. Wenngleich ein Linkseinbiegen trotz nahem Gegenverkehr ganz allgemein eine gefährliche Situation darstellt, so wäre von einem Verletzungseintritt dennoch nur bei geänderter Anstoßkonstellation (zB Frontalzusammenstoß) auszugehen.




Auf der Grundlage dieses kraftfahrtechnischen SV-Gutachtens wurde seitens der Bezirksanwältin beim BG Linz die Einstellung des Verfahrens gegen die Bw gemäß § 90 StPO erklärt und die Erstinstanz am 14. Mai 2004 entsprechend benachrichtigt.

Der Rechtsfreund der Bw hat in der Stellungnahme vom 21. Oktober 2004 unter Hinweis auf VwSen-106188/3 und -106189/2 vom 2.11.1999 des UVS Oö. ausgeführt, er halte es für einen absoluten Glücksfall, dass die Bezirksanwältin bei BG Linz auf der Grundlage der SV-Ausführungen anscheinend die Rechtslage nicht genau geprüft und gegen die Bw keinen Strafantrag wegen des Vergehens nach § 89 StGB gestellt habe, weil es ansonsten zur Verurteilung gekommen wäre. § 89 StGB enthalte strikt zu trennende Deliktsfälle, nämlich ua die Herbeiführung des Gefährdungserfolges unter besonders gefährlichen Verhältnissen (§ 81 Abs.1 Z1) und durch Trunkenheit (Z2). Nach Lehre und Judikatur ist das qualifiziert gefährliche Verhalten im Sinne von besonders gefährlichen Verhältnissen vom konkreten Gefährdungserfolg des § 89 StGB streng zu trennen.

Wenn nach den Ausführungen des SV eine konkrete Gefährdung der Lenkerin des bevorrangten entgegenkommenden Pkw aufgrund der Anstoßkonstellation "technisch" nicht gegeben sei, scheide eine Bestrafung nach § 89 StGB keineswegs aus. Die technischen Ausführungen müssten einer rechtlichen Beurteilung unterzogen werden und dabei sei zu prüfen, ob die im Sinne des 2. Deliktsfalles dieser Bestimmung notwendige einfache konkrete Gefährdung im Minderrausch vorgelegen sei, dh die Möglichkeit eines Verletzungserfolges. Diese Prüfung sei aus der ex-ante-Sicht eines objektiven Beobachters vorzunehmen und es sei zu ergründen, ob eine außergewöhnlich hohe Unfallwahrscheinlichkeit bestanden habe, die ex post betrachtet zu einer konkreten Gefährdung des Lebens, der Gesundheit oder der körperlichen Sicherheit geführt habe.

Nach Auffassung des Parteienvertreters wäre es, wäre ein Strafantrag gestellt worden, insofern zu einer Verurteilung gemäß § 89 StGB gekommen, als sehr wohl von einer konkreten Gefährdung auszugehen gewesen wäre, wenn man sich vor Augen halte, dass das verkehrswidrige Verhalten in einer Vorrangverletzung nach § 19 Abs.5 iVm Abs.7 StVO bestanden habe und die Kollisionsgeschwindigkeit des anderen Fahrzeuges knapp unter 50 km/h gelegen gewesen sei. Hätte die Kontaktierung lediglich einige Sekunden vorher stattgefunden, wäre es zu einer massiven Kollision im Sinne einer massiven Kräfteeinwirkung auf die Zeugin H gekommen, die in dieser Situation kaum Abwehr- oder Unfallverhinderungsmöglichkeiten in Form einer Bremsung gehabt hätte; zB bei einer realistischen Geschwindigkeit von 30 km/h wäre es, wenn sie selbst nur 2 Zehntelsekunden später zur Kollisionsstelle gekommen wäre, zu einem Zusammenstoß des richtungsbeibehaltenden Fahrzeuges mit der rechten Längsseite des von ihr gelenkten Pkw gekommen, wobei nach gängigen technischen und medizinischen Gutachten schon bei einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung von 15 km/h ein HWS-


Trauma auftreten könne - umso mehr müsse man bei knapp unter 50 km/h von einer gesicherten Verletzungswahrscheinlichkeit von der Zeugin H ausgehen, zumal sich dann der Bw-Pkw noch weniger weit auf dem Fahrstreifen für den Gegenverkehr befunden hätte.

Auch im Fall SSt50/30 führe der OGH - entgegen der Rechtsmeinung der Generalprokuratur - aus, dass bei der Streifung des Beschuldigtenfahrzeuges mit dem entgegenkommenden Fahrzeug auf dessen Fahrbahnhälfte eine konkrete Gefährdung vorgelegen habe. Im ggst Fall habe aber nicht eine Verletzung des § 7 Abs.2 StVO vorgelegen, sondern eine Vorrangverletzung nach § 19 Abs.5 StVO, weshalb das Gefährdungspotential noch höher gewesen sei. Es habe daher der Strafausschließungsgrund des § 99 Abs.6 lit.c StVO vorgelegen, weshalb Einstellung des Verfahrens beantragt wird.

Der Unabhängige Verwaltungssenat hat in rechtlicher Hinsicht erwogen:

Gemäß § 5 Abs.1 StVO 1960 darf, wer sich in einem ua durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befindet, ein Fahrzeug weder lenken noch in Betrieb nehmen. Bei einem Alkoholgehalt des Blutes von 0,8 %o oder darüber oder bei einem Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 mg/l oder darüber gilt der Zustand einer Person jedenfalls als von Alkohol beeinträchtigt.

Gemäß § 99 Abs.1a StVO 1960 begeht eine Verwaltungsübertretung und ist zu bestrafen, wer ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt, obwohl der Alkoholgehalt seines Blutes 1,2 %o oder mehr, aber weniger als 1,6 %o, oder der Alkoholgehalt seiner Atemluft 0,6 mg/l oder mehr, aber weniger als 0,4 mg/l beträgt.

Gemäß § 99 Abs.6 lit.c StVO 1960 liegt eine Verwaltungsübertretung nicht vor, wenn eine Tat nach diesem Bundesgesetz oder nach den §§ 37 oder 37a FSG den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht.

Unbestritten ist der der Bw zur Last gelegte Atemalkoholgehalt von 0,64 mg/l sowie die Verursachung eines Verkehrsunfalls mit Sachschaden dadurch, dass die Bw als Lenkerin eines Pkw bei der genannten Kreuzung als Wartepflichtige ein Linkseinbiegemanöver durchführte, obwohl die Zeugin H einen Pkw im Gegenverkehr richtungsbeibehaltend und daher vorrangberechtigt lenkte, und es dabei zu einer Streifung der beiden Pkw kam.

Gegenstand der Berufung ist der Tatvorwurf gemäß § 5 Abs.1 StVO 1960; ein Verwaltungsstrafverfahren nach § 19 Abs.7 StVO 1960 wurde nicht eingeleitet.

Die Anzeige der Erstinstanz wegen Verdacht des Vergehens nach § 89 (§ 81 Abs.1 Z2) StGB wurde von der Bezirksanwältin beim Bezirksgericht Linz auf der Grundlage eines vom Bezirksgericht Linz im Rahmen von Vorerhebungen eingeholten SV-Gutachtens gemäß § 90 StPO zurückgelegt.

Nach der im § 99 Abs.6 lit.c StVO ausdrücklich angeordneten Subsidiarität kommt es nur darauf an, ob das eine Verwaltungsübertretung darstellende Verhalten zugleich unter einen gerichtlichen Straftatbestand zu subsumieren ist. Es ist nicht Voraussetzung der Subsidiarität, dass es zu einer gerichtlichen Verurteilung und Bestrafung des Täters gekommen ist. Wesentlich ist nur, dass eine Tat auch Gegenstand eines gerichtlichen Strafverfahren wäre. Die im § 99 Abs.6 lit.c StVO angeordnete Subsidiarität stellt eine Ausnahme vom verwaltungsstrafrechtlichen Kumulationsprinzip dar. Eine Bindung der Verwaltungsstrafbehörde besteht nur im Fall einer verurteilenden Entscheidung durch das Strafgericht. Bei Freispruch oder Einstellung hat die Strafbehörde hingegen nach der Judikatur selbständig zu prüfen, ob sie zur Ahndung einer Verwaltungsübertretung zuständig ist oder das Verwaltungsstrafverfahren im Grunde des § 99 Abs.6 lit.c StVO einzustellen ist. Es kann daher durchaus vorkommen, dass ein in einer gerichtlichen Fehlentscheidung getroffener Freispruch im Hinblick auf die angeordnete Subsidiarität zur Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens zu führen hat, weil bei richtiger rechtlicher Beurteilung ein gerichtliches Strafurteil ergehen hätte müssen (vgl auch Pürstl-Somereder, StVO, 11. Auflage 2003, Anm 33 zu § 99).

Im ggst Fall ist daher der Grund für die Zurücklegung der Anzeige - "Einstellung aufgrund KFZ-SV GA, konkrete Gefährdung der D.H. aufgrund der tatsächlichen Anstoßkonstellation technisch nicht gegeben" - näher zu prüfen.

Der GerichtsSV hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass für die Zeugin H der Einbiegevorgang des Pkw der Bw erst unmittelbar vor der Kollision nachvollziehbar auffällig geworden sei. Ausgehend von einem objektiv auffällig zurückgelegten Einbiegebogen von ca 7 m bis zur Kollisionsstelle ergibt sich unter Zugrundelegung des Einfahrens in einem Zuge, dh laut übereinstimmenden Aussagen ohne vorheriges Anhalten der Bw, dass eine Auffälligkeitszeit für die Zeugin H von mehr als einer Sekunde technisch unwahrscheinlich ist. Die Schilderung der Zeugin H, sie habe den Pkw noch abgebremst, sei technisch nicht widerlegbar, jedoch wäre bei ihr sogar eine Reaktion ohne vollständigem Ausschöpfen der zuzugestehenden Reaktionszeit von einer Sekunde möglich, weshalb ein Fahrfehler im Sinne einer Reaktionsverspätung technisch nicht feststellbar ist. Die Kollision erfolgte mit äußerst geringer Überdeckung, sodass es gerade noch zur Berührung der rechten vorderen Fahrzeugecke des Pkw H und dem rechten Seitenbereich des hinteren Stoßfängers des Pkw der Bw kam. Dabei trat nur eine äußerst geringe Energieübertragung und dem gemäß eine geringe Geschwindigkeitsänderung, die kleiner war als 5 km/h Delta-v, und eine mittlere Fahrgastzellenbeschleunigung von kleiner 1,5 g auf. Aufgrund dieser geringen Werte war ein Verletzungseintritt für die Zeugin H auszuschließen. Der Umstand, dass sie nicht verletzt wurde, war aus technischer Sicht nicht als Zufall zu bezeichnen, sondern geradezu zu erwarten. Der SV hat daraus auch den Schluss der fehlenden Gefährdung der Zeugin H gezogen, der



dann von der Bezirksanwältin im Sinne eines Zurücklegung der Anzeige gemäß § 90 StPO verwertet wurde.

§ 89 StGB enthält - unabhängig von nunmehr Z3 - zwei strikt zu trennende Deliktsfälle, nämlich die Herbeiführung eines Gefährdungserfolges unter den Voraussetzungen des § 81 Z1 oder Z2 StGB. Das qualifiziert gefährliche Verhalten iSd § 81 Z1 StGB ("unter besonders gefährlichen Verhältnissen") ist vom konkreten Gefährdungserfolg des § 89 StGB streng zu unterscheiden (vgl Kienapfel, Grundriss des österreichischen Strafrechts, Besonderer Teil I , 3. Auflage, Rz 9 zu § 89 StGB).

Tatbildmerkmal der konkreten Gefährdung ist die Herbeiführung, Aufrechterhaltung oder Vergrößerung einer Gefahr für Leben, Gesundheit oder körperlicher Sicherheit eines anderen. Eine solche ist zB gegeben, wenn sich eine bestimmte Situation bereits so bedrohlich zugespitzt hat, dass sie für den davon Betroffenen erfahrungsgemäß nahezu zwangsläufig zu einer Beeinträchtigung für Leib oder Leben führt.

Die Verwirklichung des Tatbestandes der Gefährdung der körperlichen Sicherheit gemäß § 89 StGB erfordert ua die konkrete Gefährdung eines anderen, die aber nur anzunehmen ist, wenn infolge des Verhaltens des Täters eine Situation geschaffen oder erhalten wird, die nicht bloß allgemein, sondern auch und gerade im besonderen Fall die Möglichkeit eines schädlichen Erfolges besorgen lässt, die mithin typischerweise dem Eintritt einer Körperverletzung vorangeht (und diesen erfahrungsgemäß erwarten lässt), wobei es nur noch von unberechenbaren und unvorhersehbaren Umständen - also vom Zufall - abhängt, ob eine solche Verletzung auch wirklich eintritt. Die Herbeiführung eines bloß abstrakten Gefahr reicht nicht aus. Ob aber eine konkrete Gefahr herbeigeführt wurde, ist ex post und nach einem objektiven Standpunkt zu beurteilen (OGH 10. 5.1984, 13 Os 45, 46/84).

Der Unabhängige Verwaltungssenat gelangt zur Auffassung, dass im ggst Fall ein Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung im Sinne des § 99 Abs.6 lit.c StVO 1960 nicht verwirklicht wurde:

Die Bw hat zwar in Anbetracht des für sie erkennbar im bevorrangten Gegenverkehr befindlichen Pkw der Zeugin H noch einen Einbiegevorgang nach links eingeleitet und auch durchgeführt, wobei sie nach eigenen Angaben nicht aus dem Stillstand beschleunigt hat, sondern in einem Zug durchgefahren ist, zumal sie nach eigenen Angaben den Pkw im Gegenverkehr noch für weit genug entfernt hielt. Sie hat dabei einen Einbiegebogen von ca 7 m zurückgelegt gehabt, als es mit dem Pkw der Zeugin zum Zusammenstoß im letztmöglichen Bereich beider Pkw, nämlich einer Streifung der rechten hinteren Stoßstangenecke des Pkw der Bw mit der rechten vorderen Stoßstangenecke des Pkw der Zeugin H, kam, nachdem die Zeugin H - nicht widerlegbar - noch in Form einer Bremsung mit einer Reaktionszeit von möglicherweise noch einer Sekunde reagiert hatte, da ihr der ihrem Vorrang widersprechende Einbiegevorgang der Bw auf diesen ca 7 m erkennbar war. Der


Zusammenstoß erfolgte in Form einer Abgleitkollision, dh beim Pkw der Zeugin H zwar mit der Front des Fahrzeuges und somit mit nach vorne gerichteten, durch die Bremsung möglicherweise verringerten Kräften - die Bw hat auch bestätigt, der von ihr gelenkte Pkw sei dadurch etwas ins Schleudern geraten - aber beim Pkw der Bw (bezogen auf die Zeugin H) mit primär nach der Seite gerichteten Kräften, die nach den Ausführungen des Sachverständigen so gering waren, dass es nur zu einer geringen kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung und zu einer geringen mittleren Fahrgastzellenbeschleunigung kam, die unterhalb der Schwelle lagen, bei deren Überschreiten eine Verletzung der Zeugin H zu erwarten gewesen wäre.

Aufgrund der Konstellation in Form einer Abgleitkollision im äußersten Bereich der beiden Fahrzeuge - also ex post betrachtet - war auch nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates im Einklang mit den Ausführungen des Sachverständigen nicht davon auszugehen, dass es sich bei diesem Vorfall um eine von der Bw hervorgerufene Situation handelte, die sich so bedrohlich zugespitzt hätte, dass sie für den Betroffenen erfahrungsgemäß nahezu zwangsläufig zu einer Beeinträchtigung für Leib oder Leben geführt hätte und nur mehr durch unberechenbare und unvorhersehbare glückliche Umstände kein derartiger Schaden eingetreten wäre.

Der Sachverständige hat - zutreffend - betont, dass Linkseinbiegen trotz nahem Gegenverkehr ganz allgemein eine gefährliche Situation darstellt, allerdings von einem Verletzungseintritt bei der Zeugin H nur bei geänderter Anstoßkonstellation auszugehen gewesen wäre, zB bei einem Frontalzusammenstoß. Eine außergewöhnlich hohe Unfallwahrscheinlichkeit, die ex post betrachtet zu einer konkreten Gefährdung des Lebens, der Gesundheit oder der körperlichen Sicherheit der Zeugin H geführt hätte, hat der SV damit nachvollziehbar dezidiert ausgeschlossen

Den Ausführungen im Schriftsatz vom 21. Oktober 2004 ist insofern nicht zu folgen, als es nicht darum geht, in welcher konkreten Anstoßkonstellation sich der Pkw der Bw zwei Zehntelsekunden vorher befunden hätte, sondern in welcher Position der Pkw der Bw in Bezug auf den herannahenden Pkw der Zeugin H war, als sich die Bw zum Einbiegen entschloss. Mit ihrem Einbiegemanöver hat die Bw im Hinblick auf die Zeugin H, die nach eigenen Angaben die Geschwindigkeit bereits verringert hatte und, als für sie der Einbiegevorgang erkennbar wurde, noch eine Reaktion in Form einer Bremsung setzte, wofür ihr laut Gutachten günstigstenfalls eine Sekunde zur Verfügung stand, eine Handlung gesetzt, die laut SV-Gutachten keine außergewöhnliche Unfallwahrscheinlichkeit bedeutete, zumal der bei letztlich geringfügiger Überdeckung erfolgte Abgleit-Anstoß der beiden Fahrzeuge eine konkrete Gefahr für die Gesundheit bzw körperliche Sicherheit der Zeugin H nicht erwarten ließ.

Der SV hat auch glaubhaft bestätigt, dass die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung von unter 5 km/h und die mittlere Fahrgastzellenbeschleunigung von unter 1,5 g weit unter den Verletzungsgrenzwerten von 20 km/h und 5 g lagen. Die Mutmaßungen des Rechtsvertreters der Bw im Hinblick auf 15 km/h kollisionsbedingter Geschwindigkeitsänderung und die daraus resultierende Gefahr eines


HWS-Traumas finden im ggst SV-Gutachten keine Deckung. Die ggst Anstoßsituation birgt - im Gegensatz zu den im Schriftsatz vom 21. Oktober 2004 dargestellten Fällen, in denen Pkw auf die Gegenfahrbahn (und damit in Frontalposition) "geraten" sind und entgegenkommende Pkw-Lenker zum Auslenken auf den Gehsteig veranlasst haben - ein wesentlich geringeres Gefahrenpotential bezogen auf die Zeugin H, weil bei Weitem keine Frontalposition der beiden Pkw und damit direkt in Richtung der Zeugin H gerichtete Kräfte, die eine konkrete Gefahr für die Gesundheit bzw die körperliche Sicherheit der Zeugin H bedeutet hätten, gegeben waren. Der von der Bw befahrene Linkseinbiegestreifen ist gegenüber dem von der Zeugin H benutzten seitlich versetzt und zum Zeitpunkt der Einleitung des Einbiegevorgangs durch die Bw war der Pkw der Zeugin H nach ihren eigenen Angaben noch weiter entfernt (bei 40 km/h werden ca 11 m/sec, bei 45 km/h ca 12,5 m/sec zurückgelegt).

Auf dieser Grundlage war kein Fall gegeben, bei dem trotz Zurücklegung der Strafanzeige bzw Einstellung des Verfahrens gemäß § 90 Abs.1 StPO von der Verwirklichung einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung auszugehen war. Die vorgelegten Judikaturbeispiele sind auf den ggst Fall letztlich nicht anwendbar, zumal schon das Sachverständigengutachten eindeutig davon ausgeht, dass der Nichteintritt einer Verletzung der Zeugin H kein Zufall, sondern geradezu zu erwarten war. Aus all diesen Überlegungen war die Entscheidung des Bezirksanwalts nachvollziehbar.

Da damit aber die Voraussetzungen des § 99 Abs.6 lit.c StVO nicht vorlagen, war angesichts des bei der Bw um 6.16 Uhr des 28. Februar 2004, also 40 Minuten nach dem Unfall, festgestellten und ausdrücklich unbestritten gebliebenen günstigsten Atemalkoholwerts von 0,64 mg/l davon auszugehen, dass die Bw den ihr zur Last gelegten Tatbestand erfüllt und ihr Verhalten als Verwaltungsübertretung zu verantworten hat, zumal von der Glaubhaftmachung mangelnden Verschuldens im Sinne des § 5 Abs.1 VStG nicht die Rede sein kann.

Zur Strafbemessung ist zu sagen, dass der Strafrahmen des § 99 Abs.1a StVO 1960 von 872 bis 4.360 Euro Geldstrafe bzw für den Fall der Uneinbringlichkeit von 10 Tagen bis zu sechs Wochen Ersatzfreiheitsstrafe reicht.

Die Bw weist eine einschlägige Vormerkung aus dem Jahr 2002 auf, die noch nicht getilgt und ebenso als Erschwerungsgrund zu werten ist wie die Verursachung eines Verkehrsunfalles mit Sachschaden in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand.

Der Unabhängige Verwaltungssenat kann nicht finden, dass die Erstinstanz den ihr bei der Strafbemessung zustehenden Ermessensspielraum in irgend einer Weise überschritten hätte. Die verhängte Strafe entspricht unter Bedachtnahme auf die Kriterien des § 19 VStG dem erheblichen Unrechts- und Schuldgehalt der Über


tretung ebenso wie den von der Bw angegebenen finanziellen Verhältnissen (900 Euro monatlich, kein Vermögen, keine Sorgepflichten), liegt noch im unteren Bereich des gesetzlichen Strafrahmens und hält general- sowie vor allem spezialpräventiven Überlegungen stand. Die Ersatzfreiheitsstrafe ist innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens im Verhältnis zur Geldstrafe angemessen. Für eine Strafherabsetzung findet sich kein Ansatz.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

Mag. Bissenberger

Beachte:

Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgelehnt.

VfGH vom 6.12.2004, Zl.: B 1382/04-3

Beachte:

Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgewiesen.

VwGH vom 21.04.2006, Zl.: 2004/02/0405-7

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