Linz, 31.08.2001
VwSen-107822/2/SR/Ri Linz, am 31. August 2001 DVR.0690392
E R K E N N T N I S
Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Stierschneider über die Berufung des R L, N , gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptfrau von R vom 19. Juli 2001, Zl. VerkR96-467-2001, wegen Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960 (im Folgenden: StVO), zu Recht erkannt: Die Berufung wird teilweise abgewiesen und das Straferkenntnis mit der Maßgabe bestätigt, dass der Spruch nach "verbotener Weise überholt" wie folgt zu lauten hat:
- wer als Lenker eines Fahrzeuges gegen die Vorschriften dieses Bundesgesetzes verstößt,
4.2. Die Bestimmungen des § 16 Abs.1 lit.a und § 16 Abs.2 lit.b StVO schließen einander nicht aus und es ist grundsätzlich bei Verstoß gegen diese beiden Bestimmungen jeweils eine eigene Strafe zu verhängen (VwGH vom 30.6.1970, 1429/69, ZVR 1971/70). Der Lenker eines Fahrzeuges darf grundsätzlich nur dann überholen, wenn er in der Lage ist, die Überholstrecke zu überblicken und sich von der Möglichkeit eines gefahrlosen Überholens zu überzeugen. Er hat den Versuch eines Überholmanövers abzubrechen und sich wieder hinter das vor ihm fahrende Fahrzeug einzuordnen, sobald er auf der Überholstrecke ein Hindernis oder sonst die Möglichkeit einer Gefährdung erkennt. § 16 Abs.1 lit.a StVO findet nicht Anwendung, wenn dem betreffenden KFZ Lenker ein Gegenverkehr konkret erst im Zuge seines Überholmanövers bewusst wird und er daraufhin reagiert, um einen Zusammenstoß mit dem entgegenkommenden Fahrzeug zu verhindern (VwGH vom 10.7.1981, 81/02/0017). Zur Umschreibung der Tat iSd § 44a VStG bedarf es der Anführung, ob der Gegenverkehr durch das Überholen gefährdet oder behindert wurde oder hätte werden können. Da dies die Behörde erster Instanz unterlassen hat und darüber hinaus das Vorliegen eines Gegenverkehrs nicht behauptet worden ist, war der Tatvorwurf des § 16 Abs.1 lit.a nicht aufrecht zu erhalten und das Verwaltungsstrafverfahren diesbezüglich einzustellen. 4.3. Gemäß § 2 Abs.1 Z29 StVO ist unter Überholen das Vorbeibewegen eines Fahrzeuges an einem auf der selben Fahrbahn in der gleichen Richtung fahrenden Fahrzeug zu betrachten. Dem Vorbringen des Bw, dass es sich um zwei Überholmanöver gehandelt hat, war schon deshalb nicht zu folgen, da die Lichtbilder deutlich erkennen lassen, dass die angeführten beiden Fahrzeuge mittels eines Überholmanövers passiert worden sind. Der Bw hat sein Fahrzeug zwischen dem PKW und LKW nicht wieder auf den rechten Fahrstreifen zurückgelenkt sondern diesen nur minimal befahren (ca. 1/3 der Fahrzeugbreite des Pkws des Bw befand sich kurzfristig auf dem rechten Fahrstreifen). Ein Lenker kann (wie bereits dargelegt) durch einen Überholvorgang sowohl gegen § 16 Abs.1 lit.a als auch gegen § 16 Abs.2 lit.b StVO (Idealkonkurrenz) verstoßen, wenn er vor einer unübersichtlichen Kurve und trotz erkennbaren Gegenverkehrs, der gefährdet werden könnte, zu überholen begonnen hat oder wenn er - nachdem er ohne erkennbaren Gegenverkehr, aber vor einer unübersichtlichen Kurve zu überholen begonnen hat - trotz während des Überholvorganges erkennbar werdenden Gegenverkehrs den Überholversuch nicht abbricht, obwohl dies noch möglich wäre. Ergibt sich jedoch die Gefährdung des entgegenkommenden Lenkers allein aus dem Überholen an einer unübersichtlichen Straßenstelle, hat der Lenker nur gegen § 16 Abs.2 lit.b verstoßen (VwGH vom 29.8.1990, 90/02/0044, ZVR 1991/79; siehe auch Messiner, Straßenverkehrsordnung idF der 20. StVO-Novelle, 10. Auflage, § 16, E32, Seite 384). Da kein Gegenverkehr geherrscht hat, ist, wie oben dargelegt, nur § 16 Abs. 2 lit.b StVO zur Beurteilung heranzuziehen. Die Frage, ob eine unübersichtliche Straßenstelle gegeben ist, ist grundsätzlich von der Stelle aus, wo das Überholmanöver begonnen wird, zu beurteilen. Nur dann, wenn der überholende KFZ-Lenker in der Lage ist, das Straßenstück bei Beginn des Überholvorganges zur Gänze zu überblicken, dass er für diese Maßnahme einschließlich des ordnungsgemäßen Wiedereinordnens seines KFZ auf dem rechten Fahrstreifen benötigt, kann von einer übersichtlichen Straßenstelle gesprochen werden (vergleiche VwGH vom 10.7.1981, 81/02/0017, ua). Aus den im Akt befindlichen Lichtbildern ist eindeutig zu erkennen, dass die Sichtweite zu Beginn des Überholmanövers ca. 100 m betragen hat. Nach der Faustformel für die Berechnung der Überholstrecke (ein zu überholendes Fahrzeug) - Geschwindigkeit des Überholten (km/h = m) x 4 - hätte der Bw für das Überholmanöver zumindest einen Überholweg von 360 m benötigt. Weiters kann den Lichtbildern entnommen werden, dass sich die Sicht im Zuge des Überholmanövers verschlechtern wird und auch tatsächlich verschlechtert hat, da der Bw auf Höhe des überholten LKWs mit diesem in eine Nebelbank eingetaucht ist. 4.4. Gemäß § 5 Abs.1 VStG genügt, wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nichts anderes bestimmt, zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Gebot dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat der Bw initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht. Dies hat in erster Linie durch ein geeignetes Tatsachenvorbringen und durch die Beibringung von Beweismitteln bzw. die Stellung konkreter Beweisanträge zu geschehen. Bloßes Leugnen oder allgemein gehaltene Behauptungen reichen für die "Glaubhaftmachung" nicht aus (VwGH 24.5.1989, 89/02/0017, 24.2.1993, 92/03/0011, siehe auch Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, Seite 759). Aufgrund des eindeutigen Ermittlungsergebnisses und den allgemein gehaltenen Behauptungen reichte das Vorbringen des Bw für die Glaubhaftmachung eines mangelnden Verschuldens nicht aus. Der Bw hat zumindest fahrlässig gehandelt. Rechtfertigungsgründe sind nicht hervorgekommen. 4.5. Gemäß § 19 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, sowie der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Überdies sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 - 35 StGB (Strafgesetzbuch) sinngemäß anzuwenden. Hinsichtlich der jeweils verhängten Strafe ist der Bw darauf hinzuweisen, dass deren höhenmäßige Festsetzung eine Ermessensentscheidung der Strafbehörde darstelle, die sie unter Bedachtnahme auf die objektiven und subjektiven Strafbemessungskriterien des § 19 VStG vorzunehmen hat. Gemäß § 51 Abs.6 VStG darf in der Berufungsentscheidung keine höhere Strafe verhängt werden, als im angefochtenen Bescheid. Die Behörde erster Instanz hat im Spruch zwei Straftatbestände miteinander vermengt und zwei verletzte Rechtsnormen angeführt, jedoch nur eine Gesamtstrafe verhängt. Der unabhängige Verwaltungssenat war daher gehalten, den Spruch entsprechend den jeweiligen Delikttatbeständen neu zu formulieren. Würden sich, wie es grundsätzlich der Fall ist, die gegenständlichen Verwaltungsübertretungen auf Grund der Idealkonkurrenz nicht ausschließen, dann wäre der unabhängige Verwaltungssenat gehalten gewesen, zwei Strafen anstelle einer Gesamtstrafe zu verhängen. Da jedoch nach dem gegenständlichen Sachverhalt eine Übertretung des § 16 Abs.1 lit.a StVO nicht vorliegt, hatte der unabhängige Verwaltungssenat lediglich eine Strafe wegen Übertretung des § 16 Abs.2 lit.b StVO zu verhängen. Wie bereits oben im § 51 Abs.6 VStG ausgeführt, kann keine höhere Strafe verhängt werden, als im angefochtenen Bescheid. Folgt man der Begründung der Behörde erster Instanz zu den Ausführungen riskanter Überholmanöver, die häufig Ursache für Verkehrsunfälle mit teilweise schweren Folgen sind, dann kann die geringe Höhe der verhängten Strafe (tatsächlich wurde diese für zwei Übertretungen als Gesamtstrafe festgesetzt) nicht nachvollzogen werden. Das Ausmaß des Verschuldens und der Unrechtsgehalt der Tat ist dergestalt, dass die Verhängung einer derart geringen Geldstrafe auch bei Einbeziehung der bisherigen Unbescholtenheit und der Einkommens- und Vermögensverhältnisse kaum zu vertreten ist. Da gemäß § 51 Abs.6 VStG dem unabhängigen Verwaltungssenat die Verhängung einer höheren Geldstrafe verwehrt ist, musste mit der Bestätigung dieser Geldstrafe das Auslangen gefunden werden. 5. Der Kostenausspruch ist gesetzlich begründet. Rechtsmittelbelehrung: Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig. Hinweis: Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500 S (entspricht 181,68 €) zu entrichten. Mag. Stierschneider Beschlagwortung: Sicht