Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-220453/2/Schi/Bk

Linz, 08.07.1993

VwSen - 220453/2/Schi/Bk Linz, am 8. Juli 1993 DVR.0690392 - &

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Christian Schieferer über die Berufung der Frau Christine Ri, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung vom 11. Jänner 1993, Ge96/171/1992-4/93/H, wegen Übertretung der Gewerbeordnung zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

Rechtsgrundlagen: §§ 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 45 Abs.1 Z2 und 51e Abs.1 VStG; § 366 Abs.1 Z4 iVm § 81 Abs.1 und § 74 Abs.2 Gewerbeordnung 1973, BGBl. Nr. 50/1974 idF BGBl. Nr. 29/1993.

II. Es entfällt die Verpflichtung zur Leistung von jeglichen Strafkostenbeiträgen.

Rechtsgrundlagen: § 65 und § 66 VStG.

Entscheidungsgründe:

Zu I. 1. Die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung hat mit dem eingangs angeführten Straferkenntnis über die Berufungswerberin gemäß § 366 Abs.1 Z4 GewO 1973 eine Geldstrafe in der Höhe von 1.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe 24 Stunden) verhängt, weil sie als gewerberechtliche Geschäftsführerin der Firma Ernst W, in der Zeit vom 14.11.1986 bis zum 22.07.1992 nicht dafür gesorgt hat, daß die genehmigte gewerbliche Betriebsanlage am Standort, Parzelle Nr. 218, KG O, durch die Firma W in einer der ursprünglichen Genehmigung entsprechenden, nicht geänderten Weise betrieben wurde. Die Betriebsweise der Betriebsanlage wurde durch Verwendung von Motorkettensägen, die geeignet sind, durch Lärmemission unzumutbare Belästigungen im Sinne des § 74 der GewO 1973 hervorzurufen geändert, ohne daß für diese Änderung eine gewerbehördliche Genehmigung erwirkt wurde.

2. In ihrer Berufung vom 27.01.1993 macht die Rechtsmittelwerberin unter anderem Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend, weil ihr die belangte Behörde mit drei weiteren Straferkenntnissen - betreffend jeweils den Zeitraum 14.11.1986 bis 22.07.1992 - in denen ihr vorgeworfen wird, durch Verwendung einer Telefonhupe (verstärkte Telefonklingel), Verwendung eines Hubstaplers und Verwendung von zwei Hobelmaschinen, die geeignet sind, durch Lärmemissionen unzumutbare Belästigungen gemäß § 74 GewO 1973 hervorzurufen, Geldstrafen verhängt habe. Entsprechend § 22 VStG seien nur dann nebeneinander Strafen zu verhängen, wenn jemand durch verschiedene selbständige Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen hat oder wenn eine Tat unter mehrere, einander nicht ausschließende Strafdrohungen fällt. Damit ergebe sich, daß dann nicht mehrere Verwaltungsübertretungen vorliegen, wenn die Einzelhandlungen infolge ihres erkennbaren zeitlichen, örtlichen und sachlichen Zusammenhanges sowie infolge der Gleichartigkeit der Begehungsform und der äußeren Begleitumstände als Einheit anzusehen sind. Demgemäß hätte der Berufungswerberin allenfalls lediglich eine einzige Verwaltungsübertretung vorgeworfen werden dürfen.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat hat Einsicht genommen in den Verwaltungsstrafakt der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung Ge96/171/1992-4/93/H; eine Gegenschrift wurde von der belangten Behörde nicht erstattet. Bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit dem Berufungsvorbringen ergibt sich, daß der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, weshalb eine öffentliche mündliche Verhandlung gemäß § 51e Abs.1 VStG nicht anzuberaumen war.

4. Vom unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich wurde aufgrund der Aktenlage folgender Sachverhalt der Entscheidung zugrundegelegt:

4.1. Mit insgesamt vier Straferkenntnissen der belangten Behörde wurden über die Berufungswerberin als gewerberechtliche Geschäftsführerin der Firma Wagner in 4100 Ottensheim Geldstrafen verhängt, weil sie in der Zeit vom 14.11.1986 bis zum 22.07.1992 nicht dafür gesorgt habe, daß die genehmigte gewerbliche Betriebsanlage im Standort in einer der ursprünglichen Genehmigung entsprechenden nicht geänderten Weise betrieben wurde. Mit dem gegenständlichen Straferkenntnis, Ge96/171/1992-4/93/H, wurde ihr die Verwendung von Motorkettensägen, die geeignet sind, durch Lärmemission unzumutbare Belästigungen im Sinne des § 74 GewO 1973 hervorzurufen, vorgeworfen; mit Straferkenntnis, Ge96/140/1992-4/93/H, (protokolliert zu VwSen-220454-1993), wurde ihr die Verwendung von zwei Hobelmaschinen, die geeignet sind, durch Lärmemissionen unzumutbare Belästigungen im Sinne des § 74 GewO 1973 hervorzurufen, vorgeworfen; mit Straferkenntnis, Ge96/172/1992-4/93/H, (protokolliert zu VwSen-220455-1993), wurde die Verwendung eines Hubstaplers, der geeignet ist, durch Lärmemission unzumutbare Belästigungen im Sinne des § 74 GewO 1973 hervorzurufen, vorgeworfen und mit Straferkenntnis, Ge96/177/1992-4/93/H, (protokolliert zu VwSen-220456-1993), wurde ihr die Verwendung einer Telefonhupe (verstärkte Telefonklingel), die geeignet ist, durch Lärmemission unzumutbare Belästigungen im Sinne des § 74 GewO 1973 hervorzurufen, vorgeworfen, ohne daß dafür eine gewerbebehördliche Genehmigung erwirkt wurde.

5. Unter Zugrundelegung dieses Sachverhaltes hat der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich in rechtlicher Hinsicht erwogen:

5.1. Gemäß § 366 Abs.1 Z4 GewO 1973 begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe bis zu 50.000 S zu bestrafen ist, wer eine genehmigte Betriebsanlage ohne die erforderliche Genehmigung ändert oder nach der Änderung betreibt (§ 81 leg.cit.).

Gemäß § 74 Abs.2 GewO 1973 dürfen gewerbliche Betriebsanlagen nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Geräten oder Maschinen, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind, ua zufolge Z2 die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen.

Gemäß § 81 Abs.1 GewO 1973 bedarf auch die Änderung einer genehmigten Betriebsanlage einer Genehmigung im Sinne der vorstehenden Bestimmungen, wenn es zur Wahrung der im § 74 Abs.2 umschriebenen Interessen erforderlich ist. Diese Genehmigung hat auch die bereits genehmigte Anlage soweit zu umfassen, als es wegen der Änderung zur Wahrung der im § 74 Abs.2 umschriebenen Interessen gegenüber der bereits genehmigten Anlage erforderlich ist.

Gemäß § 44a Z1 VStG hat der Spruch, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Gemäß § 45 Abs.1 Z2 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn der Beschuldigte die ihm zu Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen.

Gemäß § 22 Abs.1 VStG sind die Strafen nebeneinander zu verhängen, wenn jemand durch verschiedene selbständige Taten mehrere Verwaltungsübertetungen begangen hat oder eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen fällt.

5.2. Dem Grundsatz der Einheit der Betriebsanlage kommt im Gewerberecht eine zentrale Bedeutung zu, denn Gewerbeanlagen sind komplexe Phänomene. Sie bestehen regelmäßig aus einer Vielzahl von Objekten, Einrichtungen, Maschinen und Geräten (Anlagenteile). Eine Betriebsanlage kann sich - neben anderen Objekten - auch aus Einrichtungen zusammensetzen, die - für sich genommen der Genehmigungspflicht nicht unterliegen (vgl Stolzlechner-Wendl-Zitta, Die gewerbliche Betriebsanlage, RZ 168). Als gewerbliche Betriebsanlage ist daher die Gesamtheit jener Einrichtung anzusehen, welche dem Zweck des Betriebes eines Unternehmens gewidmet sind; eine Betriebsanlage stellt, soweit der lokale Zusammenhang aller dieser Einrichtungen gegeben ist, seit jeher gewerberechtlich ein einheitliches Objekt dar (VwGH Budw. 7694 A/1910; 175/1988, 88/04/0011). Ihre Grundlage hat diese Ansicht darin, daß nicht etwa die einzelnen Einrichtungen bzw. die beim Betrieb vorkommenden Manipulationen, die Gegenstand der behördlichen Genehmigung bilden, sondern die Gesamtanlage und die in ihr vorzunehmenden Tätigkeiten (VwGH 21.03.1988,87/04/0055). Denn nur durch eine solche Gesamtbetrachtung kann das gegenseitige Ineinanderwirken der einzelnen Anlagenteile in ihren Auswirkungen auf die Umwelt umfassend beurteilt und damit der vom Gesetz angestrebte umfassende Nachbarschaftsschutz bewirkt werden (VwSlg. 11888A).

Auch der die gegenständliche Betriebsanlage betreffende Berufungsbescheid des Landeshauptmannes vom 30. April 1992, Ge-8037/1-1992/Sch/Th, der im gegenständlichen Akt einliegt, stellt im wesentlichen auf den Grundsatz der Einheit der Betriebsanlage ab (Seite 6).

Der Grundsatz der Einheit der Betriebsanlage ist daher insofern auch bei der verwaltungsstrafrechtlichen Beurteilung von großer Bedeutung (vgl. Stolzlechner-Wendl-Zitta, RZ 168 und 312), weshalb nicht einzelne Maschinen und Geräte den Gegenstand der behördlichen Bewilligung bilden, sondern die als Einheit zu sehende gewerbliche Betriebsanlage.

5.3. Hat der Täter mehrere Verwaltungsübertretungen begangen, so gilt im Verwaltungsstrafrecht gemäß § 22 VStG das sogenannte Kumulationsprinzip. Das bedeutet, daß für jedes Delikt eine eigene Strafe, somit nebeneinander mehrere Strafen zu verhängen sind. Hiebei macht es keinen Unterschied, ob der Täter durch verschiedene Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen hat oder durch ein und dieselbe Tat mehrere verschiedene Delikte verwirklicht hat.

Die belangte Behörde hat - wie oben unter 4.1. angeführt über die Berufungswerberin mit vier Straferkenntnissen Geldstrafen verhängt, weil sie durch Verwendung einer Telefonhupe, eines Hubstaplers, von Motorsägen und zwei Hobelmaschinen jedesmal die gewerbliche Betriebsanlage ohne entsprechende Genehmigung - in einem einheitlichen Tatzeitraum - betrieben hat.

5.4. Die belangte Behörde hat aber verkannt, daß im vorliegenden Fall eine Ausnahme vom Kumulationsprinzip zum Tragen kommt, weil ein fortgesetztes Delikt vorliegt.

Unter einem fortgesetzten Delikt ist eine Reihe von gesetzwidrigen Einzelhandlungen zu verstehen, die vermöge der Gleichartigkeit der Begehungsform sowie der äußeren Begleitumstände im Rahmen eines (noch erkennbaren) zeitlichen Zusammenhanges sowie eines diesbezüglichen Gesamtkonzepts des Täters zu einer Einheit zusammentreten (VwGH 19.05.1980, Slg.10138 A., verst. Sen.).

Im vorliegenden Fall hat die Berufungswerberin durch Verwendung einer Telefonhupe, eines Hubstaplers, von zwei Hobelmaschinen und von Motorsägen - die abstrakt geeignet sind, Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs.2 GewO 1973 herbeizuführen und daher einer Genehmigung der Änderung der Anlage bedurft hätten - ihre solcherart geänderte gewerbliche Betriebsanlage ohne Genehmigung betrieben. In diesem Fall der sogenannten unechten (scheinbaren) Realkonkurrenz, indem der Täter durch mehrere Handlungen dasselbe Delikt mehrmals verwirklicht, aber dennoch nur wegen eines einzigen Deliktes haftet, weil die einzelnen Tathandlungen sich nur als Teilhandlungen darstellen und rechtlich eine Einheit bilden, hätte die belangte Behörde daher nur eine einzige - allerdings strengere - Strafe verhängen dürfen. Es liegt somit eine Mehrheit von Handlungen vor, die jede für sich allein betrachtet, bereits das Tatbild der Verwaltungsübertretung nach § 366 Abs.1 Z4 GewO 1973 darstellt, wobei sich die Summe der einzelnen Handlungen bzw. Unterlassungen als Einheit darstellt. Die Berufungswerberin hat somit durch jede dieser einzelnen Teilhandlungen bereits ihre gewerbebehördlich genehmigte Betriebsanlage geändert; die belangte Behörde hätte daher den Unrechtsgehalt jeder einzelnen Teilhandlung beim Ausmaß für die Gesamtstrafe entsprechend berücksichtigen müssen. Nicht aber durfte sie nach der oben angeführten Judikatur jede einzelne Teilhandlung selbständig bestrafen, denn dadurch wird der einheitliche Tatbestand "Betrieb der geänderten gewerblichen Betriebsanlage ohne Genehmigung" mehrfach geahndet. Indem die belangte Behörde dies verkannte belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit wegen unzulässiger Mehrfachbestrafung bzw. wegen Verstoßes gegen den Grundsatz ne bis in idem.

6. Eine Sanierung des (der) angefochtenen Straferkenntnisse(s) im Verfahren vor dem unabhängigen Verwaltungssenat - etwa durch Zusammenfassung aller vier gesonderten Verwaltungsstrafverfahren bzw. der Berufungsverfahren in einem einheitlichen Erkenntnis - war deshalb nicht möglich, weil dies jedenfalls eine unzulässige reformatio in peius (VwGH 07.12.1978, Zl. 859/77) bedeutet hätte.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu II. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Berufungswerberin gemäß § 65 und § 66 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch ein Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem O.ö. Verwaltungssenat vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist eine weitere Berufung unzulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden. Sie muß von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Beilagen Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. Schieferer 6

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum