Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-210057/6/Ga/La

Linz, 28.03.1994

VwSen-210057/6/Ga/La Linz, am 28. März 1994 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch das Mitglied Mag. Gallnbrunner über die Berufung des H E M in L, vertreten durch Dr. W, gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom 5. Jänner 1993, Zl. 501/0-126/91(d)-Str, wegen Übertretung des Abfallwirtschaftsgesetzes - AWG (Spruchpunkt 2. dieses Straferkenntnisses), zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben; das Straferkenntnis im Spruchpunkt 2. wird aufgehoben und diesbezüglich die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens verfügt.

II. Der Berufungswerber hat keine Beiträge zu den Kosten dieses Strafverfahrens zu leisten.

Rechtsgrundlage:

Zu I.: § 66 Abs.4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl.Nr. 51, iVm § 24 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG, BGBl.Nr. 52; § 9 Abs.2 und 4, § 44a Z1, § 45 Abs.1 Z2, § 51 Abs.1, § 51c und § 51e Abs.1 VStG.

Zu II.: § 66 Abs.1 VStG.

Entscheidungsgründe:

Zu I.:

1.1. Mit Spruchpunkt 2. des eingangs bezeichneten Straferkenntnisses wurde der Berufungswerber schuldig erkannt, er habe als verwaltungsstrafrechtlich verantwortliches Organ der Firma W H Ges.m.b.H. & Co. KG, mit näher bezeichnetem Standort in L, zu vertreten, daß von dieser Firma im Zeitraum vom 1. Jänner bis zum 8. Juli 1991 fortlaufende Aufzeichnungen über Art, Menge, Herkunft und Verbleib der im Zuge der Unternehmenstätigkeit anfallenden Abfälle und Altöle in Übertretung des § 39 Abs.1 lit.c Z6 iVm § 14 Abs.1 AWG nicht geführt wurden; deswegen wurde über den Berufungswerber eine Geldstrafe in der Höhe von 5.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe: fünf Tage) kostenpflichtig verhängt.

1.2. Mit der dagegen rechtzeitig eingelegten Berufung bekämpft der Beschuldigte seine Bestrafung in diesem Punkt, indem er - ohne Sachverhaltsvorbringen - rechtlich einwendet, daß die hier zugrundegelegte Pflicht zur Führung fortlaufender Aufzeichnungen so, wie sie die Strafbehörde verstanden hat, wegen Unbestimmtheit der Norm gar nicht vollziehbar sei.

Der Berufungswerber beantragt die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens.

1.3. Die Strafbehörde als belangte Behörde hat die Berufung samt Strafakt ohne Gegenäußerung vorgelegt.

Aus der Aktenlage insgesamt ist ersichtlich, daß der Berufungswerber die Vornamen "H E" trägt, diese jedoch selbst uneinheitlich gebraucht bzw. auch von der belangten Behörde in ihren Schriftstücken uneinheitlich verwendet werden.

2. Mit ergänzendem Schriftsatz vom 26. Februar 1993 brachte der Berufungswerber - auch mit Wirkung für den Spruchpunkt 2. des Straferkenntnisses - erstmals vor, die von ihm für das genannte Unternehmen wahrzunehmende verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit dadurch übertragen zu haben, daß er schon vor der Tat gemäß § 9 VStG die Prokuristin A M als verantwortliche Beauftragte bestellt gehabt hatte. Gleichzeitig legte der Berufungswerber ein mit 29. Juni 1990 datiertes, von ihm und der Prokuristin unterfertigtes "Bestellungsdekret" mit folgendem Wortlaut vor:

"Herr H M als handels- und gewerberechtlich verantwortlicher Geschäftsführer der Firma W. H GesmbH & CO KG, L etabl., bestellt hiermit gemäß § 9 Abs. 4 VStG 1950 Frau Prokurist A M beginnend ab sofort und laufend als für die Einhaltung der maßgeblichen Verwaltungsvorschriften, insbesondere der arbeitnehmerschutzrechtlichen, gewerbe- und abfallrechtlichen Bestimmungen, verantwortliches Organ.

Die Annahme der Bestellung wird hiermit unterschriftlich von Frau M bestätigt.

Linz, am 29.6.1990".

3. Veranlaßt durch den Umstand, daß diese Bestellungsurkunde erst einen Monat nach Einbringung der Berufung vorgelegt wurde, hat der unabhängige Verwaltungssenat eine kriminaltechnische Untersuchung der Urkunde dahingehend durchführen lassen, ob das Ausstellungsdatum, das für die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortung maßgeblich ist, als gesichert angesehen werden kann, oder ob auf Grund bestimmter Indizien angenommen werden muß, daß die Urkunde rückdatiert wurde.

Als Ergebnis der Untersuchung hat die Bundespolizeidirektion Linz, kriminalpolizeiliche Abteilung, mit Untersuchungsbericht vom 7. April 1993 folgendes mitgeteilt:

"Das Schriftstück wurde mit einer elektrischen oder elektronischen Schreibmaschine verfaßt. Das Datum weist kein abweichendes Schriftbild auf. Auch sonst konnten keine Hinweise festgestellt werden, daß das Datum nachträglich dazugesetzt oder abgeändert worden wäre.

Es läßt sich ha. allerdings nicht feststellen, ob das Schriftstück nach dem 29.6.1990 verfaßt und rückdatiert wurde." Dieses Untersuchungsergebnis einbeziehend würdigt der unabhängige Verwaltungssenat die vorgelegte Urkunde als glaubwürdig am 29. Juni 1990 errichtet und unterfertigt und anerkennt sie als einen aus der Zeit vor der Tat stammenden Nachweis der erfolgten Bestellung einer verantwortlichen Beauftragten und der Zustimmung der Prokuristin A M zu dieser Bestellung.

4. In einem weiteren ergänzenden Schriftsatz vom 30. August 1993 hat der Berufungswerber zur Frage, ob der von ihm zur verantwortlichen Beauftragten bestellten Person iSd § 9 Abs.4 letzter Halbsatz VStG auch die entsprechende Anordnungsbefugnis für den übertragenen Verantwortungsbereich zugewiesen ist, ausgeführt, daß sich diese zunächst aus ihrer Stellung als Prokuristin ergebe und ihre diesbezügliche Autorität außerdem dadurch begründet sei, daß sie die Tochter des verstorbenen (Firmengründers) W H und zudem des Berufungswerbers Ehefrau sei; auf Grund dieser ihrer Position im Unternehmen habe die Beauftragte auch die Möglichkeit, dienstrechtliche Maßnahmen bei Zuwiderhandlungen in ihrem Verantwortungsbereich zu ergreifen und in letzter Konsequenz auch Entlassungen durchzuführen.

Zur Frage des klar abgegrenzten räumlichen oder sachlichen Bereichs, für den die Verantwortungsübertragung erfolgt ist, führt der Berufungswerber in der Stellungnahme vom 30.

August 1993 aus, daß die beauftragte Person im gesamten Betrieb der Firma W H Ges.m.b.H. & Co. KG (jedenfalls) für den Bereich Abfallwirtschaft im fraglichen Zeitraum zuständig gewesen sei.

5. Dieser Sachverhalt, wie er sich auf Grund der Berufung und der ergänzenden Schriftsätze des Berufungswerbers, des vorgelegten Strafaktes der belangten Behörde zu Zl.

501/0-126/91e-Str sowie der vom unabhängigen Verwaltungssenat gepflogenen, notwendigen Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens (§ 66 Abs.1 AVG iVm § 24 VStG) ergibt, wird als maßgebend für dieses Erkenntnis festgestellt.

Darüber hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

5.1. Weil im Verfahren vor dem unabhängigen Verwaltungssenat, der gemäß § 51 Abs.1 VStG in diesem Fall als Berufungsbehörde in Verwaltungsstrafsachen zu entscheiden hat, kein Neuerungsverbot besteht (vgl. VwGH vom 26.9.1991, 91/09/0067), muß ein neues Vorbringen und Beweisangebot des Beschuldigten - dazu gehören die Behauptung, eine verantwortliche Beauftragte bestellt zu haben, und die Vorlage eines entsprechenden Nachweises - vom unabhängigen Verwaltungssenat selbst dann noch berücksichtigt werden, wenn dies - aus nicht näher erläuterten Gründen - erst einen Monat nach der rechtzeitigen und zulässigen Einbringung der Berufung erfolgt ist.

Wenn und solange der Verfahrensgesetzgeber die dergestaltige Einwendung von Neuerungen im Zusammenhang mit der Regelung besonderer Fälle der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit im Grunde des § 9 VStG durch positive Regelungen nicht ausgeschlossen hat, kann dem Beschuldigten allein aus dem Blickwinkel der im öffentlichen Interesse gebotenen, möglichst kostensparenden Führung von Verwaltungsstrafverfahren (§ 39 Abs.2 letzter Satz AVG iVm § 24 VStG) nicht entgegengetreten werden, wenn er in Ausnützung der ihm von der Rechtsordnung angebotenen Rechtsschutzmöglichkeiten den Umstand des nicht bestehenden Neuerungsverbotes auf die so gehandhabte Weise für seine Verteidigung nützt.

5.2. Es ist jedoch auch festzuhalten, daß es sich bei der Beurteilung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit um eine Rechtsfrage handelt, die schon im Verfahren vor der Strafbehörde und erforderlichenfalls im Berufungsverfahren unabhängig von einem allfälligen Zugeständnis der Partei oder der Verfahrensbeteiligten selbständig gelöst werden muß (VwGH vom 23.11.1993, 93/04/0152).

5.3. Die Echtheit der nachträglich vorgelegten Bestellungsurkunde vom 29. Juni 1990 zugrundegelegt, hatten sich daher die weiteren Erhebungen des unabhängigen Verwaltungssenates darauf zu konzentrieren, a) ob der räumliche oder sachliche Bereich, für den die verantwortliche Beauftragte mit ihrer Zustimmung bestellt worden ist, so klar genug abgegrenzt, dh. unmißverständlich umschrieben worden ist, daß tatsächlich eine wirksame Verantwortungsübertragung vorliegt (vgl. VwGH vom 23.2.1993, 92/11/0258); und b) ob der mit Urkunde vom 29. Juni 1990 bestellten Person die "entsprechende" Anordnungsbefugnis eingeräumt war.

Beide tatbestandliche Voraussetzungen für die rechtmäßige Übertragung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit sind vorliegend erfüllt.

5.3.1. So umschreibt die Bestellungsurkunde vom 29. Juni 1990 den sachlichen Bereich, für den der Prokuristin die Verantwortung übertragen wurde, mit dem Hinweis auf die "maßgeblichen Verwaltungsvorschriften" und führt als ausdrückliches Beispiel dafür (auch) die "abfallrechtlichen Bestimmungen" an. Eine Umschreibung des sachlichen Bereiches durch Erwähnung bestimmter Verwaltungsvorschriften oder bestimmter Verwaltungsmaterien hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 17.3.1992, 92/11/0001, grundsätzlich als hinreichend klar abgrenzende Beschreibung des sachlichen Verantwortungsbereichs anerkannt.

Daß zu den "abfallrechtlichen Bestimmungen" auch das hier zugrundeliegende Abfallwirtschaftsgesetz (des Bundes) zu zählen ist, liegt auf der Hand.

5.3.2. Aber auch die "entsprechende" Anordnungsbefugnis ist vorgelegen. Diese Befugnis ist nämlich dann entsprechend (vgl. VwGH vom 12. Juni 1992, 90/19/0464 ua.), wenn sie der verantwortlichen Beauftragten ermöglicht, die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften sicherzustellen; dh. die eingeräumte Gestaltungsmöglichkeit muß in die Lage versetzen, die Verwaltungsvorschriften einhalten zu können. Eine bloße Möglichkeit, die Unternehmensleitung bzw. das zur Vertretung nach außen berufene Organ des Unternehmens von einer drohenden oder unvermeidlichen Verletzung von Verwaltungsvorschriften (nur) zu informieren, stellte demnach keine Anordnungsbefugnis in diesem Sinne dar.

Vorliegend wird jedoch behauptet, daß die Anordnungsbefugnis der verantwortlichen Beauftragten über die handelsrechtliche Stellung als Prokuristin hinausreichend auch die Befugnis umfaßt (hat), bei Zuwiderhandlungen in letzter Konsequenz auch Entlassungen durchzuführen. Diese Darstellung hält der unabhängige Verwaltungssenat auf Grund der besonderen Stellung der verantwortlichen Beauftragten (Tochter des verstorbenen Firmengründers; Ehefrau des Vertretungsorgans) für glaubwürdig und widerspruchsfrei, zumal insgesamt nichts hervorgekommen ist, was gegen die Richtigkeit dieses Vorbringens spräche. Insbesondere ist kein Sachverhalt zutage getreten, der dagegen spräche, der Prokuristin konkret in diesem Fall (wenigstens im Innenverhältnis) jene Stellung als leitende Angestellte, also als "Managerin" zuzubilligen, die in der Allgemeinheit idR mit dem Begriff Prokurist verbunden wird (vgl. OGH vom 20.10.1992, 4 Ob 107/92).

6. Aus all diesen Gründen ist zum Tatzeitpunkt eine verantwortliche Beauftragte iSd § 9 Abs.2 letzter Satz und 4 VStG bestellt gewesen. Da weiters das Verfahren auch keinen Hinweis darauf ergeben hat, daß der Berufungswerber die Tat nicht vorsätzlich verhindert hätte, hat der Berufungswerber in diesem Fall keine verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit für die Einhaltung von Vorschriften des Abfallwirtschaftsgesetzes getragen.

Im Ergebnis ist die Berufung erfolgreich. Das angefochtene Straferkenntnis war - ohne daß die beantragte öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen wäre aufzuheben; das Strafverfahren mußte gemäß § 45 Abs.1 Z2 erster Fall VStG eingestellt werden.

Auf die Berufungsbegründung war nicht mehr einzugehen, wenngleich der unabhängige Verwaltungssenat festhält, daß er die vom Berufungswerber vertretene (und mit sprachlich/grammatikalischer Auslegung begründete) Auffassung der Unvollziehbarkeit des § 14 Abs.1 AWG hinsichtlich der dort festgelegten Pflicht, unter bestimmten Voraussetzungen fortlaufende Aufzeichnungen (ua.) führen zu müssen, nicht teilt.

Zu II.:

Der Ausspruch über den Entfall von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens ist bundesgesetzlich begründet.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Mag. Gallnbrunner

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