Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-110305/6/Li/Pr

Linz, 16.01.2002

VwSen-110305/6/Li/Pr Linz, am 16. Jänner 2002

DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch die 6. Kammer (Vorsitzende: Dr. Klempt, Beisitzer: Dr. Konrath, Berichter: Dr. Linkesch) über die Berufung des Herrn J. P., D-D., eingebracht von Rechtsanwalt Dr. M. S., D-St., vom 11.9.2001, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Schärding vom 20.8.2001, Zl. VerkGe96-258-2001, wegen Übertretung des Güterbeförderungsgesetzes 1995, BGBl.Nr. 593/1995, i.d.F. BGBl.I Nr. 17/1998, zu Recht erkannt:

  1. Aus Anlass der Berufung wird das angefochtene Straferkenntnis wegen entschiedener Sache ersatzlos aufgehoben.
  2. Die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens entfällt.

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs.4 AVG 1991 i.V.m. §§ 24 und 51 VStG 1991; § 66 Abs.1 VStG 1991.

Entscheidungsgründe:

1. Der Bezirkshauptmann von Schärding hat mit dem bezeichneten Straferkenntnis vom 20.8.2001 über Herrn J. P. wegen einer Übertretung nach § 23 Abs.1 Z 8 des Güterbeförderungsgesetzes 1995, BGBl.Nr. 593/1995, i.d.F. BGBl.I Nr. 17/1998 i.V.m. Art. 3 Abs.1 und Art. 5 Abs.4 Satz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 881/92 des Rates vom 26.3.1992 über den Zugang zum Güterkraftverkehrsmarkt in der Gemeinschaft für Beförderungen aus oder nach einem Mitgliedsstaat oder durch einen oder mehrere Mitgliedsstaaten eine Geldstrafe im Ausmaß von S 20.000,-- und im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 67 Stunden verhängt. Dieses Straferkenntnis wurde zu Handen Herrn Rechtsanwalt Dr. M. S., D-St., mittels eingeschriebener Briefsendung zugestellt. Das Straferkenntnis ist nach der unwidersprochen gebliebenen Angabe des Rechtsanwaltes diesem am 29.8.2001 zugegangen. Gegen dieses Straferkenntnis wurde mit Schriftsatz vom 11.9.2001 und damit rechtzeitig per FAX Berufung erhoben.

 

2. Die Bezirkshauptmannschaft Schärding hat diese Berufung samt Verfahrensakt dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich ohne weiteres Vorbringen vorgelegt. Damit ist, weil eine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, die Zuständigkeit der 6. Kammer des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich gegeben.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat nach Einsicht in den vorgelegten Verfahrensakt folgenden Sachverhalt festgestellt:

Im Akt des Bezirkshauptmannes von Schärding befindet sich ein Straferkenntnis dieser Behörde vom 20.6.2001, Zl. VerkGe96-258-2001, das den gleichen Tatvorwurf wie das angefochtene Straferkenntnis vom 20.8.2001, Zl. VerkGe96-258-2001, enthält. Dieses wurde dem Berufungswerber J. P. nach dem aktenkundigen Zustellnachweis (Rückschein) am 28.6.2001 nach anzuwendenden deutschen Zustellvorschriften gültig zugestellt. Die Berufungsfrist begann demnach an diesem Tag und endete am 12.7.2001. Trotz richtiger Rechtsmittelbelehrung hat der nunmehrige Berufungswerber gegen dieses Straferkenntnis vom 20.6.2001 kein Rechtsmittel erhoben.

Über Aufforderung des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich hat die Bezirkshauptmannschaft Schärding mit Schreiben vom 19.10.2001 mitgeteilt, dass im Vollstreckungsverfahren irrtümlicherweise davon ausgegangen wurde, dass Herr J. P. im Verwaltungsstrafverfahren doch von RA Dr. S. vertreten wurde und sie mit dem nunmehr bekämpften Straferkenntnis vom 20.8.2001 beabsichtigt habe, nur die gleiche Entscheidung zwecks Heilung eines vermeintlichen Zustellmangels dem Rechtsvertreter des Herrn P. zuzustellen. Tatsächlich wurde ein zweites Straferkenntnis mit identem Tatvorwurf erlassen. Der Irrtum der Behörde wurde offenbar durch ein im Akt befindliches Schreiben des RA Dr. S. vom 6.6.2001 ausgelöst, in dem dieser ausdrücklich als anwaltlicher Vertreter der Firma Sch. Leasing GmbH ein Auskunftsersuchen über eine Sicherheitsleistung gestellt hat.

4. In rechtlicher Hinsicht hat der unabhängige Verwaltungssenat Folgendes erwogen:

Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung erwies sich als nicht erforderlich, da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben ist (§ 51e Abs.2 Z1 VStG 1991).

Prozessvoraussetzung für die Erlassung eines Straferkenntnisses und in weiterer Folge auch für die meritorische Behandlung einer Berufung gegen ein Straferkenntnis ist, dass noch keine rechtskräftige und verbindliche Entscheidung in der selben Sache vorliegt. Bei Identität der Sache steht einer neuen Sachentscheidung die Rechtskraft des früheren Bescheides entgegen (vgl. dazu Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, 1996, E 18 ff zu § 68 AVG 1991). Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass ein weiteres Straferkenntnis der belangten Behörde im Hinblick auf das Prozesshindernis der entschiedenen Sache nicht hätte ergehen dürfen, wenn das vorangegangene Straferkenntnis in Rechtskraft erwachsen ist. Das angefochtene Straferkenntnis müsste aus Anlass der (zulässigen) Berufung aufgehoben werden.

Gemäß § 68 Abs.1 AVG 1991 (iVm § 24 VStG 1991) sind Anbringen von Beteiligten, die die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Diese Regelung des § 68 Abs.1 AVG 1991 entspricht dem Grundsatz "ne bis in idem". Dies bedeutet, dass die Rechtskraft eines Bescheides dessen Unanfechtbarkeit sowie Unabänderbarkeit bewirkt ("entschiedene Sache").

Unanfechtbarkeit des Bescheides bedeutet dabei, dass der Bescheid von den Parteien durch ordentliche Rechtsmittel nicht mehr bekämpft werden kann ("formelle Rechtskraft"). Diese Unanfechtbarkeit des Straferkenntnisses vom 20.6.2001 begann mit dem ungenutzten Verstreichen lassen der Rechtsmittelfrist. Zu diesem Zeitpunkt (12.7.2001) begann auch die Unwiderrufbarkeit des gegenständlichen Straferkenntnisses ("materielle Rechtskraft"). Es hat der VwGH in seiner ständigen Judikatur ausgesprochen, dass die materielle Rechtskraft es allen Strafverfolgungsbehörden verbietet, wegen der selben Tat gegen den selben Beschuldigten noch einmal ein Strafverfahren durchzuführen (ne bis in idem).

Weil aber in der gegenständlichen Verwaltungsstrafsache bereits rechtskräftig ein Straferkenntnis erlassen wurde, steht einer neuerlichen Entscheidung im selben Strafverfahren die Rechtskraft des ursprünglichen Straferkenntnisses (vom 20.6.2001) entgegen.

Die Frage, ob ein Straferkenntnis hinsichtlich der selben Tat und des selben Täters unzulässigerweise neuerlich erlassen wurde, ist jedoch nicht gleichbedeutend jener, ob ein gleiches Schriftstück iSd § 6 Zustellgesetz mehrmals gültig zugestellt wurde und daher die erste Zustellung maßgebend ist. Unter Vorliegen des "gleichen Schriftstückes" ist eine inhaltlich vollkommen idente Ausfertigung eines bereits einmal zugestellten Schriftstückes zu verstehen. Es darf sich um keinen neuen Rechtsakt handeln (vgl. das VwGH-Erkenntnis vom 20. Oktober 1993, Zl. 93/10/0082). Beim zweiten an Herrn J. P., z.Hd. des Herrn Rechtsanwalts Dr. S. zugestellten Straferkenntnisses, das mit 20.8.2001 datiert ist, handelt es sich im Vergleich zu jenem Straferkenntnis vom 20.6.2001, das an Herrn P. direkt zugestellt wurde, nicht um ein "gleiches Schriftstück" iSd § 6 Zustellgesetz.

Zum einen weist es ein anderes Datum, nämlich den 20.8.2001 auf, zum anderen wurde es Herrn J. P. z.H. des Rechtsanwalts Dr. M. S. zugestellt.

Überdies ist auch ein inhaltlicher Unterschied in der Begründung der beiden Straferkenntnisse dahingehend festzustellen, dass das geschätzte Einkommen im Straferkenntnis vom 20.6.2001 mit "ca. S 20.000,-- monatlich netto", im Straferkenntnis vom 20.8.2001 hingegen mit " ca. DM 3.000,-- monatlich netto" angenommen wurde.

Das Straferkenntnis vom 20.8.2001 stellt sohin auch unter Berücksichtigung des § 6 Zustellgesetz eine weitere Entscheidung in der selben, entschiedenen Sache dar und ist als neuer Rechtsakt bekämpfbar. Die von der belangten Behörde offenbar intendierte Zurückweisung des Rechtsmittels gegen den Bescheid vom 20.8.2001 als unzulässig deshalb, weil der neuerlichen Zustellung keine rechtliche Bedeutung mehr zugekommen sei, findet nach den obigen Ausführungen im § 6 Zustellgesetz keine Grundlage.

Aus dem Akt und dem Vorbringen der belangten Behörde selbst ergibt sich, dass von einer rechtmäßigen Zustellung des Straferkenntnisses vom 20.6.2001 an Herrn J. P. ausgegangen wurde. Durch eine neuerliche wenngleich irrtümliche Erlassung eines weiteren Straferkenntnisses vom 20.8.2001 in der selben Sache wurde gegen den Grundsatz "ne bis in idem" verstoßen, weshalb der diesbezüglich rechtzeitig eingebrachten Berufung Folge zu geben war. Dies war von Amts wegen aufzugreifen, sodass es dahingestellt bleiben kann, ob Rechtsanwalt Dr. S. vom Berufungswerber zu seiner Rechtsvertretung überhaupt bevollmächtigt wurde, was angesichts der Ausführungen in der Berufungsschrift vom 11.9.2001 ("Für Herrn J. P. hatten wir uns nicht legitimiert.") durchaus bezweifelt werden könnte.

Im Rechtsschutzinteresse geht der Oö. Verwaltungssenat bezüglich der gegenständlichen Berufung jedoch von der Rechtsmittellegitimation des einschreitenden Rechtsanwaltes aus.

Zusammenfassend ist daher auszuführen, dass wegen der nach Ablauf der Berufungsfrist eingetretenen Rechtskraft des Straferkenntnisses der belangten Behörde vom 20.6.2001 infolge der Sperrwirkung (ne bis in idem) das Straferkenntnis vom 20.8.2001 nicht hätte erlassen werden dürfen. Der Oö. Verwaltungssenat hatte das angefochtene Straferkenntnis den obigen Ausführungen zufolge ersatzlos aufzuheben, ohne dass auf das Vorbringen des Berufungswerbers inhaltlich einzugehen war.

5. Bei diesem Ergebnis entfällt gemäß § 66 Abs.1 VStG 1991 die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens.

Aus den dargelegten Gründen war daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 € (entspricht 2.476,85 S) zu entrichten.

Dr. K l e m p t

Beschlagwortung: Zustellungsgesetz § 6; "ne bis in idem"; Doppelbestrafung, Entscheidungsdatum; entschiedene Sache.

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