Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-220546/10/Ga/La

Linz, 17.11.1993

VwSen - 220546/10/Ga/La Linz, am 17. November 1993 DVR.0690392 - &

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch seine 4. Kammer (Vorsitzender: Dr. Grof; Berichter: Mag. Gallnbrunner; Beisitzer: Dr. Schön) über die Berufung des H, gegen das wegen Übertretung der Bauarbeitenschutzverordnung erlassene Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land vom 18. März 1993, Zl. Ge-2100/1992/Kam, zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

II. Der Berufungswerber hat keinen Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens zu leisten.

Rechtsgrundlage: Zu I.: § 66 Abs.4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl.Nr. 51, iVm § 24 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG, BGBl.Nr. 52; § 31 Abs.1 und Abs.2, § 32, § 44a Z1, § 45 Abs.1 Z3, § 51 Abs.1, § 51c und § 51e Abs.1 VStG. Zu II.: § 66 Abs.1 VStG. Entscheidungsgründe:

Zu I.:

1.1. Die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land hat mit dem eingangs bezeichneten Straferkenntnis den Berufungswerber einer Übertretung der (in den Rang eines Bundesgesetzes gehobenen) Verordnung BGBl.Nr. 267/1954 über Vorschriften zum Schutze des Lebens und der Gesundheit von Dienstnehmern bei Ausführung von Bauarbeiten, Baunebenund Bauhilfsarbeiten (sogen. Bauarbeitenschutzverordnung) schuldig gesprochen, weil er es "als im Sinne des § 9 VStG 1991 Beauftragter der Firma H zu verantworten" habe, daß zwei Arbeitnehmer dieses Betriebes am 29. April 1992 auf der Baustelle in der Stadt S, mit der Herstellung der Dachschalung bzw. der Lattung auf einer ca. 20 bis 30 Grad geneigten Dachfläche beschäftigt waren und diese Arbeiten bei einer Traufenhöhe von ca. 7 bis 8 m ohne Verwendung von Absturzsicherungen durchführten, "obwohl durch leichten Regen erhöhte Rutschgefahr bestanden hat." Deswegen wurde über den Berufungswerber gemäß § 31 Abs.2 lit.p iVm § 33 Abs.7 des Arbeitnehmerschutzgesetzes eine Geldstrafe in der Höhe von 15.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe: 14 Tage) kostenpflichtig verhängt.

1.2. Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die beim unabhängigen Verwaltungssenat eingebrachte, als "Einspruch" bezeichnete Berufung; das Rechtsmittel rügt die Verletzung von Verfahrensvorschriften; nicht ausdrücklich formuliert, so doch immerhin erschließbar ist das Begehren auf Beseitigung des Straferkenntnisses.

2.1. Die Strafbehörde als belangte Behörde hat keine Berufungsvorentscheidung erlassen, sondern die Berufung samt Strafakt dem unabhängigen Verwaltungssenat vorgelegt und eine Gegenäußerung zum Berufungsvorbringen erstattet.

2.2. Im Vorverfahren hat der unabhängige Verwaltungssenat das Standort-Arbeitsinspektorat angehört, das die Bestätigung des angefochtenen Straferkenntnisses beantragte.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat hat, nach Einsicht in den Strafakt zu Zl. Ge-2100/1992/P, über die - zulässige Berufung erwogen:

3.1. Schon aus der Aktenlage war ersichtlich, daß das angefochtene Straferkenntnis - gemäß § 51e Abs.1 VStG ohne öffentliche mündliche Verhandlung - aufzuheben ist.

3.2.1. Unter der Überschrift "Gefährliche Arbeitsstellen" ordnet § 7 Abs.1 der Bauarbeitenschutzverordnung an, daß an allen Arbeitsstellen, an denen Absturzgefahr besteht, Einrichtungen anzubringen (sind), die geeignet sind, ein Abstürzen der Dienstnehmer zu verhindern oder ein Weiterfallen hintanzuhalten, wie Arbeitsgerüste, Brustwehren, Schutzgerüste oder Fangnetze. Bei Arbeiten an besonders gefährlichen Stellen müssen die Dienstnehmer überdies angeseilt sein. Das gleiche gilt für das Anbringen oder Entfernen von Schutzeinrichtungen an besonders gefährlichen Stellen. Der Abs.2 dieser Vorschrift bestimmt, daß die Anbringung der in Abs.1 vorgesehenen Schutzeinrichtungen dann unterbleiben kann, wenn der hiefür erforderliche Aufwand unverhältnismäßig hoch ist gegenüber dem Aufwand für die durchzuführende Arbeit. In solchen Fällen sind die Dienstnehmer durch Anseilen gegen Absturz zu sichern.

Unter der Überschrift "Arbeiten auf Dächern. Allgemeine Bestimmungen." schreibt § 43 Abs.1 der Bauarbeitenschutzverordnung vor, daß Arbeiten auf Dächern, wie Dachdecker-, Spengler-, Bauglaser- oder Anstreicherarbeiten sowie Arbeiten an Blitzschutzanlagen erst nach Durchführung von Sicherheitsmaßnahmen, die ein Abstürzen von Menschen, Materialien und Geräten hintanzuhalten geeignet sind, begonnen werden (dürfen).

Beide Vorschriften regeln wesentlich unterschiedliche Tatbestände: § 7 Abs.1 verlangt für die Tatbilderfüllung - anders als § 43 Abs.1 - den Nachweis, daß die Arbeitsstelle absturzgefährlich ist (vgl. zB. VwGH vom 24.11.1992, Zl. 88/08/0221).

3.2.2. Nach § 31 Abs.1 VStG ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen der Verjährungsfrist (hier: sechs Monate) von der Behörde keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs.2 VStG) vorgenommen worden ist. Nach § 32 Abs.2 VStG ist Verfolgungshandlung jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Auftrag zur Ausforschung, Strafverfügung u. dgl.), und zwar auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat.

Innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist wurde in diesem Fall (nur) ein behördlicher Akt gesetzt, der als Verfolgungshandlung gegen den Berufungswerber in Betracht kommt, nämlich die Aufforderung zur Rechtfertigung vom 13. August 1992 (abgesendet am gleichen Tag).

3.3. Eine Verfolgungshandlung unterbricht nur dann die Verjährung, wenn sie sich auf alle der Bestrafung zugrundeliegenden Sachverhaltselemente, soweit diese für die Tatbilderfüllung maßgebend sind, bezogen hat (vgl. etwa die VwGH-Erkenntnisse vom 25.9.1992, Zl. 92/09/0147 und vom 26.4.1993, Zl. 92/10/0003, und die dort jeweils angeführte Vorjudikatur).

Im vorgelegten Fall ist nun auffällig, daß das anzeigende Arbeitsinspektorat (für den 9. Aufsichtsbezirk) den bei der Baustelle zur Tatzeit festgestellten Sachverhalt nicht unter die Vorschrift des § 7 Abs.1, sondern unter jene des § 43 Abs.1 der Bauarbeitenschutzverordnung eingeordnet hat. Dennoch wies das Arbeitsinspektorat in der Anzeige auch darauf hin, daß "witterungsbedingt (leichter Regen) erhöhte Rutschgefahr" bestanden habe. Der unabhängige Verwaltungssenat wertet diesen Hinweis dahingehend, daß das Arbeitsinspektorat damit die Absturzgefahr an der Arbeitsstelle indizieren wollte. Trotz dieses Fingerzeiges enthält die Aufforderung zur Rechtfertigung vom 13. August 1992 dieses Sachverhaltselement nicht, obwohl der Tatvorwurf dieser Verfolgungshandlung ausdrücklich nicht auf § 43 Abs.1, sondern auf § 7 Abs.1 und 2 der Bauarbeitenschutzverordnung gestützt wird. Auch sonst enthält diese Verfolgungshandlung nichts, womit die belangte Behörde durch unmißverständliche, in Beziehung zum vorgeworfenen Straftatbestand stehende, wörtliche Anführungen (vgl. zB. VwGH vom 10.6.1992, Zl. 92/04/0055) dem Beschuldigten zu erkennen gegeben hätte, daß sie von einer an der Arbeitsstelle konkret gegeben gewesenen Absturzgefahr ausgegangen ist.

Anders als die Verfolgungshandlung geht nun das bekämpfte Straferkenntnis vom 18. März 1993 von einer (hier für das Tatbild der Absturzgefahr nicht maßgeblichen) geringeren Neigung der Dachfläche aus. Der Schuldspruch des Straferkenntnisses enthält jedoch auch (und zum ersten Mal) das für die Bestrafung im vorliegenden Fall wesentliche Sachverhaltselement: "obwohl durch leichten Regen erhöhte Rutschgefahr bestanden hat." Damit wird, nach Auffassung des unabhängigen Verwaltungssenates mit gerade noch hinreichender Deutlichkeit, ein den Tatbestand "Absturzgefahr" erfüllender Sachverhalt beschrieben.

Obzwar das bekämpfte Straferkenntnis eine ersichtlich unvollständige Aufzählung der durch die Tat verletzten Verwaltungsvorschriften enthält, besteht kein Zweifel, daß es - so wie schon die Aufforderung zur Rechtfertigung vom 13. August 1992 - von der Verletzung des § 7 Abs.1 und 2 (und gerade nicht des § 43 Abs.1) der Bauarbeitenschutzverordnung ausgegangen ist. Dies ist daraus zu erschließen, daß vom Zitat des § 7 Abs.1 und 2 der Bauarbeitenschutzverordnung nur der Torso "und 2" übriggeblieben ist.

4. Darüber hinaus ist auch noch folgender, vom unabhängigen Verwaltungssenat allerdings nicht mehr behebbarer inhaltlicher Mangel des bekämpften Straferkenntnisses aufzuzeigen, der sich daraus ergibt, daß der Schuldspruch auf das Fehlen von Absturzsicherungen abstellt; mit diesem Mangel ist auch schon die Verfolgungshandlung vom 13. August 1992 belastet. Hiezu hat in einem diesbezüglich vergleichbaren Fall der Verwaltungsgerichtshof (Erk. vom 24.11.1992, Zl. 88/08/0221) ausgeführt: Dieses Fehlen von Schutzeinrichtungen im Sinne des § 7 Abs.1 der Bauarbeitenschutzverordnung (wie Arbeitsgerüste, Brustwehren, Schutzgerüste oder Fangnetze) allein macht aber eine Beschäftigung von Dienstnehmern auf einem Dach nicht strafbar. Zum Tatbild der verbotenen Beschäftigung trotz Fehlens von Schutzeinrichtungen gehört nämlich auch die Verwirklichung des im § 7 Abs.2 der Bauarbeitenschutzverordnung normierten negativen Tatbestandsmerkmales, daß die Anbringung der im Abs.1 vorgesehenen Schutzeinrichtungen nicht unterbleiben konnte. Hätte nämlich die Anbringung von Schutzeinrichtungen nach Abs.1 unterbleiben können, dann wären die Dienstnehmer durch Anseilen gegen Absturz zu sichern gewesen. Eine solche Unterlassung des Dienstgebers würde jedoch ein anderes Tatbild verwirklichen. Die unvollständige Wiedergabe des dem Berufungswerber zur Last gelegten Verhaltens belastet den Spruch des angefochtenen Bescheides daher jedenfalls mit einer Rechtswidrigkeit wegen Verstoßes gegen das Konkretisierungsgebot des § 44a Z1 VStG, denn entweder fehlt das Merkmal, daß Schutzeinrichtungen im Sinne des § 7 Abs.1 der Bauarbeitenschutzverordnung nicht unterbleiben konnten, oder jenes, daß Schutzeinrichtungen zwar wegen des unverhältnismäßigen Aufwandes hätten unterbleiben können, diesfalls aber eine Sicherung der Arbeitnehmer durch Anseilen nicht erfolgt ist. Die fehlende Auseinandersetzung der belangten Behörde mit der Frage, welcher der Tatbestände verwirklicht wurde, stellt aber nicht nur einen Verstoß gegen § 44a Z1 VStG, sondern überhaupt eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Straferkenntnisses dar.

5. Zusammenfassend steht daher der Bestrafung des Berufungswerbers Verfolgungsverjährung entgegen: Einerseits, weil die Verfolgungshandlung vom 13. August 1992 ein wesentliches, der späteren Bestrafung zugrundeliegendes Sachverhaltselement nicht enthält, andererseits jedoch, weil sie in einem entscheidenden, die Tat selbst betreffenden Punkt - so wie auch der Schuldspruch des Straferkenntnisses - zu unbestimmt ist. Mit einer so ausgestatteten Verfolgungshandlung konnte die Verjährungsfrist nicht unterbrochen werden.

6. Im Ergebnis war das Straferkenntnis vom 18. März 1993 aufzuheben, weil es wegen Verfolgungsverjährung nicht mehr hätte erlassen werden dürfen. Die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens war zu verfügen, weil Umstände vorliegen, die die weitere Verfolgung des Berufungswerbers in dieser Sache ausschließen.

7. Auf die Berufungsbegründung war somit ebensowenig einzugehen, wie auf den Umstand, daß nach der Aktenlage die Bestellung des Berufungswerbers zum verantwortlichen Beauftragten im Sinne des § 9 Abs.2 und 4 VStG vorliegend gar nicht rechtswirksam vorgenommen scheint. Dennoch hält der unabhängige Verwaltungssenat zu letzterem fest: Weder nämlich aus der im Akt einliegenden Kopie der Bestellungsurkunde vom 5. Februar 1990 noch aus einem sonstigen Akteninhalt geht mit Eindeutigkeit hervor, daß dem Berufungswerber die für die Übertragung der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit unerläßliche entsprechende Anordnungsbefugnis zugewiesen worden ist. Bei dieser Aktenlage hätte die belangte Behörde den eindeutigen Nachweis einer entsprechenden Anordnungsbefugnis zumindest einfordern müssen. Dabei hätte sie davon ausgehen können, daß es dem die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten geltend machenden handelsrechtlichen Geschäftsführer der juristischen Person obliegt, von sich aus das Faktum der Zuweisung einer entsprechenden Anordnungsbefugnis ebenso klar und unmißverständlich darzutun, wie dies für den Nachweis der Übertragung eines räumlich oder sachlich abgegrenzten Verantwortungsbereiches gilt. Dadurch nämlich sollen nach Meinung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. Erk. VwGH v. 23.2.1993, Zl. 92/11/0258) die Verwaltungsstrafbehörden immer dann, wenn vom strafrechtlich eigentlich Verantwortlichen die Delegierung der Verantwortlichkeit nach dem Modell des § 9 Abs.2 und 4 VStG behauptet wird, der Aufgabe enthoben sein, die Bestellung (ihren Nachweis) einer nur unter Zuhilfenahme weiterer Beweise möglichen Interpretation unterziehen zu müssen, um zu klären, welcher Inhalt einer diesbezüglich nicht eindeutigen Erklärung beizumessen ist. Jedenfalls soll vermieden werden, daß Zweifel am Umfang des Verantwortlichkeitsbereiches - hier: am Bestand der entsprechenden Anordnungsbefugnis - entstehen und als deren Folge die Begehung von Verwaltungsübertretungen allenfalls überhaupt ungesühnt bleibt.

Zu II.:

Der Ausspruch über den Entfall von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens ist auf die angegebene Gesetzesbestimmung gegründet.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist eine weitere Berufung unzulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine schriftliche Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden. Sie muß von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. Grof