Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-160252/6/Fra/He

Linz, 28.06.2005

 

 

 VwSen-160252/6/Fra/He Linz, am 28. Juni 2005

DVR.0690392
 

 

 

E R K E N N T N I S
 
 
 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Johann Fragner über die Berufung des Herrn Dr. OU vertreten durch Rechtsanwälte Dr. FH und Dr. KB gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 31. Dezember 2004, VerkR96-4468-2004, betreffend Übertretungen der StVO 1960, nach Durchführung der mündlichen Verhandlung am 23. Juni 2005, zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt; es sind vom Berufungswerber keine Verfahrenskostenbeiträge zu entrichten.

 

 

Rechtsgrundlagen:
§ 66 Abs.4 AVG iVm § 45 Abs.1 Z1 und Z3 VStG; § 66 Abs.1 VStG.
 

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Gmunden hat mit dem in der Präambel angeführten Straferkenntnis über den Berufungswerber (Bw)

  1. wegen Übertretung des § 16 Abs.1 lit.a StVO 1960 gemäß § 99 Abs.3 lit.a leg.cit. eine Geldstrafe von 150 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 70 Stunden),
  2. wegen Übertretung des § 16 Abs.1 lit.c StVO 1960 gemäß § 99 Abs.3 lit.a leg.cit. eine Geldstrafe von 150 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 70 Stunden) und
  3. wegen Übertretung des § 11 Abs.1 StVO 1960 gemäß § 99 Abs.3 lit.a leg.cit. eine Geldstrafe von 100 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 70 Stunden) verhängt,

weil er am 26.4.2004 um 07.45 Uhr den Pkw mit dem Kennzeichen GM-........... auf der B 145 Salzkammergutstraße in Fahrtrichtung Vöcklabruck gelenkt hat, wobei er auf Höhe der Firma S

  1. ein anderes Fahrzeug überholte, ohne sich davon zu überzeugen, dass dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist,
  2. überholte, obwohl er nicht erkennen konnte, ob er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang in den Verkehr einordnen könne, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern und
  3. den Fahrstreifen gewechselt hat, ohne sich davon zu überzeugen, dass dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist.

Ferner wurde gemäß § 64 VStG ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 10 % der verhängten Geldstrafen vorgeschrieben.

 

 

2. Dagegen richtet sich die rechtzeitig durch die ausgewiesenen Vertreter eingebrachte Berufung. Der Bw bestreitet die ihm zur Last gelegten Tatbestände. Er führt zu den ihn belastenden Aussagen des Herrn M aus, dass dieser in keiner seiner Aussagen behauptet hätte, bei seinen Überholmanövern einen Gegenverkehr gefährdet oder behindert zu haben. Herr M habe lediglich behauptet, dass er sich aufgrund von Gegenverkehr nach dem Überholvorgang wieder in die Kolonne eingeordnet und dabei andere Verkehrsteilnehmer zum Abbremsen genötigt hätte. Eine Behinderung des Gegenverkehrs sei nicht behauptet worden. Im Gegenteil, Herr M führe aus, dass er überholt habe, als ein Überholen möglich war. Der Vorwurf einer Übertretung nach § 16 Abs.1 lit.a StVO 1960 sei daher zu Unrecht erfolgt. Die erkennende Behörde verkehre den Grundsatz "in dubio pro reo" ins Gegenteil. Die erkennende Behörde stelle zwar zutreffend fest, dass mehrere Punkte der Anzeige nicht ausreichend konkretisiert werden konnten, übersehe jedoch dabei, dass die Aussage des Zeugen M in vielen Punkten in sich widersprüchlich ist. In der Niederschrift vom 28.4.2004 behauptet der Zeuge, dass er beim Überholen des VW´s diesen zum Bremsen genötigt hätte. In der Niederschrift vom 7.6.2004 konnte der Zeuge dann plötzlich nicht mehr angeben, ob er den VW-Golf durch den Überholvorgang zum Abbremsen genötigt hätte oder nicht. Ebenso ergaben sich die Angaben zu weiteren Überholvorgängen im Bereich der sog. Wiesensenke als nachweislich unrichtig, da sich in diesem Bereich keine Sperrlinie befindet. Die erkennende Behörde gehe von folgendem Sachverhalt aus: "Sie überholten am 26.4. ............ und mussten dabei, um einen Frontalzusammenstoß mit dem Gegenverkehr zu vermeiden, zu früh wieder auf den rechten Fahrstreifen wechseln .......................". Aus den Aussagen des Zeugen M gehe mit keinem Wort hervor, dass er, um einen Frontalzusammenstoß zu vermeiden, zu früh wieder auf den rechten Fahrstreifen wechseln habe müssen. Aus dieser Aussage wäre einzig abzuleiten, dass durch das Einordnen am rechten Fahrstreifen der Zeuge M zum Abbremsen genötigt wurde. Es sei daher völlig unverständlich, wie die erkennende Behörde zu einem Sachverhalt gelange, wonach zur Vermeidung eines Frontalzusammenstoßes zu früh ein Fahrstreifenwechsel auf den rechten Fahrstreifen wieder durchgeführt werden habe müssen. Hier handelt es sich um überschießende Feststellungen, die nicht einmal durch die Aussage des Zeugen M begründet sind. Zum Vorwurf des § 11 Abs.1 StVO 1960 führe er aus, dass eine Strafe nicht sowohl nach § 16 Abs.1 lit.a StVO 1960 als auch nach § 11 Abs.1 StVO 1960 verhängt werden könne. Nachdem der Fahrstreifenwechsel - zumindest lt. Feststellungen im Straferkenntnis - zum Überholen getätigt wurde, könne als strafbestimmende Norm lediglich § 16 Abs.1 lit.a StVO 1960 und nicht § 11 Abs.1 StVO 1960 herangezogen werden. Wenn Herr M in seiner Niederschrift vom 26.4.2004 angebe, dass er sich aufgrund von Gegenverkehr vor ihm einreihen habe müssen, bedeute dies bei weitem nicht, dass der Gegenverkehr behindert wurde. Der Vorwurf der Übertretung des § 16 Abs.1 lit.a StVO 1960 bzw. § 11 Abs.1 StVO 1960 sei daher alleine aufgrund der Aussage des Zeugen nicht aufrecht zu erhalten. Er stelle daher den Antrag, seiner Berufung Folge zu geben und das gegen ihn eingeleitete Strafverfahren einzustellen.

 

3. Die Bezirkshauptmannschaft Gmunden - als nunmehr belangte Behörde - legte das Rechtsmittel samt bezughabendem Verwaltungsstrafakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vor, der, weil jeweils 2.000  Euro nicht übersteigende Geldstrafen verhängt wurden, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden hat (§ 51c erster Satz VStG).

 

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat nach Durchführung einer Berufungsverhandlung am 23. Juni 2005 in Verbindung mit einem Lokalaugenschein erwogen:

 

Der Bw hat bereits im erstinstanzlichen Verfahren kritisiert, dass die Angaben des Anzeigelegers betreffend den "Tatort" zu vage sind. Mit diesem Einwand ist der Bw - bezogen auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation - im Ergebnis erfolgreich. Wie der Lokalaugenschein gezeigt hat, erstreckt sich die Angabe "auf Höhe der Firma S" auf eine Länge von mehreren hundert Metern. Aufgrund der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt der Konkretisierung des Tatortes iSd § 44a Z1 VStG eine besondere Bedeutung zu. Insbesondere muss ein Beschuldigter durch diese Umschreibung vor einer "Doppelbestrafung" geschützt sein. Geht man nun von den Angaben des Anzeigers bei der Berufungsverhandlung aus (aufgrund des Unmittelbarkeitsgrundsatzes [§ 51i, erster Satz, VStG] dürfen - nur diese der Fällung des Erkenntnisses zugrundegelegt werden), dass der gegenständliche Überholvorgang unmittelbar nach der Brücke - sohin in Fahrtrichtung gesehen am Beginn des Firmengeländes der Firma S - durchgeführt wurde, muss davon ausgegangen werden, dass der Bw keine ausreichende Sicht hatte. Der Bw hat bei der Berufungsverhandlung auch vehement bestritten, an dieser Örtlichkeit überholt zu haben, weil eben die Sicht eingeschränkt war. Der Zeuge hingegen hat aber auch behauptet, dass der Bw ausreichende Sicht gehabt hätte - dies ist ein Widerspruch in sich. Schon dieser Umstand zeigt, dass hier mit der Tatortangabe "auf Höhe der Firma S" den Konkretisierungserfordernissen iSd § 44a Z1 VStG nicht ausreichend Rechnung getragen wurde, zumal der Tatvorwurf im Rahmen der o.a. Tatortangabe grundsätzlich ausgetauscht werden könnte, sodass die (theoretische) Gefahr einer Doppelbestrafung bestünde. Zu bedenken ist nämlich, dass innerhalb einer Minute "auf Höhe der Firma S" viele Überholvorgänge denkbar sind und je nach der Örtlichkeit bzw. Beginn des Überholvorganges auf der oa Länge sich die Voraussetzungen für einen Überholvorgang jeweils anders gestalten.

 

Ergänzend wird noch festgehalten, dass die Entscheidung über die Zulässigkeit des Überholmanövers aus der Sicht des § 16 Abs.1 lit.c StVO 1960 grundsätzlich die Feststellung jener Umstände voraussetzt, die für die Länge der für den geplanten Überholvorgang benötigten Strecke von Bedeutung sind, das sind in erster Linie und insbesondere die Geschwindigkeit des überholenden und des zu überholenden Fahrzeuges. Ferner sind Feststellungen über die dem Lenker des überholenden Fahrzeuges zur Zeit des Beginnes des Überholvorganges zur Verfügung stehenden Sichtstrecke erforderlich (vlg. ua VwGH vom 12.3.1986, 85/03/0152). In rechtlicher Hinsicht ist weiters festzuhalten, dass das Wiedereinordnen nicht mehr zum Überholvorgang gehört (§ 2 Abs.1 Z29). Das "Schneiden" nach dem Überholen ist gemäß § 11 Abs.1 StVO strafbar.

 

Im Ergebnis ist sohin festzuhalten, dass mangels Vorliegen objektiver erforderlicher Fakten der Tatbestand des § 16 Abs.1 lit.c StVO 1960 nicht als erwiesen gilt. Die Tatbestände des § 16 Abs.1 lit.a StVO 1960 und des § 11 Abs.1 StVO 1960 hätten tatortmäßig rechtzeitig (dh während der Verfolgungsverjährungsfrist) konkretisiert werden müssen, um daraus entsprechende Schlüsse ziehen zu können. Da dies nicht erfolgt ist, ist diesbezüglich Verfolgungsverjährung eingetreten, weshalb die Fakten 1. und 3. gemäß § 45 Abs.1 Z3 VStG und das Faktum 2. gemäß § 45 Abs.1 Z1 VStG zu beheben und das Verfahren einzustellen war.

 
5. Die Kostenentscheidung ist gesetzlich begründet.
 
 

Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

Dr. F r a g n e r

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