Linz, 18.07.2001
VwSen-107690/16/Br/Bk Linz, am 18. Juli 2001 DVR.0690392
E R K E N N T N I S
Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn G, vertreten durch D, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land, vom 22. Mai 2001, Zl.: VerkR96-643-2000-K, wegen Übertretung der StVO 1960, nach der am 18. Juli 2001 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung, zu Recht:
- T,;
- Revierinspektor K, p. A. Gendarmerieposten G (bei diesem Zeugen handelt es sich um den bereits mehrfach erwähnten Gendarmeriebeamten in Zivil); - B, - S;
- Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit und Einstellung des Strafverfahrens
in eventu c) die Herabsetzung der verhängten Geldstrafe auf das gesetzliche Mindestausmaß. S, 8.6.2001 G" 3. Die Behörde erster Instanz hat den Verfahrensakt nach Übermittlung der Berufung durch den Oö. Verwaltungssenat ohne eine Berufungsvorentscheidung zu erlassen vorgelegt. 3.1. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch die Einsichtnahme und auszugsweise Verlesung des erstbehördlichen Verfahrensaktes, sowie des beigeschafften Haupverhandlungsprotokolls und des Urteils des LG Steyr, 13. EVr 465/99, vom 4.5.2000. Gesondert hervorgehoben wurde insbesondere die Feststellung des Sachverständigen aus dem Bereich der Gerichtsmedizin, wonach die Kollision des Mopedlenkers mit dem Fahrzeug des Berufungswerbers bereits zum Tod des Ersteren führte. Beweis wurde ferner erhoben durch Vernehmung des Berufungswerbers als Beschuldigten und des T als Zeugen. Mehrere geladene Zeugen waren wegen Urlaubes entschuldigt. Auf deren Vernehmung wurde seitens der Verteidigung schließlich verzichtet. Die Berufungsverhandlung wurde im Rahmen eines Ortaugenscheins durchgeführt, wobei ein Vertreter der Behörde erster Instanz daran unbegründet nicht teilnahm. 4. Da jeweils keine 10.000 S übersteigenden Geldstrafen verhängt wurden, hat der unabhängige Verwaltungssenat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu erkennen. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung war wegen des gesonderten Antrages und insbesondere gemäß der sich aus Art. 6 der MRK ergebenden Intention geboten (§ 51e Abs.1 VStG). 5. Der Berufungswerber hielt sich vor dem Unfall im Buffet des Sportplatzes D auf und konsumierte dort auch Alkohol. Etwa gleichzeitig mit dem ebenfalls dort anwesenden Zeugen K nahm er sein auf dem Parkplatz vor dem Buffet abgestelltes Fahrzeug in Betrieb, um in die in einem rechten Winkel einmündende T in Fahrtrichtung D nach links einzubiegen. Die Parkplatzausfahrt in Richtung T verläuft infolge eines Höhenniveauunterschiedes in einer Länge von etwa fünf Metern ansteigend. Offenbar wegen der Blickkonzentration auf die sich zu diesem Zeitpunkt aus Richtung D bereits auf etwa 100 m an die Parkplatzausfahrt angenäherten Pkw dürfte der Berufungswerber den bereits unmittelbar am Kreuzungsbereich befindlichen, aus eben dieser Richtung kommenden Mopedfahrer nicht (mehr) gesehen bzw. übersehen haben und kollidierte mit diesem im Zuge der Anfangsphase seines Abbiegevorganges. Auf Grund der Feststellungen des Gerichtes ist von einer Verwendung des Lichtes beim Mopedfahrer auszugehen. Unmittelbar nach der, laut Feststellungen des Gerichtsmediziners, für den Mopedfahrer bereits tödlichen Kollision, rollte das Fahrzeug auf Grund der nach hinten abschüssigen Ausfahrt noch einige Meter zurück oder es wurde vom Berufungswerber zurückrollen gelassen. Unmittelbar dachnach stiegen der Berufungswerber und sein Beifahrer aus dem Fahrzeug. Eine Anhaltung der aus Richtung D kommenden Fahrzeuge war nicht mehr möglich. Während das erste Fahrzeug dem rechts vom Kreuzungstrichter am rechten Fahrstreifen (mit dem Kopf auf der Leitlinie) liegenden Mopedfahrer noch ausweichen konnte, wurde dieser vom unmittelbar nachfolgenden Fahrzeug mehr oder weniger vor den Augen des Berufungswerbers überrollt und einige Meter mitgeschleift. Der Berufungswerber und sein Beifahrer begaben sich in der Folge in offenbar unkoordinierter Weise in das Sportplatzbuffet zurück um von dort die Rettung zu verständigen. In weiterer Folge wurde vom Beifahrer des Berufungswerbers das in der Parkplatzausfahrt stehende Fahrzeug etwa 40 bis 50 m vom Kreuzungsbereich entfernt auf den Parkplatz zurückgestellt. Der Berufungswerber hielt sich in der Folge auf dem Parkplatz auf, telefonierte von dort mit seiner Frau, um sie über den Vorfall zu informieren. Er begab sich aber nicht zur verunfallten Person, bei welcher sich bereits kurz nach dem Unfall etwa zehn Personen aufhielten, die bereits versuchten noch Hilfe zu leisten. Er wollte sich offenkundig in dieser Situation nicht als Unfalllenker deklarieren. Da sich unter diesen Personen auch ein nicht im Dienst befindlicher Gendarmeriebeamter befand, wurde auf Grund der auf der Fahrbahn liegenden Kennzeichentafel des Fahrzeuges des Berufungswerbers zu dessen Wohnort eine Gendarmeriestreife beordert, wobei die Gendarmeriebeamten in der Folge den fernmündlichen Kontakt mit dem Berufungswerber von seinem Wohnort aus zum Unfallort herstellten. Der Berufungswerber wurde nach dem Unfall um 21.13 Uhr von der Gendarmerie zur Sache einvernommen, wobei während der Vernehmung um 21.30 Uhr ein Alkotest (Ergebnis: 0,34 mg/l Atemluftalkoholgehalt) vorgenommen wurde. Die Verkehrsunfallanzeige wurde vom Gendarmerieposten W erst am 29. November 1999 verfasst. Der objektive Erklärungsgehalt der Schilderungen in der Anzeige im Hinblick auf das Verhalten des Berufungswerbers nach dem Unfall, welche sich auf die Angaben des Zeugen K stützen, unterscheidet sich in nicht unwesentlichen Details doch von den Schilderungen dieses Zeugen im Rahmen der Berufungsverhandlung. 5.1. Es ist auf Grund der Aktenlage in Verbindung mit den glaubwürdigen Darstellungen des Berufungswerbers und des Zeugen K im Rahmen der Berufungsverhandlung davon auszugehen, dass Ersterer sich in einer zweifellos höchst angespannten bis verzweifelten Situation befand. Diese mag durchaus im Bewusstsein seines Alkoholkonsums und der sich in diesem Zusammenhang für ihn ergebenden Konsequenzen und dem Bild des Überrollens seines Unfallgegners durch einen nachfolgenden Pkw gegründet haben. Durchaus zu folgen ist dem Berufungswerber in seiner dahingehenden Verantwortung, dass er eine Hilfeleistung gegenüber dem Verunfallten als aussichtslos erblickte und er sich als Verursacher der Situation angesichts der zahlreichen Personen beim Unfallopfer nicht stellen wollte. Die Verletzung der Hilfeleistungspflicht durch unmittelbar persönliches Tätigwerden kann angesichts der Umstände, wie sie sich vor Ort nach dem Überrollen des Unfallopfers durch ein anderes Fahrzeug darstellten, nicht mehr erblickt werden. Somit verblieb noch als alternative Pflicht, Hilfe zu holen. Diese kann hier in der unverzüglich versuchten Verständigung der Rettung vom Buffet aus im gebotenen Umfang nachgekommen erblickt werden. Ebenfalls lässt sich eine Vereitelung an der Feststellung des Sachverhaltes nicht ableiten, wohl aber bei objektiver Betrachtung ein Unterbleiben an der Absicherung der Unfallstelle. Die Schilderung des Berufungswerbers wird vom Zeugen K, welcher unmittelbar hinter dem Berufungswerber nachfuhr, weitgehend bestätigt. Insbesondere gaben beide übereinstimmend an, dass das Unfallopfer unmittelbar nach dem Unfall bereits von einem nachfolgenden Auto überrollt wurde. Beide hätten dann vom Sportplatzbuffet aus - unabhängig voneinander - die Rettung verständigt. Diese Vorgangsweise kann durchaus als situationsbezogen qualifiziert werden. Im Gerichtsurteil wurde dem Berufungswerber das Verlassen der Unfallstelle ohne diese abzusichern als straferschwerend gewertet (Seite 7 des Urteils). Er wurde vom Gericht wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (§ 81 Z2 StGB) zu einer unbedingten Geldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 120 S (vom OLG auf 90 S ermäßigt, sohin beträgt die Geldstrafe 32.400 S), im Falle der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 180 Tagen und zu einer bedingt nachgesehen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. 5.2. Die für dieses Verfahren entscheidungswesentlichen Feststellungen ergeben sich aus den im Ergebnis übereinstimmenden Angaben der Zeugen mit denen des Berufungswerbers. Durchaus glaubwürdig und logisch nachvollziehbar dargetan wurde vom Berufungswerber, dass er nach dem Unfall sofort versuchte, die sich bereits auf wenige Sekunden angenäherten Fahrzeuge noch anzuhalten, was aber nicht mehr gelang. Ebenfalls nachvollziehbar ist der Umstand, warum das Fahrzeug nach dem Unfall einige Meter zurückrollte. Unbestritten ist letztlich, dass mit Blick auf eine Absicherung der Unfallstelle durch ihn keinerlei Aktivitäten erfolgten, was ihm objektiv als Pflichtverstoß vorzuwerfen ist, wobei er diesbezüglich die Aktivitäten der anderen an der Unfallstelle "mitbeteiligten" Fahrzeuglenker im Auge gehabt haben mochte. Auch der von ihm als Schock bezeichnete seelische Zustand nach dem Unfall ist durchaus glaubwürdig und den Umständen entsprechend nachvollziehbar. Es würde schlechthin einer Realitätsverweigerung gleichkommen, wollte man von einer Person, vor deren Augen ein Mensch überrollt wurde, bis ins letzte Detail ein optimales Verhalten erwarten. Dem Berufungswerber vermochte daher in seiner Verantwortung im Rahmen dieses Verfahrens weitgehend gefolgt werden. 6. Rechtlich hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen: 6.1. Nach § 4 Abs.1 und Abs.2 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhange steht, a) wenn sie ein Fahrzeug lenken, sofort anzuhalten, b) wenn als Folge des Verkehrsunfalls Schäden für Personen oder Sachen zu befürchten sind, die zur Vermeidung solcher Schäden notwendigen Maßnahmen zu treffen, c) an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken. Abs.2 leg.cit lautet: Sind bei einem Verkehrsunfall Personen verletzt worden, so haben die im Abs. 1 genannten Personen Hilfe zu leisten; sind sie dazu nicht fähig, so haben sie unverzüglich für fremde Hilfe zu sorgen. Ferner haben sie die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle sofort zu verständigen. . . . . . Da hier das Gericht ausdrücklich "das Verhalten des Berufungswerbers nach dem Verkehrsunfall" bereits in die gerichtliche Bestrafung, nämlich als "straferschwerender Umstand" einfließen ließ, ist mit Blick auf Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur MRK, wonach sinngemäß niemand für ein und dasselbe Verhalten, für welches er bereits bestraft wurde, nochmals verfolgt oder bestraft werden darf, eine weitere Bestrafung unzulässig (vgl. unter vielen EGMR 21.3.2000, Nr. 33732/96 Schlager gg. Österreich). Diese "weitere Bestrafung" wäre hier im Faktum jeglicher Unterlassung von Absicherungsmaßnahmen der Unfallstelle zu erblicken, wobei hier auf die Frage des Verschuldens nicht näher einzugehen ist. Da dieses Faktum ausdrücklich auch im Gerichtsurteil hervorgehoben wurde, muss daraus der Schluss gezogen werden, dass eben genau dieses Faktum dem Berufungswerber vom Gericht im Rahmen der Strafzumessung zugerechnet wurde (Seite 3 des Urteils). Es muss dahingestellt bleiben, ob das Faktum der Bestrafung wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen, ein spezifisches Verhalten nach der Tat - offenbar ungeprüft des Verschuldens, nämlich hinsichtlich psychologischer Ursächlichkeiten dahinter stehen mochten - in die gerichtliche Bestrafung in dieser Form einfließen durfte. Dennoch sei an dieser Stelle auch noch darauf hingewiesen, dass hier ausschließlich der Punkt der unterbliebenen Absicherung der Unfallstelle als vorwerfbares Verhalten übrig bliebe. Da sich hier einerseits die Hilfeleistungspflicht offenkundig nur mehr auf die Verständigung der Rettung beschränken konnte, welche vom Berufungswerber unverzüglich eingeleitet wurde und in der Substanz auch kein Verhalten gesetzt wurde, welches die Sachverhaltsfeststellung beeinträchtigen hätte können bzw. beeinträchtigt hat, entbehren hier diese Tatvorwürfe angesichts des sich aus dem Berufungsverfahren klar ableitenden Beweisergebnisses einer inhaltlichen Grundlage. Die Verpflichtung zur Mitwirkung an der Feststellung des Sachverhaltes reicht letztlich nur soweit, als es zur Feststellung von Sachverhaltselementen, insbesondere zur Sicherung von Spuren am Unfallort oder sonstiger konkreter Beweismittel, aber auch zur Person des beteiligten Fahrzeuglenkers erforderlich ist. Das Beweisergebnis lässt hier nicht in Ansätzen erkennen, dass hier die Unfallursachenerhebung durch das Verhalten des Berufungswerbers beeinträchtigt worden wäre. Er war - wie oben festgestellt - immer im unmittelbaren Bereich des Unfallortes anwesend, telefonierte von dort mit der Gendarmerie, wurde dort noch einvernommen und einem (in Verbindung mit der erfolgten Rückrechnung positiven) Alkotest unterzogen. Das Verlassen der Unfallstelle wäre wohl dann tatbildmäßig, wenn es dem oben angeführten Zweck der Mitwirkungspflicht zuwiderläuft (vgl. VwGH 20.2.1991, 90/02/0152 mit Hinweis auf VwGH 15. Mai 1990, Zl. 89/02/0048 und Zl. 89/02/0164). Abschließend kann auch dahingestellt sein, ob dem Verhalten des Berufungswerbers letztlich eine entschuldigende Komponente zugerechnet werden könnte, zumal nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein sogenannter Unfallschock in besonders gelagerten Fällen und bei gravierenden psychischen Ausnahmesituationen entschuldigend wirkt (vgl. VwGH 20.9.1995, 94/03/0150, mit Hinweis auf VwGH 13. 2. 1987, Zl. 86/18/0254, u.v.a.). Das Verwaltungsstrafverfahren war demnach aus den beiden im Spruch angeführten Bestimmungen des § 45 Abs.1 VStG einzustellen. Rechtsmittelbelehrung: Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig. H i n w e i s: Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500 S (entspricht 181,68 €) zu entrichten. Dr. B l e i e r