Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-220060/16/Fra/Ka

Linz, 20.07.1992

VwSen - 220060/16/Fra/Ka Linz, am 20. Juli 1992 DVR.0690392 - &

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch das Mitglied Dr. Johann Fragner über die Berufung des Arbeitsinspektorates für den 19. Aufsichtsbezirk, Dr. Groß-Straße 26, 4600 Wels, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf a.d. Krems vom 4. September 1991, Ge-96-38-1991, zu Recht erkannt:

Der Berufung wird insofern Folge gegeben, als der angefochtene Bescheid behoben wird.

Rechtsgrundlage: § 66 Abs.4 AVG i.V.m. §§ 24 und 51 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems hat mit Bescheid vom 4. September 1991, Ge-96-38-1991, das gegen Herrn F, wegen Verdachtes der Übertretung nach § 7 Abs.1 Bauarbeitenschutzverordnung eingeleitete Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 lit.b VStG eingestellt. In der Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, daß vom Arbeitsinspektorat Wels wegen des Arbeitsunfalles vom 19. März 1991 auf der Baustelle der Firma S in K am 20. März 1991 eine Unfallerhebung durchgeführt wurde. Hiebei sei festgestellt worden, daß vor diesem Unfall die Bauarbeitenschutzverordnung übertreten worden sei, weil an dieser Arbeitsstelle Absturzgefahr bestand und bei der Durchführung von anderen Arbeiten als Mauerungsarbeiten über die Hand Einrichtungen, die geeignet sind, ein Abstürzen zu verhindern oder ein Weiterfallen hintanzuhalten, anzubringen sind. Der Beschuldigte bestreite nicht, daß zum Zeitpunkt des Unfalles kein Schutzgerüst angebracht gewesen sei, er habe jedoch angegeben, daß zum Zeitpunkt des Unfalles die 7m über Gelände nocht nicht erreicht bzw. überschritten waren, weshalb die Bestimmung des § 33 Abs.1 der Bauarbeitenschutzverordnung anzuwenden sei. Aus dem Strafantrag des Arbeitsinspektorates sowie der Strafanzeige des Gendarmeriepostens Kremsmünster gehe nicht hervor, daß bis zum Zeitpunkt des Unfalles andere Arbeiten als Mauerungsarbeiten durchgeführt worden seien und auch die Höhe von 7m über dem Gelände noch nicht überschritten wurde. Die Erstbehörde sei somit zur Auffassung gelangt, daß das Öffnen einer Ziegelpalette eine Mauerungsarbeit darstelle und andere Arbeiten nicht Gegenstand des Strafantrages gewesen seien bzw. nicht nachgewiesen werden konnte, weshalb die Bestimmung des § 33 Abs.1 der Bauarbeitenschutzverordnung, wonach Mauerungsarbeiten über die Hand bis zu einer Gebäudehöhe von 7m über Gelände ohne Schutzgerüst durchgeführt werden dürfen, zum Tragen komme, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

2. In der fristgerecht gegen den o.a. Bescheid eingebrachten Berufung des Arbeitsinspektorates für den 19. Aufsichtsbezirk in Wels wird ausgeführt, daß nach § 7 Abs.1 der Bauarbeitenschutzverordnung an allen absturzgefährdeten Stellen grundsätzlich geeignete Einrichtungen anzubringen sind, die ein Abstürzen der Dienstnehmer verhindern und ein Weiterfallen hintanhalten. In der Begründung führe die erkennende Behörde aus, daß nach den Bestimmungen des § 33 Abs.1 der Bauarbeitenschutzverordnung ohne Schutzgerüst Mauerungsarbeiten über die Hand ausgeführt werden dürfen, soferne die Höhe über dem Gelände 7m nicht übersteigt. Hier sei jedoch von der Spruchbehörde die Vorschrift des zuvor zitierten Paragraphen verkannt worden, wonach ab 7m Mauerhöhe über dem Gelände auf jeden Fall ein Schutzgerüst anzubringen ist. Desweiteren wird als Verfahrensmangel geltend gemacht, daß die Behörde im Verfahren nicht ermittelt habe, ob die Absturzhöhe mehr oder weniger als 7m betragen habe, obwohl der Behörde die Fotos des Gendarmeriepostens Kremsmünster vorgelegen seien. Es sei daher am 18. September 1991 vom anzeigenden Arbeitsinspektionsorgan die Absturzhöhe aufgrund der Fotos der Gendarmerie rekonstruiert worden. Die Absturzhöhe betrug nach Ansicht des Arbeitsinspektorates 7,90m.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat hat ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durchgeführt und im Zuge dessen auch am 19. Mai 1992 an der Absturzstelle eine öffentliche mündliche Verhandlung abgehalten.

Aufgrund des Ergebnisses des durchgeführten Ermittlungsverfahrens ist der unabhängige Verwaltungssenat zur Auffassung gelangt, daß die Absturzhöhe des verunglückten Arbeitnehmers G mehr als sieben Meter betragen hat, wobei folgendes festgestellt wurde:

3.1. Wie bereits die Erstbehörde ausgeführt hat, bestreitet der Beschuldigte nicht, an der gegenständlichen Arbeitsstelle kein Gerüst angebracht zu haben. Der Beschuldigte vertrat in seiner Vernehmung am 10. Mai 1991 vor der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf die Auffassung, daß die gegenständliche Arbeitsstelle in einer Höhe von "ca. 7 Meter über dem Gelände" nicht als absturzgefährlich zu beurteilen gewesen sei. Das Arbeitsinspektorat für den 19. Aufsichtsbezirk hielt dieser Auffassung in seiner Stellungnahme vom 22. Mai 1991 an die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf/Krems entgegen, daß laut einer Rücksprache mit dem Unfallverhütungsdienst der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt im Rahmen eines Lokalaugenscheines keine Aussage über die Gefährlichkeit der Absturzstelle gemacht worden sei. Der Unfallhergang habe gezeigt, daß das Auseinanderfallen eines Ziegelstapels und die nachfolgende automatische Reaktion des Arbeitnehmers zu dessen Absturz geführt habe. Eine derartige Ausweichreaktion könne sich aus vielen Situationen ergeben und lasse sicher nicht auf ein unvorsichtiges Verhalten des verletzten Arbeitnehmers schließen, vielmehr könne auf eine akute Absturzgefahr geschlossen werden. Zur rechtlichen Lage führte das Arbeitsinspektorat aus, daß grundsätzlich an all jenen Stellen, von denen Absturzgefahr bestehe, ein Schutzgerüst oder ähnliches anzubringen ist. Lediglich für Mauerungsarbeiten, die mit dem Gesicht zur Absturzstelle ausgeführt werden, sehe der Gesetzgeber eine Erleichterung in der Form vor, daß Schutzgerüste erst ab 7 m Höhe anzubringen sind. Der Beschuldigte replizierte daraufhin in seiner Stellungnahme vom 18.7.1991 an die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf/Krems, daß im zweiten Obergeschoß vier Reihen Ziegel gemauert waren, was eine Höhe von der Rohdecke von 98 cm ergebe. Die Rohfußbodenoberkante habe vom Erdgeschoß - Fußboden 5,70 m betragen. Das Niveau war um 25 cm tiefer, als der EG-Fußboden, das ergebe eine Gesamthöhe von ca. 6,95 m. Auch der Portier R, welcher zum Unfallszeitpunkt an der gegenständlichen Baustelle arbeitete, vertrat bei seiner Vernehmung anläßlich der öffentlichen mündlichen Verhandlung die Auffassung, daß "eher" vier Ziegelscharen ab der Rohdecke, was einer Höhe von ca. 1 m entspreche, aufgemauert gewesen seien.

3.2. Insp. F, GP Kremsmünster, welcher die Erhebungen durchführte und die Anzeige verfaßte, führte zeugenschaftlich aus, daß zum Unfallszeitpunkt keine konkrete Abmessung der Absturzhöhe erfolgt sei, diese sei anhand der Stockwerke und deren Raumhöhe geschätzt und mit ca. 7 m angenommen worden. Bei diesen Ermittlungen sei auch ein Arbeitsinspektor anwesend gewesen. Aufgrund einer telefonischen Vorladung seitens der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf/Krems habe er am 4.12.1991 um 15.00 Uhr mit Insp. H im Beisein von Baumeister S eine Abmessung der damaligen Absturzstelle vorgenommen und Lichtbilder angefertigt. Dabei sei festgestellt worden, daß die Außenmauern bereits verputzt und Aufschüttungsarbeiten durchgeführt worden seien, weshalb eine exakte Abmessung nicht mehr möglich gewesen sei. Von der derzeitigen Außenputzunterkante bis zum damaligen Erdniveau, an der M zu liegen gekommen war, habe er eine Höhe von ca. 20 cm angenommen. Von der Außenputzunterkante bis zur Oberkante des Fensterbrettes (Foto liegt im Akt) sei eine Höhe von 7,10 m gemessen worden. Laut Aussage des Baumeisters S sei bei diesem Fenster für die Einsetzung des Fensters ca. 15 cm aufgemauert worden. Aller Wahrscheinlichkeit nach sei der damalige Gerüstbelag ca. 50 cm über der derzeitigen fertigen Fensterbrettoberkante gewesen. Dies ergebe somit eine Absturzhöhe von 7,80 m.

3.3. Der Version des Beschuldigten, wonach die Absturzhöhe unter 7 m betrug, steht weiters die Stellungnahme des Arbeitsinspektorates für den 19. Aufsichtsbezirk vom 12. Juni 1992 entgegen. Darin wird u.a. auf die Niederschrift des Gendarmeriepostens Kremsmünster vom 24. April 1991, aufgenommen mit Herrn E, verwiesen, wonach dieser u.a. angegeben hat, wie seine Kollegen damit beschäftigt waren, eine der drei Ziegelpaletten zu öffnen. Sie hätten diese eben erst durch den Kran heraufheben lassen, weil sie kurz vorher erst das Gerüst aufgestellt hatten. Das Arbeitsinspektorat führt weiters aus, daß am Tag nach dem Absturz festgestellt worden sei, daß die Gerüsthöhe 1,50 m über der Oberkante Rohdecke betrug. Dies sei ein übliches Maß für ein Gerüst zur Durchführung von Mauerungsarbeiten. Wie auch aus den Aufnahmen des Rohbaues und den Plänen zu entnehmen sei, habe die lichte Stockwerkhöhe 2,75 m (11 Ziegelscharen) betragen. Für derartige Mauerhöhen sei es üblich, zuerst 1,50 m (6 Scharen) aufzumauern und von einem aufgestellten Gerüst aus, weitere 1,25 m (5 Scharen) zu mauern. Diese Vorgangsweise würde sich auch mit der Aussage decken, wonach das Gerüst kurz vorher erst aufgestellt worden sei. Die Höhe von 1,50 m stelle auch jene Höhe dar, bis zu der üblicherweise ein durchschnittlich großer Mann ohne Gerüst mauern könne (die Höhe von 1,50 m entspreche etwa der Schulterhöhe). Da diese Tatsachen dem ermittelnden Arbeitsinspektor bekannt gewesen seien, sei am Tag der Unfallerhebung die Frage, ob das Gerüst in der Zwischenzeit verstellt worden wäre, nicht behandelt worden. Das Arbeitsinspektorat legte zudem Skizzen aufgrund des gültigen Einreichplanes vor. Die beigelegten Skizzen ergeben, daß auch bei einer angenommenen Gerüsthöhe von 1,00 m die Absturzhöhe 7,65 m betragen hat. Als Beweis für die tatsächlich vorhandene Geländehöhe wird auf das Bild 6 des Gendarmeriepostens Kremsmünster verwiesen. Als weiterer Beweis für die vorhandene Geländehöhe während des Bauzustandes wurde die Fotokopie eines Fotos vorgelegt, welches anläßlich einer Inspektion dieser Baustelle am 2. Oktober 1991 aufgenommen wurde. Das Stahlrohrrahmengerüst hatte eine Etagenhöhe von 2 m, die erste Etage dieses Gerüstes befindet sich etwa in Parapetthöhe des Fensters des Erdgeschoßes.

3.4. Aufgrund der von Insp. F gepflogenen Ermittlungen, der von ihm sowie vom Arbeitsinspektorat vorgelegten Unterlagen sowie der Ausführungen wird als erwiesen angenommen, daß die Absturzhöhe des verunglückten Arbeitnehmers mehr als 7 m betragen hat. Aufgrund der vogelegten Skizze des Arbeitsinspektorates betrug die Absturzhöhe unter günstigsten Annahmen ca. 7,65 m. Die vom Beschuldigten in seiner Stellungnahme vom 18.7.1991 vorgegebene Berechnung weicht insofern ab, als darin der Durchmesser der Decken nicht miteinbezogen wurde, was bereits eine Höhe von über 7,00 m ergeben würde. Andererseits wurde das Niveau anstelle von 0,75 m laut vorgelegten Skizzen des Arbeitsinspektorates lediglich mit 0,25 m tiefer liegend angegeben.

4. Bei dieser Sachlage wäre im Sinne des § 33 Abs.1 der Bauarbeitenschutzverordnung jedenfalls ein Schutzgerüst anzubringen gewesen. Aus den genannten Gründen war daher dem Berufungsantrag auf Behebung des Bescheides stattzugeben. Ein Schuld- und Strafausspruch durch den unabhängigen Verwaltungssenat erfolgte jedoch deshalb nicht, da durch eine solche Vorgangsweise dem Beschuldigten de facto der Rechtsschutz verkürzt würde. Dem Beschuldigten soll - ebenso wie dem Arbeitsinspektorat - die Möglichkeit eingeräumt werden, gegen ein Straferkenntnis durch die Erstbehörde ein ordentliches Rechtsmittel zu ergreifen.

Aus den genannten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.

Bei diesem Ergebnis war ein Kostenausspruch nicht zu fällen.

zu II. Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf die im Spruch angeführten gesetzlichen Bestimmungen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist eine weitere Berufung unzulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden. Sie muß von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. F r a g n e r 6

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum