Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-160722/2/Fra/He

Linz, 14.11.2005

 

 

 

VwSen-160722/2/Fra/He Linz, am 14. November 2005

DVR.0690392

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Johann Fragner über die Berufung des Herrn R B, B, 40 H, vertreten durch Herrn Rechtsanwalt Dr. K E P, F, 40 L, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft L vom 15. Juni 2005, VerkR96-4820-2004-Pi, betreffend Übertretungen der StVO 1960, zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird Folge gegeben. Das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt; der Berufungswerber hat keine Verfahrenskostenbeiträge zu entrichten.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24 und 45 Abs.1 Z1 VStG; § 66 Abs.1 VStG.

 

 

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft L hat mit dem in der Präambel angeführten Straferkenntnis über den Berufungswerber (Bw)

  1. wegen Übertretung des § 4 Abs.5 StVO 1960 gemäß § 99 Abs.3 lit.b leg.cit. eine Geldstrafe von 70 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 24 Stunden) und
  2. wegen Übertretung des § 4 Abs.1 lit.a StVO 1960 gemäß § 99 Abs.2 lit.a leg.cit. eine Geldstrafe von 110 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 48 Stunden) verhängt,

weil er am 19.10.2003 gegen 15.10 Uhr im Gemeindegebiet L, auf der Mühlkreisautobahn, von U in Richtung L, ca. 100 Meter vor der Ausfahrt Z L, das KFZ, pol. Kennzeichen L mit dem Anhänger, pol. Kennzeichen L gelenkt und es dabei nach einem Verkehrsunfall mit Sachschaden, mit dem sein Verhalten in ursächlichem Zusammenhang stand, unterlassen hat,

  1. die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle ohne unnötigen Aufschub zu verständigen, obwohl ein gegenseitiger Nachweis von Name und Anschrift der Unfallbeteiligten bzw. der Personen, in deren Vermögen der Schaden entstanden ist, und
  2. das von ihm gelenkte Fahrzeug sofort anzuhalten.

 

Ferner wurde gemäß § 64 VStG ein Kostenbeitrag in Höhe von 10 % der verhängten Geldstrafe vorgeschrieben.

 

 

2. Dagegen richtet sich die rechtzeitig durch den ausgewiesenen Vertreter eingebrachte Berufung. Die Bezirkshauptmannschaft L - als nunmehr belangte Behörde - legte das Rechtsmittel samt bezughabendem Verwaltungsstrafakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vor, der, weil jeweils 2.000  Euro nicht übersteigende Geldstrafen verhängt wurden, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden hat (§ 51c erster Satz VStG).

 

 

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

3.1. Unstrittig ist, dass der Bw das in Rede stehenden Kraftfahrzeug zu der im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses angeführten Örtlichkeit und zum angeführten Zeitpunkt gelenkt hat und lt. Anzeige des Gendarmeriepostens P vom 19.10.2003 gegen 15:10 Uhr den links fahrenden, von Herrn G K gelenkten Kombi, Chrysler Grand Voyager, Kennzeichen S mit dem Anhänger, pol. Kennzeichen L, seitlich touchiert hat. Lt. oa Anzeige wurde das Kraftfahrzeug, Kennzeichen S am rechten Seitenspiegel, Kotflügel sowie Fahrertüre und hintere rechte Türe beschädigt. Die Anzeige wurde vom Lenker des Kombi, Kennzeichen S, Herrn G, erstattet. G K gab im erstinstanzlichen Verfahren an, den Bw im Anschluss dieser Touchierung überholt zu haben, um ihn auf den Verkehrsunfall aufmerksam zu machen. Er sei dem Bw in Richtung B1 - S S - gefolgt. Auf der S Straße sei es ihm gelungen, ihn zu überholen und seine Frau, die auf dem Beifahrersitz gesessen ist, habe die Fensterscheibe der Beifahrertür heruntergelassen und dem Bw zu verstehen gegeben, anzuhalten. Doch der Bw sei weitergefahren. Er habe sodann die Verfolgung aufgegeben, sich die Kennzeichen notiert und Anzeige bei der Gendarmerie erstattet.

 

Der Bw hat im erstinstanzlichen Verfahren angegeben, es sei ihm nicht bewusst gewesen, an der gegenständlichen Örtlichkeit mit einem anderen Kraftfahrzeug kollidiert zu haben. Er könne sich auch nicht daran erinnern, dass ihm ein anderer Lenker Hup- oder Lichtzeichen oder dgl. gegeben hätte. Hätte er bemerkt, dass er bei einem Verkehrsunfall ein anderes Fahrzeug touchiert habe, wäre er natürlich sofort stehen geblieben und hätte er die Daten ausgetauscht. Vom Verkehrsunfall habe er erst telefonisch von der Gendarmerie erfahren, erst dann habe er auch die Beschädigung am Anhänger bemerkt.

 

3.2. Aufgrund der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist Voraussetzung für die Anhalte- und Meldepflicht des § 4 Abs.1 lit.a und des Abs.5 StVO 1960 als objektives Tatbildmerkmal der Eintritt wenigstens eines Sachschadens und in subjektiver Hinsicht das Wissen von dem Eintritt eines derartigen Schadens, wobei der Tatbestand schon dann gegeben ist, wenn dem Täter objektive Umstände zu Bewusstsein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermochte (VwGH 23.5.2002, 2001/03/0417).

 

Die belangte Behörde hat hiezu ein verkehrstechnisches Gutachten eingeholt, wobei der Amtsachverständige Ing. Xx in seinem Gutachten vom 24. Februar 2005, AZ: VT-0100000/5711-2004-LJ, zum Ergebnis gekommen ist, dass der angeführte Verkehrsunfall eigentlich nur in visueller Form vom Bw festgestellt werden habe können. In akustischer Form, sowie als Reaktion eines Stoßes habe die Kollision nicht mit Sicherheit wahrgenommen werden können. Die Berührungen durch den Anhänger lassen eine Wahrnehmung in dieser Form nicht zu, was dazu führe, dass die Erkennbarkeit nicht mit der für ein Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit möglich ist.

 

Strittig ist sohin die visuelle Wahrnehmungsmöglichkeit, zumal der Sachverständige klar zum Ausdruck bringt, dass eine Wahrnehmungsmöglichkeit aufgrund akustischer Umstände oder aufgrund einer Reaktion auf den Stoß nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden kann.

 

Der Bw bringt hiezu vor, dass die Wahrnehmung der Änderung des Spurverhaltens der von ihm gelenkten Fahrzeugkombination keinesfalls in den Bereich der visuellen Wahrnehmungsmöglichkeit falle, da er als Lenker seiner Fahrzeugkombination das eigene Fahrzeug nicht im Auge behalten kann bzw. es ihm aufgrund der gegebenen Verkehrsverhältnisse weder möglich noch zumutbar gewesen sei, den Anhänger permanent im Rückspiegel zu beachten, da die vorrangige Aufmerksamkeit jedenfalls der Fahrbahn, dem vor ihm und neben ihm befindlichen Verkehrsgeschehen zu widmen gewesen war. Eine Änderung des Spurverhaltens wäre sohin ausschließlich im Rahmen der Wahrnehmungsmöglichkeit der Reaktion eines Stoßes möglich, sohin in der Form, dass eine Änderung des Spurverhaltens von ihm "gespürt" wird. Gerade diese Wahrnehmungsmöglichkeit habe jedoch der Sachverständige ausgeschlossen. Der Sachverständige führe weiters aus, es sei nicht festzustellen, ob er subjektiv den Anstoß tatsächlich festgestellt habe, gelange jedoch zum Ergebnis, dass er den Zusammenstoß aufgrund der visuellen Wahrnehmungsmöglichkeit bei gehöriger Aufmerksamkeit die Änderung des Spurverhaltens feststellen hätte müssen. Hiezu halte er fest, dass die Beurteilung der Frage der gehörigen Aufmerksamkeit keine Sachverständigen- sondern vielmehr eine Rechtsfrage darstellt. Es sei nicht geklärt, wie eine visuelle Wahrnehmungsmöglichkeit der Änderung des Spurverhaltens aussehen sollte, und ob und inwieweit es ihm zumutbar gewesen sei, die Änderung des Spurverhaltens visuell ständig zu beobachten. Außerdem bleibe es im Sachverständigengutachten unberücksichtigt, dass eine Änderung des Spurverhaltens auf mannigfache Gründe zurückgeführt werden könne. Unter Berücksichtigung der Fahrbahnverhältnisse - er habe sich in einem Baustellenbereich befunden - wo die Fahrbahn sehr holprig und der Geräuschpegel sehr hoch gewesen waren, könne eine Änderung des Spurverhaltens auf vielfache Gründe zurückzuführen sein. Jeder - auch der achtsamste - Autofahrer werde bei den gegebenen Verhältnissen eine Änderung des Spurverhaltens primär auf Bodenunebenheiten zurückführen und nicht vorrangig auf eine Kollision. Beim Maßstab der erforderlichen und gehörigen Aufmerksamkeit sei nicht zuletzt auf die gegebenen Verkehrsverhältnisse abzustellen. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung sei davon auszugehen, dass ein mit den rechtlichen Werten verbundener und pflichtbewusster Verkehrsteilnehmer bei einer holprigen Fahrbahn im Baustellenbereich und schwierigen Verkehrsverhältnissen einerseits nicht ständig visuell seine Spurverhältnisse im Auge behalten könne und bei einer tatsächlichen Wahrnehmung eine Änderung des Spurverhaltens nicht zur Ansicht gelangen müsse, dass eine Kollision stattgefunden habe. Es werde sohin im Zweifel davon auszugehen sein, dass er einerseits den Vorfall subjektiv nicht bemerkt habe, andererseits werde aus den aufgezeigten Gründen und Zweifeln davon auszugehen sein, dass für ihn der Vorfall auch unter striktester Beachtung der gehörigen Aufmerksamkeit nicht zwingend wahrnehmbar war und für ihn erkennbar sein musste, dass es zu einer Kollision gekommen war.

 

Mit dieser Argumentation ist der Bw im Ergebnis im Recht: Einerseits ist festzustellen, dass die Frage der Beurteilung der gehörigen Aufmerksamkeit in visueller Hinsicht einerseits primär rechtlich zu beurteilen ist. Der Verwaltungsgerichtshof fordert dann eine erhöhte Wahrnehmungsbereitschaft, sofern es zu einem gefährlichen und riskanten Fahrmanöver gekommen ist. Dies war jedoch gegenständlich nicht der Fall. Weiters stellt der Verwaltungsgerichtshof die Forderung der vollen Aufmerksamkeit für einen Lenker auf, wenn dieser unstrittig von einer Kontaktierung mit einem anderen Fahrzeug Kenntnisnahme erhalten hat. Selbst wenn man das von der Erstinstanz eingeholte Gutachten hinsichtlich der Frage der visuellen Wahrnehmungsmöglichkeit dem Verfahren zugrunde legen würde, könnte es keinen ausreichenden Beweis dafür liefern, dass der Bw die gegenständliche Kontaktierung visuell wahrnehmen hätte müssen, ist es doch insoferne unschlüssig, als es einerseits die Aussage trifft, der Bw hätte das Spurverhalten seiner gelenkten Fahrzeugkombination bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennen müssen und andererseits die Aussage trifft, es könne nicht mit der für ein Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit gesagt werden, dass der Bw eine Kontaktierung der beiden Fahrzeuge tatsächlich gesehen hat. Zudem ist festzustellen, dass aufgrund der vorliegenden Sachverhaltskonstellation der Bw keine Veranlassung hatte, "Fahrerflucht" zu begehen, musste er doch - unter der Prämisse, dass er die gegenständliche Schadensverursachung doch bemerkt hätte - davon ausgehen, dass der Lenker des unfallbeteiligten Fahrzeuges sein Fahrzeugkennzeichen notiert hat. Dass der Bw auf die Zeichen des Lenkers des unfallbeteiligten Fahrzeuges nicht reagiert hat, lässt den Schluss zu, dass der Bw die gegenständliche Touchierung tatsächlich nicht bemerkt hat, musste er doch mit der versuchten Kontaktaufnahme des Lenkers des unfallbeteiligten Fahrzeuglenkers keinen Zusammenhang mit der stattgefundenen Fahrzeugberührung herzustellen.

 

Aus den genannten Gründen kommt der Oö. Verwaltungssenat zum Ergebnis, dass kein für ein Verwaltungsstrafverfahren sicherer Beweis dafür vorliegt, dass der Bw die ihm zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen subjektiv tatseitig zu verantworten hat, weshalb in Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" zu entscheiden war.

 

 

II. Die Kostenentscheidung ist gesetzlich begründet.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

Dr. F r a g n e r

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